TE OGH 1991/3/21 6Ob516/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.03.1991
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manuela S*****, vertreten durch Dr. H*****, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Ing. Harald S*****, vertreten durch Dr. W***** und Dr. P*****, Rechtsanwälte in Graz, wegen Ehescheidung, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgerichtes vom 19. Dezember 1990, GZ 2 R 464/90-16, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 3. August 1990, GZ 32 C 59/90a-6 abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.207,90 (darin S 377,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung sowie die mit S 4.077,-- (darin S 679,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Am 15. Mai 1990 gab die Klägerin beim Erstgericht eine auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage zu Protokoll. Das Erstgericht ordnete die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung für den 11. Juni 1990 an und stellte Klage samt Ladung dem Beklagten am 25. Mai 1990 zu.

Am 5. Juni 1990 erklärte die Klägerin gegenüber dem Erstgericht beim Amtstag im Beisein ihres Ehegatten zu Protokoll, ihre Scheidungsklage unter Anspruchsverzicht zurückzuziehen. Dieses Protokoll wurde nach seinem unbestritten gebliebenen Inhalt von einem Rechtspraktikanten unter Anleitung des Richters aufgenommen. Beide Ehegatten gaben weiters beim Erstgericht einen Antrag auf Scheidung ihrer Ehe gemäß § 55 a EheG zu 32 Sch 30/90 zu Protokoll. In der über diesen Scheidungsantrag durchgeführten Tagsatzung vom 11. Juni 1990 erklärte die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin (dort Zweitantragstellerin), den Antrag auf Scheidung gemäß § 55 a EheG zurückzuziehen.

Am 12. Juni 1990 überreichte die Klägerin beim Erstgericht einen Schriftsatz, in welchem sie ihre Klagsrückziehung unter Anspruchsverzicht widerrief und den Antrag stellte, die Klagsrückziehung vom 5. Juni 1990 nicht zur Kenntnis zu nehmen und das (auf § 49 EheG gestützte) Scheidungsverfahren fortzusetzen, allenfalls das durch den Scheidungsantrag gemäß § 55 a EheG unterbrochene Verfahren zufolge Rückziehung des Scheidungsantrages wieder aufzunehmen. Zur Begründung dieser Anträge brachte die Klägerin im wesentlichen vor, zur Klagsrückziehung unter Anspruchsverzicht sei es nur deshalb gekommen, weil ihr von dem den Antrag aufnehmenden Rechtspraktikanten die unrichtige Rechtsauskunft erteilt worden sei, die Klagsrückziehung unter Anspruchsverzicht sei Voraussetzung für einen Scheidungsantrag nach § 55 a EheG. Diese unrichtige Rechtsbelehrung komme überdies einem Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 ZPO gleich, weshalb innerhalb der Frist des § 534 ZPO ein Widerruf der erklärten Klagerückziehung möglich und zulässig sei.

Der Beklagte wandte in einer vom Erstgericht über den Antrag durchgeführten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung, in welcher beide Parteien die Richtigkeit des tatsächlichen Vorbringens der Klägerin bestätigten, die Unzulässigkeit des Widerrufes ein.

Das Erstgericht wies den Widerruf der Klagsrückziehung ab und den Antrag auf Wiederaufnahme des Scheidungsverfahrens zurück. Rechtlich führte es aus, die Rücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht sei eine unwiderrufliche Prozeßhandlung, die nicht mehr einseitig widerrufen, abgeändert oder ergänzt werden könne. Voraussetzung einer Wiederaufnahmsklage sei eine die Sache erledigende Entscheidung. Durch die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht vor Verhandlung in der Sache selbst sei eine Sachentscheidung über das zurückgenommene Klagebegehren nicht mehr möglich; eine solche Entscheidung würde vielmehr eine Nichtigkeit begründen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge, behob den Beschluß des Erstgerichtes, trug diesem die Fortsetzung des Verfahrens über die Ehescheidungsklage auf und sprach aus, daß der Revisionsrekurs zulässig sei.

