TE OGH 1991/3/20 1Ob521/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.03.1991
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Sandra H*****, geboren am 15. November 1974, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch den zum Unterhaltssachwalter bestellten Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 9. Jänner 1991, GZ R 710/90-62, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 18. Oktober 1990, GZ 1 P 51/77-57, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden (ersatzlos) aufgehoben.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern ist seit 5. September 1980 geschieden. Die Obsorge ist der Mutter übertragen, Unterhaltssachwalter ist der Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten. Der Vater, der zuletzt als Fabriksarbeiter in St. Pölten monatlich etwa

S 11.000,-- verdient hatte, kehrte 1982 in seine Heimat in Tunesien zurück.

Mit Beschluß vom 31. Oktober 1985 erhöhte das Erstgericht die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters vom 1. August 1985 an von S 1.450,-- auf S 2.700,--. Diese Unterhaltsbeiträge werden bevorschußt; zuletzt wurden die Vorschüsse bis 31. August 1993 weitergewährt.

Mit Beschluß vom 18. Oktober 1990 setzte das Erstgericht die monatlichen Unterhaltsvorschüsse vom 1. August 1990 an auf monatlich S 2.000,-- herab, weil die Minderjährige eine monatliche Lehrlingsentschädigung von S 2.425,-- beziehe.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Es stellte fest, das Lehrverhältnis der Minderjährigen mit einem Friseur sei vom Dienstgeber zum 11. Dezember 1990 gekündigt worden. Die Minderjährige wolle nun eine Lehre als technische Zeichnerin beginnen. Für die Fahrten zum und vom Arbeitsplatz habe sie monatlich rund S 1.000,-- aufwenden müssen. Für das Mittagessen habe sie täglich S 70,-- bis S 80,-- ausgegeben. An Trinkgeldern habe sie wöchentlich rund S 400,-- bis S 500,-- erhalten. Sie bewohne mit ihrer derzeit nicht berufstätigen Mutter eine 36 m2 große Wohnung, der Mietzins betrage monatlich S 1.320,-- zuzüglich der Betriebskosten.

