TE OGH 1991/3/21 8Ob515/91

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Veröffentlicht am 21.03.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Floßmann und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Elisabeth F***** (geboren 5. März 1982) und Brigitte F***** (geboren 22. April 1983) infolge Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft G***** als Jugendwohlfahrtsträger gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 16. Oktober 1990, GZ 5 R 279/90-41, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 25. Juni 1990, GZ P 108/88-37, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die mj. Elisabeth und Brigitte F***** sind eheliche Kinder von Josef und Margaretha F*****. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Mödling vom 13. 2. 1985 wurde für die genannten Minderjährigen die gerichtliche Erziehungshilfe durch Unterbringung in einem Kleinkinderheim gemäß § 26 Abs.3 JWG 1954 angeordnet. Über Antrag des Bezirksjugendamtes für den 21. Wiener Gemeindebezirk genehmigte das Bezirksgericht Mödling die Unterbringung der Minderjährigen bei den Pflegeeltern Brigitte und Walter S*****, im Rahmen der aufrechten gerichtlichen Erziehungshilfe.

Am 19. 9. 1989 beantragten die Pflegeeltern Brigitte und Walter S*****, im Interesse des Kindeswohles den leiblichen Eltern die Obsorge zu entziehen und sie ihnen zu übertragen. Sie führten aus, es gäbe Schwierigkeiten, da der leibliche Vater ungerechtfertigt seine Zustimmung zu einer notwendigen Operation der mj. Elisabeth verweigere. Er habe auch die Zustimmung zur Ausstellung eines Reisepasses und zur Herausgabe der Dokumente der beiden Mädchen verweigert. Zwischen den Pflegeeltern und den Pflegekindern bestehe eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung. Die Pflegeeltern hätten die Absicht, die Kinder nicht nur vorübergehend in ihrer Pflege zu behalten. Die leiblichen Eltern sprachen sich gegen diesen Antrag aus. Über Aufforderung des Gerichtes führte die Bezirkshauptmannschaft G***** Erhebungen durch und gab eine Stellungnahme zum Antrag der Pflegeeltern ab. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 25. 6. 1990 wurde die Obsorge hinsichtlich der beiden Minderjährigen den Eltern entzogen und an die Pflegeeltern Walter und Brigitte S***** übertragen. Das Erstgericht traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Die Minderjährigen Elisabeth und Brigitte F***** leben seit November 1984 nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern. Die Eltern-Kind-Bindung ist dadurch schwer gestört. Seit 11. 5. 1988 leben die Minderjährigen bei den Pflegeeltern, von denen sie bestens versorgt werden. Zwischen den Pflegeeltern und den Kindern wurde eine enge Beziehung aufgebaut, die Kinder fühlen sich bei den Pflegeeltern geborgen. Eine Rückführung der Minderjährigen zu ihren leiblichen Eltern und die Unterbringung bei diesen stelle eine Gefährdung des Wohles der Minderjährigen dar.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß gemäß § 186 a ABGB das Gericht den Pflegeeltern auf ihren Antrag die Obsorge zu übertragen habe, wenn eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung bestehe, das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt sei und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspreche. Diese Voraussetzungen seien gegeben, da ohne Übertragung der Obsorge das Wohl der Minderjährigen durch die Möglichkeit der leiblichen Eltern, die Kinder zu sich zurückzuholen, und auch durch die Verweigerung der Zustimmung zu erforderlichen Maßnahmen gefährdet sei.

