Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** Handelsgesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Ernst Gruber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1) Franziska F*****, Handelsvertreterin, 2) Herbert F*****, Handelsvertreter, ***** beide vertreten durch Dr.Maximilian Ganzert und Dr.Friedrich Wilhelm Ganzert, Rechtsanwälte in Wels, sowie 3) Daniel G*****, Handelsvertreter, *****; 4) Ulrike A*****, Geschäftsfrau, ***** beide vertreten durch Dr.Harry Zamponi und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert 435.000 S), infolge von Rekursen der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 3.Oktober 1990, GZ 2 R 73/90-48, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 30.November 1989, GZ 1 Cg 400/87-41, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Den Rekursen wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben; dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Gestützt auf ein wettbewerbswidriges Verhalten der Beklagten nach §§ 1 und 7 UWG begehrt die Klägerin letztlich (ON 27 S 360 und ON 38 S 403 f),
1. die Erstbeklagte, den Zweitbeklagten und die Viertbeklagte schuldig zu erkennen, im geschäftlichen Verkehr beim Handel mit Lederbekleidungswaren
a) das Verleiten von Handelsvertretern und angestelltem Verkaufspersonal der Klägerin zu Verletzungen des Konkurrenzverbotes und
b) das "Ausspannen" von Handelsvertretern der Klägerin mit dem Ziel der Beeinträchtigung des Vertriebsapparates der Klägerin oder Übernahme ganzer Kundengruppen
zu unterlassen, sowie
2. alle vier Beklagten schuldig zu erkennen, es im geschäftlichen Verkehr beim Handel mit Lederbekleidungswaren zu unterlassen, die Klägerin durch unrichtige Abgaben über deren Lieferfähigkeit herabzusetzen.
Die Beklagten beantragen auch die Abweisung der eingeschränkten Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung, daß sie die ihnen zur Last gelegten Wettbewerbsverstöße nicht begangen hätten.
Das Erstgericht wies die noch in Rede stehenden Klagebegehren nach mehrjähriger Prozeßführung und Durchführung eines umfangreichen Beweisverfahrens ab.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug dem Gericht erster Instanz eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung auf; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Berufungsgericht bejahte die von der Klägerin geltend gemachte Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens insoweit, als die ergänzende Einvernahme des Geschäftsführers der Klägerin, die Parteienvernehmung der Erstbeklagten, die Vernehmung zweier weiterer Zeugen sowie die Beischaffung und Verlesung zweier Prozeßakten unterblieben war. Eine Ergänzung des Beweisverfahrens durch das Berufungsgericht selbst erscheine im Hinblick auf den tatsächlichen Umfang der Beweisaufnahmen nicht zweckmäßig, zumal dabei schon wegen der höheren Tarifsätze nach dem RATG ein erheblicher Mehraufwand an Kosten zu erwarten wäre. Zu den von der Dritt- und der Viertbeklagten in der mündlichen Berufungsverhandlung in Ablichtung vorgelegten Urkunden Beilagen 38 und 39 führte das Berufungsgericht aus, daß demnach zwar davon auszugehen sei, daß die Klägerin nunmehr keine Handelstätigkeit mehr ausübe und daher zur Viertbeklagten kein Konkurrenzverhältnis mehr bestehe, daß aber das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin (ihr Interesse an den noch in Rede stehenden Unterlassungsansprüchen) nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz zu beurteilen und ihre Beschwer für das Berufungsverfahren zumindest in Ansehung des Kostenausspruches des Ersturteils zu bejahen sei. Die erst nach Schluß der Verhandlung in erster Instanz eingetretene Änderung sei daher ohne Einfluß für die Entscheidung im Berufungsverfahren.
Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes richten sich die Rekurse der Erst- und des Zweitbeklagten sowie der Dritt- und der Viertbeklagten mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Bestätigung des Ersturteils; die Erstbeklagte und der Zweitbeklagte stellen hilfsweise auch einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, den Rekursen der Beklagten nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Rekurse sind im Sinne des Aufhebungsantrages der Erst- und des Zweitbeklagten berechtigt.
Entgegen der Meinung der Rechtsmittelwerber hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt, daß die Vorlage der Urkunden Beilage 38 und 39 das Berufungsverfahren in keiner Weise berührt. Aus ihnen ist nur zu entnehmen, daß das Landesgericht Linz als Konkursgericht mit seinem seit 21.2.1990 rechtskräftigen Beschluß vom 1.2.1990, S 2/90-2, den Antrag der Klägerin auf Konkurseröffnung mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens abgewiesen hat. Daraufhin hat das Landesgericht Linz als Registergericht mit Beschluß vom 23.2.1990, GZ HRB 3121-21, von Amts wegen das Löschungsverfahren gemäß § 2 ALöschG eingeleitet und den Beteiligten eine Frist von 3 Monaten zur Geltendmachung eines allfälligen Widerspruches gesetzt. Für die Partei- und die Rechtsfähigkeit der Klägerin ergeben sich daraus aber keine Konsequenzen, weil sie gemäß § 1 Abs 1 ALöschG mit 21.2.1990 lediglich als Gesellschaft aufgelöst worden ist. Selbst eine Löschung gemäß § 2 ALöschG hätte ja nach herrschender Lehre und Rechtsprechung nur deklarative Wirkung, so daß die Gesellschaft so lange fortbestünde, als noch Aktivvermögen vorhanden ist und Rechtsbeziehungen zu Gläubigern oder Schuldnern bestehen (Kastner-Doralt-Nowotny, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts5, 444 FN 4 und 447; Gellis, Komm.z.GmbHG2 457; Reich-Rohrwig, GmbH-Recht 656; EvBl 1961/251; SZ 58/3; SZ 58/168; NZ 1988, 82; GesRZ 1990, 95).
