TE OGH 1991/2/7 6Ob505/91

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Veröffentlicht am 07.02.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Simone Anja B*****, geboren am 12. Dezember 1976, infolge Revisionsrekurses der Mutter Ingeborg B*****, vertreten durch ***** und *****, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 22. November 1990, GZ 22 a R 165/90-87, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Mittersill vom 23. Oktober 1990, GZ P 8/86-83, abgeändert wurde, in

nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Eltern der mj. Simone Anja B***** (im folgenden Minderjährige), geboren am 12. Dezember 1976, und deren beiden jüngeren Schwestern leben seit Jahren getrennt und in Scheidung. Der Vater ist Gastwirt, die Mutter Hausfrau. Mit Beschluß vom 2. September 1986 übertrug das Erstgericht die elterlichen Rechte in Ansehung der Minderjährigen dem Vater und in Ansehung ihrer beiden Schwestern der Mutter. Der Antrag des Vaters vom 2. April 1987, ihm auch in Ansehung der beiden jüngeren Töchter die elterlichen Rechte zu übertragen, wurde abgewiesen. Seit zumindest Ende 1989 hält sich die Minderjährige ständig bei der Mutter auf.

Am 24. April 1990 stellte die Mutter den Antrag, ihr die Obsorge auch in Ansehung der Minderjährigen zu übertragen und den Vater ab 1. Mai 1990 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 2.900 S an die Minderjährige und zur Herausgabe der Familienbeihilfenkarte zu verpflichten. Dazu brachte sie vor, daß sich die Minderjährige seit einem halben Jahr ständig bei ihr aufhalte, von ihr betreut werde und nun ständig bei ihr wohnen wolle, obwohl sie zu ihrem Vater ein gutes Verhältnis habe.

Das Erstgericht übertrug die Obsorge für die Minderjährige, ungeachtet der Einwendungen des Vaters, der Mutter und stellte dazu im wesentlichen fest: Beiden Elternteilen sei aufrichtige Sorge um die Minderjährige zuzubilligen. Die Eltern stünden sich jedoch derzeit derart destruktiv gegenüber, daß es dadurch zu indirekten und nicht gewollten negativen Auswirkungen auf ihre Kinder kommen müsse. Die Minderjährige stehe sowohl kognitiv als auch emotional einem Wechsel zu ihrer Mutter positiv gegenüber. Da es einerseits der klare Wunsch der Minderjährigen sei, zu ihrer Mutter zu kommen, und sie de facto in den letzten Monaten die meiste Zeit bei ihr verbracht habe, andererseits auch keine Einwände gegen die Übernahme der Obsorge durch die Mutter gefunden werden könnten, entspreche diese Maßnahme dem Wohl des Kindes wie auch den realen Verhältnissen. Ein Verbleib der Obsorge beim Vater würde auf der psychologischen Beziehungsebene für die Minderjährige nichts ändern, weil der Vater mit den derzeitigen Lebensumständen seiner Tochter einverstanden sei. Er habe gar nicht vor, den engen Kontakt zwischen Mutter und Kind zu verändern bzw die Minderjährige wieder heimzuholen, weil er wisse, daß er dies gegen den Willen des pubertierenden Mädchens gewaltsam durchführen müßte. Der Vater, der es sicher gut mit der Minderjährigen meine, könne sich als Vater weniger in das Mädchen einfühlen, das mitten in der seelischen Pubertät stehe und flügge werden wolle. Die Suche nach der Mutter sei der natürliche Prozeß in der jetzigen Entwicklungsphase der Minderjährigen, der ja bereits stattgefunden habe; die Minderjährige fühle sich vom Vater unverstanden und habe auch kein gutes Verhältnis mehr zu Maria M*****, die sie als Freundin ihres Vaters bezeichne. Ihrem Alter entsprechend durchschaue sie heute Beziehungsmuster zwischen Erwachsenen leichter als früher und vertrete daher die Auffassung, daß Maria M***** Mitschuld an der Trennung ihrer Eltern habe. Dies und die Angabe, Intimbeziehungen zwischen dieser Frau und ihrem Vater in dessen Haus indirekt miterleben zu müssen, habe ihr den Verbleib beim Vater schwer gemacht. Die pekuniäre Seite scheine für alle Beteiligten sehr im Vordergrund zu stehen; die mit der Übertragung der Obsorge an die Mutter verbundenen Unterhaltszahlungen durch den Vater würden aber auch objektiv gesehen die Lebenssituation der Minderjährigen bei der Mutter verbessern.

