Index
E000 EU- Recht allgemein;Norm
11997E234 EG Art234;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde des F L in W, vertreten durch Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt in Wien 13, Maxingstraße 22-24/4/9, gegen den Bescheid der Datenschutzkommission vom 11. März 2005, Zl. K120.969/0002- DSK/2005, betreffend Ansprüche nach dem Datenschutzgesetz 2000, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, als er das Protokollbuch betrifft. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Gegen den Beschwerdeführer wurde vom Gendarmerieposten B (in der Folge kurz: GP) wegen des Verdachtes, strafbare Handlungen gemäß § 209 StGB begangen zu haben, Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien erstattet, die letztlich zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung gemäß § 209 StGB führte. In der Folge sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem in der Beschwerde genannten, dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Erkenntnis aus, dass durch diese Verurteilung Art. 14 iVm Art. 8 EMRK verletzt worden sei (Anmerkung: aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wird diese Entscheidung des EGMR nicht näher mit Aktenzahl und Datum bezeichnet).
Soweit für dieses Beschwerdeverfahren erheblich, begehrte der Beschwerdeführer mit dem an das Landesgendarmeriekommando für Niederösterreich (kurz: LGK) gerichteten Antrag vom 5. April 2004 sämtliche zu seiner Person im Zusammenhang mit diesem Verdacht, strafbare Handlungen begangen zu haben, verarbeitete Daten, insbesondere im Protokollbuch, in der Indexkartei und in den entsprechenden Erhebungsdaten zu löschen und ihn hievon zu verständigen. Das LGK erwiderte mit Schreiben vom 14. Juli 2004, die verarbeiteten personenbezogenen Daten des Beschwerdeführers im Protokoll, in der Indexkartei und in den entsprechenden Erhebungsdaten seien dem "inneren Dienst" der Bundesgendarmerie zuzurechnen, womit Auftraggeber das LGK sei. Bei der Indexkartei des GP handle es sich um eine Hilfskartei im Sinne des § 13 SPG zur Vollziehung des Kanzleiwesens im lokalen Bereich des GP gemäß der Kanzleiordnung für die österreichische Bundesgendarmerie (KO; Erlass des BMI vom 7. August 1980 mit einer näher bezeichneten Zahl). Die Verbuchung von Geschäftsstücken habe gemäß § 13 KO im Protokollbuch zu erfolgen. Zur leichteren Auffindung der Geschäftsstücke seien diese gemäß § 14 KO in einer alphabetisch geordneten Indexkartei zu verbuchen. Aus diesen Indexkarteiblättern habe bei Namensakten der Familien- und Vorname, allenfalls das Geburtsdatum und die Anschrift, sowie die Geschäftszahl und der Betreff hervorzugehen. Nach den in § 36 KO angeführten Ausscheidungsfristen seien Indexkarteiblätter 20 Jahre nach der letzten Eintragung auszuscheiden. Der Zweck der Indexkartei diene ausschließlich der besseren und leichteren Auffindung von Akten und sie sei keine Vormerkkartei zur Auskunftserteilung, wodurch das schutzwürdige Interesse und der Geheimhaltungsanspruch gemäß § 1 DSG 2000 betreffend der personenbezogenen Daten des Beschwerdeführers gewährleistet sei. Dem Antrag auf Löschung sämtlicher zur Person des Beschwerdeführers im fraglichen Zusammenhang verarbeiteter Daten, insbesondere im Protokollbuch, in der Indexkartei und in den entsprechenden Erhebungsakten könne demnach nicht entsprochen werden.
Der Beschwerdeführer erhob daraufhin mit Schriftsatz vom 10. Mai 2004 Beschwerde an die belangte Behörde und beantragte,
a) die Gesetzmäßigkeit der Verweigerung der Löschung der nicht automationsunterstützt verarbeiteten Daten zu überprüfen,
b) festzustellen, dass der Beschwerdeführer durch die Verweigerung der Löschung in seinem Recht auf Löschung dieser Daten verletzt worden sei und
c) der belangten Behörde mit Bescheid die Löschung dieser Daten aufzutragen,
d) über sämtliche Begehren (lit. a bis c) bescheidmäßig abzusprechen.
