TE OGH 1991/3/8 16Os46/90

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Veröffentlicht am 08.03.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.März 1991 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden sowie durch die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller, Dr. Kießwetter und Hon.Prof. Dr. Steininger und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hofer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ing. Wilhelm P***** wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146 ff StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt vom 17.April 1990, AZ 7 Vr 1366/89, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt vom 17. April 1990, AZ 7 Vr 1366/89, verletzt, soweit darin die Rechtsansicht vertreten wird, daß

1. die Gerichte nicht verpflichtet sind, Akten (oder Aktenbestandteile) einem vom Kärntner Landtag eingesetzten Untersuchungsausschuß zu übermitteln, und

2. im übrigen einer - "ungeachtet des Fehlens einer gesetzlichen Verpflichtung" - möglichen Übermittlung des im gegenständlichen Strafverfahren erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Dipl.Ing. Dr. Norbert M***** an den Untersuchungsausschuß (betreffend Z*****) die Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 B-VG über die Amtsverschwiegenheit entgegenstünden, ohne daß dabei eine Abwägung der Interessen an der Geheimhaltung mit dem Interesse des Untersuchungsausschusses, vom Inhalt des Gutachtens Kenntnis zu nehmen, vorgenommen werden müßte,

das Gesetz in den Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 B-VG und des Art. 60 Abs. 2 der Landesverfassung für das Land Kärnten.

Text

Gründe:

In der Strafsache gegen Ing. Wilhelm P*****, AZ 7 Vr 1366/89 des Landesgerichtes Klagenfurt, begehrte der vom Kärntner Landtag eingesetzte Untersuchungsausschuß betreffend Z***** unter Bezugnahme auf Art. 60 Abs. 2 der Landesverfassung für das Land Kärnten (LGBl. 1974/190 - L-VG) die Ausfolgung einer Abschrift des im Zuge der Voruntersuchung erstatteten Gutachtens des gerichtlich beeideten Sachverständigen Dipl.Ing. Dr. Norbert M*****.

Der Untersuchungsrichter wies diesen Antrag mit Beschluß vom 6. März 1990 im wesentlichen mit der Begründung ab, daß gemäß Art. 22 B-VG zwar alle Organe des Bundes zur wechselseitigen Hilfeleistung (Amtshilfe) verpflichtet seien, diese Amtshilfe durch Aktenherausgabe aber in jenen Fällen eine Grenze finde, in denen ein staatliches Organ ein besonders schutzwürdiges Interesse daran habe, daß eine Information an ein anderes Hoheitsorgan nicht weitgegeben wird; die Abwägung zwischen dem Gebot der Amtshilfe und dem Zweck des gerichtlichen Vorverfahrens rechtfertige im gegenständlichen Fall, in welchem das ersuchende Organ im Gegensatz zum ersuchten Organ nicht der Amtsverschwiegenheit unterliegt, die Ablehnung des Antrages, zumal auf Grund der Komplexität und des Umfanges des gegenständlichen Vorverfahrens besondere Umstände vorlägen, die befürchten lassen, daß durch eine Verwertung des "erst unlängst eingelangten Gutachtens" im öffentlichen Ausschußverfahren die Untersuchung erschwert werden könnte (§ 45 Abs. 2 dritter Satz StPO); mithin sei derzeit ein Bekanntwerden des Gutachtensinhalts in der Öffentlichkeit im Rahmen der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses zu vermeiden.

