TE OGH 1991/3/20 1Ob520/91

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Veröffentlicht am 20.03.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, reg. Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Erich Gugenberger, Rechtsanwalt in Frankenmarkt, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Franz L*****, vertreten durch Dr. Heinz Ortner, Rechtsanwalt in Gmunden, wider die beklagte Partei Anna L*****, vertreten durch Dr. Hubert Stüger, Rechtsanwalt in Frankenmarkt, wegen S 420.300,-- s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13. November 1990, GZ 4 R 198/90-37, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 22. Mai 1990, GZ 8 Cg 3/89-30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.022,60 (darin S 3.120,81 Umsatzsteuer) und dem Nebenintervenienten die mit S 16.340,40 bestimmten Kosten (darin S 2.723,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei räumte Franz L***** (im folgenden Kreditnehmer) mit Vertrag vom 31. Oktober 1984 einen Kontokorrentkredit bis zum Betrag von S 300.000,-- ein, für den die Beklagte mit Erklärung vom selben Tag die Haftung als Bürgin und Zahlerin übernahm.

Die klagende Partei begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 420.300,-- s.A. Der Kreditnehmer habe Kreditmittel über den bewilligten Rahmen hinaus in Anspruch genommen; er sei deshalb auch immer wieder, jedoch stets ohne Erfolg aufgefordert worden, seine Verbindlichkeiten auf den Kreditrahmen zurückzuführen. Der Kredit sei deshalb, zuletzt mit Schreiben vom 12. April 1988, fälliggestellt worden. Die Gesamtkreditverbindlichkeiten errechneten sich zum 25. April 1988 mit S 914.820,--.

Die Beklagte wendete vor allem ein, sie habe in Erfüllung ihrer Bürgschaftsverpflichtung insgesamt S 261.852,90 auf das Kreditkonto eingezahlt. Die kapitalisierten Zinsen seien unrichtig berechnet. Über den Betrag von S 300.000,-- hinaus habe sie keine Haftung übernommen. Bei Unterfertigung der Bürgschaftserklärung sei sie insofern in einem Irrtum befangen gewesen, als ihr das Wesen des Kontokorrentkredites unbekannt gewesen sei. Sie sei der Überzeugung gewesen, dem Kreditnehmer werde ein Kredit von S 300.000,-- in der Weise eingeräumt, daß die klagende Partei darüber hinaus keinerlei Leistungen mehr erbringen und die Beklagte im Umfang eigener Zahlungen aus der Haftung entlassen werde. Die klagende Partei habe die Beklagte über das Wesen des Kontokorrentkredites auch nicht aufgeklärt, obwohl sie hiezu verpflichtet gewesen wäre. Sie habe die Beklagte hiedurch in einen wesentlichen Irrtum geführt. Die Bürgschaftserklärung sei überdies sittenwidrig, weil die klagende Partei die Unkenntnis und Unerfahrenheit der Beklagten mißachtet habe; mangels ausreichender Lebenserfahrung und allgemeiner Geschäftskenntnisse habe die Beklagte deshalb ihre Interessen bei der Übernahme der Bürgschaft nicht gehörig wahren können. Wäre der Beklagten bewußt gewesen, daß ihre Bürgschaftserklärung "praktisch" eine unbegrenzte Zahlungsverpflichtung zur Folge habe, wäre sie zur Unterfertigung der Bürgschaftserklärung nicht bereit gewesen.

Im Zuge des Verfahrens schloß der Kreditnehmer mit der klagenden Partei einen Vergleich, mit dem er sich zur Zahlung der Klagsforderung verpflichtete und dem sein Vater, der Nebenintervenient, als Mitschuldner beitrat.