Mit weiterem Schriftsatz vom 13. Mai 2004 erweiterte der Beschwerdeführer sein Begehren um zwei Eventualbegehren:
1) a) die Gesetzmäßigkeit der Nichtvornahme der Anmerkung des Außerkrafttretens des § 209 StGB und der mittlerweiligen Legalität des Verhaltens des Beschwerdeführers gemäß § 27 Abs. 3 zweiter Satz DSG 2000 zu überprüfen,
b) festzustellen, dass er durch die Nichtvornahme der Anmerkungen in seinem Recht auf diese Anmerkung verletzt worden sei und
c) dem LGK mit Bescheid diese Anmerkungen aufzutragen; hilfsweise
2) a) die Gesetzmäßigkeit der Unterlassung der Mitteilung der Richtigstellung durch Anmerkung gemäß § 27 Abs. 4 iVm Abs. 3 DSG 2000 bezüglich der konventionell verarbeiteten Daten zu überprüfen,
b) festzustellen, dass der Beschwerdeführer durch die Nichtvornahme der Mitteilung gemäß § 27 Abs. 4 iVm § 27 Abs. 3 DSG 2000 bezüglich der konventionell verarbeiteten Daten in seinem Recht auf Erhalt einer solchen Mitteilung verletzt worden sei und
c) dem LGK mit Bescheid die Mitteilung gemäß § 27 Abs. 4 iVm Abs. 3 DSG 2000 bezüglich der konventionell verarbeiteten Daten aufzutragen.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde sämtliche Begehren abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde nach zusammengefasster Darstellung des Verfahrensganges insbesondere aus, gegen den Beschwerdeführer seien in der ersten Jahreshälfte 2001 vom GP zur Grundzahl P 737/01 Vorerhebungen im Dienste der Strafjustiz wegen des Verdachtes nach dem damals noch in Geltung stehenden § 209 StGB geführt worden. Die betreffende Grundzahl sei am 14. Februar 2001 in das Protokollbuch des GP eingetragen worden. Am 23. Mai 2001 sei gegen den Beschwerdeführer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft Wien erstattet worden. Der so genannte "Kopienakt" zu den durchgeführten Vorerhebungen (das "Original" - im angefochtenen Bescheid unter Anführungszeichen - finde im Wege der Staatsanwaltschaft regelmäßig Eingang in den entsprechenden Gerichtsakt) werde weiterhin beim GP aufbewahrt.
Nach einer Darstellung des Kopienaktes heißt es weiter, beim Inhalt dieses Aktes handle es sich demnach im Wesentlichen um Fließtext, der keine äußere Ordnung aufweise, nach der die verschiedenen Arten von Daten in einer bestimmten räumlichen Verteilung auf dem oder den manuellen Datenträger(n) oder in einer bestimmten physikalischen oder logischen Struktur dargestellt seien. Darüber hinaus seien die im Kopienakt enthaltenen Daten nicht nach bestimmten Kriterien zugänglich, das heiße, es bestünden keine vereinfachten Möglichkeiten der inhaltlichen Erschließung, beispielsweise durch alphabetische oder chronologische Sortierung oder durch automatisierte Erschließungssysteme. Die einzelnen Aktenstücke hätten keine zwingende chronologische Sortierung; die Angaben, die die vernommenen Personen zu bestimmten anderen Personen gemacht hätten, könnten im Kopienakt, ohne ihn zu lesen oder zumindest durchzublättern, nicht vereinfacht erschlossen werden.
Im Protokollbuch des GP bestünden betreffend dieses Verfahrens folgende Eintragungen (im Original Spalten im Querformat (Anmerkung: eine Ablichtung dieser Eintragung befindet sich in den Verwaltungsakten)):
Grundzahl: 0737
Stelle, Datum und Geschäftszahl: ED (Anmerkung der belangten Behörde: das bedeute "eigene Dienststelle")
Gegenstand: Familienname und Vorname des Beschwerdeführers),
Verg n § 209 StGB
Erledigung: 16.2.01 Stellungsanzeige LG Wien
23.5. LG Wien angezeigt, Stat. erstellt
Anmerkung: (nicht ausgefüllte Stampiglie und Paragraphen (schwer leserlich))
Eine Eintragung (Karteikarte) in der Indexkartei des GP existiere nicht mehr.
