TE OGH 1991/4/23 10ObS57/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.1991
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Anton Haschka (Arbeitgeber) und Johann Sallmutter (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef O*****, vertreten durch Dr.Nikolaus Topic-Matutin, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. November 1990, GZ 12 Rs 126/90-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 9.Mai 1990, GZ 20 Cgs 82/89-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Rechtsmittelkosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1.12.1988 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Nach dem Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen erlernte der am 14.7.1940 geborene Kläger den Beruf eines Wasserleitungsinstallateurs und übte ihn mit Unterbrechungen dauernd aus.

Nach dem Gutachten des orthopädischen Sachverständigen sind dem Kläger "orthopädischerseits" leichte und für die Hälfte der Arbeitszeit auch mittelschwere Arbeiten in jeder Stellung sowohl im Freien wie in geschlossenen Räumen zuzumuten. Tätigkeiten mit vorwiegend Überkopfarbeiten sind zu vermeiden. Das Heben und Tragen von Lasten bis 8 kg ist ihm ohne weiteres zumutbar, das Heben und Tragen von Lasten bis etwa 12 kg ist fallweise, etwa ein- bis zweimal stündlich, möglich.

Nach dem Gutachten des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen leidet der Kläger außer an den orthopädischen Beschwerden auch an einem reaktiven depressiven Zustandsbild. Er ist psychisch erschöpft und in seiner beruflichen Situation nicht mehr so belastbar. Er kann nur mehr leichte Arbeiten verrichten. Rasche Stellungswechsel und das Heben und Tragen von Lasten sind ihm nicht zuzumuten. Tätigkeiten mit vorwiegend Überkopfarbeiten sind zu vermeiden. Dasselbe gilt wegen seines depressiven Verstimmungszustands für Verkaufsgespräche. Die Umstellbarkeit und Umlernfähigkeit sind sehr beschränkt.

Der Kläger kann den erlernten und bisher ausgeübten Beruf nicht mehr weiter ausüben, weil dabei vor allem Hebe- und Tragebelastungen von 30 kg und mehr vorkommen und Überkopfarbeiten, ein rascher Stellungswechsel und Arbeiten in gebückter Arbeitshaltung notwendig sind. Artverwandte Berufstätigkeiten, wie etwa jene des Magazineurs in einem Installationsbetrieb, sind dem Kläger wegen der dabei auftretenden Belastung nicht mehr zuzumuten. Die Tätigkeit eines Baustellenabrechners, der im Innendienst anhand der Tages-, Wochen- und Monatszettel die Arbeitsleistungen der einzelnen Arbeitskräfte feststellt und der aufgrund des Bauvorschritts die Zwischenrechnungen erstellt und ähnliche Arbeiten verrichtet, erfordert ein konzentriertes Arbeiten und eine große Merkfähigkeit. Auch kommt es zu Hebebelastungen, weil zB wegen der Kontrolle auf dem Bau immer wieder, wenn auch relativ selten, Baumaterialien weggehoben werden müßten.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Kläger nicht berufsunfähig im Sinn des für ihn maßgebenden § 273 Abs 1 ASVG sei, weil er noch die Berufstätigkeit eines Baustellenkontrollors und Baustellenabrechners ausüben könne. Die dabei nur selten vorkommenden Hebeleistungen könne er dadurch vermeiden, daß er andere Arbeiter um Hilfe ersuche.

Das Berufungsgericht gab infolge Berufung des Klägers dem Klagebegehren statt und trug der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung von 7.000 S im Monat auf. Es stellte ergänzend folgendes fest:

Der Beruf des Magazineurs in einem Installateurbetrieb ist dem Kläger wegen der großen Hebe- und Tragebelastung nicht mehr zumutbar. Die Tätigkeit als Baustellenabrechner scheidet für ihn aus, weil sie ein konzentriertes Arbeiten erfordert und große Merkfähigkeit voraussetzt. Beim Beruf des Baustellenkontrollors ist der Baufortschritt auf den einzelnen Baustellen anhand der technischen Pläne zu kontrollieren. Es treten dabei gelegentlich Hebe- und Tragebelastungen auf, die das Kalkül des Klägers überschreiten. Außerdem muß der Baustellenkontrollor in der Lage sein, eventuelle Mißstände abzustellen und Verhandlungen mit Professionisten zu führen. Der Kläger wäre aus geistiger "Hinsicht" in der Lage, diesen Beruf auszuüben. Die Tätigkeit eines Verkäufers für Sanitärgeräte kann er hingegen nicht mehr verrichten, weil sie große Merkfähigkeit voraussetzt und dabei außerdem unzumutbare Hebe- und Tragebelastungen auftreten.