In der Folge brachte die Beklagte noch vor, die klagende Partei verstoße auch deshalb gegen die guten Sitten, weil sie die Forderung trotz Exekutionstitels gegen den Kreditnehmer und dessen Vater nicht von diesen beitreibe; die Fortführung des Rechtsstreites sei somit schikanös.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte fest, der Kreditnehmer und die Beklagte hätten beabsichtigt, im Herbst 1984 zu heiraten und deshalb im Haus des Vaters des ersteren eine Wohnung auszubauen und einzurichten. Sie hätten deshalb gemeinsam mit diesem am 2. Oktober 1984 die Zweigstelle der klagenden Partei in St. Georgen im Attergau aufgesucht, mit der der Vater des Kreditnehmers schon seit langem in Geschäftsverbindung gestanden sei. Schon am 28. September 1984 habe der Kreditnehmer ein auf seinen Namen lautendes Girokonto eröffnet und sofort S 80.000,-- abgehoben. Bei der Besprechung am 2. Oktober 1984 habe der Vater des Kreditnehmers die Verhandlungen mit dem Zweigstellenleiter der klagenden Partei geführt. Schließlich habe man sich auf einen Kontokorrentkredit mit einem Rahmen von S 300.000,-- geeinigt; die Beklagte sollte die Bürgschaft übernehmen. Zum Kontokorrentkredit habe man sich vornehmlich aus gebührenrechtlichen Gründen entschlossen, weil damit die Gebühren für mehrere nacheinander aufgenommenen Kredite vermieden werden sollten. Die Beklagte habe sich an diesem Gespräch nicht beteiligt und auch keine Fragen gestellt. Der Zweigstellenleiter der beklagten Partei habe sie auch weder über das Wesen des Kontokorrentkredits noch auch nur über den Umfang der mit der Bürgschaft für einen solchen Kredit verbundenen Haftung aufgeklärt. Die Beklagte sei überdies im geschäftlichen Verkehr mit Banken, insbesondere auf dem Kreditsektor, unerfahren gewesen.

Am 31. Oktober 1984 habe der Kreditnehmer den Vertrag unterzeichnet, mit dem ihm die klagende Partei auf dem schon erwähnten Girokonto einen Kontokorrentkredit bis zum Betrag von S 300.000,-- mit dem Verwendungszweck "Wohnungsausbau, später als Betriebsmittel für Landwirtschaft und Realitätenvermittlung" eingeräumt habe. Für diesen Kredit würde ihm die klagende Partei 8,25 % Sollzinsen zuzüglich 1,5 % Umsatzprovisionen im Jahr bei vierteljährlicher Kapitalisierung und Anpassung der Zinsen an den Diskontsatz, für Überziehung 4,5 % Zinsen "entsprechend den allgemeinen Geschäftsbedingungen" in Rechnung stellen. Über eine bestimmte Laufzeit und die Rückzahlungsmodalitäten sei nicht gesprochen worden, doch berechtige Punkt 4 des Kreditvertrages die klagende Partei zur sofortigen Fälligstellung der gesamten offenen Forderung, sofern das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers erschüttert sei. Diesen Vertrag habe die Beklagte in einem Zug mit der Bürgschaftserklärung unterzeichnet, mit welcher sie für den vom Kreditnehmer am 31. Oktober 1984 aufgenommenen Kredit in der Höhe von S 300.000,-- zur Sicherung aller Forderungen und Ansprüche aus Haupt- und Nebenverbindlichkeiten die Haftung als Bürge und Zahler gemäß § 1357 ABGB übernommen habe. Schon vorher - am 9. Oktober 1984 - habe sie S 90.816,-- auf das erwähnte Girokonto eingezahlt. Darüber hinaus habe sie am 2. November 1984 S 95.000,--, am 22. Februar 1985 S 71.036,90 und am 22. Oktober 1985 S 5.000,--, sohin insgesamt S 261.852,90, auf dieses Konto überweisen lassen. Diesen Kredit habe der Kreditnehmer weit über den vereinbarten Rahmen in Anspruch genommen: Seine Gesamtverbindlichkeit aus diesem Kredit habe schon zum 25. April 1988 S 914.820,-- betragen. Die Beklagte selbst habe von diesem Konto keine Abhebungen getätigt. Angesichts der Überziehungen sei der Kreditnehmer immer wieder aufgefordert worden, seine Verbindlichkeiten auf den vereinbarten Rahmen zurückzuführen. Die klagende Partei habe nur wegen der Kreditwürdigkeit des Vaters des Kreditnehmers, der auch wiederholt Rückzahlungen in Aussicht gestellt habe, und wegen der guten Geschäftsbeziehungen mit diesem zugewartet. Da diese Zusicherungen nicht eingehalten worden seien, habe sie mit Schreiben vom 12. April 1988 den gesamten Kredit fälliggestellt.