Nach Wiedergabe verschiedener gesetzlicher Bestimmungen führte die belangte Behörde zusammenfassend aus, der Kopienakt sei weder eine automationsgestützt geführte Datenanwendung noch eine manuelle Datei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 2004, Zl. 2004/06/0086), sodass insofern kein Löschungsanspruch bestehe.
Da es auch keine entsprechende Indexkarte mehr gebe, gehe auch insofern das Löschungsbegehren des Beschwerdeführers ins Leere.
Das Protokollbuch sei eine manuelle Datei (wird näher ausgeführt). Der Zweck dieses Protokollbuches bestehe in der rein aktenmäßigen Protokollierung eines unwidersprochen stattgefundenen Verwaltungshandelns, nämlich eines Ermittlungsverfahrens, und diene somit nicht zur inhaltlichen Verwendung der Daten, sondern lediglich zur Dokumentation bzw. zur Wiederauffindung der entsprechenden Papierakte. Würde dieses Verwaltungshandeln - gerade im Bereich der Sicherheits- und der Kriminalpolizei - nicht dokumentiert, wäre es jeder zukünftigen rechtsstaatlichen Kontrolle auf seine Rechtmäßigkeit (Art. 18 B-VG) entzogen oder es würde eine solche wesentlich erschwert werden. Die Dokumentation und das Wiederauffinden eines erfolgten Verwaltungshandelns sei beispielsweise zur Gewährleistung von Schadenersatz für den Betroffenen im Falle der Rechtswidrigkeit (nach Art. 23 B-VG) oder zur Sicherung der Rechnungs- und Gebarungskontrolle (nach dem 5. Hauptstück des B-VG) erforderlich.
Diese manuelle Datei dürfe aber nur für den angeführten Dokumentationszweck benutzt werden.
Somit sei eine kanzleimäßig und damit formale Dokumentation des Verwaltungshandelns datenschutzrechtlich nicht unzulässig. Damit lägen auch nicht die Voraussetzungen zur Löschung dieser Daten vor. Das bedeute, dass jede Löschung oder Richtigstellung durch Inhaltsänderung ausscheide, allerdings eine zusätzliche richtig stellende Anmerkung möglich wäre. Eine solche könnte in Form entsprechender Ergänzungen und Tatsachen (Anmerkung des - freisprechenden wie verurteilenden - Strafurteils, der Einstellung des Verfahrens, überhaupt sonstiger Verfahrensergebnisse, bis hin zu auf das Verfahren bezogenen Urteilen supranationaler Instanzen des EGMR) erfolgen. Der Beschwerdeführer habe allerdings klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Richtigstellung etwa des Inhaltes durch eine solche Anmerkung, nicht in seinem Sinne wäre, seine Anträge lauteten vielmehr auf Löschung, in eventu auf weitere Anmerkungen, davon aber keine im Sinne einer Anmerkung des Verfahrensausgangs.
Da somit innerhalb der vom Beschwerdeführer gezogenen Grenzen seines Antrags dem Hauptbegehren auf Löschung nicht stattgegeben werden könne, sei die Beschwerde auch hinsichtlich des Protokollbuchs im Hauptpunkt abzuweisen; es bestünde kein Recht auf Löschung oder auf Feststellung, durch die nicht erfolgte Löschung in Datenschutzrechten verletzt zu sein.
Der Beschwerdeführer habe weiters mit seinem Schriftsatz vom 13. Juli 2004 Eventualanträge gestellt, diese aber erstmals an die belangte Behörde gerichtet. Zuvor sei dem LGK keine Gelegenheit geboten worden, sich mit dieser Frage auseinander zu setzen. Durch die Nichterfüllung eines (gegenüber dem LGK) nie gestellten und doch sehr individuellen Begehrens auf Richtigstellung von Daten, könne der Beschwerdeführer daher auch nicht im entsprechenden Recht verletzt worden sein. Die Datenschutzkommission erkenne gemäß § 31 Abs. 2 DSG 2000 über behauptete Verletzungen eines Betroffenen im Recht u.a. auf Richtigstellung von Daten, was bei Anmerkungen gemäß § 27 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. jedenfalls logisch voraussetze, dass der Betroffene das geltend gemachte Recht vorab beim Auftraggeber eingefordert habe, weil der Inhalt einer solchen Anmerkung von einer Erklärung des Betroffenen abhängen würde. Im Übrigen könne zur Frage, weshalb die Anträge auf Anmerkung auch in der Sache unbegründet seien, auf die Ausführungen der belangten Behörde in der Begründung einer früheren Entscheidung verwiesen werden (Hinweis auf einen Bescheid der belangten Behörde vom 14. Jänner 2005, Zl. K120.849/0001- DSK/2005, enthalten in der RIS-Datenbank der belangten Behörde).