Damit ist aber schon die Annahme des Berufungsgerichtes, mit der Auflösung der Klägerin habe diese jedwede geschäftliche Tätigkeit (offenbar gemeint: endgültig) eingestellt, weshalb zur Viertbeklagten kein Wettbewerbsverhältnis mehr bestehe, aktenwidrig; soweit aber die Rekurswerber gerade davon ausgehen und ausdrücklich behaupten, die Klägerin habe nunmehr jeden Geschäfts-(Handels-)betrieb eingestellt, liegt in Wahrheit eine unbeachtliche Neuerung vor. Nach ständiger Rechtsprechung ist auch bei Unterlassungsansprüchen grundsätzlich nur die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz maßgebend (SZ 13/75; SZ 50/20; ÖBl 1981, 102 ua; zuletzt etwa 4 Ob 19/89). Demgegenüber können durch die nach Schluß der Verhandlung erster Instanz erfolgte Auflösung der Klägerin weder ihre formelle noch ihre materielle Beschwer (Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1714 und 1715) als für das Berufungsverfahren vorausgesetztes Rechtsschutzbedürfnis weggefallen sein: Abgesehen davon, daß die Auflösung der Klägerin ja noch keineswegs endgültig oder gar zwingend zum Erlöschen ihrer Rechtspersönlichkeit führen muß, ist die Klägerin durch das Ersturteil jedenfalls schon deshalb formell beschwert, weil damit ihre Klagebegehren abgewiesen worden sind. Dadurch ist aber auch trotz Auflösung nach wie vor ihre Rechtsstellung als solche beeinträchtigt, weil Verstöße der Beklagten gegen ein stattgebendes Urteil weiterhin exequierbar wären. Damit ist auch die materielle Beschwer der Klägerin im Sinne eines zu bejahenden Bedürfnisses auf Rechtsschutz gegen das abweisende Ersturteil gegeben.
Im übrigen machen aber die Erst- und Zweitbeklagten mit Recht als erheblichen Mangel des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) geltend, daß der angefochtene Aufhebungsbeschluß die Grenzen des § 496 Abs 3 ZPO überschritten habe. Aus dem Wortlaut dieser durch die ZVN 1983 geschaffenen Bestimmung und aus der Zielsetzung des Gesetzgebers ergibt sich nämlich, daß es nicht in das Ermessen des Berufungsgerichtes gestellt ist, ob es eine Verfahrensergänzung selbst vornimmt oder die Rechtssache zu diesem Zweck an das Erstgericht zurückverweist. Seit dem 1.5.1983 (Beginn der Rechtsmittelfrist) ist daher das Berufungsgericht in allen Fällen des § 496 Abs 1 ZPO, somit auch bei Bejahung einer primären Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens (§ 496 Abs 1 Z 2 ZPO), verpflichtet, die Ergänzung des Verfahrens selbst vorzunehmen und selbst in der Sache zu erkennen, außer es würde das zu ergänzende Verfahren vor dem Berufungsgericht im Vergleich zu einem erstgerichtlichen Ergänzungsverfahren einen erheblichen Mehraufwand an Kosten oder eine Verfahrensverzögerung bewirken (Fasching aaO Rz 1817; EvBl 1985/129; SZ 58/59; 7 Ob 578/88 ua). Daß die Nachholung der nach Auffassung des Berufungsgerichtes vom Erstgericht zu Unrecht abgelehnten Beweisaufnahmen im Weg einer Ergänzung des Verfahrens durch das Berufungsgericht selbst im Vergleich zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht keine empfindliche Verzögerung der Erledigung bedeutet, sondern das Verfahren eher beschleunigt, liegt auf der Hand; im vorliegenden Fall geht es auch nur um die Einvernahme zweier Zeugen und zweier Parteien sowie um die Beischaffung und Verlesung zweier Gerichtsakten. Von einer umfangreichen Verfahrensergänzung in dem Sinn, daß die erforderliche Prozeßstoffsammlung und die Weiterungen des Verfahrens gar nicht abzusehen wären (vgl SZ 59/134), kann daher keine Rede sein. Die vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltene Verfahrensergänzung kann somit die Annahme der ausnahmsweisen Voraussetzungen nach § 496 Abs 3 ZPO nicht rechtfertigen, zumal auch die von ihm ins Treffen geführte unterschiedliche Honorierung der Parteienvertreter im Berufungsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren kein tragfähiger Grund für eine Zurückweisung an das Erstgericht ist; die unterschiedliche Honorierung der Parteienvertreter würde ja sonst in jedem Fall eine Rückverweisung zulassen und so die Bestimmung des § 496 Abs 3 ZPO ihres Inhaltes entkleiden (4 Ob 33/84; EvBl 1985/129; SZ 58/59).
Der gerügte Mangel des Berufungsverfahrens liegt daher vor; er muß zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht führen. Dieses wird nach Durchführung der von ihm für erforderlich gehaltenen Verfahrensergänzung durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen haben. Bei dieser Sachlage braucht auch auf die Rechtsrüge der Erst- und des Zweitbeklagten, mit der sie das Vorliegen der vom Berufungsgericht bejahten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens in Frage stellen, nicht mehr näher eingegangen zu werden.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E25185European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0040OB00011.91.0226.000Dokumentnummer
JJT_19910226_OGH0002_0040OB00011_9100000_000