In rechtlicher Hinsicht meinte das Erstgericht, die Klausel, nach der die Beklagte für einen Kontokorrentkredit hafte, sei als ungewöhnliche Klausel im Sinne des § 864 a ABGB nicht Vertragsbestandteil geworden. Die Haftung der Beklagten sei daher betraglich mit S 300.000,-- beschränkt. Bei Bedachtnahme auf die von ihr geleisteten Zahlungen könnte die Klagsforderung somit höchstens mit S 38.147,10 zuzüglich Zinsen und Verzugszinsen zu Recht bestehen. Die Beklagte habe aber eine falsche bzw. überhaupt keine Vorstellung über das Wesen des Kontokorrentkredites gehabt. Das Kreditinstitut sei schon im vorvertraglichen Raum zur Aufklärung ihrer Kunden verpflichtet; diese Pflichten könnten auch durch Schweigen verletzt werden. Der so verursachte Irrtum sei Geschäftsirrtum. Das Kreditinstitut dürfe vor allem rechtlich unerfahrenen Kunden gegenüber keine Vertragsgestaltung wählen, die den Kunden über das Ausmaß seiner Verpflichtungen im unklaren lasse und damit zu Irrtümern Anlaß gebe. Der klagenden Partei falle deshalb die Veranlassung eines Geschäftsirrtums zur Last. Der Irrtum sei wesentlich, weil die Beklagte die Bürgschaft bei Kenntnis des vollen Ausmaßes ihrer Verpflichtungen "sicher nicht" übernommen hätte.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen, vervollständigte diese aber nach Verhandlungsergänzung wie folgt:

Punkt 3. der Bürgschaftserklärung laute:

"Meine Haftung wird durch die Ziehung und Anerkennung des Saldos eines Kontokorrents nicht eingeschränkt oder aufgehoben und bleibt in voller Höhe bis zur Beendigung der Geschäftsverbindung gemäß Punkt 1 mit dem Hauptschuldner bzw. bis zur völligen Bezahlung Ihrer Forderung und Ansprüche bestehen. Sie erlischt auch nicht durch vorübergehende Rückzahlung des Kredites bei Fortbestand des Kontokorrentverhältnisses."

Bei Unterfertigung der Bürgschaftserklärung habe die Beklagte lediglich Karenzgeld bis Jänner 1985 bezogen. Zuvor habe sie nach Absolvierung der Pflichtschule und einer Berufsausbildung als Koch und Kellner vier Saisonen hindurch als Köchin und eine Saison lang als Kellnerin gearbeitet. Der Kreditvertrag und die Bürgschaftserklärung habe sie vor Unterfertigung nicht gelesen. Sie habe damals nicht gewußt, daß man einen Kontokorrentkredit immer wieder ausnützen könne. Es könne nicht festgestellt werden, daß die Beklagte die Bürgschaftserklärung nicht unterfertigt hätte, wäre ihr bewußt gewesen, daß der Kredit wiederholt ausgenützt werden könne. Die Beklagte habe jdoch gewußt, daß von der klagenden Partei sowohl für die Hausinstandsetzung als auch für die Landwirtschaft Geld leihweise zur Verfügung gestellt werden sollte und die Bürgschaft die Übernahme einer Haftung bedeute; auch das Ausmaß von S 300.000,-- sei ihr bekannt gewesen.

In Erledigung der Rechtsrüge führte das Gericht zweiter Instanz aus, § 864 a ABGB treffe nur Nebenbestimmungen und nicht auch solche, mit welchen die Hauptpflichten der Parteien festgelegt werden. Eine amtswegige Anwendung des § 864 a ABGB käme - wenn überhaupt - nur dann in Frage, wenn eine Klausel objektiv ungewöhnlich wäre. Davon könne aber hier keine Rede sein. Die Bürgschaftserklärung, in der vom Kontokorrent überhaupt nicht gesprochen werde, verweise auf den von der Beklagten gleichfalls unterfertigten Kreditvertrag. Dort würden der Kontokorrentkredit und ein Rahmen von S 300.000,-- schon in der Einleitung erwähnt. Es handle sich dabei um einen weitverbreiteten und durchaus üblichen Kreditvertragstyp. Von objektiver oder gar auf der Hand liegender Ungewöhnlichkeit könne daher keine Rede sein.

Die Irrtumseinrede der Beklagten scheitere schon an den Feststellungen. Es sei nicht erwiesen, daß sie die Bürgschaftserklärung nicht auch dann unterfertigt hätte, wäre ihr bewußt gewesen, daß ein Kontokorrentkredit wiederholt ausgenützt werden könne. Der ihr oblegene Beweis der Wesentlichkeit des Irrtums sei ihr somit mißlungen. Im übrigen habe die klagende Partei den Irrtum der Beklagten auch nicht veranlaßt.

