TE OGH 1991/2/13 1Ob3/91

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Veröffentlicht am 13.02.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser, Dr.Kellner, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas Z*****, vertreten durch Dr.Erhard Mack, Rechtsanwalt in Korneuburg, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 53.799,54 S sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 5.Oktober 1990, GZ 14 R 133/90-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 5.April 1990, GZ 35 Cg 3/89-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.615,80 S (darin 1.269,30 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 9.077 S (darin 679,50 S Umsatzsteuer und 5.000 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

                           Entscheidungsgründe:

Die Ehe des Klägers mit Monika Martha Z***** (im folgenden

Mutter), der ein Kind entstammt, wurde mit Beschluß des

Bezirksgerichtes Donaustadt vom 28.August 1986, GZ 4 Sch

104/86-5, geschieden. Vor der Verhandlung trafen die Eheleute die

schriftliche Vereinbarung Beilage A = B (im folgenden

Vereinbarung Beilage A). Die Mutter unterfertigte über Diktat des

Klägers folgenden Text: " ... Falls mein Gatte ... zu

Unterhaltszahlungen für ... (Kind) verpflichtet wird, verzichte

ich darauf bzw verpflichte ich (Mutter) mich, ihm diesen Betrag

zu retournieren."; der Vater unterschrieb folgende, von der

Mutter verfaßte Erklärung: "Ich ... (Vater) erkläre mich bereit,

meinem Sohn die nötigen Geldmittel für Kleiderkauf, Schuhe ...

zur Verfügung zu stellen." In dem dann in der Verhandlung

abgeschlossenen, gerichtlich protokollierten und in der Folge in

Ansehung des Kindes pflegschaftsbehördlich genehmigten Vergleich

wurde vereinbart: "Das Recht ..., das Kind zu pflegen ..., und es

zu vertreten, steht nur der Mutter zu. ... Der Vater ist

schuldig, zum Unterhalt des Kindes ab 1.September 1986 bis zu

dessen Selbsterhaltungsfähigkeit einen monatlichen

Unterhaltsbeitrag von 1.500 S ... zu Handen des jeweiligen

Vertreters, das ist derzeit die Mutter, ... zu bezahlen. Die

Ehegatten erklären, auf weitere Ansprüche gegeneinander

hinsichtlich des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen

Ersparnisse ... sowie hinsichtlich Abgeltung der Mitwirkung eines

Ehegatten im Betrieb des anderen ... zu verzichten. Damit sind

alle wechselseitigen Ansprüche bereinigt und verglichen."

Die Mutter als Vertreterin ihres Kindes stellte bis März 1987 keine Unterhaltsforderungen an den Kläger, weil sie sich durch die Vereinbarung Beilage A gebunden fühlte, verlangte dann wegen Differenzen mit dem Kläger im Zusammenhang mit der Besuchrechtsausübung und sonstigen Spannungen erstmals ab März 1987 Unterhalt und brachte die monatlichen Unterhaltszahlungen für das Kind im Exekutionsweg ein. Der rechtsfreundlich vertretene Kläger begehrte von der Mutter zu AZ 8 C 53/87 des Bezirksgerichtes Favoriten (im folgenden Vorverfahren) unter Berufung auf die Vereinbarung Beilage A die Rückzahlung dieser Beträge einschließlich von Exekutionskosten, insgesamt 32.165,98 S sA. Die Mutter hielt dem neben Sittenwidrigkeit, Zwang und Irrtum entgegen, daß im Scheidungsvergleich eine andere Vereinbarung getroffen worden sei. Das Bezirksgericht Favoriten wies mit Urteil vom 13.April 1988, GZ 8 C 53/87-12, das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß die Mutter ihre Erklärung Beilage A unmittelbar vor der mündlichen Scheidungsverhandlung geschrieben hat. Da der Kläger mit dem von der Mutter geschriebenen Satzteil "für die Dauer von 2 Jahren" nicht einverstanden war, habe die Mutter diesen Satzteil wieder gestrichen. Die Mutter traf die Vereinbarung, weil sie geschieden sein wollte und der Kläger seine Zustimmung zu einer einvernehmlichen Ehescheidung von ihrem Verzicht auf Unterhaltszahlungen für das gemeinsame Kind abhängig gemacht habe. Der vom Kläger geschriebene Teil der Vereinbarung Beilage A

"Ich ... erkläre mich bereit, meinem Sohn die nötigen Geldmittel

für Kleiderkauf, Schuhe, ... zur Verfügung zu stellen", sei über

Verlangen der Mutter geschrieben worden, damit der Kläger wenigstens irgend einen Betrag zum Unterhalt leiste. Der Kläger sei damit einverstanden gewesen und habe dabei daran gedacht, mit dem Kind einkaufen zu gehen, wenn er es zu Besuchszwecken bei sich habe. Vor Unterfertigung des gerichtlichen Scheidungsvergleiches seien die anwaltlich nicht vertretenen Streitteile über Frage des Klägers von der Verhandlungsrichterin belehrt worden, daß das Kind auf seine Unterhaltsansprüche nicht verzichten könne und eine außergerichtliche Vereinbarung neben dem vor Gericht geschlossenen Vergleich im Streitfall zunächst eingeklagt werden müsse. Rechtlich folgerte das Bezirksgericht Favoriten, die den Klagsanspruch begründende Vereinbarung einer Schad- und Klagloshaltung des Klägers hinsichtlich aller Unterhaltsansprüche des Kindes durch die Mutter sei nicht erwiesen. Dem gerichtlichen Vergleich, der keine Schad- und Klagloshaltung der Mutter enthalte, komme im Zweifel Bereinigungswirkung zu. Daran ändere auch nichts, daß sich die Mutter weiter an die vor der Scheidungsverhandlung abgeschlossene Vereinbarung (Beilage A) gebunden gefühlt habe, weil dem kein Erklärungswert zukomme.

Das Landesgericht für ZRS Wien als Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers mit Urteil vom 28.Juli 1988, GZ 44 R 1043/88-17, ohne Eingehen auf die Beweisrüge nicht Folge, weil die Parteien mit Vergleichsabschluß die zeitlich davor liegende Vereinbarung (Beilage A) derogiert, diese gleichsam durch "contrarius actus" aufgehoben hätten.

Die Amtshaftungsklage des Klägers auf Zahlung von 55.875,90 S sA (abgewiesenes Begehren im Vorverfahren, Zinsen sowie eigene und an die Mutter bezahlte Verfahrenskosten) ist ua darauf gestützt, daß das Berufungsgericht im Vorverfahren in unvertretbarer Rechtsauslegung die zwischen den Parteien getroffene Schad- und Klagloshaltung übergangen habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 53.799,54 S sA statt und wies das Mehrbegehren von 2.076,36 S sA rechtskräftig ab. Es stellte fest, der Scheidungsvergleich habe in seinen Bestimmungen über die Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber seinem Kind für die Eheleute keine Bedeutung gehabt, weil sich beide an die Vereinbarung (Beilage A) gebunden fühlten und ihr Wille nicht darauf gerichtet gewesen sei, durch den Abschluß der gerichtlichen Scheidungsvereinbarung die zuvor getroffene Vereinbarung (Beilage A) außer Kraft zu setzen. Rechtlich folgerte das Erstgericht, das Berufungsgericht im Vorverfahren habe entgegen der ständigen und einhelligen höchstgerichtlichen Rechtsprechung und Lehre den übereinstimmenden Parteiwillen bei Beurteilung des Vergleiches und der Vereinbarung (Beilage A) unberücksichtigt gelassen. Diese Rechtsansicht sei unvertretbar und rechtfertige den Amtshaftungsanspruch. Dagegen, daß die Mutter zum Abschluß der Vereinbarung (Beilage A) durch Zwang oder Irrtum veranlaßt worden wäre, spreche ihre eigene Aussage.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Dem Vergleich komme Bereinigungswirkung zu; der im Bestreitungsfall dem Kläger auferlegten Behauptungs- und Beweislast für eine Ausnahme von der Zweifelsregelung habe er durch Behauptung einer weiteren Teilvereinbarung in Beilage A entsprochen - ohne daß er sich zusätzlich auf eine davon abweichende Parteienabsicht berufen habe -, worauf die Mutter ua repliziert habe, daß im "Scheidungsvergleich" eine andere Vereinbarung geschlossen worden sei; es sei daher nur zu prüfen gewesen, ob die Vereinbarung (Beilage A) nach ihrem Wortlaut zweifelsfrei neben dem Wortlaut des Vergleiches habe bestehen können. Im Vergleich habe sich der Kläger ohne jeden Hinweis auf die in Beilage A genannte Vereinbarung völlig selbständig zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 1.500 S für das Kind verpflichtet. Im Rahmen vertretbarer Rechtsanwendung habe die Erklärung der Mutter auch so aufgefaßt werden können, daß beim Text " ... verpflichtet wird ..." der Fall einer freiwilligen (vergleichsweisen) Verpflichtung nicht umfaßt sei, zumal auch der Wortlaut des Vergleiches für die vom Kläger begehrte, uneingeschränkte Rückforderung der Unterhaltszahlung von monatlich 1.500 S keine ausreichende Grundlage biete. Die Verpflichtung, dem Kind die nötigen Geldmittel für Kleiderkauf, Schuhe ... zur Verfügung zu stellen, könne vernünftigerweise nur als Verminderung einer allfälligen Unterhaltsrückzahlungs-Verpflichtung der Mutter um die entsprechenden Kosten gedeutet werden. Der Vergleich stelle daher tatsächlich einen, die vorher abgeschlossene Vereinbarung (noch dazu in zweifelhaftem Umfang) aufhebenden Rechtsakt dar. Dem Kläger sei der Beweis der Widerlegung der im Zweifel anzunehmenden Bereinigungswirkung des Vergleiches nicht gelungen.

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Vertretbarkeit der

Rechtsanwendung des Berufungsgerichtes im Vorverfahren. Nicht

jede unrichtige Rechtsansicht oder Rechtsanwendung hat

Amtshaftungsansprüche zur Folge. Im Amtshaftungsprozeß ist nicht

wie in einem Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob die in Betracht

kommende Entscheidung richtig war, sondern ob sie auf einer, bei

pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder

Rechtsanwendung beruht. Sie mag dann zwar rechtswidrig sein,

stellt aber kein schuldhaftes Handeln - als Voraussetzung einer

Amtshaftung - dar. Eine unrichtige, jedoch vertretbare

Rechtsansicht vermag selbst dann keinen Amtshaftungsanspruch zu

begründen, wenn die Entscheidung der bisherigen Judikatur

widerstreitet. Nur ein Abweichen von einer klaren Gesetzeslage

oder ständigen Rechtsprechung, das nicht erkennen läßt, daß es

auf einer sorgfältigen Überlegung beruht, wird regelmäßig als

Verschulden anzusehen sein (JBl 1990, 382; JBl 1989, 655;

SZ 60/217 uva). Entscheidend ist somit, ob bei pflichtgemäßer

Überlegung die Entscheidung als vertretbar bezeichnet werden kann

(JBl 1989, 655; SZ 55/81, SZ 53/83 uva; Schragel, AHG2 142 f),

wobei § 1299 ABGB auch für den an Organe der nach dem AHG

haftenden Rechtsträger anzulegenden Maßstab bei Prüfung des

Vorliegens eines Organverschuldens gilt (ZVR 1989/94; SZ 60/236).

Der Kläger schloß mit seiner Gattin und Mutter des gemeinsamen

Kindes am 28.August 1986 die außergerichtliche Vereinbarung

Beilage A, womit ihm diese die Übernahme der Unterhaltszahlungen

versprach, die der Kläger seinem Kind zu erbringen habe. Solche Vereinbarungen sind zulässig, solange dadurch der Kindesunterhalt nicht geschmälert wird (EFSlg 35.783 ua). Zeitlich unmittelbar nach der Vereinbarung Beilage A schlossen der Kläger und seine Gattin als Voraussetzung für die einvernehmliche Scheidung ihrer Ehe (§ 55 a Abs 2 EheG) einen gerichtlichen Vergleich über die Unterhaltsverpflichtung des Vaters. Die Auslegung des Inhaltes eines Vergleiches und der Umfang seiner Bereinigungswirkung bestimmt sich nicht nach dem gebrauchten Wortlaut, sondern nach der Absicht der Parteien (MietSlg 39.680; Arb 9.209; EFSlg 33.838; SZ 47/102; Harrer in Schwimann, § 1380 ABGB Rz 17). Ist ein übereinstimmender Parteiwille über Vertragsgegenstand und -inhalt feststellbar, kommt es bei einem nachträglichen Streit nicht darauf an, ob die erzielte Willenseinigung auch einen hinreichend deutlichen Niederschlag in der Vertragsurkunde gefunden hat. Der Vertrag ist bei Konsenualverträgen jedenfalls so zustandegekommen, wie er von den Parteien übereinstimmend gewollt wurde (EvBl 1980/99; 2 Ob 565/84; 3 Ob 632/79 ua). Der buchstäbliche Sinn des Ausdrucks wird unmaßgeblich, wenn er die Absicht der Parteien unrichtig wiedergibt (7 Ob 691/89; Gschnitzer in Klang2 IV/1 404). Nach den Aussagen beider vertragsschließenden Parteien und den entsprechenden Feststellungen war ihr Wille darauf gerichtet, neben der gerichtlichen Vereinbarung nach § 55 a Abs 2 ABGB auch die unmittelbar zuvor getroffene Vereinbarung Beilage A gelten zu lassen, sodaß für eine weitere Vertragsauslegung kein Raum mehr bleibt. Selbst wenn die Feststellung im Vorverfahren, daß sich

die Parteien an den außergerichtlichen Vergleich gebunden

fühlten, "überschießend" gewesen sein sollte, fiel sie jedenfalls

in den Rahmen des vom Kläger geltend gemachten Klagegrundes (JBl 1986, 121 ua) und war daher für das Berufungsgericht im Vorverfahren beachtlich.

Die Auffassung des Berufungsgerichtes im Vorverfahren, durch den gerichtlichen Vergleich sei die kurz vorher getroffene Vereinbarung Beilage A - obwohl beide nach dem festgestellten Parteiwillen eine Einheit bildeten und nach ihrem Inhalt auch nebeneinander bestehen können - außer Kraft gesetzt worden, kann angesichts der Mißachtung des § 914 ABGB und der dazu bestehenden ständigen Rechtsprechung nicht als vertretbar bezeichnet werden.

Der Revision ist Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E25410

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0010OB00003.91.0213.000

Dokumentnummer

JJT_19910213_OGH0002_0010OB00003_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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