Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Anton Haschka (Arbeitgeber) und Johann Sallmutter (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F***** C*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr. Johannes Schuster, Rechtsanwalt in Gloggnitz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, wegen Hilflosenzuschuß infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. November 1990, GZ 33 Rs 190/90-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 6.Juli 1990, GZ 3 Cgs 125/90-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung
den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die rund 67 Jahre alte Klägerin bezieht von der beklagten Partei eine Pension. Sie lebt zusammen mit ihrem Ehemann in einem Bauernhaus, in dem Telefon- und Stromanschluß besteht. Kühlschrank und Tiefkühltruhe sind vorhanden. Die Küche wird mit einem Ofen mit festen Brennstoffen beheizt. Kaltwasseranschluß ist vorhanden, Warmwasseranschluß fehlt. Desgleichen fehlt ein Bad sowie ein Wasserklosett. Lediglich ein "Plumpsklo" ist vorhanden. Das Haus liegt außerhalb der Ortschaft und abseits der Straße. Das nächste Lebensmittelgeschäft ist 2 km entfernt, der Hausarzt 3 km, die nächste öffentliche Apotheke rund 3,5 km. Brennmaterial ist in einem Schuppen am Anwesen gelagert. Der Ehemann der Klägerin (der nach dem Vorbringen in der Revision am 21.12.1990 verstorben ist) war rechts oberschenkel- und links unterschenkelamputiert. Er wurde im Rollstuhl im Haus herumgeführt. Da er zur Durchführung lebenswichtiger wiederkehrender Verrichtungen dauernd der Hilfe und Wartung durch andere Personen bedarf, bezog er seit mehreren Jahren von der beklagten Partei den Hilflosenzuschuß.
Die Klägerin kann sich alleine an- und ausziehen, die oberflächliche und gründliche Körperreinigung durchführen, allein essen und sich einfache Speisen, jedoch keine kompletten Mahlzeiten zubereiten. Einheizen kann sie nicht, wohl aber nachlegen. Die Notdurft kann sie allein verrichten. Nahrungsmittel und Medikamente kann sie nicht besorgen und kann auch nicht allein zum Arzt gehen. Sie kann die Wohnung nicht gründlich, wohl aber oberflächlich reinigen. Sie kann Heizmaterial nicht besorgen, die große Wäsche nicht versorgen, wohl aber die kleine Wäsche. Komplette Mahlzeiten werden für die Klägerin von der Nachbarin gekocht.
Das Erstgericht wies das auf Gewährung des Hilflosenzuschusses gerichtete Begehren der Klägerin ab. Zu berücksichtigen sei, daß der Gatte der Klägerin den Hilflosenzuschuß beziehe und beide Ehegatten im gemeinsamen Haushalt leben. Ein gewisser Teil der notwendigen Verrichtungen, die für beide Ehegatten und damit auch für die Klägerin erforderlich wären, sei bereits durch den Hilflosenzuschuß gedeckt, den die beklagte Partei dem Ehegatten der Klägerin gewähre. Davon seien die Kosten für die gründliche Wohnungsreinigung, das Zutragen von Heizmaterial sowie das Einheizen des Ofens betroffen. Auch bezüglich des Erfordernisses, komplette Speisen zu kochen, die große Wäsche zu waschen und Nahrungsmittel einzuholen, liege eine Überschneidung vor. Die Abgeltung dieser Tätigkeiten durch den an den Gatten der Klägerin geleisteten Hilflosenzuschuß komme teilweise auch der Klägerin zugute, weil diese Kosten für sie nicht mehr in voller Höhe auflaufen. Dadurch vermindere sich der von der Klägerin selbst zu tätigende Aufwand und im Hinblick darauf könne davon ausgegangen werden, daß sie für die Dienstleistungen, die durch ihre Behinderungen bedingt seien, nicht mehr als 2.450 S monatlich aufzuwenden habe, welcher Betrag die Höhe des gesetzlichen Hilflosenzuschusses nicht erreiche.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, wobei es im wesentlichen der Begründung des Erstgerichtes beitrat. Zutreffend habe das Erstgericht den für beide Eheleute erforderlichen Aufwand berücksichtigt und dabei auch den vom Ehegatten der Klägerin bezogenen Hilflosenzuschuß in Anschlag gebracht, weil nicht außer Betracht gelassen werden könne, daß durch den dem Ehegatten der Klägerin gewährten Hilflosenzuschuß auch Aufwendungen gedeckt würden, die auch der Klägerin teilweise zugute kämen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Der Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß bei Prüfung der Voraussetzungen für den Hilflosenzuschuß zu berücksichtigen sei, daß ein Teil des Aufwandes für die Besorgung der Tätigkeiten, die die Klägerin nicht verrichten könne, durch den an ihren Gatten gewährten Hilflosenzuschuß abgegolten sei, kann nicht beigetreten werden. § 105 a ASVG normiert die Voraussetzungen, bei deren Zutreffen der Hilflosenzuschuß zu gewähren ist. Ausgehend von den von der Judikatur hiezu entwickelten Grundsätzen (SSV-NF 1/46 ua) ist zu prüfen, ob die im Hinblick auf die im Einzelfall bestehenden Einschränkungen bei Besorgung der Verrichtungen des täglichen Lebens erforderlichen Kosten fremder Hilfe die Höhe des Hilflosenzuschusses erreichen. Das auch unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden oder der nach dem Standard von nicht hilflosen Beziehern gleich hoher Einkommen im selben Lebenskreis üblicherweise zur Verfügung stehenden Hilfsmittel noch bestehende Erfordernis nach Unterstützung durch dritte Personen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens stellt den Bedarf nach Wartung und Hilfe im Sinne des Gesetzes dar. Der Hilflosenzuschuß gebührt, wenn die Hilflosigkeit das im Gesetz umschriebene Ausmaß erreicht, unabhängig davon, ob dem Pensionisten im Einzelfall ein finanzieller Aufwand in dieser Höhe tatsächlich entsteht. So hat etwa außer Betracht zu bleiben, daß die Kosten für die notwendigen Dienstleistungen nur deshalb geringer sind als der Hilflosenzuschuß, weil eine Pflegeperson für diese Dienstleistungen nichts oder weniger als üblich verlangt, wie das zum Beispiel bei nahen Angeörigen der Fall ist (SSV-NF 1/46) oder eine Person aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung (Ausgedinge), die Betreuung ohne weitere Gegenleistung durchzuführen hat (SSV-NF 2/86); auch daß ein Pensionist in einem Altersheim untergebracht ist und die Arbeiten, die sonst im eigenen Haushalt erforderlich wären, konkret gar nicht anfallen, ist für die Frage des Hilflosenzuschusses ohne Bedeutung (SSV-NF 4/73). In gleicher Weise hat auch unberücksichtigt zu bleiben, daß die Kosten der notwendigen Versorgung und Betreuung (ganz oder zum Teil) durch eine andere im Haushalt lebende Person bestritten werden, selbst wenn diese Mittel von dieser Person aus einem aus der Sozialversicherung gewährten Hilflosenzuschuß stammen, weil für die Frage des Hilflosenzuschusses nur auf die Bedürfnisse der betreffenden Person selbst und ihre Fähigkeit, die nach ihrem objektiven Lebenskreis notwendigen Verrichtungen durchzuführen bzw den Umfang der dafür erforderlichen Hilfeleistung abzustellen ist.
Ob ausgehend hievon die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses bei der Klägerin erfüllt sind, kann auf der Grundlage der vorliegenden Feststellungen nicht entschieden werden. Nach dem Sachverhalt, den die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrunde legten, kann die Klägerin wohl einfache Speisen, nicht jedoch komplette Mahlzeiten selbst zubereiten. Dies bedarf näherer Aufklärung. Die Judikatur geht davon aus, daß für eine dem allgemeinen Standard angemessene menschengerechte Lebensführung mindestens einmal täglich die Einnahme einer ordentlichen Mahlzeit erforderlich ist, deren Zubereitung nicht nur eine ganz kurze Zeitspanne in Anspruch nimmt (SSV-NF 2/86) und daß es einem Rentner oder Pensionisten nicht zumutbar sei, sich ausschließlich von aufgewärmten Speisen zu ernähren (SSV-NF 4/125 - in Druck), daß aber bei Prüfung des für die Speisenzubereitung notwendigen Aufwandes das handelsübliche Angebot an Tiefkühlkost und Fertiggerichten zu berücksichtigen sei (SSV-NF 2/126 ua). Es ist immer auf den Einzelfall abzustellen und zu beurteilen, ob die Speisen, die ein Pensionist selbst zuzubereiten in der Lage ist, für seine Versorgung als ausreichend angesehen werden können oder ausgehend von den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung für eine entsprechende Versorgung mit Nahrung Hilfe von dritter Seite erforderlich ist. Mit der Feststellung, daß die Klägerin kleine Speisen zubereiten kann, ist keine ausreichende Aussage getroffen. Es wird vielmehr zu erheben sein, welche Art von Speisen die Klägerin selbst bereiten kann bzw. für welche Speisenzubereitung sie fremder Hilfe bedarf. Die Klägerin ist weiters nach den Feststellungen nicht in der Lage, den mit festen Brennstoffen beheizten Küchenofen selbst einzuheizen. Genauer zu erheben wird weiters sein, in welchem Umfang die Klägerin imstande ist, die Wohnung selbst instandzuhalten (Aufbetten, Aufkehren etc) und welche Arbeiten die Beiziehung einer Hilfsperson erfordern. Erst wenn zu diesen Fragen detaillierte Feststellungen vorliegen, wird beurteilt werden können, ob die Voraussetzungen für die Leistung des Hilflosenzuschusses erfüllt sind.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E25844European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00112.91.0423.000Dokumentnummer
JJT_19910423_OGH0002_010OBS00112_9100000_000