§ 31 a KSchG sei auf die vorliegenden Verträge noch nicht anwendbar. Ganz allgemein befasse sich die Rechtsprechung im wesentlichen mit der Pflicht des Kreditinstitutes zur Aufklärung des Bürgen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Hauptschuldners. In SZ 58/69 habe der Oberste Gerichtshof allerdings ausgesprochen, die Kreditunternehmung dürfe vor allem bei geschäftlich unerfahrenen Kunden keine Vertragsgestaltung wählen, die durch Hervorhebung eines Teils der Verpflichtungen des Kreditnehmers das gesamte Ausmaß unklar lasse und damit zu Irrtümern Anlaß gebe. Selbst wenn die klagende Partei zur Aufklärung der Beklagten über die Möglichkeit zur wiederholten Ausnützung des Kredites verpflichtet gewesen sein sollte, sei für die Beklagte nichts zu gewinnen, weil genau dieses aus Punkt 3. der Bürgschaftserklärung ausreichend deutlich hervorgehe; nur bei vollständiger Vertragsbeendigung sei eine weitere Ausnützung unmöglich. Werde auch die Irrtumsanfechtung durch die Unterfertigung der Urkunden, ohne sie vorher gelesen zu haben, nicht ausgeschlossen, so scheide angesichts dieser Klausel eine Verletzung von Aufklärungspflichten durch die klagende Partei doch aus: Daß diese die Beklagte veranlaßt habe, die Urkunden zu unterschreiben, ohne sie vorher gelesen zu haben, sei gar nicht behauptet worden.

Die Beklagte behaupte auch die Nichtigkeit der Bürgschaft aus den Gründen des § 879 Abs. 2 Z 4 und Abs. 3 ABGB. Wucher setze auffallendes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung voraus, die Bürgschaft sei aber ein einseitig verpflichtender Vertrag. Der Gläubiger habe keine Gegenleistung zu erbringen, ihn träfen nur Nebenpflichten. Wucher komme bei der Bürgschaft daher nicht in Betracht. Als gröblich benachteiligende Bestimmung im Sinn des § 879 Abs. 3 ABGB könnte, auch wenn das Vorbringen hiezu dürftig sei, allenfalls die Bestimmung beurteilt werden, die Bürgschaftsverpflichtung werde durch wiederholte Ausnützung des dem Hauptschuldner gewährten Kredites nicht beschränkt. Mangels dispositivrechtlicher Maßstäbe käme es aber auch hier auf das auffallende Mißverhältnis der beiderseitigen Leistungen an. Die Bürgschaftserklärung weiche aber auch von den gesetzlichen Bestimmungen nicht ab: Gemäß § 1357 ABGB hafte der Bürge und Zahler im Zweifel für die gesamte Schuld. Der Kontokorrentkredit werde vom Gesetz nicht näher geregelt. Die Bürgschaftserklärung weise auch selbst bereits auf die Möglichkeit der wiederholten Kreditausnützung hin. Da der revolvierende Kontokorrentkredit zudem die zweckmäßige Form des Betriebsmittelkredites sei, sei die Vertragsbestimmung auch nicht ungerechtfertigt. Sittenwidrigkeit könne auch nicht daraus abgeleitet werden, daß die klagende Partei trotz ihres Exekutionstitels gegen den Kreditnehmer und dessen Vater bisher noch keine Eintreibungsversuche unternommen habe. Schon § 1357 ABGB stelle es dem Gläubiger anheim, zuerst den Hauptschuldner oder den Bürgen zu belangen. Es liege daher auch in seinem Ermessen, ob er von einem schon vorhandenen Titel Gebrauch mache. Schikane läge nur vor, wenn die Schädigungsabsicht einziger Grund der Rechtsausübung wäre; solches habe die Beklagte aber nicht einmal behauptet.