Rechtlich folgerte das Erstgericht im wesentlichen, daß die Minderjährige bei ihrer Mutter besser aufgehoben sei als bei ihrem Vater, welcher sich auf Grund seines Berufes wesentlich weniger um seine Tochter kümmern könne als die Mutter, die für sie da sei, wenn sie von der Schule nach Hause komme. Auf Grund des ausdrücklichen Wunsches der Minderjährigen, zur Mutter zu kommen und unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Jugendamtes Zell am See und des psychologischen Sachverständigen entspreche die Entziehung der Obsorge gegenüber dem Vater unter gleichzeitiger Übertragung derselben an die Mutter dem Kindeswohl am besten, zumal bezüglich der Mutter, der auch in Ansehung der beiden jüngeren Kinder die Obsorge zukomme, keine Umstände bekannt seien, daß sie nicht in der Lage oder willens sei, diese in Ansehung aller drei Kinder zu übernehmen. Der Vorwurf des Vaters, daß die Mutter sehr oft zur Nachtzeit in ihrer Wohnung abwesend sei und ihr daher eine ausreichende Aufsicht über die Kinder unmöglich sei, sei durch nichts untermauert.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluß dahingehend ab, daß es den Antrag der Mutter abwies. Denn aus den Angaben der 20-jährigen Ingrid S***** vom 30. Oktober 1990 vor dem Erstgericht ergebe sich, daß Ingrid S***** jedenfalls von etwa Mitte August 1990 bis Ende September 1990 mit der Minderjährigen gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen unterhalten habe, von welchen auch die Mutter nach den Angaben Ingrid S***** vor einigen Wochen Kenntnis erlangt habe. Nach den gleichfalls am 30. Oktober 1990 vor dem Erstgericht zu Protokoll gegebenen Angaben des Vaters wohne Ingrid S***** seit einem Monat bei der Mutter und daher bestehe die Gefahr, daß Ingrid S***** ihre gleichgeschlechtlichen sexuellen Beziehungen mit der Minderjährigen für den Fall des Verbleibens der Minderjährigen bei der Mutter und der Übertragung der Obsorge an diese weiter aufrechterhalten könnte. Aus dem Amtsvermerk des Erstgerichtes vom 30. Oktober 1990 ergebe sich weiters, daß die Angaben des Vaters über die bis zu diesem Tag bestandenen Kontakte der Minderjährigen zu Ingrid S***** richtig gewesen seien und es der ausdrücklichen Anordnung des Erstgerichtes gegenüber der Mutter bedurft hätte, damit vorerst der Kontakt zwischen Ingrid S***** und der Minderjährigen abgebrochen werde. Aus den vom Vater in Fotokopie vorgelegten Schreiben der Ingrid S***** ergebe sich auch zweifelsfrei, daß es zwischen ihr und der Minderjährigen vor dem 30. Oktober 1990 längere Zeit hindurch über rein freundschaftliche Beziehungen hinaus zu intimen Kontakten gekommen sei.

Rechtlich folgerte das Rekursgericht im wesentlichen, daß das Verfahren keine Vernachlässigung der elterlichen Pflichten durch den Vater ergeben und er somit durch sein Verhalten das Wohl des Kindes nicht gefährdet habe, dagegen nach den nunmehrigen, zwar erst im Rekursverfahren hervorgekommenen, aber zu beachtenden Verfahrensergebnissen davon auszugehen sei, daß es zwischen Ingrid S***** und der Minderjährigen, die seit Ende 1989 praktisch in Pflege und Erziehung ihrer Mutter gestanden sei, obgleich ihr die Elternrechte formell nicht zustanden, zu gleichgeschlechtlichen sexuellen Beziehungen gekommen sei, die für die Minderjährige eine Gefährdung des geistigen und seelischen Wohles mit sich bringen könnten. Die Mutter habe somit die ihr faktisch eingeräumten elterlichen Rechte und Pflichten gegenüber der Minderjährigen nicht oder nur mangelhaft ausüben können. Obwohl die Mutter offenbar von diesen Beziehungen schon einige Wochen vor dem 30. Oktober 1990 Kenntnis gehabt habe, habe sie dennoch Ingrid S***** nicht aus ihrer Wohnung ausgewiesen. Die Übertragung der Obsorge für die Minderjährige an die Mutter entspreche nicht dem Kindeswohl. Daran könnten auch die Stellungnahme des Jugendamtes und des psychologischen Sachverständigen nichts ändern, zumal beide von den gleichgeschlechtlichen Intimbeziehungen der Minderjährigen keine Kenntnis gehabt hätten und sich offenbar zu sehr vom Wunsch der Minderjährigen, völlig in die Sphäre ihrer Mutter mit einem größeren Freiraum zu wechseln, hätten leiten lassen.

Den ordentlichen Revisionsrekurs nach § 14 Abs 1 AußStrG idF der WGN 1989 ließ das Rekursgericht zu, weil die Entscheidung weitgehend auch von der Frage des Verfahrensrechtes abhängig sei, inwieweit Sachverhalte, die nach dem Zeitpunkt der erstgerichtlichen Entscheidung hervorgekommen seien, im Rekursverfahren noch Berücksichtigung finden könnten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist nicht zulässig.

Gemäß § 176 Abs 1 ABGB hat das Gericht, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes gefährden, von wem immer es angerufen wird, die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen; eine solche Verfügung kann auf Antrag eines Elternteiles auch ergehen, wenn die Eltern in einer wichtigen Angelegenheit kein Einvernehmen erzielen. Besonders darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise, auch gesetzlich vorgesehene Einwilligungs- und Zustimmungsrechte, entziehen. Das Fehlen einer dem § 142 Abs 2 ABGB aF entsprechenden Bestimmung im neuen Gesetz stellt klar, daß die einmal einem Elternteil zuerkannten rein persönlichen Rechte aus dem Eltern- und Kindschaftsverhältnis nur dann auf den anderen übertragen werden dürfen, wenn die Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB nF vorliegen (EFSlg 43.321, 38.360; EvBl 1979/185 = EFSlg 33.600; SZ 51/136 = EvBl 1979/51 = EFSlg XV/3; 1 Ob 691/89; 7 Ob 584/89 ua). Ein Wechsel in den Obsorgeverhältnissen ist nur dann vorzunehmen, wenn besondere Umstände dafür sprechen, daß die durch die Persönlichkeit, den Charakter, die pädagogischen Fähigkeiten und die wirtschaftlichen Verhältnisse des in Erwägung gezogenen neuen Obsorgeberechtigten dem Kind eröffneten Möglichkeiten aller Voraussicht nach zu einer beachtlichen Verbesserung seiner Lage und seiner Zukunftserwartungen führen werden (SZ 53/142 = EvBl 1981/82 = EFSlg XVII/3; 3 Ob 651/86 ua). Bloß geringfügige Veränderungen der Interessenlage rechtfertigen demnach eine solche Änderung nicht; es müssen besonders wichtige Gründe vorliegen, die eine Änderung dringend geboten erscheinen lassen (EFSlg 43.321, SZ 53/142; EvBl 1979/185; SZ 51/136; 1 Ob 691/89 ua, so auch der erkennende Senat hier bereits in ON 58), wobei bei der Beurteilung dieser Dringlichkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist (EFSlg 56.781; 7 Ob 506/90 ua). Ob diese Voraussetzungen vorliegen sowie ob und inwieweit der im Zuge des Verfahrens zum Ausdruck gebrachte Wunsch des Kindes zur Änderung der Obsorge als eine der Stoffsammlung bestimmte Verfahrenserklärung (EFSlg 36.041) von den Tatsacheninstanzen berücksichtigt wird, sind nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidungen im Einzelfall, denen keine erhebliche Bedeutung iS des § 14 Abs 1 AußStrG idF der WGN 1989 zukommt.

Entgegen der im Revisionsrekurs vorgetragenen Rechtsauffassung durfte und mußte die zweite Instanz auch die im Rekurs des Vaters vorgebrachten und durch Aktenvermerk, Vernehmungsergebnisse des Erstgerichtes und Urkunden erhärteten Neuerungen über gleichgeschlechtliche Beziehungen der Minderjährigen zu einer im Haushalt der Mutter lebenden jungen Frau zur Sicherung des maßgeblichen Kindeswohls berücksichtigen. Grundsätzlich sind zwar nach § 10 AußStrG auch im Außerstreitverfahren Neuerungen nur insofern zulässig, als sie sich auf vor der Beschlußfassung in erster Instanz eingetretene Tatsachen beziehen (EFSlg 58.247, 55.477, 52.617 uva); eine Ausnahme davon besteht aber nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn die Berücksichtigung der auch nach dem erstgerichtlichen Beschluß eingetretenen Sachverhaltsänderungen im Interesse des Kindeswohles - wie hier - erforderlich ist (EFSlg 58.249, 52.625, 47.079, 39.662 ua). Daher ist - allerdings nur im Rahmen eines ordentlichen Revisionsrekurses - selbst solchen Änderungen, die sich erst nach der Beschlußfassung des Rekursgerichtes ergeben haben, Rechnung zu tragen (EFSlg 39.662 ua). Eine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechtes stellt sich damit nicht.

Die Mutter macht weiters eine Nichtigkeit iS des § 16 (erkennbar gemeint: § 15 Z 1 AußStrG idF der WGN 1989) AußStrG iVm § 477 Abs 1 Z 4 ZPO geltend, weil ihr das rechtliche Gehör zu den Neuerungen im Rekurs des Vaters versagt worden sei. Eine Vernehmung der Minderjährigen, ihrer Eltern und Ingrid S***** hätte ergeben, daß die gleichgeschlechtlichen Beziehungen zwischen Ingrid S***** und der Minderjährigen im Juni 1990 im Fernsehstüberl des väterlichen Gasthofes, in dem damals die Minderjährige als Aushilfskraft und Ingrid S***** als Kellnerin beschäftigt gewesen seien, begonnen hätten, der Vater der Minderjährigen gegenüber erklärt habe, er habe Ingrid S***** in Kenntnis ihrer Veranlagung (in seinem Betrieb als Kellnerin) eingestellt und habe nichts dagegen, daß Ingrid S***** die Minderjährige bei ihm besuche. Die Mutter habe dagegen sofort ab ihrer Kenntnis von der Veranlagung Ingrid S***** dafür gesorgt, daß ein Kontakt mit der Minderjährigen nicht mehr stattfinden könne. Die Minderjährige habe die gleichgeschlechtlichen Kontakte zu Ingrid S***** von sich aus abgebrochen.

Die Nichtanhörung eines Verfahrensbeteiligten zu einzelnen Beweisergebnissen, wie hier der Mutter und der Minderjährigen zu den vom Erstrichter aufgenommenen aktenkundigen Protokollen und Urkunden stellt nach herrschender Rechtsprechung weder eine Nichtigkeit noch einen relevanten Verfahrensmangel dar (EFSlg 52.515, 47.268, 44.424 mwN; EFSlg 39.788 ua), sodaß auch damit keine erheblichen Fragen des Verfahrensrechtes aufgezeigt werden, von deren Lösung die Entscheidung abhinge. Auch eine erhebliche Frage des materiellen Rechtes zeigt der Revisionsrekurs nicht auf. Denn die zweite Instanz hat sich bei ihrer Entscheidung für die Ablehnung der Obsorgeberechtigung von einem Elternteil auf den anderen vom maßgeblichen Wohl des Kindes (EFSlg 56.776; 7 Ob 506/90 uva) leiten lassen. Im übrigen handelt es sich bei der angestrebten Änderung der Obsorgeregelung um eine ganz auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abgestellte, dem pflichtgemäßem Ermessen unterliegende Entscheidung, der keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommen kann (5 Ob 22/90; 8 Ob 1537/90; vgl Petrasch in ÖJZ 1983, 177).

Da somit im Rechtsmittel keine einzige erhebliche Rechtsfrage iS des § 14 Abs 1 AußStrG idF der WGN 1989 aufgezeigt wird, ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Anmerkung

E25231

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0060OB00505.91.0207.000

Dokumentnummer

JJT_19910207_OGH0002_0060OB00505_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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