Die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde der ersten Präsidentin des Kärntner Landtages wies die Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt mit Beschluß vom 17.April 1990 als unbegründet zurück. Zum einen ergäbe sich weder aus Art. 60 Abs. 2 Kärntner L-VG noch aus Art. 22 B-VG eine Verpflichtung der Gerichte zur Amtshilfe gegenüber Untersuchungsausschüssen des Landtages, weil die erstbezeichnete Gesetzesstelle eine solche Verpflichtung nur für Behörden, Ämter und Dienststellen des Landes normiere, in bezug auf Gerichte (als Organe des Bundes) dem Untersuchungsausschuß hingegen bloß das Recht einräume, an diese "heranzutreten", wobei selbst in diesem Fall zuvor das Einvernehmen mit dem zuständigen Bundesministerium zu pflegen sei, woraus ein Recht des Landtages auf Überlassung von Gerichtsakten (und damit eine korrespondierende Verpflichtung der Gerichte, Gerichtsakten auf Verlangen dem Untersuchungsausschuß herauszugeben) nicht abzuleiten sei, während Art. 22 B-VG eine Amtshilfe nur vorsehe, wenn hiefür eine besondere gesetzliche Anordnung vorhanden sei, die jedoch in der Kärntner Landesverfassung und insbesondere in deren Art. 60 Abs. 2 nicht enthalten sei; Art. 53 Abs. 3 B-VG hinwieder gelte nur für Untersuchungsausschüsse des Nationalrates, nicht aber für solche eines Landtages. Zum anderen stehe einer "ungeachtet einer gesetzlichen Verpflichtung" möglichen Übermittlung des begehrten Gutachtens nach Lage des Falles die im Art. 20 Abs. 3 B-VG normierte Amtsverschwiegenheit, die sich auf das gesamte Vorverfahren im Strafprozeß bezieht, entgegen, zumal die daraus resultierende Pflicht zur Geheimhaltung nicht nur im Interesse der Parteien, sondern im besonderen Maße zum Schutz der Rechtsprechung selbst geboten sei.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend geltend macht, steht der Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt vom 17.April 1990 insoweit mit dem Gesetz nicht im Einklang, als darin die Rechtsansicht vertreten wird, daß die Gerichte (generell) nicht verpflichtet sind, Akten (oder Aktenbestandteile) einem vom Kärntner Landtag eingesetzten Untersuchungsausschuß zu übermitteln, und daß bei der Prüfung der Frage, "ob dem Ansuchen des Untersuchungsausschusses - ungeachtet einer gesetzlichen Verpflichtung - dennoch entsprochen werden könnte", keine Abwägung der Interessen an der Geheimhaltung mit dem Interesse des Untersuchungsausschusses an der Kenntnisnahme des Inhalts des begehrten Sachverständigengutachtens vorzunehmen, sondern die Übermittlung dieses Gutachtens wegen der im Art. 20 Abs. 3 B-VG normierten Amtsverschwiegenheit (generell) unzulässig ist.

Hat der Kärntner Landtag gemäß Art. 60 Abs. 1 Krnt L-VG (LGBl. 1974/190) in Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches des Landes einen Untersuchungsausschuß eingesetzt, so haben gemäß Art. 60 Abs. 2 erster Satz Krnt L-VG die Behörden, Ämter und Dienststellen des Landes dem Ersuchen des Ausschusses um Beweiserhebungen Folge zu leisten und auf Verlangen ihre Akten vorzulegen; wenn an Gerichte oder Verwaltungsbehörden des Bundes heranzutreten ist, so ist gemäß Art. 60 Abs. 2 zweiter Satz Krnt L-VG vorher das Einvernehmen mit dem zuständigen Bundesministerium zu pflegen.

Die Regelungen des Art. 60 Abs. 2 Krnt L-VG werden einfachgesetzlich im § 29 Abs. 4 GO des Krnt Landtages (LGBl. 1975/39) wiederholt.

Der zweite Satz des Art. 60 Abs. 2 Krnt L-VG bezieht sich, wie der systematische Aufbau des Art. 60 Abs. 2 leg. cit. unmißverständlich erkennen läßt, (ua) auf Ersuchen des Untersuchungsausschusses an ein Gericht um Vornahme von Beweiserhebungen und/oder um Übermittlung von Gerichtsakten; liest man ihn - wie es dem Sinngehalt der Regelung des Art. 60 Abs. 2 entspricht - im Kontext mit dem ersten Satz dieser Gesetzesstelle, so folgt daraus, daß der Untersuchungsausschuß sehr wohl berechtigt ist, ein Gericht um Überlassung von Gerichtsakten (oder Teilen derselben) zu ersuchen und daß (korrespondierend hiezu) die Gerichte (grundsätzlich) verpflichtet sind, einem solchen Ersuchen zu entsprechen. Ehe allerdings mit einem solchen Ersuchen an ein Gericht herangetreten wird, ist seitens des Untersuchungsausschusses das Einvernehmen mit dem zuständigen Bundesministerium (hier: Bundesministerium für Justiz) zu pflegen. Aus dieser Einschränkung, die das Antragsrecht des Untersuchungsausschusses betrifft, ohne damit der Sachentscheidung durch den funktionell zuständigen Richter vorzugreifen, kann jedoch - entgegen der Rechtsansicht der Ratskammer - nicht abgeleitet werden, Gerichte seien in keinem Fall verpflichtet, einem Ersuchen des Untersuchungsausschusses um Übermittlung von Gerichtsakten (oder Teilen derselben) zu entsprechen.

Damit erweist sich aber auch die weitere Argumentation der Ratskammer, die vom Untersuchungsausschuß begehrte Amtshilfe könne nicht auf Art. 22 B-VG - dessen Anwendung vorliegend im übrigen im Hinblick auf die Regelung des Art. 60 Abs. 2 Krnt L-VG gar nicht aktuell wird - gestützt werden, weil es an einer besonderen gesetzlichen Anordnung mangle, als verfehlt.

