TE OGH 1991/3/13 9ObA5/91

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Veröffentlicht am 13.03.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Köck und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** N*****, Angestellte, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei L***** W*****, Kaufmann, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen S 301.711,98 brutto abzüglich S 10.000,-- netto s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Oktober 1990, GZ. 31 Ra 54/90-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8. August 1989, GZ. 13 Cga 1744/87-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.337,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.056,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war beim Beklagten, der eine Bau-, Portal- und Möbeltischlerei betreibt, seit 2.5.1976 als Angestellte tätig. In den ersten Jahren führte sie lediglich das Kassabuch, stellte Rechnungen aus und überprüfte Anbote von Auftraggebern auf ihre rechnerische Richtigkeit; diese Arbeit konnte sie an zwei Vormittagen in der Woche erledigen. Ab 1984 zog sich der Beklagte, der neben seinem Betrieb in Wien auch eine Tischlerei, ein Gasthaus und eine Fremdenpension im Burgenland betreibt, zunehmend aus Wien zurück; er kam nur etwa alle zwei Monate für einige Stunden nach Wien; im übrigen ließ er sich über den Fortgang des Betriebes in Wien telefonisch oder schriftlich von der Klägerin oder seinem Werkmeister informieren. Bedingt durch die nunmehr geringe

Anwesenheit des Beklagten, durch die Übernahme der Buchhaltung und Lohnverrechnung, die vermehrte Zahl von Arbeitnehmern, und durch einen nicht besonders tüchtigen neuen Werkmeister, dessen Kalkulationen sich des öfteren als unzutreffend erwiesen, leistete die Klägerin ab diesem Zeitpunkt nicht nur weitaus qualifiziertere Arbeiten als vorher, sondern benötigte für diese Mehrarbeit mindestens 30 Stunden pro Woche. Die Klägerin sagte dem Beklagten auch, daß sie mit ihrer bisherigen Arbeitszeit nicht auskomme; dieser erwiderte sinngemäß, wenn das Geschäft besser gehe, bekomme sie mehr Gehalt.

Die Klägerin führte das Kassabuch, das auch die Einnahmen und Ausgaben des Zweitbetriebes im Burgenland erfaßte. Bei seinen sporadischen Aufenthalten in Wien entnahm der Beklagte gelegentlich Barbeträge aus der Kassa. Darüber hinaus sandte er mehrmals Rechnungen über angekauftes Material für seinen Tischlereibetrieb im Burgenland (die er privat bezahlt hatte) nach Wien; diesbezüglich hatte er angeordnet, daß die Klägerin solche Rechnungen (auf der Ausgabenseite) verbuchen und in der Höhe des Rechnungsbetrages (fiktiv) eine Privateinlage des Beklagten (auf der Einnahmenseite) vermerken sollte. Die Klägerin ging bei der Verbuchung derartiger Rechnungen aber so vor, daß sie die Rechnung im Kassabuch erst dann eintrug, wenn auch ein entsprechender Gegenbeleg vorhanden war, sodaß Einnahmen und Ausgaben jeweils ausgeglichen waren. Lag eine solche Gegenrechnung nicht vor, so wartete sie zu, bis ein entsprechender Eingang erfolgte.

Im Laufe der Jahre 1986 und 1987 geriet der Betrieb des Beklagten wirtschaftlich immer mehr in die Verlustzone. Die Klägerin informierte den Beklagten hievon; insbesondere machte sie ihn auf die zunehmenden Zahlungsschwierigkeiten - es kamen Klagen, Zahlungsbefehle und Versäumungsurteile - aufmerksam. Der Beklagte nahm dies vorerst offensichtlich nicht sonderlich ernst und reagierte nur mit dem Ratschlag, die Klägerin möge versuchen, vermehrt Aufträge zu erhalten. Erst als ihm eine Vorsprache beim Finanzamt das volle Ausmaß der auf seinem Betrieb lastenden Schulden vor Augen führte, sah er sich zum Eingreifen veranlaßt. Am 30.7.1987 kam er in seinen Wiener Betrieb und teilte der Klägerin mit, sie sei gekündigt. Noch am selben Tag sandte er ihr ein Entlassungsschreiben, in dem er ihr vorwarf, sein Vertrauen gröblich mißbraucht, ihre Verpflichtung, ihm betriebswichtige Schwierigkeiten rechtzeitig zu melden, vernachlässigt und Buchungen ohne Sorgfalt durchgeführt zu haben.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten die Zahlung von S 301.711,98 brutto abzüglich S 10.000,-- netto s.A.; dieser Betrag setze sich aus der Differenz zwischen dem kollektivvertraglichen Mindestlohn und den ihr zuletzt ausgezahlten Lohn von S 7.683,-- brutto sowie Ansprüchen aus ungerechtfertigter Entlassung zusammen.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte dessen Abweisung und wandte - soweit es für das Revisionsverfahren noch von Belang ist - im wesentlichen ein, die Klägerin sei ihrer tatsächlichen Dienstzeit und Verwendung gemäß angemessen bezahlt worden. Von den zahlreichen angeblichen Verfehlungen der Klägerin, die ihre Entlassung wegen Vertrauensmißbrauchs gerechtfertigt und ihn zur Geltendmachung der compensando eingewendeten Schadenersatzansprüche in Höhe von S 199.131,50 berechtigt hätten, hielt der Beklagte im Revisionsverfahren nur mehr den Vorwurf der weisungswidrigen und sachlich unrichtigen Führung des Kassabuches aufrecht.

