Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Zehetner, Dr. Schwarz und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz R*****, vertreten durch Dr. Reinhold Kloiber, Dr. Rudolf Beck und Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwälte in Mödling, wider die beklagten Parteien
1. Herbert H*****, 2. Isolde H*****, und 3. V***** Allgemeine Versicherungs-AG, ***** alle vertreten durch Dr. Othmar Slunsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 94.000 sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 5.September 1990, GZ 16 R 131/90-24, womit infolge Berufungen aller Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 16.April 1990, GZ 38 Cg 788/88-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.166,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 694,42 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 12.September 1988 ereignete sich im Ortsgebiet von Guntramsdorf auf der Kreuzung der B 17 mit der Landesstraße 2086 ein Verkehrsunfall. Die Kreuzung war durch eine automatische Verkehrslichtsignalanlage geregelt, die für den Verkehr auf der B 17 für beide Fahrtrichtungen zeitgleich geschaltet war. Auf das Ende des Dauergrüns folgte 4 Sekunden lang Grünblinken, dann 3 Sekunden Gelb und anschließend Rot. Der Kläger fuhr mit seinem PKW auf der B 17 in Richtung Wien, beabsichtigte auf der Kreuzung nach links einzubiegen und benützte den hiefür gekennzeichneten Fahrstreifen. Er fuhr bei Grünlicht in die Kreuzung ein und hielt wegen Gegenverkehrs in der Kreuzungsmitte an. Der Erstbeklagte lenkte den von der Zweitbeklagten gehaltenen, bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW auf der B 17 in der Gegenrichtung. Er benützte den rechten der für seine Fahrtrichtung vorhandenen beiden Fahrstreifen. Im linken Fahrstreifen fuhr in derselben Richtung ein LKW, dessen Lenker erkannte, die Kreuzung nicht mehr bei Grünlicht durchfahren zu können, weshalb er abbremsend ausrollte und vor der Haltelinie der Kreuzung gegen Ende der Gelbphase, etwa 0,6 Sekunden vor Umspringen der Ampel auf Rot, zum Stillstand kam. Etwa eine Sekunde danach, also kurz nach Beginn der Rotphase, fuhr der Erstbeklagte auf dem rechten Fahrstreifen am LKW vorbei und wollte die Kreuzung noch mit etwa 70 km/h durchfahren. Der Kläger, der aus seiner Position in der Kreuzungsmitte wegen des angehaltenen LKW keine Sicht auf den Verkehr im rechten Fahrstreifen der Gegenfahrbahn hatte und auch die Lichtzeichen der Verkehrslichtsignalanlage nicht sehen konnte, fuhr nach dem Anhalten des LKW normal beschleunigend in einem Linksbogen los und achtete auch bei Fortsetzung der Fahrt nicht auf eine allenfalls von rechts kommende Gefahr. Erst als er schräg querend in die Fahrlinie des vom Erstbeklagten gelenkten PKW einfuhr, hört er etwas von rechts und hatte "ein ungutes Gefühl". Bei langsamem Vorwärtsfahren und aufmerksamen Einsehen in den rechten Fahrstreifen des Gegenverkehrs hätte der Kläger den entgegenkommenden PKW so rechtzeitig bemerken können, daß er noch vor Einfahren in dessen Fahrlinie hätte halten können. Der Erstbeklagte reagierte, als er das Fahrzeug des Klägers bemerkte, durch eine Vollbremsung und baute die Geschwindigkeit bis zur Kollision auf 62 bis 57 km/h ab. Im Kollisionszeitpunkt leuchtete die Ampel in Fahrtrichtung der beteiligten Fahrzeuge immer noch rot. Der Kläger erlitt bei dem Unfall einen Schaden von S 94.000, und die Beklagten einen solchen von S 33.900.
Der Kläger begehrt den Ersatz seines Schadens.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten überdies ihren Schaden als Gegenforderung ein.
Das Erstgericht sprach aus, daß die eingeklagte Forderung mit S 70.500 und die Gegenforderung mit S 8.475 zu Recht bestehen und die beklagten Parteien daher zur ungeteilten Hand schuldig sind, dem Kläger S 62.025 sA zu bezahlen. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Das Gericht erster Instanz beurteilte den oben wiedergegebenen Sachverhalt dahin, dem Erstbeklagten sei der Vorwurf des Nichtbeachtens der Lichtzeichen einer geregelten Kreuzung zu machen. Aber auch den Kläger treffe ein Verschulden, weil er trotz Unkenntnis der Ampelstellung und Sichtbehinderung in einen Fahrstreifen des Gegenverkehrs eingefahren und bis zum Unfall unbekümmert weitergefahren sei, statt tastend und am Hindernis links vorbei spähend diesen Fahrstreifen zu beobachten.
Das Verschulden sei im Verhältnis von 3 : 1 zu Gunsten des Klägers zu teilen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien nicht Folge, wohl aber der des Klägers und änderte das Ersturteil dahin ab, daß die Klagsforderung mit S 94.000 zu Recht, die Gegenforderung aber nicht zu Recht besteht und dem Klagebegehren daher zur Gänze stattgegeben wurde. Das Gericht zweiter Instanz führte zur rechtlichen Beurteilung aus, § 38 Abs. 5 StVO enthalte ein unbedingtes Gebot, bei Rotlicht anzuhalten. Eine den Bestimmungen des § 38 Abs. 2 oder 4 StVO, entsprechende Vorrangregelung entfalle daher naturgemäß. Fahre daher ein Verkehrsteilnehmer bei Rot in den Kreuzungsbereich ein, könne er keinerlei Vorrang für sich in Anspruch nehmen. Der Vorrang könne demnach auch nicht "verloren gehen", weil ein bei Rot einfahrender Kraftfahrzeuglenker einen solchen nie gehabt habe. Der Erstbeklagte sei bei Rot in die Kreuzung eingefahren. Der Kläger sei nach § 38 Abs. 2 StVO verpflichtet gewesen, den Kreuzungsbereich zu verlassen. Er sei dieser gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen und habe kein besonderes Augenmerk auf den allenfalls bei Rot einfahrenden Gegenverkehr mehr zu lenken gehabt. Er habe daher auch nicht "tastend und am Hindernis links vorbeispähend den Nachbarfahrstreifen beobachten müssen". Habe er den PKW des Beklagten daher nur in der Form bemerkt, daß er "etwas von rechts gehört und ein ungutes Gefühl gehabt habe", so sei ihm dies nicht vorzuwerfen. Im übrigen fiele ein darin gelegener Aufmerksamkeitsfehler gegenüber dem Verstoß gegen eine der wohl fundamentalsten Regeln der Straßenverkehrsordnung nicht meßbar ins Gewicht. Dem Erstbeklagten sei daher das Alleinverschulden am Unfall anzulasten. Ob der Kläger bei seinem neuerlichen Anfahren die Ampelstellung habe sehen können, sei ohne jede rechtliche Bedeutung, weil er sich nicht rechtswidrig verhalten habe. Er habe aus dem Verhalten des entgegenkommenden LKW-Lenkers zudem den richtigen Schluß auf die Ampelstellung gezogen und es existierten keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß er sich anders verhalten hätte, würde er das ihm die Weiterfahrt ermöglichende Lichtsignal direkt gesehen haben.
Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil - soweit erkennbar - eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Einfahrens bei Rotlicht in eine Kreuzung bei nach links einbiegendem Gegenverkehr fehle.
Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, machen den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen die Wiederherstellung des Ersturteiles.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, obwohl sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage des Verschuldens an einem Verkehrsunfall, bei welchem ein bei Rotlicht in eine Kreuzung einfahrender Verkehrsteilnehmer mit einem links einbiegenden Fahrzeuglenker kollidierte, bereits befaßt hat (ZVR 1980/131). Nachdem der Oberste Gerichtshof in ZVR 1984/115 ausgesprochen hatte, einem bei nicht blinkendem Gelblicht unzulässig in eine Kreuzung eingefahrenen Verkehrsteilnehmer komme kein Vorrang zu, wurde in der diese Ansicht ablehnenden Entscheidung ZVR 1986/3 nämlich ausdrücklich dahingestellt gelassen, was rechtens wäre, wenn der geradeausfahrende Fahrzeuglenker bei Rotlicht in die Kreuzung einfährt. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist die Revision daher zulässig (§ 502 Abs. 1 ZPO).
Das Rechtsmittel ist jedoch nicht berechtigt.
Nach neuester Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kommt einem geradeausfahrenden Verkehrsteilnehmer, der bei Gelblicht in die Kreuzung eingefahren ist, auch dann der Vorrang im Sinne des § 38 Abs. 2 StVO zu, wenn er zu Unrecht in die Kreuzung eingefahren ist (ZVR 1986/3; ZVR 1987/17; 2 Ob 83/90). Dies wird im wesentlichen damit begründet, ein Einfahren in eine Kreuzung bei Gelblicht sei gemäß § 38 Abs. 2 StVO zulässig, wenn ein sicheres Anhalten nicht mehr möglich ist, der Linkseinbieger könne nicht ohne weiteres beurteilen, ob der entgegenkommende Verkehrsteilnehmer berechtigt oder unberechtigt in die Kreuzung einfahre. Anders ist die Rechtslage bei Rotlicht. Dieses gilt gemäß § 38 Abs. 5 StVO als Zeichen für "Halt", die Lenker von Fahrzeugen haben unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 7 (leuchtende grüne Pfeile) und des § 53 Z 10 a (betrifft nur die Straßenbahn) anzuhalten. Eine Ausnahme, wie sie im § 38 Abs. 2 StVO normiert ist, gibt es nicht. Dem Verkehrsteilnehmer, der gegen dieses absolute Anhaltegebot verstoßen hat, kommt daher der Vorrang nicht zu.
Die Revisionswerber vertreten die Ansicht, den Kläger treffe trotzdem ein Mitverschulden, weil er, auch wenn bereits Rotlicht aufgeleuchtet habe, die Verkehrslage zu beobachten und seine Weiterfahrt danach einzurichten gehabt hätte. Diese Meinung kann nicht geteilt werden. Verfehlt ist der Hinweis der Revisionswerber auf die Entscheidung 2 Ob 57/83, denn dort hatte nur derjenige, der bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren war, die Entscheidung des Berufungsgerichtes bekämpft, welcher eine Schadensteilung von 3 : 1 zu seinen Lasten zugrundelag. Der Oberste Gerichtshof hatte sich daher mit der Frage, ob den einbiegenden Verkehrsteilnehmer ein Mitverschulden von einem Viertel trifft, nicht zu befassen, sondern nur damit, ob dieses Mitverschulden höher zu bewerten ist. Diese Frage wurde verneint.
Bei Beurteilung der Frage, ob den Kläger ein Mitverschulden trifft, ist davon auszugehen, daß er gemäß § 38 Abs. 2 erster Satz StVO die Kreuzung so rasch wie möglich und erlaubt zu verlassen hatte. Da dem Erstbeklagten, der bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren war, kein Vorrang zukam, war das Linkseinbiegen des Klägers erlaubt, zumal dieser das entgegenkommende, unzulässig in die Kreuzung einfahrende, Fahrzeug zunächst nicht wahrnehmen konnte. Entscheidend ist dabei, daß in Fahrtrichtung des Erstbeklagten Rotlicht leuchtete, nicht aber, ob der Kläger dies auch wahrnehmen konnte. Ein "Vortasten" war unter diesen Umständen nicht notwendig, es hätte sogar dem Gebot des § 38 Abs. 2 StVO, die Kreuzung so rasch wie möglich zu verlassen, widersprochen. Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, die die Revisionswerber als Beleg für ihre Ausführungen, grünes Licht befreie einen Verkehrsteilnehmer nicht von der Verpflichtung, die Verkehrslage zu beobachten und seine Weiterfahrt danach einzurichten anführen, betreffen Fälle, in denen zulässig eingefahrene Fahrzeuglenker die Kreuzung noch nicht geräumt hatten. Diese Entscheidungen sind daher in keiner Weise geeignet, den Rechtsstandpunkt der Beklagten zu stützen.
Aus diesen Gründen ging das Berufungsgericht zutreffend vom Alleinverschulden des Erstbeklagten aus, weshalb der Revision ein Erfolg zu versagen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E25034European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:002OB000087.9.0116.000Dokumentnummer
JJT_19910116_OGH0002_002OB000087_9000000_000