TE OGH 1991/2/13 9ObA23/91

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Veröffentlicht am 13.02.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Othmar Roniger und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** W***** S*****, Tontechniker, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Ö***** R*****, vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen S 118.282,90 brutto sA (im Revisionsverfahren S 68.998,36 brutto sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31. Oktober 1990, GZ 34 Ra 2/90-12, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 28. April 1989, GZ 19 Cga 2539/88-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 118.282,90 brutto samt 4 % Zinsen seit 1.4.1988 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.744,40 (darin S 2.744,40 Umsatzsteuer und S 5.278 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 15.013,28 (darin S 1.828,88 Umsatzsteuer und S 4.040 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 9.077 (darin S 679,50 Umsatzsteuer und S 5.000 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 1. Juni 1980 bei der beklagten Partei als Tonmeister im Hörfunk angestellt. Mit Schreiben vom 9.September 1987 kündigte die beklagte Partei dessen Dienstverhältnis zum 31. März 1988. Der Kläger wurde überdies am 8.Oktober 1987 für die Dauer der Kündigungsfrist vom Dienst freigestellt und mit Schreiben vom 13.Oktober 1987 darauf hingewiesen, daß ein eventuell noch zustehender Gebührenurlaub durch diese Dienstfreistellung als "konsumiert gelte". Mit Ende des Jahres 1987 hatte der Kläger noch einen restlichen Urlaubsanspruch von 42 Arbeitstagen, zu dem ab 1.Jänner 1988 ein neuer Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen kam.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Urlaubsentschädigung für 72 Arbeitstage in der unbestrittenen Höhe von S 118.282,90 brutto sA. Mangels Zustandekommens einer Urlaubsvereinbarung (§ 4 Abs.1 UrlG) sei die beklagte Partei nicht berechtigt gewesen, ihm den Urlaubsverbrauch einseitig vorzuschreiben. Er habe den Urlaub weder in der Kündigungsfrist verbrauchen können noch sei ihm der Urlaubsverbrauch zumutbar gewesen. Seine Gattin habe ein Kind erwartet und am 27. Mai 1988 einen zweiten Sohn geboren. Da es sich um eine Risikoschwangerschaft gehandelt habe, habe er auf Grund der persönlichen und familiären Verhältnisse keine entsprechende Erholungsmöglichkeit gehabt. Er habe weder ins witterungsmäßig günstigere Ausland fahren noch einen Erholungsurlaub in Österreich verbringen können, zumal der erste Sohn erst etwa drei Jahre alt und zu betreuen gewesen sei. Überdies habe ihm die beklagte Partei die Weiterbeschäftigung als möglich in Aussicht gestellt, so daß es zu mehreren Besprechungen gekommen sei und er sich jederzeit zur Aufnahme ernsthafter Verhandlungen bereitzuhalten gehabt habe.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Im Hinblick auf die lange Dauer der Kündigungsfrist sei dem Kläger der Urlaubsverbrauch zumindest teilweise zumutbar gewesen. Der Kläger habe regelmäßig auch im Winter Urlaub genommen. Soweit eine Pflegebedürftigkeit der Gattin vorgelegen sei, habe sich ohnehin ein Bedarf auf Gebührenurlaub nach Ausschöpfung des einwöchigen Pflegeurlaubs ergeben. Über sein weiteres arbeitsrechtliches Schicksal sei der Kläger nicht vollkommen im unklaren gelassen worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 49.284,54 brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von S 68.998,36 brutto sA ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Kläger reist gern und hat vor der Geburt seines ersten Sohnes (16.Februar 1985) mit seiner Gattin große Urlaubsreisen unternommen. Als dies wegen des Kleinkindes nicht mehr möglich war, verbrauchte er nur mehr kurze Urlaube und unternahm nur mehr "kleine Reisen" wie etwa nach Griechenland. Bereits vor der Geburt des ersten Sohnes bestand bei seiner Gattin eine Risikoschwangerschaft, da bei ihr eine Gewebeschwäche vorlag, die zu Fehl- oder Frühgeburten führen konnte. Bereits beim ersten Arzttermin am 13.Oktober 1987 war es klar, daß die zweite Schwangerschaft der Gattin wieder eine Risikoschwangerschaft sein werde. Es ergab sich neuerlich die Notwendigkeit einer Operation (Cerclage), die am 20.Jänner 1988 ausgeführt wurde. Über ärztliche Anordnung durfte die Gattin des Klägers weder ihren Wohnsitz verlassen noch am Schwangerschaftsturnen teilnehmen.

Auf Grund ihres Zustandes war sie nicht immer imstande, das erste Kind zu versorgen. Der Kläger half daher in der Zeit der Dienstfreistellung sehr viel zu Hause aus. Wäre er nicht dienstfrei gestellt worden, hätte es Probleme bei der Hilfe für die Gattin und der Betreuung des Kindes gegeben. Es hätte zwar die Möglichkeit bestanden, die Eltern und Schwiegereltern des Klägers heranzuziehen; diese wären aber nicht "auf Abruf" bereitgestanden.

Der Kläger bemühte sich während der Dienstfreistellung auch, bei der beklagten Partei weiterbeschäftigt zu werden. Er wandte sich an verschiedene Personen bis zum Generalintendanten, wurde aber letztlich im Ergebnis lediglich hingehalten und immer wieder vertröstet. Ein zuletzt gemachtes Angebot auf Weiterbeschäftigung unter Rückstufung seiner Einreihung lehnte der Kläger ab.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Kläger wohl der Verbrauch seines Resturlaubs von 42 Arbeitstagen zumutbar gewesen sei, nicht aber der Verbrauch des erst am 1.Jänner 1988 angefallenen neuen Urlaubsanspruches von 30 Arbeitstagen. Dem Kriterium des Erholungszweckes komme ein um so geringeres Gewicht zu, je mehr Resturlaub zur Verfügung stehe und je länger ein solcher Urlaub angespart werde. Hinsichtlich des Bemühens des Klägers um Weiterbeschäftigung sei beachtlich, daß die Initiative von ihm ausgegangen sei und die Gespräche mit den hiefür zuständigen Angestellten der beklagten Partei dem Verbrauch des Resturlaubs nicht im Wege gestanden seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß dem Kläger der Verbrauch des neuen Urlaubs von 30 Arbeitstagen in einem Zeitraum von nur drei Monaten nicht zumutbar gewesen sei. Er habe diesbezüglich noch ein beträchtliches Guthaben an Resturlaub gehabt, der vorweg zu verbrauchen gewesen wäre. Der Kläger habe auch nach der Geburt seines ersten Kindes noch zeitlich ausgedehnte Urlaube genommen, so daß er nicht einwenden könne, daß ihn das Vorhandensein eines Kleinkindes am Verbrauch dieses Urlaubsteils gehindert hätte. Auch die Risikoschwangerschaft der Gattin habe einen Urlaubsverbrauch nicht schlechthin unzumutbar gemacht. Wegen der zeitlichen Beschränkung des Pflegeurlaubs sei ein weitergehender Urlaubsverbrauch für den Kläger auf Grund der familienrechtlichen Beistandspflicht (§ 90 ABGB) in diesem Zeitraum geradezu geboten gewesen. Ein solcher Urlaub entspreche zwar nicht dem Erholungszweck, wie er etwas einseitig in Reisebüroprospekten usw. dargestellt werde, doch sei der Abstrich an Erholung auf Fernreisen auf die längerwährende persönliche und familiäre Lage des Klägers zurückzuführen, die nicht einseitig zu Lasten der beklagten Partei gehen könne, so daß diese nicht zusätzlich zu den sie treffenden Pflichten (Pflegefreistellung, Familienzulagen, Karenzurlaub ua) noch überdies mit einer Urlaubsentschädigung belastet werden könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Unter den Voraussetzungen des § 9 Abs 1 Z 4 UrlG gebührt einem Arbeitnehmer eine Urlaubsentschädigung, falls er seinen Urlaub während der Kündigungsfrist nicht verbrauchen konnte oder ihm der Urlaubsverbrauch in dieser Frist nicht zumutbar war. Da der Urlaub bei einer drei Monate übersteigenden Kündigungsfrist grundsätzlich während dieser Frist zu verbrauchen ist, muß daher der Arbeitnehmer den ihm vom Arbeitgeber angebotenen Urlaub verbrauchen, wenn für ihn eine Erholungsmöglichkeit besteht (Dusak, Ausgewählte Probleme des Urlaubsrechtes, ZAS 1985, 54 ff, 63; Arb. 10.196; SZ 61/196 ua). Insoweit kann die im Schreiben der beklagten Partei enthaltene Anordnung, der Gebührenurlaub gelte durch die Dienstfreistellung "als konsumiert", nur als ein solches Anbot angesehen werden. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die einseitig verfügte Dienstfreistellung an sich für die Frage, ob dem Kläger der Urlaubsverbrauch zumutbar war, ohne Bedeutung ist (vgl. Arb. 9.462 ua).

Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Zumutbarkeit bildet die Erholungsmöglichkeit des Arbeitnehmers während der für den Urlaubsverbrauch zur Verfügung stehenden Zeit. In erster Linie ist der Erholungszweck des Urlaubs zu berücksichtigen, der durch den vorübergehenden Entfall der arbeitsrechtlichen Pflichtbindungen und die Schaffung eines Freiraumes zur Selbstbestimmung erreicht wird (vgl. Strasser, Der Verbrauch des Urlaubs, ÖJZ 1958, 398 ff, 401; Cerny, Urlaubsrecht4 71, 120 f; Winderlich, Der Urlaubszweck, ArbUR 1989, 300 ff, 303; RdW 1990, 89). Ansatzpunkte für die Prüfung der Erholungsmöglichkeit des Arbeitnehmers sind vor allem dessen Urlaubspläne (Reisetermin, Buchungen), die Ferienzeit der Kinder und die Situation des Ehegatten sowie sonstige Familienangelegenheiten. Fällt daher die Kündigungsfrist in einen Zeitraum, in den der Arbeitnehmer auf Grund seiner persönlichen und familiären Verhältnisse keine entsprechende Erholungsmöglichkeit hat, ist ihm der Urlaubsverbrauch während der Kündigungsfrist nicht zumutbar (vgl. Cerny aaO 120 f; Klein-Martinek, UrlR 114; Arb. 10.334; 9 Ob A 29/89; auch Gahleitner, RdW 1990, 411 f).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, ergibt sich, daß für den Kläger ein Urlaubsverbrauch innerhalb der Kündigungsfrist zur Gänze unzumutbar war. Auf Grund des zwar anhaltenden aber absehbaren gefährdeten Gesundheitszustandes der Gattin während ihrer Schwangerschaft kam für sie vor der Geburt des zweiten Kindes keine Ortsveränderung in Betracht; auch der Kläger hatte zu Hause mitzuhelfen und seinen dreijährigen Sohn mitzubetreuen. Selbst wenn die Eltern und Schwiegereltern des Klägers - ohne dessen Dienstfreistellung - fallweise ausgeholfen hätten, hätte der Kläger seine Familie in dieser erheblich bedrängten Situation nicht im Stich lassen können, um für sich allein einen "Erholungsurlaub" zu verbringen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob nur ein Resturlaub oder auch ein neu angefallener Urlaubsanspruch zu verbrauchen war. Da die beklagte Partei nicht einmal behauptet hat, den Kläger während der vorangegangenen Urlaubsjahre zum entsprechenden Urlaubsverbrauch aufgefordert zu haben, kann sie sich nicht darauf berufen, daß das Ansammeln des Resturlaubs allein zu Ungunsten des Klägers ausschlagen müsse. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, ein Erholungsurlaub müsse schlechthin auch zur Betreuung naher Angehöriger aufgebraucht werden, kann ebenfalls nicht beigepflichtet werden, da eine solche Betreuungstätigkeit gerade der Möglichkeit des Verbrauches eines dem Erholungszweck dienenden Urlaubes entgegensteht (9 Ob A 29/89). Es ist diesbezüglich vielmehr zwischen den rechtlichen und sittlichen Pflichten des Arbeitnehmers gegenüber seiner Familie einerseits und der zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber unmittelbar vorzunehmenden Interessenabwägung aus dem Arbeitsverhältnis anderseits zu unterscheiden. Auch wenn der Arbeitnehmer im Verhältnis zu seiner Familie verhalten sein kann, auf einen Teil des Urlaubs als Erholungsurlaub zu verzichten, kann ihm eine derartige sittliche Verpflichtung vom Arbeitgeber bei der Interessenabwägung hinsichtlich der Zumutbarkeitsprüfung nicht mit Erfolg entgegengehalten werden.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E25319

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00023.91.0213.000

Dokumentnummer

JJT_19910213_OGH0002_009OBA00023_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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