Das Erstgericht stellte fest, daß die Klagsforderung zu Recht, die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und verurteilte den beklagten zur Zahlung des Klagsbetrages. Es vertrat die Rechtsauffassung, die Tätigkeit der Klägerin sei der Verwendungsgruppe III des Kollektivvertrages der Angestellten des Gewerbes zu unterstellen; unter Zugrundelegung einer 30-Stunden-Woche gebühre ihr die in der Klage richtig errechnete Gehaltsdifferenz. Der Vorwurf, die Klägerin hätte weisungswidrige Eintragungen im Kassabuch vorgenommen, sei unzutreffend; der Beklagte habe nämlich ihre Eintragungen kommentarlos hingenommen; es könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie vom Beklagten bezahlte und übersandte Rechnungen erst dann eintrug, wenn ein entsprechender Kassaeingang vorhanden gewesen sei. Der Beklagte habe nicht beweisen können, wieso durch diese Art der Eintragung der compensando eingewendete Schaden hätte entstehen können.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil: hiebei hat es entgegen den Bestimmungen des § 500a ZPO die Feststellungen nicht wiedergegeben, sondern unzulässigerweise auf das Urteil des Erstgerichtes verwiesen. Es billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, dem Beklagten habe bei dem der Klägerin zusätzlich aufgebürdeten Arbeitsaufwand klar sein müssen, daß dieser mit der zunächst vereinbarten Arbeitszeit von 10 bis 15 Stunden wöchentlich nicht bewältigt werden könne. Selbst wenn er meinte, bei einer wirtschaftlich günstigeren Entwicklung werde er der Klägerin ein höheres Entgelt zahlen, und unterstelle man auch, die Klägerin wäre mit dieser Vorgangsweise einverstanden gewesen, müsse er zumindest den kollektivvertraglichen Mindestlohn zahlen, der der Klägerin vom Erstgericht zugesprochen worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache. Er stellt in erster Linie einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag, hilfsweise begehrt er, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Es ist zwar richtig, daß das Berufungsgericht die Mängelrüge (Nichteinholung eines Buchsachverständigen-Gutachtens) mit der durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung, der Beklagte habe bezüglich der Art, wie gebucht werden sollte, keine ausdrückliche Weisung gegeben (Berufungsurteil S 9, vgl. Ersturteil S 11) verworfen hat. Das Verfahren ist aber dennoch nicht mangelhaft, weil die Einholung eines solchen Gutachtens aus rechtlichen Erwägungen unterbleiben durfte. Durch die von den Weisungen des Beklagten abweichende Art der Verbuchung konnte nämlich dem Beklagten kein Schaden entstehen. Der Beklagte ist Einzelkaufmann, er haftet mit seinem Privat- und Firmenvermögen für die Schulden. Ob und wann gewisse private Einzahlungen bzw. Abhebungen als Kassaeingang bzw. -ausgang verbucht werden, hat auf das Gesamtvermögen des Beklagten keinen Einfluß. Deshalb erübrigte sich auch die Einholung eines Buchsachverständigen-Gutachtens, sodaß es unerheblich ist, daß das Berufungsgericht diese Mängelrüge mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat. Daß die Klägerin sich selbst bereichert hätte und dieser Umstand durch das Sachverständigengutachten hätte bewiesen werden sollen, hat der Beklagte nie behauptet. Im übrigen hätte die vom Beklagten angeordnete Art der Verbuchung - er spricht selbst von der Verbuchung "fiktiver" Privateinlagen (S 3 der Revision) - genausowenig den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buchführung entsprochen wie die von der Klägerin gewählte Art.

Diese Ordnungswidrigkeit der Klägerin rechtfertigt jedoch weder die Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit (§ 27 Z 1 dritter Fall AngG) noch wegen beharrlicher Pflichtenverweigerung (§ 27 Z 4 zweiter Fall AngG). Betrachtet man das Gesamtverhalten der Klägerin (vgl. Arb. 5.440, 6955 uva), so zeigt sich, daß die Klägerin trotz des mangelnden Interesses des Beklagten für sein Unternehmen aus eigenem bemüht war, durch vermehrten Einsatz und Eigeninitiative das Beste für das Unternehmen herauszuholen. Ihr Gesamtverhalten läßt sie keineswegs des weiteren Vertrauens ihres Dienstgebers unwürdig erscheinen (SZ 58/94 ua). Für den Tatbestand des § 27 Z 4 zweiter Fall AngG fehlt es am Moment der Beharrlichkeit (Arb. 5908, 9.493 uva), weil der Beklagte diese Art der Verbuchung jahrelang unbeanstandet hinnahm.

Da die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes (einschließlich der verwiesenen erstgerichtlichen Beurteilung) hinsichtlich der Einstufung der Klägerin, der Mindestentlohnung nach dem Kollektivvertrag und dem Anspruch auf Entlohnung für die Mehrarbeit - die Revisionsausführungen, wonach die Klägerin nur Provisionsansprüche hätte, sind im Revisionsverfahren unzulässige Neuerungen - zutreffend ist, genügt es diesbezüglich, auf diese Begründung zu verweisen (§ 48 ASGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E25780

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0090OBA0005.91.0313.000

Dokumentnummer

JJT_19910313_OGH0002_0090OBA0005_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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