Die entsprechenden Eventualanträge seien daher ebenfalls als unbegründet abzuweisen gewesen.
Die Eventualanträge auf "Feststellung der Rechtsverletzung durch Nichtvornahme der Mitteilung gemäß § 27 Abs. 4 iVm Abs. 3 DSG 2000 bezüglich der konventionell verarbeiteten Daten und auf Erteilung eines Auftrages zur Abgabe der entsprechenden Mitteilung" seien ebenfalls unbegründet. Der Begriff "konventionell verarbeitete Daten" sei sowohl dem DSG 2000 als auch anderen Gesetzen, wie auch der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr unbekannt. Aus zahlreichen durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers geführten Verfahren sei amtsbekannt, dass damit Daten außerhalb einer Datenanwendung oder manuellen Datei gemeint seien. § 27 Abs. 4 DSG 2000 beziehe sich aber nur auf Daten, die in einer Datenanwendung oder manuellen Datei verwendet würden. Hinsichtlich anderer - im Sinne der Diktion des Beschwerdeführers:
"konventionell verarbeiteter" - Daten bestünde keine Pflicht eines Auftraggebers, von der Ablehnung der Löschung oder Richtigstellung Mitteilung zu machen. Auch diese Eventualanträge seien daher als unbegründet abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid, inhaltlich aber nur betreffend den "Kopienakt" und das Protokollbuch, richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Löschung unzulässigerweise verarbeiteter personenbezogener Daten verletzt.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Beschwerdeführer hat einen weiteren Schriftsatz eingebracht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Soweit die Beschwerdeausführungen dahin zu verstehen sein sollten, dass sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid auch in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten als verletzt erachte, fiele dies in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes und nicht des Verwaltungsgerichtshofes; im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist daher hierauf nicht weiter einzugehen.
Im Beschwerdeverfahren ist das Datenschutzgesetz 2000, BGBl. I Nr. 165/1999 (DSG 2000), in der Fassung BGBl. I Nr. 136/2001, anzuwenden.
Gemäß § 27 Abs. 3 DSG 2000 ist eine Richtigstellung oder Löschung von Daten ausgeschlossen, soweit der Dokumentationszweck einer Datenanwendung nachträgliche Änderungen nicht zulässt (erster Satz). Die erforderlichen Richtigstellungen sind diesfalls durch entsprechende zusätzliche Anmerkungen zu bewirken (zweiter Satz).
§ 209 StGB lautete:
"Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter achtzehn
Jahren
§ 209. Eine Person männlichen Geschlechtes, die nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres mit einer Person, die das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, gleichgeschlechtliche Unzucht treibt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen."
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Juni 2002, G 6/02, VfSlg. 16.565, wurde § 209 StGB als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 28. Februar 2003 in Kraft trete und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft träten. Die Aufhebung wurde in BGBl. I Nr. 101/2002 kundgemacht.
Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 134, wurde § 209 StGB mit Ablauf des 13. August 2002 aufgehoben (zugleich wurde allerdings der Straftatbestand des "sexuellen Missbrauches von Jugendlichen" gemäß § 207b StGB geschaffen).
Der Beschwerdeführer bezieht sich in seiner Argumentation u. a. auch auf die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr vom 24. Oktober 1995, 95/46/EG (EG-Datenschutzrichtlinie).
Gemäß ihrem Artikel 3 Abs. 2 findet diese Richtlinie keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten für die Ausübung näher beschriebener Tätigkeiten, "und auf keinen Fall auf Verarbeitungen betreffend die öffentliche Sicherheit (...) und die Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich".
