TE OGH 1991/2/14 12Os1/91 (12Os2/91)

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Veröffentlicht am 14.02.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Februar 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hofer als Schriftführer in der Strafsache gegen Christian B***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 15 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht sowie über die Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß dieses Gerichtes, beide Entscheidungen vom 15.November 1990, GZ 21 Vr 1134/90-17, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, es werden das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im gesamten Strafausspruch sowie der Widerrufsbeschluß aufgehoben und es wird die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht Feldkirch als Schöffengericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte hierauf verwiesen.

Text

Gründe:

Der am 5.September 1971 geborene Christian B***** wurde des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 15 StGB und des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und gemäß §§ 28, 129 StGB unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf ein bezirksgerichtliches Urteil zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, wobei gemäß § 43 a Abs. 3 StGB ein Teil dieser Strafe im Ausmaß von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Ferner wurde Christian B***** gemäß § 22 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher eingewiesen und schließlich in Ansehung einer bedingten Entlassung (Strafrest achtzehn Monate und fünfzehn Tage) gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO ein Widerrufsbeschluß gefaßt.

Die vom Angeklagten allein gegen die Anstaltseinweisung erhobene, auf § 281 Abs. 1 Z 3 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist begründet.

Rechtliche Beurteilung

Die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher darf bei sonstiger Nichtigkeit nur nach Beiziehung zumindest eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie angeordnet werden (§§ 439 Abs. 2, 429 Abs. 2 Z 2 StPO). Diese Bestimmung kann nach ihrer klar erkennbaren Zielrichtung nur dahin verstanden werden, daß die Entscheidung darüber, ob eine solche Maßnahme ergriffen werden soll oder nicht, (unter anderem) auf das (auch) dazu eingeholte Gutachten des beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen gestützt werden soll.

Daß eine vorbeugende Maßnahme im konkreten Fall in Frage kommen kann, wird in der Regel schon aus einem darauf abzielenden Antrag des Anklägers zu ersehen sein, der die Absicht einer solchen Antragstellung bereits in der Anklageschrift zu erklären hat (§ 437 erster Satz StPO). In Ansehung des zum Unterbringungsantrag erstatteten Gutachtens muß sodann dem von der Expertise betroffenen Angeklagten und seinem Verteidiger (§ 439 Abs. 1 StPO!) im Sinne des dem österreichischen Strafprozeß eigenen Grundsatzes der Kontradiktorietät (SSt 46/56, EvBl 1982/151) die Möglichkeit eröffnet werden, zu den Ausführungen des Sachverständigen zum Unterbringungsantrag Stellung zu nehmen. Allerdings ist das Gericht für die Anstaltsunterbringung nicht auf einen Antrag des Anklägers angewiesen; kann es doch eine solche auch ohne ein derartiges Begehren anordnen (§ 437 letzter Satz StPO). In diesem Fall wird das Gericht aber die Prozeßparteien auf die Absicht, allenfalls eine solche vorbeugende Maßnahme anzuordnen, zeitgerecht hinzuweisen und eine auf die Unterbringung bezogene Begutachtung zu veranlassen haben, um den Prozeßparteien auch hier die Möglichkeit einer Stellungnahme zum Gutachten vor der Entscheidung zu wahren (siehe oben).

Die (allenfalls gemäß § 134 StPO verfügte) Heranziehung eines Psychiaters kann demnach dann nicht als "Beiziehung" eines solchen Sachverständigen gemäß § 439 Abs. 2 StPO angesehen werden, wenn - wie hier - die Begutachtung nicht (auch) gezielt auf die Frage ausgerichtet ist, ob eine bestimmte vorbeugende Maßnahme (hier nach § 22 StGB) angeordnet werden soll oder nicht. Denn das unter Nichtigkeitssanktion stehende Gebot der Beiziehung (zumindest) eines Sachverständigen im Fall der Anordnung einer vorbeugenden Maßnahme (abermals § 439 Abs. 2 StPO) kann nur bedeuten, daß der Experte im Hinblick auf diese Maßnahme zugezogen wird und sein (auch) daraufhin erstattetes Gutachten sodann einer Erörterung mit den Prozeßparteien zugänglich ist.

Das aber ist hier nicht geschehen.

Denn das in Vorbereitung der Hauptverhandlung eingeholte, schriftlich erstattete (ON 14) und in der Hauptverhandlung sodann verlesene (S 155; was an sich nichts verschlüge: abermals EvBl 1982/151) Gutachten des Primarius Dr. Reinhard H*****, eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, hat nicht nur ausdrücklich, sondern - entgegen den Urteilsgründen (S 172) - auch inhaltlich keinen Bezug zu einer Unterbringung des Angeklagten in einer im § 22 StGB vorgesehenen Anstalt, was allein schon die Empfehlung des Sachverständigen zeigt, eine Alkoholentwöhnungskur des Angeklagten unter stationären Bedingungen, die dieser "gegen Ende der Inhaftierungszeit oder im Anschluß an die Haftstrafe antreten sollte", zu veranlassen (S 143 und 145); bleibt doch hier gänzlich außer acht, daß die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher vor der Freiheitsstrafe zu vollziehen ist, wobei die Zeit der Anhaltung auf die Freiheitsstrafe anzurechnen ist (§ 24 Abs. 1 StGB). Diese auf eine Unterbringung des Angeklagten in einer im § 22 StGB vorgesehenen Anstalt nicht bezogene Expertise wird verständlich, wenn man erwägt, daß die Anordnung der Anstaltsunterbringung in keiner Phase des Verfahrens weder vom Ankläger beantragt, noch vom Gericht vor der Urteilsfällung zur Sprache gebracht wurde, sodaß der Sachverständige offenbar keine Veranlassung sah, zu einer solchen gesetzlich klar determinierten - auch für die Prozeßparteien daher sodann möglicherweise überraschend angeordneten - vorbeugenden Maßnahme fallbezogen Stellung zu nehmen und dies, selbst der Sache nach, auch nicht getan hat.

Damit erweist sich, weil hier die bei sonstiger Nichtigkeit gemäß § 439 Abs. 2 StPO gebotene Beiziehung zumindest eines Sachverständigen zur beabsichtigten Maßnahme nach § 22 StGB unterblieben ist, die aus dem Grund des § 281 Abs. 1 Z 3 StPO erhobene Beschwerde als berechtigt.

Da der aufgezeigte Mangel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden kann, war bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung im Sinne des § 285 e StPO spruchgemäß zu erkennen, und zwar nicht nur bezüglich der bekämpften Einweisung, sondern wegen des untrennbaren Zusammenhanges auch im übrigen Strafausspruch sowie in Ansehung des Widerrufsbeschlusses.

Mit Rücksicht darauf, daß die für die Ahndung von Jugendstraftaten geltende Sonderbestimmung des § 5 JGG nicht in Betracht kommt, weil die teils vor, teils nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres vom Angeklagten begangenen Einbruchsdiebstähle auf Grund des (infolge ihrer grundsätzlich gemeinsamen Subsumtion unter die - hier allerdings nicht aktuelle - Wertqualifikation nach § 128 Abs. 1 Z 4 StGB bei Übersteigen der Wertgrenze auch diesbezüglich konkret wirksamen) Zusammenrechnungsgrundsatzes (§ 29 StGB) eine auch Erwachsenen-Straftaten mitumfassende Subsumtionseinheit bilden (vgl Leukauf-Steininger, Nebengesetze2, § 11 JGG aF, Anm F; 12 Os 65/89, 15 Os 106/89) und die verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes, die für die Durchführung der Hauptverhandlung von Belang sein können (§§ 32 Abs. 2 und 4, 33, 35 bis 39, 41 und 42), nur für Beschuldigte gelten, die im Zeitpunkt der jeweiligen Verfahrenshandlung noch Jugendliche iS des § 1 Z 2 JGG sind, war die Sache an das für Erwachsene zuständige Schöffengericht (an den Einzelrichter deshalb nicht, weil beim Angeklagten nach dem Inhalt der Strafregisterauskunft die Voraussetzungen des § 39 StGB gegeben sind; siehe § 8 Abs. 3 StPO) zu verweisen.

Mit seiner Berufung und der Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E25363

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0120OS00001.91.0214.000

Dokumentnummer

JJT_19910214_OGH0002_0120OS00001_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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