Rechtlich war das Berufungsgericht der Meinung, daß der Kläger nicht auf die Tätigkeit eines Baustellenabrechners verwiesen werden dürfe, weil es ihm an der hiefür erforderlichen Konzentrations- und Merkfähigkeit fehle. Die Tätigkeit als Baustellenkontrollor scheide wegen der erheblichen psychischen Einschränkungen aus, weil deshalb eine Kontrollfunktion, die das Abstellen von Mißständen und somit Durchsetzungsvermögen und die Möglichkeit, sich bei Auseinandersetzungen zu behaupten, erfordere, nicht mehr ausgeübt werden könne. Da auch bei den übrigen Verweisungsberufen das Leistungskalkül des Klägers klar überschritten würde, habe er Anspruch auf die Berufsunfähigkeitspension.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und "subsidiär" wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Antrag, es im Sinn der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichtes abzuändern.

Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinn eines Aufhebungsantrags, den der Abänderungsantrag einschließt (SZ 48/1; SZ 48/19 ua), berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach ausgesprochen (SSV-NF 3/2, 3/156, 4/38, 4/84 ua), daß der Anspruch eines Pensionswerbers, der trotz seiner Versicherung als Angestellter Arbeitertätigkeiten verrichtet hat, nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG zu beurteilen ist. Hier ist nach den bisher vorliegenden Verfahrensergebnissen eher anzunehmen, daß der Kläger während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend keine kaufmännischen oder höheren, nichtkaufmännische Dienste oder Kanzleiarbeiten im Sinn der §§ 1 und 2 AngG geleistet hat und daß seine Tätigkeit daher nicht gemäß § 14 ASVG die Zugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Angestellten begründete. Für den Anspruch des Klägers wäre dann aber § 255 Abs 1 ASVG maßgebend, weil er während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend in einem erlernten Beruf im Sinn dieser Gesetzesstelle tätig gewesen wäre. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren daher in erster Linie Feststellungen über den Inhalt der Tätigkeit des Klägers zu treffen haben, damit beurteilt werden kann, ob sich der Eintritt des Versicherungsfalls nach § 255 Abs 1 oder nach § 273 Abs 1 ASVG richtet.

Wäre der Anspruch des Klägers nach § 255 Abs 1 ASVG zu beurteilen, so könnte er nur auf Berufstätigkeiten verwiesen werden, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie der von ihm ausgeübte Lehrberuf des Wasserleitungsinstallateuers erfordern, wobei der Berufsschutz hiedurch nicht verloren gehen darf (SSV-NF 3/29, 3/119 ua). Ob dies auf die Tätigkeit eines Baustellenkontrollors zutrifft, kann erst gesagt werden, wenn der genaue Inhalt dieser Tätigkeit unter diesem Gesichtspunkt festgestellt ist. Die beklagte Partei weist in der Revision im übrigen mit Recht darauf hin, daß das Urteil des Berufungsgerichtes zur Frage, ob der Kläger die angeführte Tätigkeit aufgrund seines Leistungskalküls ausüben kann, einen Widerspruch enthält, weil im Rahmen der Tatsachenfeststellungen als erwiesen angenommen wurde, daß er hiezu "aus geistiger Hinsicht" imstande wäre, während im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausgeführt wird, daß die psychischen Einschränkungen, die in diesem Zusammenhang wohl dem geistigen Bereich zuzuordnen sind, der Ausübung dieser Tätigkeit entgegenstünden. Da sich diese Ausführungen auf das Gutachten des medizinischen Sachverständigen berufen und daher ebenfalls als Tatsachenfeststellung zu werten sind, liegen widersprüchliche Tatsachenfeststellungen vor; dieser Widerspruch wird im fortzusetzenden Verfahren erforderlichenfalls aufzuklären sein.

Das Erstgericht hat die Verweisung des Klägers auf die Tätigkeit eines Baustellenkontrollors für zulässig erachtet, obwohl damit Hebebelastungen verbunden sind, die sein körperliches Leistungskalkül übersteigen. Die hiefür gegebene Begründung, daß die Hebearbeiten auf Ersuchen des Klägers von anderen Arbeitskräften verrichtet werden könnten, ist aber nur dann zutreffend, wenn hiefür Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, die ihm unterstellt sind, oder wenn ein solches Ersuchen nicht ungewöhnlich wäre. Ebensowenig wie ein Versicherter auf eine Berufstätigkeit verwiesen werden darf, die er nur unter der Voraussetzung eines besonderen Entgegenkommens seines Arbeitsgebers verrichten kann (vgl SSV-NF 2/97, 3/107, 4/10 ua), ist ihm eine Berufstätigkeit zuzumuten, deren Ausübung ein unübliches Entgegenkommen von Arbeitskollegen erfordern würde. Zur Frage, ob dies bei der Tätigkeit als Baustellenkontrollor der Fall wäre, fehlen aber Feststellungen.

Schließlich ist auch auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 10 Ob S 389/90 (= JUS 1991/738) hinzuweisen, wonach für Leistungen aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit die wesentlichen Einschränkungen im körperlichen und geistigen Zustand des Versicherten und dessen Leistungskalkül nicht aus der Sicht der einzelnen medizinischen Fachgebiete, sondern für alle Fachgebiete gemeinsam festzustellen sind.

Der Ausspruch über die Rechtsmittelkosten beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E26085

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00057.91.0423.000

Dokumentnummer

JJT_19910423_OGH0002_010OBS00057_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten