TE OGH 1991/4/23 10ObS111/91

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Veröffentlicht am 23.04.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Anton Haschka (Arbeitgeber) und Johann Sallmutter (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Jutta K*****, vertreten durch Dr. Wolfgang R. Gassner, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (Landesstelle Salzburg), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Jänner 1991, GZ 13 Rs 145/90-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 13. Juli 1990, GZ 18 Cgs 234/89-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 21.9.1989 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 5.6.1989 auf Invaliditätspension ab, weil sie nicht invalid iS des § 255 ASVG sei.

Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage richtet sich auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß vom 1.7.1989 an und stützt sich darauf, daß die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgehen könne.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Büglerin, Serviererin und Hausmeisterin tätig gewesene Klägerin durch auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete und ihr zumutbare Tätigkeiten wenigstens die Hälfte des dafür üblichen Entgeltes erwerben könne.

Das Erstgericht wies die Klage ab, weil die am 4.12.1944 geborene, in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Büglerin, Serviererin und Hausmeisterin beschäftigte Klägerin trotz ihres eingeschränkten Gesundheitszustandes noch als Trafikverkäuferin und Kassierin in Sportstätten oder in Büros für kulturelle Veranstaltungen (Theater, Kino usw) tätig sein könne und daher nicht invalid iS des § 255 Abs 2 (gemeint: 3) ASVG sei.

Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Sie könne zwar nicht mehr auf die Tätigkeit einer Trafikverkäuferin verwiesen werden, weil es sich dabei um einen Angestelltenberuf handle, wohl aber auf die Tätigkeit einer Kassierin, weshalb sie nicht invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG sei.

Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es, allenfalls auch das erstgerichtliche Urteil aufzuheben. Die Revisionswerberin vertritt die Rechtsansicht, daß ihr die Tätigkeit einer Kassierin, bei der es sich um einen Angestelltenberuf handle, unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten einer Büglerin, Serviererin und Hausmeisterin nicht zugemutet werden könne, weil sie einen höheren Bildungsgrad oder eine Umschulung voraussetzen würde, die sie nicht mehr leisten könne. Die Judikatur neige auch dazu, auch ungelernte Arbeiter in erster Linie auf artverwandte Tätigkeiten zu verweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Weil die Klägerin nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen iS der Abs 1 und 2 des § 255 ASVG tätig war, würde sie nach Abs 3 leg cit nur dann als invalid gelten, wenn sie infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande wäre, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

Lehre und Rechtsprechung legen dies einhellig dahin aus, daß das Verweisungsfeld solcher Arbeiter grundsätzlich mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt ident ist. Die im Abs 3 enthaltene Zumutbarkeitsformel soll die Verweisung auf Tätigkeiten verhindern, zu denen der Versicherte zwar imstande wäre, die ihm aber unter billiger Berücksichtigung der von ihm - nicht nur während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag - ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr zumutbar wären. Damit soll vor allem ausgeschlossen werden, daß ein Versicherter auf Tätigkeiten verwiesen wird, die einen höheren Bildungsgrad oder eine unzumutbare längere Anlernung oder Umschulung voraussetzen. Diese Zumutbarkeitsformel hindert aber die Verweisung auf Tätigkeiten, die den bisher ausgeübten unähnlich sind, nicht, sondern soll nur in Ausnahmefällen Verweisungen verhindern, die bei Berücksichtigung der schon ausgeübten Tätigkeiten als unbillig bezeichnet werden müßten (zB Schrammel, Zur Problematik der Verweisung in der Pensionsversicherung und Unfallversicherung, ZAS 1984, 83 (85); Tomandl, Grundriß des Sozialrechts4 Rz 69;

Teschner in Tomandl, SV-System 4.ErgLfg 366; Grillberger, Österreichisches Sozialrecht 67; SSV-NF 1/4; SSV-NF 2/34, 50;

SSV-NF 3/4 ua).

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates darf ein Versicherter, der während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausschließlich Angestelltentätigkeiten verrichtet hat, auch dann nicht auf Arbeitertätigkeiten verwiesen werden, wenn er solche vorher ausgeübt hat (SSV-NF 2/57), und haben Arbeitertätigkeiten bei der Prüfung der Verweisbarkeit eines Angestellten nach § 273 ASVG außer Betracht zu bleiben (SSV-NF 3/123). In SSV-NF 2/92 mußte auf die Frage, ob eine zuletzt als Angestellte, früher aber als (gelernte) Arbeiterin tätige Versicherte auf Arbeitertätigkeiten verwiesen werden darf, nicht näher eingegangen werden.

Die Frage, ob ein nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesener Versicherter nach § 255 Abs 3 ASVG auf Angestelltentätigkeiten verwiesen werden darf, wurde vom erkennenden Senat bisher noch nicht entschieden, ist jedoch zu bejahen.

Versicherte mit Berufsschutz zB iS der §§ 255 Abs 1 oder 273 ASVG dürfen nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden, durch die sie ihren Berufsschutz verlieren würden (SSV-NF 3/29, 122 und 123). Deshalb ist zB bei Angestellten nur eine Verweisung innerhalb ihrer Berufsgruppe zulässig. Weil Arbeiter, die nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig waren, keinen Berufsschutz genießen, dürfen sie nach § 255 Abs 3 ASVG auf alle auf dem (allgemeinen) Arbeitsmarkt noch

bewerteten - unselbständigen - Tätigkeiten verwiesen werden, die sie infolge ihres körperlichen und geistigen Zustandes noch ausüben können und die ihnen unter billiger Berücksichtigung der von ihnen ausgeübten Tätigkeiten zumutbar sind. Die genannte Gesetzesstelle enthält keinen Anhaltspunkt dafür, daß nur eine Verweisung auf (Hilfs)Arbeitertätigkeiten, nicht aber auch auf einfache Angestelltentätigkeiten zulässig wäre, die dem Bildungsgrad des Versicherten entsprechen und keine längere Anlernung oder Umschulung erfordern.

Daß ein bisher zur Pensionsversicherung der Arbeiter gehörender Versicherter auf Grund der Verweisungstätigkeit zur Pensionsversicherung der Angestellten gehören würde, ist wegen der großen Gemeinsamkeiten dieser beiden Arten der Pensionsversicherung selbst dann kein Verweisungshindernis, wenn er während seines gesamten Berufslebens immer nur der erstgenannten Pensionsversicherung zugehörig war (so zB auch für die diesbezüglich ähnliche Rechtslage der Bundesrepublik Deutschland: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung VI 28. Nachtrag 668dI, 668dII mit Judikatur und Literaturhinweisen).

Aus den genannten Gründen ist es nicht entscheidungswesentlich, ob die Beschäftigung in den vom Berufungsgericht genannten Verweisungsberufen die Zugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Arbeiter (§ 13 ASVG) oder zur Pensionsversicherung der Angestellten (§ 14 leg cit) begründen würde.

Selbst wenn es sich dabei um Angestelltenberufe handeln sollte, könnte die Klägerin unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten darauf verwiesen werden, weil dafür keine besonderen, insbesondere keine kaufmännischen Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, sondern es sich um geistig einfache Arbeiten handelt, die nur die Beherrschung der einfachen Rechenarten voraussetzen (berufskundliches Gutachten ON 15 S 7 AS 79; erstgerichtliches Urteil ON 19 S 6 AS 100).

Insoweit die Rechtsrüge vermeint, eine Verweisung auf die vom Berufungsgericht genannten Tätigkeiten setze einen höheren Bildungsgrad oder eine der Klägerin nicht mehr mögliche Umschulung voraus, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und ist daher nicht gesetzgemäß ausgeführt.

Weil die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß die Klägerin nicht als invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG gilt (und daher keinen Anspruch auf die begehrte Invaliditätspension hat), richtig ist, war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 1/19; SSV-NF 2/26, 27 ua).

Anmerkung

E26087

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00111.91.0423.000

Dokumentnummer

JJT_19910423_OGH0002_010OBS00111_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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