Der Höhe nach habe die Beklagte den S 300.000,-- übersteigenden Betrag bestritten, bei dem es sich nach dem Vorbringen der klagenden Partei um kapitalisierte Vertrags- und Überziehungszinsen handle. Die Bürgschaft sei nicht mit einem bestimmten Höchstbetrag begrenzt worden. Nur dann würde der Bürge aber nicht für Nebengebühren haften, die diesen Betrag überstiegen. Die klagende Partei habe hiezu behauptet, daß sich die Beklagte für sämtliche kreditvertraglichen Ansprüche verbürgt habe. Zu den Nebenverbindlichkeiten, auf die sich die Bürgschaft erstrecke, zählten insbesondere alle mit den Forderungen und Ansprüchen zusammenhängenden Zinsen, Zinseszinsen, Provisionen, Gebühren, Auslagen und Kosten. Der Hauptschuldner habe sich zur Zahlung von 8,25 % Sollzinsen zuzüglich 1,5 % Umsatzprovision bei vierteljährlicher Kapitalisierung sowie 4,5 % Überziehungszinsen verpflichtet. Da der geltend gemachte Zinsfuß nicht höher liege als diese Zinssätze, sei nur noch zu prüfen, ob die Verpflichtung der Beklagten durch § 1353 zweiter Satz ABGB beschränkt werde. Diese Regel gelte auch für den Bürgen und Zahler. Maßgeblicher Zeitpunkt sei die Geltendmachung des Anspruches gegen den Bürgen. Diese Bestimmung verhalte den Gläubiger, aufgelaufene Vertragszinsen möglichst bald geltend zu machen, um ein übermäßiges Anwachsen der Bürgschaftsverpflichtung zu verhindern. Da aber nicht Verzugszinsen geltend gemacht würden, für die der Bürge nicht einstehen müsse, komme es darauf an, ob die Vertragszinsen einschließlich der mitvereinbarten Überziehungszinsen von der Bürgschaft ausdrücklich umfaßt seien; in diesem Fall wäre auch die genannte Auslegungsregel nicht anwendbar. Da sich die Zahlungsverpflichtung, für die sich die Beklagte verbürgt habe, auch Zinsen und Zinseszinsen umfasse, müsse dies bejaht werden, sodaß die Beklagte auch zur Zahlung der aufgelaufenen Vertragszinsen verpflichtet sei.

Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

In der Rechtsrüge kommt die Beklagte nur mehr auf die Irrtumseinrede und auf die vom Gericht zweiter Instanz verneinte Anwendbarkeit des § 864 a ABGB zurück. Soweit sie noch in ihrer Revision auf die Berechtigung ihrer Irrtumseinrede beharrt, übergeht sie die vom Berufungsgericht

getroffene - negative - Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, daß die Beklagte die Bürgschaftserklärung nicht auch unterfertigt hätte, wäre ihr bewußt gewesen, daß der Kredit wiederholt ausgenützt werden könne. Der ihr oblegene Beweis, daß sie die Bürgschaftserklärung nicht oder wenigstens nicht mit dem vorliegenden Inhalt unterzeichnet hätte, wäre ihr das Wesen des revolvierenden Kontokorrentkredits geläufig gewesen, ihr Irrtum sei demnach wesentlich (§ 871 ABGB) oder doch wenigstens erheblich (§ 872 ABGB) gewesen, ist damit mißlungen, sodaß ihrer Irrtumseinrede schon deshalb kein Erfolg beschieden sein kann. Aus denselben Erwägungen muß auch auf die behauptete Verletzung der Kreditunternehmung obliegender Aufklärungspflichten durch die klagende Partei nicht eingegangen werden, leitet die Beklagte doch auch daraus nur ab, die klagende Partei habe hiedurch ihren Irrtum (mit-)veranlaßt. Schadenersatzansprüche wegen Verletzung dieser vorvertraglichen Nebenpflichten hat die Beklagte aber weder zur Aufrechnung eingewendet noch auf andere Weise geltend gemacht.

So wie schon in der Berufung stellt sich die Beklagte auch in der Revision auf den Standpunkt, entgegen der Ansicht der Vorinstanzen sei der "revolvierende Charakter des Kreditverhältnisses" gemäß § 864 a ABGB nicht Bestandteil der von ihr unterfertigten Bürgschaftserklärung geworden, weil in dieser von einem Kontokorrentkreditverhältnis keine Rede sei und sie von der klagenden Partei nicht über dessen Wesen aufgeklärt worden bzw. deshalb der Überzeugung gewesen sei, daß die Bürgschaft bei Zahlungen in Höhe des vereinbarten Rahmenbetrages jedenfalls erlöschen werde.

Soweit das Gericht zweiter Instanz die Auffassung vertritt, § 864 a ABGB wolle keineswegs Bestimmungen über die Hauptpflichten der Vertragsteile treffen, kann ihm in dieser Allgemeinheit allerdings nicht gefolgt werden: Die Geltungskontrolle ist nicht allein auf Nebenabreden beschränkt, sondern umfaßt auch Vertragsbestimmungen über die Begründung, Umgestaltung oder Erweiterung von Hauptpflichten (vgl. etwa die Entscheidung EvBl. 1989/149, in welcher die Geltung von vorformulierten Vertragsbestimmungen über die Ausdehnung der Bürgschaft auf weitere Kreditverbindlichkeiten geprüft wurde; vgl. auch Rummel in Rummel, ABGB2 § 864 a Rz 5; so auch Ulmer, AGB-Gesetz6 § 3 Rz 14 mwN aus der deutschen Rechtsprechung bei vergleichbarer Rechtslage).