Rechtlich meinte das Gericht zweiter Instanz, Lehrlingsentschädigungen seien nach seiner ständigen Rechtsprechung eigene Einkünfte im Sinne des § 140 Abs 3 ABGB. Erziele der Unterhaltsberechtigte ein Einkommen, mit dem er seine Bedürfnisse entsprechend der Bedarfsgruppe, der er nach Abschluß seiner Berufsausbildung zuzurechnen sei, befriedigen könne, müsse er im allgemeinen als selbsterhaltungsfähig angesehen werden. Grundsätzlich sei das Kind selbsterhaltungsfähig, wenn es über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge. Nach der Rechtsprechung des Rekursgerichtes sei jedoch von dieser "Selbsterhaltungsfähigkeit im allgemeinen Sinne zu unterscheiden, inwieweit ein unterhaltsberechtigter Minderjähriger für die Unterhaltsbemessung als selbsterhaltungsfähig anzusehen" sei, "wobei dann über diesen objektiven Rahmen hinaus auch noch die Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen und des unterhaltsberechtigten Kindes zu berücksichtigen" seien. Zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse müßten die finanziellen Verhältnisse der Elternteile getrennt mit jenen des Unterhaltsberechtigten verglichen werden. Dem Unterhaltsberechtigten könne demgemäß dem minderbemittelten Elternteil gegenüber nach seinem Einkommen zufolge ein Untehaltsanspruch verwehrt sein, wogegen ihn der andere Elternteil allenfalls noch weiter (ergänzend) zu alimentieren habe. Bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen sei die Selbsterhaltungsfähigkeit des Berechtigten anzunehmen, wenn er den statistisch errechneten Durchschnittsbedarf seiner Altersgruppe erreicht oder gar überschritten habe. Zur Vermeidung aufwendiger Prüfung des individuellen Bedarfes hege das Rekursgericht begründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG nur dann, wenn Eigeneinkommen und Unterhaltsvorschuß zusammen den Durchschnittsbedarf um mehr als S 1.000,-- überschreiten. Bei der Festsetzung der sozialversicherungsrechtlichen Richtsätze sei der Gesetzgeber von der Überlegung ausgegangen, daß damit der Mindestlebensunterhalt eines Pensionisten gesichert werden könne, stelle also auf eine allein lebende Person ab, die die Kosten der Wohnung und der Haushaltsführung zur Gänze tragen müsse. Dementsprechend betrage der Richtsatz für Ehepaare nicht das Doppelte des Richtsatzes für alleinstehende Personen, sondern habe sich - in der zweiten Jahreshälfte 1990 - bloß auf S 7.984,-- belaufen. Diese Differenzierung sei sinngemäß auf die Unterhaltsbemessung, insbesondere die Prüfung der Selbsterhaltungsfähigkeit eines Lehrlings, zu übertragen: Lebe dieser allein, so daß er zur Gänze für die Kosten seiner Wohnung aufzukommen habe, sei eine Orientierung an den ASVG-Richtsätzen für Alleinstehende gerechtfertigt; anders lägen die Dinge, wenn er mit anderen Personen zusammenlebe. Die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit nach denselben Kriterien liefe auf eine Bevorzugung des etwa im Haushalt eines Elternteiles lebenden Kindes hinaus. Die Minderjährige lebe mit ihrer Mutter im gemeinsamen Haushalt, so daß die mit dessen Führung verbundenen Kosten auf zwei Personen aufzuteilen seien. Bei der Prüfung der "Selbsterhaltungsfähigkeit im unterhaltsrechtlichen Sinn" seien die Lebensverhältnisse des unterhaltspflichtigen Elternteiles zu berücksichtigen. Beim Vater könnten keinesfalls überdurchschnittliche Lebensverhältnisse angenommen werden, so daß die Unterhaltsleistungen an die Minderjährige begrenzt seien bzw endeten, wenn eine angemessene Relation der Lebensverhältnisse beider Teile gegeben sei. Die Minderjährige habe neben ihrer Lehrlingsentschädigung von monatlich S 2.425,-- wöchentliche Trinkgelder von S 400,-- bis S 500,-- und damit ein Eigeneinkommen von rund S 4.500,-- bezogen. Durch die Fahrtkosten und die Verpflegung außer Haus seien ihr allerdings nicht zur Gänze im Durchschnittsbedarf gedeckte Ausgaben erwachsen. Da ihr aus Einkommen und Unterhaltsvorschuß von S 2.000,-- knapp S 6.500,-- monatlich zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zur Verfügung gestanden seien, müßten bei einem S 2.000,-- übersteigenden Unterhaltsbetrag begründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG angenommen werden.

Der dagegen namens der Minderjährigen vom Unterhaltssachwalter ergriffene Revisionsrekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht hat die monatlichen Vorschüsse von S 2.700,-- auf S 2.000,-- herabgesetzt, weil die Minderjährige eine Lehrlingsentschädigung von monatlich S 2.425,-- erhalte. Gemäß § 19 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 Z 2 UVG hat das Gericht die Vorschüsse auf Antrag oder von Amts wegen herabzusetzen, wenn das Kind eigene Einkünfte bezieht, ohne daß es deshalb zur gänzlichen Versagung der Vorschüsse käme. Die Herabsetzung der Vorschüsse setzt demnach - anders als deren Erhöhung - nicht notwendig voraus, daß vorher schon der Unterhaltsbeitrag herabgesetzt wurde (RV, 5 BlgNR 14.GP., 18); Voraussetzung ist indessen, daß - wie im vorliegenden Falle - der Unterhaltsbeitrag wegen der eigenen Einkünfte des Kindes herabzusetzen wäre.

Gemäß § 140 Abs. 3 ABGB mindert sich der Unterhaltsanspruch insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Was dem Kind als Natural- oder Geldleistung welcher Art immer aufgrund eines Anspruches zukommt, ist nach dieser gesetzlichen Bestimmung bei der Unterhaltsbemessung bzw. bei der Beurteilung, ob das Kind bereits selbsterhaltungsfähig ist, zu berücksichtigen.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, es bestehe kein gesetzliches Verbot, die Lehrlingsentschädigung auf den Unterhalt anzurechnen; diese Entschädigung falle unter die nach § 140 Abs. 3 ABGB zu berücksichtigenden Einkünfte des Kindes; sie sei, soweit sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht zu bleiben habe, eigenes Einkommen des Kindes (1 Ob 668/90; 1 Ob 594/90;

3 Ob 579/90; 3 Ob 547/90; Pichler in Rummel, ABGB2 § 140 Rz 11a;

Schlemmer/Schwimann, ABGB § 140 Rz 104). Davon abzugehen, besteht kein Anlaß.

Infolge eigenen Einkommens des Kindes verringert sich dessen konkreter Bedarf (Pichler aaO Rz 11). Daher wird sein Unterhaltsanspruch auf den Betrag gemindert, der bei Bedachtnahme auf die eigenen Einkünfte des Kindes zum Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit fehlt. Damit stellt sich - auch im vorliegenden Falle - die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes anzunehmen ist.

Selbsterhaltungsfähig ist der sonst Unterhaltsberechtigte, wenn er die zur Bestreitung seiner Bedürfnisse nötigen Mittel selbst erwirbt oder doch bei zumutbarer Beschäftigung erwerben könnte, wenn er also zur Bestreitung seiner angemessenen Bedürfnisse auch außerhalb des elterlichen Haushalts imstande ist oder wäre (1 Ob 594/90; 3 Ob 547/90; 10 Ob S 19/90; Pichler aaO Rz 12). Für jene - keineswegs seltenen - Fälle, in welchen der geschuldete Unterhaltsbeitrag mit Rücksicht auf das Einkommen des Unterhaltspflichtigen oder dessen Sorgepflichten verhältnismäßig gering ist, kann die Mindestpensionshöhe im Sinne des § 293 Abs. 1 lit a alinea bb ASVG (zur fraglichen Zeit S 5.574,--) als Richtschnur für die Beurteilung, ob Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen ist, dienen (3 Ob 547/90; 1 Ob 594/90 uva).

Das Rekursgericht will nun zwischen Unterhaltsberechtigten, die allein wohnen, und solchen, die im Haushalt anderer Personen, namentlich des anderen Elternteils, leben, differenzieren: Nur die ersteren würden gleich allein lebenden Pensionisten von den Kosten der Haushaltsführung voll getroffen, so daß es gerechtfertigt erscheine, ihren Bedarf an den sozialversicherungsrechtlichen Richtsätzen zu messen; letztere seien indessen mit diesen Kosten nur anteilsmäßig belastet, so daß ihnen bloß der Durchschnittsbedarf zugebilligt werden dürfe. Die vom Gericht zweiter Instanz vertretene Auffassung, die Selbsterhaltungsfähigkeit Minderjähriger am Durchschnittsbedarf zu messen, hat der erkennende Senat bereits in der Entscheidung vom 11. Juli 1990, 1 Ob 627/90, grundsätzlich abgelehnt. Auch die vom Rekursgericht nach Art der Haushaltsführung des Unterhaltsberechtigten gehandhabte Differenzierung hat außer Betracht zu bleiben, weil die Selbsterhaltungsfähigkeit des Minderjährigen ganz allgemein nur dann angenommen werden darf, wenn er zur Bestreitung seiner angemessenen Bedürfnisse auch außerhalb des elterlichen Haushaltes imstande ist. Dann dürfen aber weder die weiterlaufenden Unterhaltsleistungen des einen Elternteils in Gestalt der häuslichen Betreuung noch darf sonst eine Teilung der fixen Haushaltskosten vorausgesetzt werden, um sodann zugunsten des Geldunterhaltspflichtigen Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes anzunehmen: Für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit muß es belanglos sein, ob das Kind im Familienverband lebt oder nicht (Schlemmer/Schwimann aaO Rz 101).

Berücksichtigt man neben der Lehrlingsentschädigung der Minderjährigen (monatlich S 2.425,-- ) die Trinkgelder (wöchentlich S 400,-- bis S 500,-- ) als weiteres Einkommen, andererseits den erhöhten Aufwand durch die berufsbedingten Fahrt- und erhöhten Verpflegskosten (monatlich rund S 2.000,--), so lassen sich eigene, bei der Unterhaltsbemessung zu berüchsichtigende monatliche Einkünfte der Minderjährigen von rund S 2.500,-- errechnen, die auch zusammen mit den bisher gewährten Unterhaltsvorschüssen (von monatlich S 2.700,--) die Mindestpensionshöhe von S 5.574,-- (bis 31. Jänner 1990) auch nicht annähernd erreichen.

Es bestand daher für die Vorinstanzen kein Anlaß zur Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse, so daß deren Beschlüsse ersatzlos aufzuheben waren.

Anmerkung

E25609

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0010OB00521.91.0320.000

Dokumentnummer

JJT_19910320_OGH0002_0010OB00521_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten