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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Willkür bei Bestätigung einer Disziplinarstrafe durch die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte wegen vermeintlicher Ablegung einer falschen ZeugenaussageSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin wurde mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien schuldig erkannt, "in der Verhandlung vom 10.10.1996 im Verfahren 3 C30/96s des Bezirksgerichtes Zwettl Mag. G. P., ehemalige Rechtsanwaltsanwärterin, der Ablegung einer falschen Zeugenaussage beschuldigt und diese leichtfertig bei der Staatsanwaltschaft Krems am 15. Oktober 1996 sowie bei der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich wegen dieser angeblichen falschen Zeugenaussage angezeigt" zu haben. Über die Beschwerdeführerin wurde eine Geldbuße in der Höhe von S 15.000,-- und die Verpflichtung zum Ersatz der Verfahrenskosten verhängt.
Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien legte seinem Erkenntnis folgende wesentliche Feststellungen zugrunde:
"Mag. G. P. (...) war Rechtsanwaltsanwärterin bei Dr. G. R., Rechtsanwalt in Zwettl. In der Verhandlung vom 10.10.1996 beim Bezirksgericht Zwettl zu 3 C30/96s schritt (Mag. G. P.) als Klagevertreterin für L. D. ein. Die Disziplinarbeschuldigte war in dieser Verhandlung als Beklagtenvertreterin für F. D. eingeschritten.
Zu Beginn dieser Verhandlung hat die Disziplinarbeschuldigte vorgebracht, daß die Klägerin L. D. in der vorangegangenen Streitverhandlung vom 2.9.1996 behauptet hätte, daß der Beklagte 'sich an das Enkelkind herangemacht' hätte und nichts geschehe. Im Verhandlungsprotokoll vom 2.9.1996 findet sich keine derartige Dußerung protokolliert.
Mag. G. P. hat diese Äußerung in der Verhandlung vom 10.10.1996 bestritten und vorgebracht, daß sie sich nicht daran erinnern könne, wenn die Klägerin L. D. diesbezügliche Äußerungen gemacht hätte.
In der Streitverhandlung vom 10.10.1996 wurde schließlich Mag. G. P. als Zeugin einvernommen, wobei folgende Zeugenaussage protokolliert wurde: 'Ich habe eine derartige Äußerung nicht gehört. Ich habe bei diesem Prozeß auf alle Äußerungen genau geachtet, da von Seiten der Beklagtenvertreterin (der Disziplinarbeschuldigten) ständig Unterstellungen gekommen sind. Wären so gravierende Äußerungen gefallen, so wäre mir dies sicherlich aufgefallen.'
Die Disziplinarbeschuldigte brachte daraufhin vor: 'Es ist ja noch nie passiert, daß ein Parteienvertreter für seinen Mandanten etwas falsches sagt.'
Die Disziplinarbeschuldigte erstattete gegen Mag. G. P. bei der Staatsanwaltschaft Krems a.d. Donau Strafanzeige wegen der §§288 und 297 StGB (falsche Beweisaussage und Verleumdung). Die Staatsanwaltschaft Krems a.d. Donau hat zu 2 St 1157/96 die Anzeige geprüft und nicht genügend Gründe gefunden, gegen die Angezeigte ein Strafverfahren zu veranlassen.
Die Disziplinarbeschuldigte hat auch sofort nach der Verhandlung vom 10.10.1996 ohne nähere Erhebungen durchzuführen, sofort bei der Gendarmerie in Zwettl Strafanzeige gegen Mag. G. P. zu erstatten versucht.
Nicht festgestellt werden konnte, ob die Äußerung der L. D. in der Verhandlung vom 2.9.1996 vor dem Bezirksgericht Zwettl gefallen ist oder nicht. Hier waren die Beweisergebnisse dergestalt, daß F. D. und die Disziplinarbeschuldigte das Fallen dieser Äußerung bestätigt haben, die Zeugin L. D. und die Zeugin Mag. G. P. dies verneint haben. Gegen das Fallen einer solchen Äußerung spricht nach Ansicht des Disziplinarrates die Tatsache, daß die Disziplinarbeschuldigte zwar erklärt (hat), sie hätte die Äußerung am 2.9.1996 persönlich gehört und sich nachher in der Verhandlung vom 10.10.1996, aber auch im Disziplinarverfahren, darauf berufen, jedoch im Verfahren 3 C30/96s des Bezirksgerichtes Zwettl keine Protokollierung verlangt oder gegen eine unterlassene Protokollierung Widerspruch zu Protokoll erklärt hat. Der Verhandlungsrichter kann sich an keine Äußerung erinnern, nur daran, daß durch Verhalten der Disziplinarbeschuldigten die Verhandlungen hitzig und erregt waren. Es ist dazu auszuführen, daß diese Äußerung für das dort geführte Unterhaltsverfahren eine wesentliche und eine sehr wichtige Äußerung dargestellt hat und daher aus rechtlichen Gründen wohl die sofortige Protokollierung erforderlich gewesen wäre."
2. Mit ihrem infolge der Berufung der Beschwerdeführerin am 11. September 2000 ergangenen Erkenntnis bestätigte die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) das Erkenntnis des Disziplinarrates.
Die OBDK übernahm die Feststellungen des Disziplinarrates und führte in ihrer Begründung insbesondere aus, "Daß (...) die Bestreitung des Tatsachenvorbringens der Gegenseite weder grundsätzlich noch nach Lage des konkreten Falles den Vorwurf dolos unredlichen Vorgehens impliziert" und "daß selbst im Fall zweifelsfreier objektiver Erwiesenheit der der klagenden Partei zugeordneten Äußerung über angebliche unsittliche Bestrebungen des Beklagten gegenüber seinem Enkelkind der alleine darauf gegründete Vorwurf, die Klagevertreterin habe ihre inhaltlich gegenteilige Zeugenaussage dolos wahrheitswidrig abgelegt, als nach den Grundsätzen kollegialer Begegnung inakzeptable, disziplinarrechtlich faßbare Spontanreaktion zu beurteilen wäre (...)". Weiters erwog die OBDK, daß "auch ein von einem Rechtsanwalt gegen einen Berufskollegen auf (hier jedenfalls subjektiv) nicht tragfähiger Grundlage vorschnell erhobener Vorwurf strafbaren Verhaltens (...) weder mit dem Hinweis auf das allgemeine Anzeigerecht nach §86 StPO noch damit zu rechtfertigen sei, daß der Rechtsanwalt zur Wahrung der Interessen seiner Partei verpflichtet ist". Selbst im Fall erwiesener objektiver Unrichtigkeit einer von einem Berufskollegen vorgebrachten Prozeßbehauptung beziehungsweise zeugenschaftlichen Aussage stelle es keine der Wahrung von Klienteninteressen abträgliche Überforderung anwaltlicher Sorgfaltspflichten dar, den Vorwurf eines insoweit dolosen Vorgehens von der Verfügbarkeit spezifisch faßbarer Anhaltspunkte abhängig zu machen.
3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Berufungserkenntnis richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG.
4. Die OBDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Die Beschwerdeführerin bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vor. Beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus Anlaß dieses Beschwerdefalls nicht entstanden.
1.2. Die Beschwerdeführerin sieht sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Bei der Unbedenklichkeit der angewandten Rechtsvorschriften käme eine Gleichheitsverletzung nur dann in Frage, wenn den Rechtsgrundlagen fälschlicherweise ein gleichheitswidriger Inhalt unterstellt worden wäre oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hätte.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).
a.) Die Beschwerdeführerin bekämpft unter dem Titel der Willkür ua. die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung und bringt hiezu vor, es hätte im Zweifel - dem Grundsatz "in dubio pro reo" entsprechend - zu ihren Gunsten festgestellt werden müssen, daß die Äußerung der gegnerischen Partei tatsächlich so gefallen ist, wie sie von der Beschwerdeführerin in ihrer Strafanzeige dargestellt worden ist. Auf Grundlage dieser richtigen Feststellung hätte die belangte Behörde zwingend zu einem Freispruch gelangen müssen.
Entgegen dieser Ansicht ergibt sich jedoch aus der Nichtfeststellung des äußeren Tatbildes eines strafbaren Sachverhaltes - welche in der Hauptfrage dem gerichtlichen Strafverfahren vorbehalten wäre - keinesfalls "zwingend" eine Schlußfolgerung im Hinblick auf die Beurteilung der "Leichtfertigkeit" einer Strafanzeige, dh. im Hinblick auf das Verhalten des Anzeigenden (hier: der Beschwerdeführerin). Das dahin abzielende Vorbringen vermag keine dem angefochtenen Bescheid anzulastende Denkunmöglichkeit darzutun. Dem Vorbringen ist weiters zu entgegnen, daß die belangte Behörde bei der rechtlichen Würdigung des objektiven Tatgeschehens ohnehin die von der Beschwerdeführerin behauptete Alternative zugrundegelegt hat. Die belangte Behörde hat ihren Schuldspruch nämlich damit begründet, daß das Verhalten der Beschwerdeführerin selbst unter der Annahme, daß die Aussage der Mag. G. P. tatsächlich - objektiv gesehen - wahrheitswidrig gewesen wäre, disziplinarrechtlich zu sanktionieren ist. Die belangte Behörde stützte damit den Schuldspruch auf die von der Disziplinarbeschuldigten behauptete - für sie günstige - Variante des äußeren Tatgeschehens. Der Verfassungsgerichtshof erkennt darin keine in die Verfassungssphäre reichende Rechtswidrigkeit.
b.) Unter Berufung auf den Gleichheitssatz bringt die Beschwerdeführerin auch vor, daß aufgrund von §86 StPO ein Recht bestehe, gerichtlich strafbare Handlungen den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen. Es sei "schlechterdings denkunmöglich und damit gleichheitswidrig", daß dieser von der Rechtsordnung eingeräumte Rechtsweg zulässigerweise zum Anlaß einer Disziplinarmaßnahme gemacht werde. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß mit dem angefochtenen Bescheid nicht die Erstattung einer Anzeige per se sanktioniert wurde, sondern der Umstand, daß diese Anzeige "leichtfertig" erstattet wurde. Der Hinweis auf §86 StPO vermag keine Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Die Beschwerdeführerin hätte nach Ansicht der belangten Behörde nur bei Verfügbarkeit spezifisch faßbarer objektiver Anhaltspunkte für ein doloses Vorgehen der Mag. G. P. eine Strafanzeige gegen diese erstatten dürfen. Nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides bezog sich der Vorwurf der "Leichtfertigkeit" darauf, daß die Beschwerdeführerin der Angezeigten (ohne über weitere Anhaltspunkte zu verfügen) vorschnell auch die innere Tatseite (Vorsatz) "leichtfertig" vorgeworfen hatte. Wenn die belangte Behörde aufgrund der Beurteilung jener Begleitumstände, die zum Zeitpunkt der Erstattung der Anzeige aus der Sicht der Disziplinarbeschuldigten gegeben waren, zum Schluß gelangte, daß wegen des Fehlens spezifisch faßbarer Anhaltspunkte für das Vorliegen der inneren Tatseite die Anzeige "leichtfertig" erstattet wurde, so kann der Verfassungsgerichtshof darin kein willkürliches Vorgehen erblicken. Insgesamt erweist sich der Beschwerdevorwurf daher als ungeeignet, den angefochtenen Bescheid verfassungswidrig erscheinen zu lassen.
2. Ob aber der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 8309/1978, 13762/1994, VfGH 13.6.2000, B1579/98)
3. Die Beschwerdeführerin wurde somit weder in dem in der Beschwerde vorgetragenen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, daß dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte DisziplinarrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:B2335.2000Dokumentnummer
JFT_09988873_00B02335_00