Im Übrigen wurde die maßgebliche Rechtslage im Erkenntnis vom 21. Oktober 2004, Zl. 2004/06/0086, näher dargestellt, worauf verwiesen werden kann.
Der Beschwerdeführer verfolgt mit seiner Beschwerde das Ziel, die Vernichtung des beim GP befindlichen "Kopienaktes" bzw. "Papieraktes" (Zweitschrift der Anzeige) sowie die Löschung (Schwärzung) der fraglichen Eintragung im Protokollbuch zu erwirken.
Wie im genannten Erkenntnis vom 21. Oktober 2004, Zl. 2004/06/0086, näher ausgeführt wurde, kommt ein solcher Löschungsanspruch nur dann in Betracht, wenn es sich beim fraglichen "Papierakt" (bzw. "Kopienakt") sowie beim Protokollbuch um eine "manuelle Datei" im Sinne des § 1 Abs. 3 bzw. des § 58 DSG 2000 handelt.
Zum "Kopienakt" hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis ausgeführt:
"Zu prüfen ist, ob es sich beim 'Papierakt' bzw. 'Kopienakt', um den es hier geht, im Sinne des § 4 Z 6 DSG 2000 um eine 'strukturierte Sammlung von Daten, die nach mindestens einem Suchkriterium zugänglich sind', handelt. Behördliche oder gerichtliche 'Akten' werden in Österreich typischerweise derart gebildet, dass die verschiedenen Geschäftsstücke, welche die Sache betreffen, entweder in einen Umschlag (Mappe, Ordner oder dergleichen) in der Regel in chronologischer Reihenfolge aufgenommen werden, oder aber auch (so etwa beispielsweise im Bereich der Bundesministerien) Geschäftsstücke nach dem Fortgang des Verfahrens jeweils in eigene Referatsbögen (mit eigenen Zahlen) eingelegt werden und daraus dann die die Sache betreffenden Aktenkonvolute gebildet werden. Zur Bestimmung des Begriffes 'strukturierte Datei' bzw. zur Umschreibung des Begriffes 'Datei' tritt der Verwaltungsgerichtshof den in der zuvor genannten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 28. Juni 2000, 6 Ob 148/00h, wiedergegebenen Erwägungen bei. Dieser hat, wie wiedergegeben, im Kern die Ansicht vertreten, dass die Struktur einer manuellen Datei als einer strukturierten Sammlung personenbezogener Daten im Sinne des § 1 Abs. 3 DSG 2000 iVm Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie dann zu bejahen ist, wenn sie - im Gegensatz zu einem Fließtext - eine äußere Ordnung aufweist, nach der die verschiedenen Arten von Daten in einer bestimmten räumlichen Verteilung auf dem oder den manuellen Datenträgern oder in einer bestimmten physikalischen oder logischen Struktur dargestellt sind. Darüber hinaus müssen die Daten nach bestimmten Kriterien zugänglich sein, d.h. es bestehen vereinfachte Möglichkeiten der inhaltlichen Erschließung, beispielsweise durch alphabetische oder chronologische Sortierung oder durch automatisierte Erschließungssysteme. Unter Datei sind daher Karteien und Listen, nicht aber Akten und Aktenkonvolute zu verstehen, wie dies auch der Erwägungsgrund 27 der Richtlinie zum Ausdruck bringt. Das Vorliegen einer manuellen Datei im Sinne des § 1 Abs. 3 DSG 2000 setzt daher voraus, dass sie sich durch den schon erwähnten bestimmten 'Organisationsgrad' der 'Akten' auszeichnen muss, um von einer Strukturierung im Sinne des DSG 2000 sprechen zu können, der aber beim vorliegenden 'Papierakt' nicht gegeben ist.