Rechtlich sei die Klagsrückziehung eine Prozeßhandlung des Klägers, die den Rechtsstreit beende. Einem Beschluß des Gerichtes, mit dem die Beendigung des Verfahrens infolge Rückziehung der Klage festgestellt werde, komme nur deklarative Wirkung zu. Als Prozeßhandlung sei die Klagsrückziehung ausschließlich nach prozessualen Grundsätzen zu beurteilen und könne mit den Mitteln des materiellen Rechtes nicht angefochten werden. Nach Ansicht des Rekursgerichtes stelle die der unvertretenen Klägerin erteilte unrichtige Rechtsbelehrung, welche sie zur Rücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht veranlaßt habe, einen gravierenden Mangel dar, der die Wirksamkeit der Erklärung der Klägerin in Frage stellen müsse. Es gehe nicht an, die Folgen der eindeutig dem Gericht zuzuordnenden Fehlleistung einer falschen Rechtsbelehrung der Klägerin anzulasten und ihr auf diese Weise den Rechtsschutz zu versagen. Es müsse ihr daher die Möglichkeit des Widerrufes ihrer Prozeßerklärung zugebilligt werden. Da eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Widerrufes einer Klagsrückziehung infolge unrichtiger Rechtsbelehrung des Gerichtes dem Rekursgericht nicht bekannt sei und die Entscheidung eine erhebliche Frage des Prozeßrechtes betreffe, sei der Revisionsrekurs zuzulassen.

Der Revisionsrekurs des Beklagten ist zulässig, weil eine erhebliche Frage des Prozeßrechtes vorliegt; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre beendet die Zurücknahme der Klage den Rechtsstreit ipso facto. Ein Beschluß des Gerichtes, mit dem die Beendigung des Verfahrens infolge Klagsrücknahme festgestellt wird (ein solcher Beschluß wurde im vorliegenden Verfahren nicht gefaßt), kann zwar mit Rekurs angefochten werden, hat aber nur deklarative Bedeutung. Zum Eintritt der Wirkungen des § 237 Abs 3 ZPO bedarf es weder eines konstitutiven Beschlusses noch des Eintrittes der Rechtskraft eines deklarativen Beschlusses (EvBl. 1978/103; JBl. 1967, 269 = EvBl. 1967/160; Fasching Komm III 149 und Lehrbuch2 Rz 1244).

Die prozessuale Gültigkeit der Klagsrücknahme kann nur nach den Regeln des Prozeßrechtes beurteilt werden. Ihre prozessuale Wirksamkeit ist nur nach den für Prozeßhandlungen geltenden Vorschriften bekämpfbar; eine selbständige Anfechtung nach privatrechtlichen Vorschriften wegen Irrtums, List, Zwanges, eines gesetzlichen Verbotes oder wegen Sittenwidrigkeit ist ausgeschlossen (Fasching Lehrbuch2 Rz 1244; EvBl. 1956/197; SZ 23/237 ua). Gerade einen solchen privatrechtlichen Anfechtungsgrund, einen vom Gericht durch falsche Rechtsbelehrung veranlaßten Irrtum der Klägerin, hat aber das Rekursgericht für beachtlich angesehen. Dafür bietet das Prozeßrecht keinen Raum.

Selbst wenn man der Ansicht Faschings in Lehrbuch2 Rz 1244 und 764 folgte, daß ein Widerruf von gesetzlich unwiderruflichen Prozeßhandlungen bei Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes gemäß § 530 ZPO innerhalb der Frist des § 534 ZPO möglich sein müsse, wäre für die Klägerin nichts gewonnen, weil der vorliegende Sachverhalt keinem der Wiederaufnahmsgründe des § 530 ZPO zu unterstellen ist.

Da eine Fortsetzung des durch die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht beendeten Verfahrens nicht mehr möglich ist, war spruchgemäß zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E25466

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0060OB00516.91.0321.000

Dokumentnummer

JJT_19910321_OGH0002_0060OB00516_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten