TE OGH 1991/4/24 1Ob550/91

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Veröffentlicht am 24.04.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Kellner, Dr. Schiemer und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache mj. Winfried T***** infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Rudolf T*****, vertreten durch Dr. Gerhard Petrowitsch, Rechtsanwalt in Leibnitz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 28. Jänner 1991, GZ 1 R 396/90-66, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Leibnitz vom 6. August 1990, GZ P 271/84-59, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Anordnung der vorläufigen Maßnahme gemäß § 176 ABGB, dem Vater werde die Pflege und Erziehung seines mj. Sohnes für die Zeit von Montag ab Unterrichtsende bis Samstag mit dem Unterrichtsende während des Schuljahres entzogen und der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz-Jugendfürsorgereferat übertragen, ersatzlos aufgehoben wird.

Text

Begründung:

Die Mutter des Kindes beging im Jahre 1980 Selbstmord. Seither übt der Vater allein die Obsorge aus. Am 30. August 1989 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger, dem Vater Pflege und Erziehung seines Sohnes während der Schulzeit unter der Woche zwecks Unterbringung bei Dritten zu entziehen. Am 8. September 1989 teilte der Jugendwohlfahrtsträger dem Gericht mit, daß er mit 6. September 1989 wegen Gefahr im Verzug als Maßnahme der Erziehungshilfe gegen den Willen des erziehungsberechtigten Vaters die Unterbringung des Kindes auf einem Wochenpflegeplatz jeweils von Montag nach Unterrichtsende bis Samstag nach Unterrichtsende, beginnend mit 11. September 1989, verfügt habe. Der Jugendwohlfahrtsträger beantragte, daß auch das Gericht in diesem Sinne eine Verfügung treffe. Am 5. Oktober 1989 gab der Jugendwohlfahrtsträger dem Erstgericht bekannt, daß das Kind während der Woche bei der Familie M***** in S***** untergebracht sei. Am 1. Juni 1990 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger, dem Vater die Obsorge zur Gänze zu entziehen und diese an die Bezirkshauptmannschaft Leibnitz-Jugendamt zu übertragen. Dem Vater solle ein Besuchsrecht in der Weise eingeräumt werden, daß das Kind die Wochenenden und die Hälfte der Schulferien bei ihm verbringen könne.

Das Erstgericht entzog dem Vater die Pflege und Erziehung des Kindes von Montag bis Samstag während der Zeit des Schulunterrichtes und übertrug Pflege und Erziehung in diesem Ausmaß an den Jugendwohlfahrtsträger. Die Entscheidung über die weiteren Anträge behielt es sich vor. Es ging vom Einverständnis des Vaters zu der getroffenen Maßnahme aus.

Nach Rekurserhebung durch den Vater (28. August 1990) und Vorlage des Aktes an das Rekursgericht teilte der Jugendwohlfahrtsträger am 18. September 1990 dem Erstgericht mit, das Kind am 11. September 1990 wegen Gefahr im Verzug als Maßnahme der vollen Erziehung im Sinn des § 28 JWG im Landesjugendheim Rosenheim in Graz untergebracht zu haben. Der Vater sei mit dieser Maßnahme nicht einverstanden und wolle die gerichtliche Entscheidung abwarten. Davon wurde das Rekursgericht vom Erstgericht nicht in Kenntnis gesetzt.

Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Rekursgericht dem Rekurs des Vaters teilweise Folge. Es bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes als vorläufige Maßnahme gemäß § 176 ABGB insofern, als dem Vater die Pflege und Erziehung des Kindes für die Zeit von Montag ab Unterrichtsende bis Samstag mit dem Unterrichtsende während des Schuljahres entzogen und der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz-Jugendfürsorgereferat übertragen werde. Im übrigen hob es den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es nicht für zulässig. Auf Grund von Feststellungen, die erstmals vom Rekursgericht getroffen wurden, vertrat es die Ansicht, daß es für eine endgültige Entscheidung noch weiterer Erhebungen bedürfe, daß aber doch schon auf Grund des von ihm festgestellten Sachverhaltes mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sei, daß der angestrebte Zweck der vom Jugendwohlfahrtsträger verfügten Maßnahme, positiv auf die Gesamtentwicklung des Kindes einzuwirken, im Falle einer gänzlichen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zumindest weitgehend vereitelt würde. Das Rekursgericht erachtete es daher für erforderlich und geboten, dieser Gefährdung des Kindes durch Bestätigung der angefochtenen Entscheidung als vorläufige Maßnahme zu begegnen. Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters, der sich gegen den bestätigenden Teil der Rekursentscheidung richtet, ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Gericht kann zwar bis zur endgültigen Entscheidung nach § 176 ABGB vorläufige dringende Maßnahmen treffen (Pichler in Rummel2, Rz 8 zu § 176; Schlemmer/Schwimann in Schwimann, Rz 16 zu § 176). Liegt aber keine Gefahr der Verbringung des Kindes ins Ausland vor, wodurch unabänderlich eine nachteilige Erziehungssituation geschaffen würde, ist Voraussetzung für eine vorläufige gerichtliche Maßnahme, daß die Belassung des Kindes in der bisherigen Umgebung eine solche Gefährdung für das Kind mit sich bringt, daß Sofortmaßnahmen in Form einer Änderung des bestehenden Zustandes dringend geboten erscheinen (EFSlg. 58.477, 58.406; SZ 59/160). Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, weil der Jugendwohlfahrtsträger in Wahrnehmung seiner Interimskompetenz nach § 215 Abs. 1 zweiter Satz ABGB wegen Gefahr im Verzug bereits die erforderlichen Maßnahmen im Bereich der Pflege und Erziehung zuerst durch teilweise, später durch gänzliche Entfernung des Kindes aus den bisherigen Erziehungsverhältnissen vorläufig wirksam getroffen hat. Eine mit der vorläufig wirksamen Verfügung des Jugendwohlfahrtsträgers deckungsgleiche vorläufige Maßnahme des Gerichtes nach § 176 ABGB ist dann aber überflüssig. Vielmehr wäre es Sache des Gerichtes, in einem solchen Fall seine Erhebungen möglichst rasch und ohne Verzögerung durchzuführen und nach ausreichender Klärung aller maßgeblichen Umstände eine endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vom Jugendwohlfahrtsträger getroffenen Maßnahme zu treffen (vgl. SZ 59/160).

Der bestätigende Teil der Rekursentscheidung ist ersatzlos aufzuheben.

Anmerkung

E25914

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0010OB00550.91.0424.000

Dokumentnummer

JJT_19910424_OGH0002_0010OB00550_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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