Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Niederreiter, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen
I. der klagenden Parteien 1. Verlassenschaft nach der am 11. Februar 1988 verstorbenen Bertha *****, 2. Heinrich *****jun.,*****, 3. Magdalena *****, alle vertreten durch Dr. Karl *****, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Charlotte *****, vertreten durch Dr. Harald *****, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausschlusses der Beklagten aus der Gesellschaft, Übernahme der Gesellschaft durch die Klägerin, in eventu Entziehung der Vertretungsmacht und Geschäftsführerbefugnis der Beklagten (Streitwert S 815.000,--; 15 Cg 143/80 ex 15 Cg 117/79), und
II. der klagenden Partei Charlotte *****, vertreten durch Dr. Harald *****, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am 11. Februar 1988 verstorbenen Bertha *****, vertreten durch Dr. Karl *****, Rechtsanwalt in Wien, wegen Geschäftsübernahme durch die Klägerin gemäß § 142 HGB, in eventu Auflösung der Gesellschaft nach § 133 HGB (Streitwert
S 350.000,--; 15 Cg 124/80 ex 15 Cg 177/79), infolge außerordentlichen Revisionen der erstklagenden Partei zu I. und der beklagten Partei zu II. gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21. Dezember 1989, 1 R 237/89-247, den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien werden zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Zu HRA 13.292 des beim Handelsgericht Wien geführten Handelsregisters ist seit 1. Februar 1949 die Firma "H*****" (im Folgenden als OHG bezeichnet) eingetragen. Der noch gültige Gesellschaftsvertrag wurde am 22. Dezember 1948 zwischen Heinrich *****sen. und KR Julius ***** als Komplementäre sowie Charlotte ***** (im Folgenden als Beklagte bezeichnet) als Kommanditistin abgeschlossen.
Die Punkte X. und XI. des Gesellschaftsvertrages lauten:
X. Für die Auflösung der Gesellschaft gelten die im Gesetz
angeführten Bestimmungen mit der Ergänzung, daß im Falle des
Ablebens der Kommanditistin ... Charlotte ***** die
Kommanditgesellschaft mit deren Erben und Rechtsnachfolgern als
Kommanditisten und im Falle des Ablebens des ... Heinrich *****
die Kommanditgesellschaft mit dessen Gattin ... Bertha *****, die
der Gesellschaft als persönlich haftende Gesellschafterin
beitreten wird, fortgesetzt wird. Im Falle des Ablebens des ...
KR Julius ***** vor dessen Gattin ist dafür Vorsorge getroffen,
daß auf letztere der Gesellschaftsanteil des ... KR Julius *****
übergeht und wird in diesem Fall zwischen ... Charlotte ***** und
... Heinrich ***** als offene Handelsgesellschaft weitergeführt
... KR Julius ***** und ... Charlotte ***** sind berechtigt,
jederzeit und ohne Angabe von Gründen ihren Anteil am
Gesellschaftsvermögen von dem einen auf den anderen zu
übertragen, wobei die Gesellschaft dann von ... Heinrich *****
und dem in der Gesellschaft verbleibenden Ehegatten ***** als
Offene Handelsgesellschaft weitergeführt wird. Dabei macht es
keinen Unterschied, ob ... Charlotte ***** ihren
Gesellschaftsanteil ihrem Gatten oder dieser seinen Gesellschaftsanteil seiner Gattin überläßt.
XI. Im Fall der Auflösung der Gesellschaft räumen sich die Gesellschafter hiemit ausdrücklich wechselseitig das Aufgriffsrecht hinsichtlich ihrer Geschäftsanteile ein. Das Aufgriffsrecht der übrigen richtet sich gegen denjenigen Gesellschafter, in dessen Person der Grund für die Auflösung der Gesellschaft eingetreten ist.
KR Julius ***** schied 1972 aus der Gesellschaft aus; diese wurde eine OHG, deren Gesellschafter zu gleichen Teilen Heinrich *****sen. und die Beklagte waren.
Auch für die Beklagte war es selbstverständlich, daß der Zweitkläger seinem Vater eines Tages in der OHG nachfolgen werde. Als Heinrich *****sen. ein Testament (mit seinem Sohn als Nachfolger im Hotel) machen wollte und mit der Beklagten über eine entsprechende Änderung des Gesellschaftsvertrages sprach, äußerte sie ihm gegenüber, dies sei nicht nötig, wenn er sterbe, sei es doch selbstverständlich, daß sein Sohn Nachfolger werde. Gesetzliche Erben nach dem am 4. April 1978 überraschend verstorbenen Heinrich *****sen. waren dessen Ehefrau Bertha ***** (folgend nur als Erstklägerin bezeichnet) und dessen Kinder Heinrich *****jun. (folgend Zweitkläger) und Magdalena ***** (Drittklägerin).
Dem Zweitkläger wurde mit Beschluß des Verlassenschaftsgerichtes vom 4. August 1978 die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen. Am 5. Juni 1979 wurde der Nachlaß nach Heinrich *****sen. zu einem Viertel der Erstklägerin sowie zu je drei Achtel dem Zweitkläger und der Drittklägerin eingeantwortet. Die Erstklägerin trat nach dem Tod ihres Gatten als offene Gesellschafterin in die OHG ein.
In der OHG besteht Kollektivzeichnung und -vertretung.
Mit Klage vom 12. Juni 1979 zu 15 Cg 143/80 (ex 15 Cg 117/79) des Erstgerichtes begehrte zunächst die Verlassenschaft nach Heinrich *****sen., in der Folge dessen eingeantwortete Erben und nach Ruhen hinsichtlich des Zweitklägers und der Drittklägerin nur mehr die Erstklägerin Bertha ***** und schließlich nach deren Tod am 11. Februar 1988 die Verlassenschaft nach Bertha *****, den Ausschluß der Beklagten aus der OHG, nach Klagserweiterung auch den Ausspruch der Berechtigung der Klägerin, die OHG ohne Liquidation mit Aktiva und Passiva zu übernehmen, in eventu der Beklagten die Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis für die OHG zu entziehen.
Die Beklagte kündigte durch ihren Rechtsvertreter mit Schreiben vom 24. September 1979 die OHG zum Schluß des Geschäftsjahres, somit zum 31. März 1980, wie folgt auf:
"Folgende Aufkündigung gilt unbeschadet der gleichzeitig zu überreichenden Klage auf sofortige Auflösung bzw. Übernahme des Geschäftsanteiles. Die Gründe für die nunmehr notwendig gewordene Auflösung der Gesellschaft sind in Ihrer Person eingetreten und in der Verlassenschaft nach dem verstorbenen Gesellschafter Heinrich ***** bzw. jenen Personen, die die Verlassenschaft repräsentieren." In der Folge werden die Gründe gesellschaftswidrigen Verhaltens beispielsweise aufgezählt und es wird festgehalten, daß die Beklagte vom Aufgriffsrecht im Sinne des Punktes XI. des Gesellschaftsvertrages Gebrauch macht.
Mit unmittelbar darauffolgender Klage vom 25. September 1979 zu 15 Cg 124/80 (ex 15 Cg 177/79) des Erstgerichtes begehrte die Beklagte die Übernahme des Geschäftsanteiles der Erstklägerin an der OHG und Herstellung der Register- und Grundbuchsordnung, gestützt auf § 142 HGB und ihr vertragliches Aufgriffsrecht nach Punkt XI. des Gesellschaftsvertrages. Hinsichtlich der zuerst gleichfalls belangten Verlassenschaft nach Heinrich *****sen. wurde, nachdem klargestellt war, daß die Erstklägerin Gesellschafterin der OHG geworden ist, die Klage ohne Anspruchsverzicht zurückgenommen.