Aufgrund eines Rekurses der Eltern wies das Rekursgericht den Antrag der Pflegeeltern, ihnen die Obsorge hinsichtlich der Minderjährigen Elisabeth und Brigitte F***** zu übertragen, ab; es sprach aus, daß der Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht wies darauf hin, daß hinsichtlich der Minderjährigen Elisabeth und Brigitte F***** seit dem Beschluß des Bezirksgerichtes Mödling vom 13. 2. 1985 gerichtliche Erziehungshilfe gemäß § 26 JWG 1954 bestehe. Gemäß Art VI § 9 KindRÄG gelte die gerichtliche Anordnung einer Erziehungsmaßnahme nach dem bisherigen Jugendwohlfahrtsrecht, soferne das Kind dadurch gänzlich aus seiner bisherigen Umgebung entfernt worden sei, als Verfügung nach dem § 176 a ABGB. Diese Bestimmung ordne an, daß bei Gefährdung des Kindeswohls und deshalb erforderlicher Entfernung aus seiner bisherigen Umgebung gegen den Willen des Erziehungsberechtigten die Obsorge für das Kind dem Jugendwohlfahrtsträger ganz oder teilweise zu übertragen sei; der Jugendwohlfahrtsträger dürfe die Ausübung der Obsorge Dritten übertragen. In allen Fällen bestehender gerichtlicher Erziehungshilfe im Sinne des JWG 1954 sei der Jugendwohlfahrtsträger nunmehr Obsorgeberechtigter von in Heimen oder auch bei Pflegefamilien untergebrachter Minderjähriger. Die Entziehung der Pflege und Erziehung oder der Verwaltung des Vermögens des Kindes schließe die Entziehung der gesetzlichen Vertretung in dem jeweiligen Bereich mit sich ein. Der Antrag der Pflegeeltern, den leiblichen Eltern die Obsorge zu entziehen und sie ihnen zu übertragen, sei verfehlt, da die Obsorge den leiblichen Eltern gar nicht mehr zukomme. Es wäre wohl möglich, vom Jugendwohlfahrtsträger die Ermächtigung zur teilweisen oder gänzlichen Ausübung der Obsorge im Sinne des § 186 ABGB zu begehren, später könnten die Pflegeeltern auch unmittelbare Rechte und Pflichten nach § 186 a ABGB erlangen. In einem solchen Fall wäre jedoch sehr sorgfältig zu prüfen, ob ohne Übertragung der Obsorge das Wohl des Kindes gefährdet wäre, dies in Anbetracht des Jugendwohlfahrtsträgers als Obsorgeberechtigten.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs des Jugendwohlfahrtsträgers als Träger der Obsorge über die beiden Minderjährigen mit dem Antrag, den zweitinstanzlichen Beschluß zu beheben und entweder in der Sache selbst zu entscheiden oder das Rekursgericht unter Vorgabe der Rechtsansicht mit der neuerlichen Prüfung und Entscheidung zu beauftragen.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst wird Nichtigkeit nach § 477 Abs.1 Z 4 ZPO mit der Begründung geltend gemacht, daß der Beschluß des Erstgerichtes dem Jugendamt G***** nicht zugestellt worden sei. Das Jugendamt sei erstmals durch die Zustellung des Beschlusses des Rekursgerichtes über den Verfahrensausgang informiert worden.

Gemäß § 15 AußStrG kann in einem Revisionsrekurs Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nicht geltend gemacht werden. Sie liegt im übrigen auch gar nicht vor, weil die Bezirkshauptmannschaft G***** vom Antrag der Pflegeeltern ohnedies verständigt würde und dazu auch eine Stellungnahme abgegeben hat. Richtig ist aber, daß der Beschluß des Erstgerichtes dem Jugendamt nicht zugestellt wurde. Dies bewirkt aber keine Nichtigkeit des Rekursverfahrens. Der Jugendwohlfahrtsträger war dem einseitigen und rein schriftlichen Verfahren über den Rekurs der Eltern nicht beizuziehen, sodaß eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs, die auch im außerstreitigen Verfahren eine Nichtigkeit begründet (EFSlg. 37.151 uva), nicht vorliegt.