Zusammenfassend ergibt sich im Beschwerdefall, dass der fragliche 'Kopienakt' (Zweitschrift der an die Staatsanwaltschaft erstatteten Strafanzeige) betreffend den Beschwerdeführer mangels der erforderlichen Strukturierung nicht als 'manuelle Datei' im Sinne des DSG 2000 anzusehen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof tritt auch nicht der in der Beschwerde (zumindest der Tendenz nach) vertretenen Auffassung bei, der 'Kopienakt' bilde mit den korrespondierenden Geschäftsbehelfen (Protokollbuch, Indexkarte - eine solche betreffend den Beschwerdeführer gibt es im Übrigen, wie die belangte Behörde festgestellt hat, nicht oder nicht mehr) eine Art untrennbare Einheit, womit erkennbar das erforderlich Maß an Strukturierung erreicht werden soll. Abgesehen davon, dass eine solche untrennbare Einheit schon faktisch nicht gegeben ist, dienen die Geschäftsbehelfe der Auffindung des Aktes und nicht seiner inneren Strukturierung.
Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch mit dem im Erwägungsgrund 27 der Richtlinie dargelegten Schutzzweck, weil aus technischer Sicht (sieht man von entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen ab) ein Zugriff auf personenbezogene Daten, die automationsunterstützt verarbeitet sind, in der Regel leichter erfolgen kann als auf solche, die in einem 'Papierakt' (im Sinne des oben dargelegten Verständnisses) enthalten sind (weil er hiezu nicht elektronisch durchsucht, sondern grundsätzlich Seite für Seite gelesen werden muss). Um Missverständnissen vorzubeugen, ist darauf hinzuweisen, dass es im Beschwerdefall nicht um das Grundrecht auf Geheimhaltung von Daten geht (§ 1 Abs. 1 DSG 2000), sondern (im hier relevanten Zusammenhang) 'nur' um das Recht auf Löschung (siehe § 1 Abs. 3 leg. cit.)."
Der Beschwerdefall gibt keinen Anlass, von dieser Beurteilung abzugehen.
Der Beschwerdeführer beantragt zwar die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 EGV zu folgenden Fragen:
1. "Handelt es sich bei einem polizeilichen 'Papierakt' bzw. 'Kopienakt' (Zweitschrift der an die Staatsanwaltschaft erstatteten Anzeige, die auch sensible Daten enthält), der nach personenbezogenen Daten in einem Protokollbuch bzw. einer Indexkarte auffindbar und somit nach mindestens einem Kriterium zugänglich ist, um eine Datei im Sinne des Art. 2 lit. c der Datenschutzrichtlinie (RL 94/46/EG)?"
2. "Handelt es sich bei einem polizeilichen 'Papierakt' bzw. 'Kopienakt' (Zweitschrift der an die Staatsanwaltschaft erstatteten Anzeige, die auch sensible Daten enthält), der nach personenbezogenen Daten in einem Protokollbuch bzw. einer Indexkarte auffindbar und somit nach mindestens einem Kriterium zugänglich ist, um einen Teil einer Datei im Sinne des Art. 2 lit. c der Datenschutzrichtlinie (RL 94/46/EG)?"
Dem ist aber zu entgegnen, dass es sich bei diesem Akt um Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich (allenfalls betreffend die öffentliche Sicherheit) handelt, wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend hervorhebt, die von vornherein vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie (gemäß ihrem Art. 3 Abs. 2) ausgenommen sind. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher nicht veranlasst, dem Ersuchen zu entsprechen. Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem weiteren Schriftsatz vom 1. Dezember 2005 (mit Hinweisen auf Schima in Mayer, Kom. EUV, EGV, Rz 129 - 131, 134, zu Art. 234 EGV, und auch (richtig) Kucsko-Stadlmayer in Mayer, aaO, Rz 45 zu Art. 12 EGV) vermag daran nichts zu ändern. Es ist zwar richtig, dass das DSG 2000 der EG-Datenschutzrichtlinie nachgebildet ist. Ein Bereich, der ausdrücklich vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen ist, kann aber begrifflich von der Richtlinie nicht geregelt sein. In diesem Bereich kommt daher eine bindende Auslegung der Richtlinie durch den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nicht in Betracht.