Die beiden Verfahren 15 Cg 143/80 und 15 Cg 124/80 des Erstgerichtes wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die Streitteile werfen einander wechselseitig gesellschaftsschädigendes Verhalten vor.
Die Erstklägerin machte mit Schreiben vom 29. Februar 1980, gestützt auf Punkt XI. des Gesellschaftsvertrages und § 142 HGB, ebenfalls vom Aufgriffsrecht Gebrauch und gab die Erklärung ab, daß damit das gesamte Gesellschaftsvermögen ohne Liquidation samt Aktiva und Passiva von ihr übernommen werden.
Das Erstgericht traf umfangreiche Feststellungen über das gesellschaftswidrige Verhalten beider Streitteile und die vielfältigen Vorfälle in der Gesellschaft nach dem Tod von Heinrich *****sen., welche im wesentlichen dahin zusammengefaßt werden können, daß beiden Gesellschafterinnen, die nur gemeinschaftlich geschäftsführungs- und vertretungsbefugt und deshalb bei den jeweils vorzunehmenden Geschäften von der Mitwirkung der Mitgesellschafterin abhängig waren, eine Vielzahl von Verstößen gegen die Gesellschaftstreue zur Last fällt. Beide blockierten und verhinderten die geschäftliche Tätigkeit der anderen und damit die für das Unternehmen notwendigen Beschlußfassungen durch vielfältigste Maßnahmen. Beide Teile ließen es zu, daß sich ihre Söhne in die Streitigkeiten einmischten; es kam zu gegenseitigen Ehrenbeleidigungen und Herabsetzungen auch vor dem Hotelpersonal, welches jede auf ihre Seite zu ziehen versuchte. Beide Teile versuchten, sich einen Vorsprung durch einen "Wettlauf" um die von den Portieren einkassierten Logis-Gelder und die alleinige Verfügung über andere Gesellschaftsgelder zu verschaffen. Die Erstklägerin wollte die Aufnahme ihres Sohnes in die Gesellschaft erzwingen und überließ ihm weitgehend die Geschäftsführung; die Beklagte wiederum installierte einen ihrer Söhne als Pächter des Hotelrestaurants, der diese Tätigkeit in der Folge gar nicht selbst, sondern durch den bisherigen Pächter ausübte, zu einem Pachtschilling von nur S 500,-- monatlich und begünstigte auch ihren zweiten Sohn zum Nachteil der Gesellschaft.
Das Erstgericht ordnete in seinem Urteil an, daß der Geschäftsanteil der Verlassenschaft nach Bertha ***** an der OHG mit der Wirkung von der Beklagten Charlotte ***** übernommen werde, daß die Geschäftsübernahme mit Rechtskraft des Urteiles vollzogen sei, die Übernahme im Handelsregister eingetragen und im Grundbuch ob der EZ 257 KG Fünfhaus das Alleineigentum der Beklagten eingetragen werde.
Das Klagebegehren der Verlassenschaft nach Bertha ***** auf Ausschluß der Beklagten, Aufgriff von deren Geschäftsanteilen und Entziehung der Vertretungsmacht wurde abgewiesen.
In rechtlicher Hinsicht sei Ausgangspunkt der Überlegungen die Auslegung des Punktes XI. des Gesellschaftsvertrages. "Grund für die Auflösung der Gesellschaft" könne die Aufkündigung der OHG durch einen Gesellschafter dann nicht sein, wenn dieser zur Aufkündigung durch Verhaltensweisen des anderen Gesellschafters, welche ohne die Bestimmung des Punktes XI. Ausschlußgründe darstellten, gedrängt worden sei. Den seinerzeitigen Vertragsparteien sei als erfahrenen Geschäftstreibenden nicht zu unterstellen, daß sie durch wörtliche Deutung des Punktes XI. einen Gesellschafter, der seinen Partner etwa bis zu dessen Aufkündigungserklärung gequält habe, durch die Zuweisung auch von dessen Anteil hätten belohnen wollen. Die spiele aber nur bei nicht eindeutigem Überwiegen der Verfehlungen eine Rolle. Bei etwa gleichem Niveau gesellschaftswidriger Verhaltensweisen beider Seiten hätte die Erstklägerin obsiegt, weil dann die Aufkündigung der OHG durch die Beklagte nicht als von der Erstklägerin verursacht anzusehen sei, es also beim Ablauf "Aufkündigung einer Aufgriff der anderen Gesellschafterin" verbleibe.