Weiters wird im Rekurs darauf hingewiesen, daß die Pflegeeltern die Kinder bereits seit 1988 in Pflege und Erziehung haben. Da eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung bestehe, könnten die Pflegeeltern einen Antrag nach § 186 a ABGB stellen. Der Umstand, daß der Antrag nicht formal auf diese Gesetzesstelle bezogen worden sei, könne nicht schaden. Aber auch bei einer Vorgangsweise nach § 176 a ABGB hätte das Rekursgericht anders entscheiden müssen. Nach der Rechtslage des JWG 1954 hätten Eltern, über deren Kinder gerichtliche Erziehungshilfe angeordnet wurde, die gesetzliche Vertretung nicht verloren. Da niemand durch eine Rechtsänderung schlechter gestellt werden dürfe als vorher, könne höchstens die Obsorge hinsichtlich Pflege und Erziehung auf den Jugendwohlfahrtsträger übergegangen sein. Es wäre unrecht, wenn die Eltern, die bis 30. 6. 1989 die gesetzliche Vertretung innehatten, plötzlich am 1. 7. 1989 über keine Rechte mehr verfügten. Es sei daher auch der Entzug der gesetzlichen Vertretung von den leiblichen Eltern zu prüfen.

Bei der Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ist davon auszugehen, daß mit Beschluß des Bezirksgerichtes Mödling vom 13. 2. 1985 gerichtliche Erziehungshilfe gemäß § 26 JWG 1954 durch Unterbringung der Kinder in einem Kleinkinderheim angeordnet wurde. In der Folge wurde im Rahmen der aufrechten gerichtlichen Erziehungshilfe die Unterbringung der Minderjährigen bei den Pflegeeltern pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Da die Kinder gänzlich aus ihrer bisherigen Umgebung entfernt worden sind, gilt diese gerichtliche Anordnung als Verfügung nach § 176 a ABGB (Art. VI § 9 KindRÄG). Die vor dem 1. 7. 1989 gerichtlich angeordneten Erziehungsmaßnahmen nach dem früheren JWG gelten ab diesem Zeitpunkt als die entsprechende Verfügung im Sinne der §§ 176 oder 176 a (Schwimann/Schwimann, ABGB I, § 176 a Rz 1). Gemäß § 176 a ABGB hat das Gericht, wenn eine Unterbringung bei Verwandten oder anderen geeigneten nahestehenden Personen nicht möglich ist, die Obsorge für das Kind dem Jugendwohlfahrtsträger ganz oder teilweise zu übertragen. Der Jugendwohlfahrtsträger darf die Ausübung der Obsorge Dritten übertragen. Die gänzliche Entfernung der Kinder aus ihrer bisherigen Umgebung und die Unterbringung bei Pflegeeltern im Rahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe gilt als Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger, wobei die Ausübung der Obsorge wiederum an Dritte übertragen ist (Art. VI § 9 KindRÄG). Zutreffend ist daher das Rekursgericht davon ausgegangen, daß die Obsorge jedenfalls für Pflege und Erziehung und damit auch die gesetzliche Vertretung in diesem Rahmen (H. Pichler, JBl. 1989, 678) auf den Jugendwohlfahrtsträger übergegangen ist. Da die Kinder aber bei Pflegeeltern untergebracht wurden, liegt eine Übertragung der Ausübung durch Begründung eines Pflegeverhältnisses (§ 186 ABGB) vor (Pichler in Rummel2, Rz 10 zu §§ 176 bis 176 b).

Gemäß § 186 a ABGB können die Pflegeeltern unter bestimmten Voraussetzungen verlangen, daß ihnen die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise übertragen wird. Ein derartiger Antrag liegt hier vor. Haben aber die Eltern - wie im vorliegenden Fall - die Obsorge gehabt und stimmen sie der Übertragung nicht zu, so darf diese nur verfügt werden, wenn ohne sie das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das relative Vetorecht kann nur übergangen werden, wenn anders die Gefahr für das Kindeswohl bestünde (Pichler in Rummel2, Rz 2 zu § 186 a). Behauptungen dahingehend, daß ohne übertragung der Obsorge vom Jugendwohlfahrtsträger an die Pflegeeltern das Wohl der Kinder gefährdet wäre, wurden aber nicht aufgestellt, auch aus den Feststellungen ergeben sich dafür keine Anhaltspunkte.

Das Rekursgericht hat daher zu Recht den Antrag der Pflegeeltern auf Übertragung der Obsorge abgewiesen.

Anmerkung

E26284

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00515.91.0321.000

Dokumentnummer

JJT_19910321_OGH0002_0080OB00515_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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