TE OGH 1991/2/7 15Os145/90

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Veröffentlicht am 07.02.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.Februar 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Paulin als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Bernhard B***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 5.September 1990, GZ 20 b Vr 12459/89-65, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Krasa zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens über seine Rechtsmittel zur Last.

Text

Gründe:

Der 46-jährige Bernhard B***** wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür nach dem zweiten Strafsatz des § 87 Abs. 2 StGB zu 10 (zehn) Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 22.Dezember 1989 in Wien der Adele K***** durch Versetzen von mindestens drei wuchtigen Faustschlägen und fünf sehr wuchtigen Fußtritten mit seinen Winterlederstiefeln gegen ihren Kopf sowie ihre Brust- und Bauchregion, die bei der Genannten eine Blutung zwischen den Hirnwindungen, mehrfache, mit Verschiebung der Bruchstücke verbundene Rippenbrüche, die infolge von Anspießungen zu einer Verletzung der rechten Lunge und hiedurch zu einer Luftbrustfüllung der rechten Brustkorbhälfte führten, sowie eine Zerreißung der rechten Niere zur Folge hatten, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) absichtlich zugefügt, wobei die Tat (durch die Luftbrustfüllung der rechten Brustkorbhälfte) den Tod der Adele K***** zur Folge hatte.

Die Geschwornen hatten die Hauptfrage nach Mord und die Eventualfrage (II) nach Totschlag jeweils stimmeneinhellig verneint, die Eventualfrage (IV) nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge hingegen (gleichfalls) stimmeneinhellig bejaht; demgemäß entfiel die Beantwortung der (weiteren) Eventualfrage (VI) nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (gemäß §§ 83 Abs. 1, 86 StGB). Weiters hatten die Geschwornen die zur Eventualfrage IV gestellte Zusatzfrage (c) nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 StGB stimmeneinhellig verneint, sodaß die Eventualfrage (V) nach Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§ 287 Abs. 1 iVm § 87 Abs. 1 und Abs. 2 zweiter Fall StGB) unbeantwortet bleiben konnte.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 6, 8 und 10 a des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde sowie im Strafausspruch mit Berufung; auch die Staatsanwaltschaft hat Berufung ergriffen.

Als Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) rügt der Beschwerdeführer, daß den Geschwornen nicht auch eine Eventualfrage nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang gemäß §§ 83 Abs. 2, 86 StGB gestellt worden ist; dies indes zu Unrecht.

Denn entgegen dem Beschwerdevorbringen sind in der Hauptverhandlung Tatsachen, die ein Handeln des Angeklagten (bloß) mit Mißhandlungs-(und nicht mit zumindest bedingtem Verletzungs-)Vorsatz indizieren, sodaß nicht der Grundtatbestand des § 83 Abs. 1, sondern jener des § 83 Abs. 2 StGB verwirklicht worden sein könnte, nicht vorgebracht worden (vgl. S 383, 417, 421 dA). Die dafür ins Treffen geführte Verantwortung des Angeklagten ging dahin, Adele K***** weder absichtlich noch (überhaupt) vorsätzlich getötet und auch nicht in der Absicht gehandelt zu haben, die Genannte zu verletzen; daß er sein Opfer bloß am Körper mißhandeln wollte, kann daraus nicht entnommen werden.

Rechtliche Beurteilung

Aber auch die Rüge gegen die Rechtsbelehrung (Z 8) ist nicht berechtigt.

Die Rechtsbelehrung hat sich auf die den Geschwornen tatsächlich gestellten Fragen zu beziehen (vgl. § 321 Abs. 1 StPO); eine Belehrung zu einer nicht gestellten Frage ist nicht zu erteilen. Da eine Frage nach dem Grundtatbestand des § 83 Abs. 2 StGB nicht gestellt worden ist, kann aus der Nichterörterung der Tatbestandsvoraussetzungen dieses Deliktsfalles der Körperverletzung eine Nichtigkeit nach § 345 Abs. 1 Z 8 StPO nicht abgeleitet werden.

Daß in der Rechtsbelehrung an der von der Beschwerde zitierten Stelle (S 23 der Rechtsbelehrung) irrig von "zurechnungsfähig" (anstatt richtig von "zurechnungsunfähig") die Rede ist, beruht - wie auch der Beschwerdeführer einräumt - auf einem offensichtlichen Schreibfehler. Als solcher ist er für jedermann sofort zu erkennen (vgl. § 271 Abs. 3 StPO), weshalb die Geschwornen bei ihrer Entscheidung dadurch keineswegs beirrt werden konnten, zumal vor dem betreffenden Satz, in welchem der Schreibfehler unterlaufen ist, der Begriff und die Voraussetzungen der Zurechnungsunfähigkeit ausführlich und in einer für Laien verständlichen Weise klargestellt worden sind (S 20 ff der Rechtsbelehrung).

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die Rechtsbelehrung aber auch nicht deshalb unrichtig, weil die Geschwornen nicht darüber informiert wurden, "daß bereits ab einem Blutalkoholwert von 2,5 Promille eine die Zurechnungsfähigkeit ausschließende Alkoholisierung in Betracht zu ziehen ist, ab einem Blutalkoholwert von 3,0 Promille eine solche indiziert ist und ab einem Blutalkoholwert von 3,55 Promille eine solche nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes angenommen wird". In der Rechtsbelehrung wird nämlich zutreffend nicht eine bestimmte Blutalkoholkonzentration angeführt, ab welcher eine volle Berauschung anzunehmen sei; gibt es doch weder aus medizinischer Sicht noch nach der Rechtsprechung einen Erfahrungssatz, wonach bei einem bestimmten

Blutalkoholwert - etwa von 3,0 Promille oder, wie der Beschwerdeführer vermeint, von 3,55 Promille - ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Rauschzustand angenommen werden müsse. Richtig wird vielmehr darauf abgestellt, daß es ausschließlich darauf ankommt, ob die durch den Genuß von Alkohol oder eines anderen berauschenden Mittels bewirkte Berauschung zu einer so tiefgreifenden Störung des Bewußtseins geführt hat, daß der Täter nicht mehr in der Lage ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln, wobei die typischen Kennzeichen für eine rauschbedingte Aufhebung der Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit zutreffend dargelegt werden (S 23 f der Rechtsbelehrung).

In der Tatsachenrüge (Z 10 a) schließlich werden keine aktenkundigen Beweisergebnisse aufgezeigt, die nach den Denkgesetzen oder nach allgemeiner menschlichen Erfahrung, also intersubjektiv, erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des im Wahrspruch der Geschwornen festgestellten Handelns des Beschwerdeführers mit Verletzungsvorsatz und des darin gleichfalls festgestellten Fehlens einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden vollen Berauschung aufkommen lassen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Bei der Strafbemessung wertete das Geschwornengericht als erschwerend die (auch rückfallbegründenden; § 39 StGB) Vorstrafen des Angeklagten wegen Gewalttätigkeitsdelikten und die Begehung der Tat trotz offenen Strafvollzuges, als mildernd hingegen das vor der Polizei und vor dem Untersuchungsrichter abgelegte Geständnis sowie den durch langjährigen Alkoholmißbrauch entstandenen, irreversiblen intellektuellen Abbau des Angeklagten.

Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung die Herabsetzung der Freiheitsstrafe unter Anwendung des § 41 StGB an; der öffentliche Ankläger begehrt dagegen die schuldangemessene Erhöhung der Strafe unter Anwendung des § 39 StGB.

Die vom Angeklagten in seiner Berufung reklamierten (weiteren) Milderungsgründe liegen in Wahrheit nicht vor.

Der Annahme einer mildernden Wirkung der tataktuellen Berauschung des Angeklagten steht die Regelung des § 35 StGB entgegen, wonach ein derartiger, die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließender Rauschzustand nur insoweit mildernd ist, als die dadurch bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit nicht durch den Vorwurf aufgewogen wird, den der Genuß oder Gebrauch des berauschenden Mittels den Umständen nach begründet. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Täter beim Genuß berauschender Mittel auf Grund konkreter Anhaltspunkte zumindest damit rechnen mußte, daß er im berauschten Zustand eine strafbare Handlung begehen könnte. Bernhard B***** hat aber bereits im Zuge früherer Strafverfahren seine durch den Genuß alkoholischer Getränke erhöhte Bereitschaft zu deliktischem Verhalten erlebt und diese Straftaten selbst mit seiner Alkoholisierung erklärt (siehe dazu etwa S 45 im Akt 13 E Vr 1510/81 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, sowie S 27 im Akt 1 U 2593/77, S 19 im Akt 15 U 10/80 und S 21 im Akt 15 U 3153/84, jeweils des Strafbezirksgerichtes Wien). Nach Lage des Falles kann aber auch nicht davon gesprochen werden, daß sich der Angeklagte in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tat hat hinreißen lassen; der Milderungsgrund des § 34 Z 8 StGB liegt demnach nicht vor. Der reduzierte Geistes- und Gefühlszustand des Angeklagten, den die Berufung auch unter Bezugnahme auf § 34 Z 11 StGB als mildernd berücksichtigt wissen will, wurde vom Erstgericht

zutreffend - der Sache nach - nur gemäß § 34 Z 1 zweiter Fall StGB als mildernd gewertet, weil nach den Verfahrensergebnissen die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten keineswegs den Grenzbereich zur Zurechnungsunfähigkeit erreichte (vgl. ÖJZ-LSK 1986/89). Der Umstand schließlich, daß sich der Angeklagte den Strafverfolgungsbehörden gestellt hat, kann für ihn deswegen nicht als Milderungsgrund ins Treffen geführt werden, weil einerseits angesichts sämtlicher Begleitumstände der Tat seine Entdeckung unumgänglich gewesen wäre und andererseits sein Verhalten nach der Tat ebenfalls eine Folge seines intellektuellen Abbaus und nicht etwa des Bestrebens war, den Strafverfolgungsbehörden die Aufklärung der Straftat zu erleichtern.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände war - ausgehend von den vom Erstgericht zutreffend festgestellten Strafzumessungstatsachen - für eine Herabsetzung der über den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens, geschweige denn unter Anwendung des § 41 StGB, kein Raum.

Nicht berechtigt ist aber auch die Berufung der Staatsanwaltschaft. Denn die relative Geringfügigkeit der rückfallbegründenden Vorstraftaten und ihr doch längeres Zurückliegen rechtfertigen (noch) nicht die Anwendung der Strafschärfung bei Rückfall (§ 39 StGB). Den Erfordernissen der Spezialprävention wird vielmehr durch Ausschöpfung des gesetzlichen Strafrahmens hinreichend Rechnung getragen.

Da sich demnach die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe als tatschuldangemessen erweist, mußte beiden Berufungen ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung ist in der angeführten Gesetzesstelle begründet.

Anmerkung

E25103

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:015OS000145.9001.0207.000

Dokumentnummer

JJT_19910207_OGH0002_015OS000145_9001000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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