Die Aufgriffserklärung der Erstklägerin erst rund fünf Monate nach der Aufkündigung der Gesellschaft und schon vorliegender Aufgriffserklärung der Beklagten sei auch unter Bedachtnahme auf eine notwendige Überlegungszeit verspätet.
Da das gesellschaftswidrige Verhalten der Erstklägerin gegenüber jenem der Beklagten überwiege, weil der Versuch gegen den erkennbaren Willen der Beklagten ihren Sohn in die OHG zu drängen und ihm entgegen ihrer Verpflichtung zur persönlichen Führung der Geschäfte diese zu überlassen, im Zusammenhang mit den übrigen Verstößen gegen die Gesellschaftstreue schwerer wiege als das Verhalten der Beklagten, stehe dieser das Aufgriffsrecht zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der erstklagenden Partei zu 15 Cg 143/80 keine Folge und bestätigte das klagsabweisende Urteil. Der Berufung der Beklagten zu 15 Cg 124/80 (Erstklägerin) gab es teilweise Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung auch dieser Klage ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zu 15 Cg 143/80 S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- und zu 15 Cg 124/80 S 15.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige und daß die Revision in beiden Rechtssachen nicht zulässig sei.
Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, eine auf § 142 HGB gestützte Klage könne ebenso wie eine Ausschließungsklage nur gegen den Gesellschafter, in dessen Person der wichtige Grund eingetreten sei, geltend gemacht werden, nicht aber gegen seine Erben. Eine schon erhobene derartige Klage werde daher mit dem Tod des Beklagten gegenstandslos. Eine auf § 142 gestützte Ausschließung der am 11. Februar 1988 verstorbenen Erstklägerin käme nach ihrem Tod aus Gründen, die sie persönlich betreffen, an sich nicht mehr in Betracht. Hier aber sei der Tod der Erstklägerin zwar noch vor Urteilsfällung, aber nach dem allein maßgeblichen Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegen. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine von beiden Parteien angestrebte Übernahme der Geschäftsanteile, zunächst unter dem Gesichtspunkt der Bestimmung des Punktes XI. des Gesellschaftsvertrages und dann nach § 142 HGB iVm §§ 140, 133 HGB sei daher zu prüfen.
Die auf unbestimmte Zeit eingegangene OHG sei von der Beklagten zum 31. März 1980 aufgekündigt und die Frist des § 132 HGB eingehalten worden. Eine wirksame Kündigung führe zur Auflösung der Gesellschaft.
In den Fällen der Übernahme im Sinne des § 142 HGB fielen Auflösung und Erlöschen der Gesellschaft zeitlich zusammen. Die Geschäftsübernahme bei Zwei-Mann-Gesellschaften könne mit den im § 142 HGB vorgesehenen Wirkungen auch über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus vereinbart werden. Auch für den Fall der Kündigung der Gesellschaft könne daher vorgesehen werden, daß durch Erklärung das Übernahmsrecht ausgeübt werde. Der Zeitpunkt des Überganges des Unternehmens auf den Übernahmserklärer richte sich dann nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages. Bei einer Übernahmserklärung im Zusammenhang mit einer Kündigung - wie hier jene der Beklagten - sei im Zweifel der Ablauf der Kündigungsfrist (31. März 1980) entscheidend, soferne im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart sei. Gesetzliche und vertragliche Übernahmsrechte eines Gesellschafters könnten auch nebeneinander bestehen. Es sei daher von Bedeutung, welche von mehreren möglichen Erklärungen oder Klagen zuerst die Beendigung der OHG herbeigeführt und damit den anderen die Grundlage entzogen habe, weil grundsätzlich der zeitliche Vorrang entscheide.
Punkt XI. des Gesellschaftsvertrages sei dahin zu verstehen, daß das Aufgriffsrecht nur dem an der Aufkündigung der Gesellschaft Schuldlosen zustehe. Wenn daher beide Gesellschafter ein Aufgriffsrecht geltend machten, seien die Grundsätze des § 142 HGB bei beiderseitigen Verfehlungen der Gesellschafter analog anzuwenden. Die Wahrnehmung des Aufgriffsrechtes sei bei beiderseitigen Verfehlungen nur durch jenen Gesellschafter möglich, dessen Verfehlungen gegenüber denen des anderen nur unerheblich seien. Die Übernahme könne jedenfalls dann nicht zugelassen werden, wenn beide Gesellschafter einer zweigliedrigen OHG das Unternehmen allein weiterführen wollten, dem Aufgriffsbegehren der Gegenseite jeweils widersprächen und selbst nicht nur geringfügige Verfehlungen gesetzt hätten. Denn wenn auch nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages durch die Aufgriffsklausel an sich das Unternehmen weitergeführt werden solle, würde dies bei etwa gleichem Grad der Verfehlungen beider Teile eine durch nichts gerechtfertigte Bevorzugung eines Teiles bedeuten.
Die Erstklägerin habe erst rund fünf Monate nach der Übernahmserklärung der Beklagten ebenfalls eine Übernahmserklärung abgegeben. Diese sei zwar rund einen Monat vor Ablauf der Kündigungsfrist ihrer Gegnerin zugegangen, aber gleichwohl verspätet, weil nach dem Gebot von Treu und Glauben eine solche Übernahmserklärung auch ohne im Gesellschaftsvertrag bestimmte Frist innerhalb einer angemessenen Frist abzugeben sei, um dem anderen Gesellschafter gegenüber deutlich zu machen, ob die Gesellschaft nun liquidiert oder weitergeführt werden solle und wenn ja, von wem.
Wegen der verspäteten Aufgriffserklärung der Erstklägerin sei nur zu prüfen, ob ihre auch auf das Gesetz (§ 142 HGB) gestützte Ausschluß- bzw. Übernahmserklärung inhaltlich gerechtfertigt sei, die Pflichtverletzungen der Beklagten also derart schwer gewesen seien, daß sie als Ausschließungsgrund im Sinne der §§ 142, 140 und 133 HGB zu qualifizieren seien. Auf Seite der Beklagten sei das Begehren hingegen unter beiden Gesichtspunkten - Vertrag und Gesetz - zu untersuchen.
Eine Klage nach § 142 HGB könne nur in besonders schweren Fällen der Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht Erfolg haben, wenn andere Maßnahmen, wie etwa die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis und die Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen nicht ausreichten, um die für die Gesellschaft eingetretene unzumutbare Situation zu beheben. In der Person des Mitgesellschafters müßten Umstände eintreten, welche die Fortsetzung der Gesellschaft nicht mehr zumutbar erscheinen ließen. Wesentlich sei, ob das Verhalten des einen Gesellschafters das Vertrauen des anderen so erheblich erschüttert habe, daß die Grundlage, auf der die Gesellschaft beruhe, verlorengegangen sei. Von einem
solchen - absoluten - beiderseitigen Vertrauensverlust müsse hier ausgegangen werden. Für beide Teile sei die Fortsetzung der OHG mit der Gegnerin nicht mehr zumutbar.
Ließen sich beide Gesellschafter ein gesellschaftswidriges Verhalten zuschulden kommen, komme in der Regel eine Ausschließung nach § 142 HGB nicht in Betracht, sondern nur die Auflösung der Gesellschaft, weil nicht zu Lasten eines Gesellschafters das Geschäft dem anderen erhalten bleiben könne. Die Übernahme des Geschäftes durch einen sei nur dann möglich, wenn die Verfehlungen des einen so schwerwiegend und überwiegend seien, daß die Verfehlungen des anderen dagegen unerheblich erschienen, somit völlig in den Hintergrund träten. Bei Verfehlungen beider Teile genüge es daher nicht, daß jene einer Seite nur etwas mehr ins Gewicht fielen. Bei umfassender Würdigung aller Umstände im Rahmen einer Interessenabwägung dürfe die Geschäftsübernahme nicht unbillig erscheinen. Nach den von beiden Streitteilen gesetzten gesellschaftswidrigen Handlungen und Unterlassungen könne bei der Vielzahl der Verletzungen der Gesellschaftstreue beider Teile keine Rede davon sein, daß das Fehlverhalten einer Gesellschafterin so in den Hintergrund trete, daß ein Übernahmsrecht noch gerechtfertigt sein könnte. Die Gesellschaft sei daher mit 31. März 1980 durch Kündigung der Beklagten aufgelöst, und keine der Gesellschafterinnen sei berechtigt, weder unter dem Gesichtspunkt eines vertraglichen Aufgriffsrechtes noch unter dem Aspekt des § 142 HGB das Geschäft unter Ausschluß der anderen Gesellschafterin allein fortzusetzen. Es habe daher bei der Auflösung zu verbleiben.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung erhobenen außerordentlichen Revisionen beider Streitteile sind nicht zulässig.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist das Revisionsgericht an eine der Vorschrift des § 500 Abs 2 ZPO entsprechende Bewertung des Streitgegenstandes, also immer dann, wenn nicht zwingende Bewertungsvorschriften verletzt werden, gebunden (6 Ob 568/90, 1 Ob 720/89, 2 Ob 66/89 uva). Da die Zivilprozeßordnung für die hier geltend gemachten nicht in Geld bestehenden Ansprüche keine bindenden Bewertungsvorschriften enthält, kann die Bewertung durch das Berufungsgericht nicht überprüft werden. Beide Revisionen sind daher nur unter den Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO (aF) zulässig.
Beide Revisionen führen in der Zulassungsbeschwerde aus, es gebe
keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, was zu gelten
habe, wenn Aufgriffserklärungen auf Grund des Gesetzes
(§ 142 HGB) und auf Grund eines davon abweichenden
Gesellschaftsvertrages konkurrierten und inwieweit die zu
§ 142 HGB entwickelten Grundsätze des Ausschlusses vom
Übernahmsrecht bei gesellschaftswidrigem Verhalten beider
Gesellschafter auch bei einem vertraglich vereinbarten
Übernahmerecht anzuwenden seien. Die Erstklägerin weist überdies
darauf hin, es fehle auch an ausreichender Rechtsprechung über
die Rechtzeitigkeit oder Verspätung einer Aufgriffserklärung nach erfolgter Aufkündigung der Gesellschaft.
Es entspricht Lehre und ständiger Rechtsprechung, daß die
Bestimmung des § 142 HGB nicht zwingend ist und der
Gesellschaftsvertrag davon abweichende Regelungen enthalten kann.
Das Übernahmerecht kann überhaupt ausgeschlossen werden; es können im Gesellschaftsvertrag zusätzlich zur gesetzlichen Regelung oder neben dieser für bestimmte Fälle Aufgriffsrechte aller oder nur einzelner Gesellschafter unabhängig von den Voraussetzungen des § 142 HGB vereinbart werden (vgl. JBl. 1965, 145; JBl. 1978, 40, GesRZ 1984, 213, EvBl. 1975/264, Koppensteiner in Straube, HGB, Rz 12 zu § 142, Ulmer GroßKomm Anm 40 bis 44 zu § 142, Schlegelberger-Geßler, KommzHGB4 Rz 9 zu § 142).
Maßgeblich ist daher zunächst der Gesellschaftsvertrag. Die Interpretation des im Punkt XI. vereinbarten Aufgriffsrechtes für den Fall der Auflösung der Gesellschaft durch die Vorinstanzen ist zutreffend. Diese Bestimmung muß im Zusammenhalt mit der vorangehenden des Punktes X. gesehen werden, in welchem für die Auflösung der Gesellschaft auf die im Gesetz angeführten Bestimmungen ausdrücklich verwiesen wird und nur eine Ergänzung im Sinne einer qualifizierten Nachfolgeklausel für den Fall des Ablebens der ehemaligen Gesellschafter getroffen wird. Danach wird im Punkt XI. für den Fall der Auflösung der Gesellschaft - also aus anderen Gründen als jenen im Punkt X. - ein wechselseitiges Aufgriffsrecht hinsichtlich der Geschäftsanteile der damaligen Gesellschafter ohne Beschränkung auf Auslösungsgründe vereinbart und für das Aufgriffsrecht "der übrigen" bestimmt, daß sich dieses gegen denjenigen Gesellschafter richtet, in dessen Person der Grund für die Auflösung der Gesellschaft eingetreten ist. Hier wird also als Voraussetzung für das Aufgriffsrecht ein "Grund in der Person des Auflösenden" zur Voraussetzung gemacht. Nicht nur aus dem Zusammenhang, sondern auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben kann diese Bestimmung nicht ausschließlich nach dem Wortlaut, sondern nur dahin ausgelegt werden, daß der Grund in der Person des Auflösenden entweder neutral, also ohne Bezug auf das Verhalten der übrigen Gesellschafter, wie etwa Rückzug ins Privatleben, andere Vermögensveranlagung und dergleichen, oder eine Folge gesellschaftswidrigen Verhaltens der übrigen Gesellschafter ist. Ist die Aufkündigung nur eine Folge des gesellschaftswidrigen Verhaltens des anderen, dann hat dieser den Grund für die Auflösung der Gesellschaft gesetzt und damit kein Aufgriffsrecht. Liegt der Grund für die Auflösung, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, in annähernd gleicher Weise bei beiden Gesellschaftern, haben also beide schwere Verstöße gegen die gesellschaftliche Treuepflicht zu verantworten, ist er in gleicher Weise in der Person jeder der beiden Gesellschafterinnen eingetreten, so verhindert er bei jeder von ihnen die wirksame Geltendmachung des Aufgriffsrechtes, das unter diesen Voraussetzungen als nicht dem Gesellschaftsvertrag entsprechend und rechtsmißbräuchlich anzusehen ist (vgl. auch Ulmer aaO Anm 44 zu § 142).
Steht aber keiner der Streitparteien schon nach dem Gesellschaftsvertrag ein Übernahmerecht zu und kommt auch ein solches nach den vom Berufungsgericht zutreffend dargelegten Gründen nach § 142 HGB nicht in Betracht, so ist im vorliegenden Fall eine allfällige Konkurrenz zwischen Aufgriffserklärungen auf Grund des Gesellschaftsvertrages und einem gesetzlichen Aufgriffsrecht nach § 142 HGB für die Entscheidung nicht von Bedeutung. Gleiches trifft auf die nach Ansicht der Vorinstanzen verspätete Aufgriffserklärung der Erstklägerin nach dem Gesellschaftsvertrag noch während der Aufkündigungsfrist der Beklagten zu. War diese Aufgriffserklärung ebenso mißbräuchlich wie jene der beklagten Partei, erübrigen sich Ausführungen zu ihrer Rechtzeitigkeit.
Beide Revisionen waren daher insgesamt mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO (aF) zurückzuweisen.
Anmerkung
E25245European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0060OB01549.9.0307.000Dokumentnummer
JJT_19910307_OGH0002_0060OB01549_9000000_000