Der Beklagten blieb es auch nicht verwehrt, sich erst im Rechtsmittelverfahren ausdrücklich auf § 864 a ABGB zu berufen, auch wenn sie die darin verankerte Geltungskontrolle in erster Instanz nicht ausdrücklich ins Treffen geführt hatte, weil sie die Geltungskontrolle in diesem Verfahrensabschnitt wenigstens der Sache nach geltend gemacht hatte.

Dennoch hat das Gericht zweiter Instanz die Haftung der Beklagten für die Kreditverbindlichkeit im geltend gemachten Ausmaß bejaht. Wohl hat der Mitarbeiter der klagenden Partei, mit dem der Vater des Kreditnehmers den Kredit und die Bürgschaft ausgehandelt hatte, die an sich in Kreditbelangen unerfahrene Beklagte über das Wesen des revolvierenden Kontokorrentkredits bei den Vertragsverhandlungen bzw. vor deren Unterschriftsleistung mündlich nicht aufgeklärt, die von ihr ungelesen unterfertigte Bürgschaftserklärung weist aber entgegen den Revisionsausführungen in ihrem Punkt 3. auf das durch die Bürgschaft zu sichernde Kontokorrentkreditverhältnis nicht nur ausdrücklich hin, sondern klärt den Bürgen auch über das Wesen einer solchen Bürgschaft dahin auf, daß diese bei vorübergehender Rückzahlung des Kredites nicht erlischt, sofern das Kontokorrentkreditverhältnis fortbesteht. Die Urkunde weist auch an besonders auffälliger Stelle auf den Kreditvertrag hin, den die Beklagte im gleichen Zug wie die Bürgschaftserklärung unterfertigte und der selbst wieder an nicht zu übersehender Stelle ausdrücklich als Kontokorrentkredit mit bestimmtem Höchstbetrag zum Wohnungsausbau und als Betriebsmittelkredit für die Landwirtschaft und Realitätenvermittlung bezeichnet ist.

Als im Sinne des § 864 a ABGB objektiv ungewöhnlich ist eine Vertragsbestimmung dann zu beurteilen, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, sodaß er nach den Umständen mit ihr vernünftigerweise nicht rechnen muß; einer solchen Vertragsbestimmung muß somit ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt innewohnen (EvBl. 1989/149; SZ 60/52). Von einem solchen Überraschungseffekt kann aber gerade im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, weil der als Betriebsmittelkredit gewidmete Kontokorrentkredit - wie schon erwähnt - typischerweise wiederholt ausnützbar sein soll und die von der Beklagten geforderte Bürgschaft den gesamten Kredit sichern sollte. Bei der Möglichkeit, den Kredit im Rahmen von Rückzahlungen wieder auszunützen (also dessen revolvierenden Charakter), und der Erstreckung der Bürgenhaftung auf den jeweiligen Saldo handelt es sich demnach um für diese Arten von Rechtsgeschäften typische Vertragsbestimmungen, gegen welche selbst ein gänzlich unerfahrener Vertragspartner nicht ins Treffen führen kann, er sei von ihnen überrascht worden (vgl. Rummel aaO), insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von dem der Entscheidung EvBl. 1989/149 zugrundeliegenden Sachverhalt. Daß die Beklagte aber die Urkunden vor der Unterschrift nicht las, fällt ihr selbst zur Last, zumal sie nicht einmal behauptet hat, sie sei in der klagenden Partei in zurechenbarer Weise davon abgehalten worden. Die von der beklagten Partei bekämpften Vertragsbestimmungen (deren Bürgenhaftung auch für neuerlich in Anspruch genommene Kreditbeträge) hält somit der im § 864 a ABGB verankerten Geltungskontrolle stand.

Der Revision, die darüber hinausgehende Ausführungen nicht enthält, ist deshalb ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Für die Revisionsbeantwortung einer Partei, auf deren Seite ein von einem anderen Rechtsanwalt vertretener Nebenintervenient beigetreten ist, gebührt kein Streitgenossenzuschlag (7 Ob 791/81 ua).

Anmerkung

E25911

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0010OB00520.91.0320.000

Dokumentnummer

JJT_19910320_OGH0002_0010OB00520_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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