Was nun die Eintragungen im Protokollbuch anlangt, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29. November 2005, Zl. 2004/06/0169, betreffend einen insofern ähnlich gelagerten Fall (aber mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Eintragungen im Protokollbuch keine unmittelbaren Hinweise auf sensible Daten enthielten) näher (auch unter Darstellung der betreffenden Bestimmungen der Kanzleiordnung für die Bundesgendarmerie) dargelegt, dass es sich bei diesem Protokollbuch um eine "manuelle Datei" handelt (auf die Ausführungen in diesem Erkenntnis kann daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen werden). Der Verwaltungsgerichtshof kam in jenem Beschwerdefall zum Ergebnis, dass der von der belangten Behörde dargelegte Dokumentationszweck (argumentiert wurde, so wie hier, mit der Notwendigkeit einer Dokumentation zur Gewährleistung von Schadenersatz für den Betroffenen im Falle von Amtshaftungsansprüchen oder auch zur Sicherung der Rechnungs- und Gebarungskontrolle nach dem 5. Hauptstück des B-VG) dem Löschungsanspruch des (damaligen) Beschwerdeführers entgegenstehe. Weiters wurde ausgeführt:
"Im Beschwerdefall ist im Übrigen mangels Indexkarte ein Auffinden des Aktes oder auch der Eintragung im Protokollbuch dann, wenn die Aktenzahl nicht bekannt sein sollte, ohnedies nur mit einigem Aufwand möglich, weil dazu entweder alle Protokollbücher in dem in Betracht kommenden Zeitraum durchgesehen werden müssen, um die Zahl zu ermitteln (und so den abgelegten Akt zu finden) oder aber der Bestand an abgelegten Akten. Das Protokoll dient allein der Auffindung des Aktes, das ist der Zweck der Anwendung. Nur für diesen Zweck wird es benötigt, nicht aber für eine weitere Verarbeitung. Dieser Dokumentationszweck lässt die begehrte Löschung nicht zu.
Auch aus dem Blickwinkel des im Datenschutz bestehenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind die den Beschwerdeführer betreffenden fraglichen Eintragungen im Protokollbuch (die im Übrigen gemäß der mit dem angefochtenen Bescheid erfolgten Anordnung der belangten Behörde durch Anmerkung des erfolgten Freispruches zu ergänzen sind) nicht so beschaffen, dass dennoch ein Löschungsanspruch zu bejahen wäre. Ob dies allenfalls anders zu beurteilen wäre, wenn das Protokollbuch unmittelbar Hinweise auf sensible Daten enthielte, kann dahingestellt bleiben, weil dies hier nicht der Fall ist."
In diesem Beschwerdefall ist der Sachverhalt aber insoweit anders gelagert, als das Protokollbuch durch den Hinweis auf die strafbare Handlung (§ 209 StGB) unmittelbar einen Hinweis auf sensible Daten enthält. Der Beschwerdeführer verweist auch nicht zu Unrecht darauf, dass § 209 StGB vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig und sodann auch vom Gesetzgeber (BGBl. I Nr. 134/2002, mit früherer Wirksamkeit) aufgehoben wurde und somit eine Strafbarkeit nach dieser Norm nicht mehr in Betracht kommt, und nicht zuletzt auch darauf, dass eben wegen dieser strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ein verurteilendes Erkenntnis des EGMR ergangen ist. Vor diesem Hintergrund ist der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung, dass bei der gegebenen Verfahrenslage aus dem Blickwinkel des zuvor schon angeführten, im Datenschutz bestehenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. § 1 Abs. 2 DSG 2000 iVm Art. 8 Abs. 2 EMRK), die Argumente, die für eine Löschung sprechen, gewichtiger erscheinen als die Gründe, auf die die belangte Behörde den von ihr angesprochenen Dokumentationszweck gestützt hat. In Betracht käme demnach die Löschung (Schwärzung) des Namens des Beschwerdeführers in dieser Eintragung im Protokollbuch, womit die Verknüpfung der Eintragung mit der Person des Beschwerdeführers unterbrochen wird. Die Löschung der gesamten Eintragung erscheint demnach nicht geboten.
Dadurch, dass die belangte Behörde die aufgezeigten Umstände verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid (insofern) mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er (insofern), also betreffend das Protokollbuch, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 19. Dezember 2005
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie Umsetzungspflicht EURallg4/2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Besondere Rechtsgebiete Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Gemeinschaftsrecht Terminologie Definition von Begriffen EURallg8 Gemeinschaftsrecht EuGH VerfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005060140.X00Im RIS seit
18.01.2006Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008