Entgegen der Auffassung der Ratskammer ergibt sich somit aus Art. 60 Abs. 2 Krnt L-VG die Verpflichtung der Gerichte, einem Ersuchen eines vom Kärntner Landtag eingesetzten Untersuchungsausschusses um Übermittlung von Gerichtsakten (oder Teilen derselben) zu entsprechen, weshalb der bekämpfte Beschluß insoweit das Gesetz in der eben zitierten Bestimmung verletzt.

Vom Fehlen einer gesetzlichen Grundlage (trotz fehlender gesetzlicher Verpflichtung) für die begehrte Aktenübermittlung ist die Ratskammer bei ihren weiteren Ausführungen aber nicht ausgegangen, weshalb die in der Nichtigkeitsbeschwerde (überdies) reklamierte Verletzung der Bestimmung des Art. 18 Abs. 1 B-VG nicht unterlaufen ist.

Ob der Untersuchungsausschuß vor seinem Ersuchen an das Landesgericht Klagenfurt gemäß Art. 60 Abs. 2 zweiter Satz Krnt L-VG das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Justiz gepflogen hat, kann den vom Generalprokurator dem Obersten Gerichtshof übermittelten Aktenstücken nicht entnommen werden; das ist jedoch nicht entscheidend, denn auch dann, wenn ein solches Einvernehmen nicht aktenkundig sein sollte, dürfte die Ratskammer die Verpflichtung des Gerichtes zur Übermittlung des begehrten Aktenstücks an den Untersuchungsausschuß nicht von vornherein und generell verneinen.

Im Rahmen der Sachentscheidung hat das Gericht - was auch die Ratskammer nicht verkennt - die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit entsprechend zu berücksichtigen. Denn mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen verfassungsgesetzlichen Regelung und unter Bedachtnahme auf Art. 22 B-VG gilt die Verpflichtung des Art. 20 Abs. 3 B-VG auch für das gemäß Art. 60 Abs. 2 zweiter Satz Krnt L-VG ersuchte richterliche Organ, das demnach (auch im hier aktuellen Zusammenhang) zur Verschwiegenheit über alle ihm ausschließlich aus seiner amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Tatsachen verpflichtet ist, deren Geheimhaltung im Interesse (ua) der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien gelegen ist. Dabei ist der Begriff "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit" im Sinne der Tatbestände der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung bzw. des Strafrechtswesens (Art. 10 Abs. 2 MRK bzw. Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG) zu verstehen (vgl. AB 116 BlgNR 17. GP, 2), womit das öffentliche Interesse an der Sicherung des Strafverfahrens dem in Rede stehenden Geheimhaltungstatbestand unterfällt.

Kollidiert - wie im vorliegenden Fall - die Verpflichtung des Gerichtes (der mit der gegenständlichen Strafsache befaßten Richter) zur Verschwiegenheit über den Inhalt eines im Zuge einer Voruntersuchung eingeholten Sachverständigengutachtens, dessen Geheimhaltung ersichtlich im Interesse der Sicherung des Strafverfahrens geboten ist, mit der Pflicht zur Übermittlung des betreffenden Gerichtsaktes (bzw. Aktenstückes) an den darum ersuchenden Untersuchungsausschuß, so muß das ersuchte Organ das Interesse an der Geheimhaltung mit dem Interesse, dessentwegen das ersuchende Organ kraft Gesetzes zur Anforderung des Aktes (Aktenstücks) und damit zur Kenntnisnahme seines Inhalts berechtigt ist, entsprechend abwägen, wofür (sinngemäß) die Regelungen des § 58 Abs. 2 RDG bzw. des § 46 Abs. 2 BDG - unter entsprechender Berücksichtigung der besonderen Rolle parlamentarischer Untersuchungsausschüsse - herangezogen werden können.

Die Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt hat im Beschluß vom 17. April 1990 - anders als der Untersuchungsrichter in seinem Beschluß vom 6.März 1990 - eine Interessenabwägung im dargelegten Sinn nicht vorgenommen, sondern ihre Entscheidung insoweit ausschließlich auf das Interesse an der Geheimhaltung abgestellt, womit (gleichfalls) das Gesetz verletzt worden ist.

Durch die unterlaufenen Gesetzesverletzungen ist dem Beschuldigten kein Nachteil erwachsen; die Entscheidung hat sich daher auf ihre Feststellung zu beschränken.

Anmerkung

E25390

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0160OS00046.9.0308.000

Dokumentnummer

JJT_19910308_OGH0002_0160OS00046_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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