Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith, Dr. Maier, Dr. Petrag und Dr. Jelinek als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. W***** G*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 13.Februar 1991, GZ 18 R 104/91-64, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 18.Jänner 1991, GZ 4 P 557/87-61, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im Umfang der abweisenden Entscheidung über die Ersatzpflicht der Mutter und des Vaters aufgehoben; die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Dem minderjährigen W***** G***** wurde mit Beschluß vom 13. Oktober 1988 ein monatlicher Unterhaltsvorschuß von 1.500 S gewährt. Wegen seiner teilweisen Selbsterhaltungsfähigkeit wurde dieser Vorschuß mit Beschluß vom 19.November 1990 für die Zeit vom 1.Jänner 1990 bis 31.August 1990 auf 1.200 S herabgesetzt und ab 1.September 1990 wegen Selbsterhaltungsfähigkeit zur Gänze eingestellt (§ 20 Abs. 1 Z 4 lit b iVm § 7 Abs. 1 Z 2 UVG). Infolge der rückwirkenden Einstellung (§ 20 Abs. 2 UVG) wurden dem Minderjährigen Vorschüsse in der Höhe von 5.400 S zu Unrecht gezahlt.
Am 4.Dezember 1990 beantragte der Präsident des Oberlandesgerichtes Linz, den minderjährigen W***** G*****, dessen gesetzlichen Vertreter und diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet (im folgenden als "Pflegeperson" bezeichnet; im vorliegenden Fall ist dies die Mutter) und den Unterhaltsschuldner nach §§ 22, 23 UVG zum Rückersatz der für die Zeit vom 1.Jänner 1990 bis 31.Oktober 1990 zu Unrecht gezahlten Vorschüsse in der Höhe von 5.400 S zu verpflichten.
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Die zu Unrecht gezahlten Unterhaltsvorschüsse seien für den Unterhalt des Minderjährigen gutgläubig verbraucht worden; das schließe nicht nur eine Rückzahlungspflicht des Kindes, sondern auch eine subsidiäre Haftung der anderen in § 22 UVG genannten Personen aus.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 22 UVG hafteten der gesetzliche Vertreter, die Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, und der Unterhaltsschuldner nur subsidiär nach dem Kind; die Haftung dieser Personen setze voraus, daß das Kind zur Rückzahlung verpflichtet ist und die zu Unrecht gewährten Vorschüsse vom Kind nicht hereingebracht werden können (RZ 1990/56). Da die dem Minderjährigen gewährten Vorschüsse für seinen Unterhalt verbraucht worden seien, fehle eine Grundvoraussetzung für die subsidiäre Haftung der Mutter und des Unterhaltsschuldners. Auf die Frage, ob die Mutter oder der Vater Mitteilungspflichten (§ 21 UVG) verletzt (und dadurch die Gewährung der Vorschüsse vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlaßt) hätten, sei daher nicht einzugehen.
Der Präsident des Oberlandesgerichtes Linz bekämpft diese Entscheidung mit außerordentlichem Revisionsrekurs, macht als Revisionsrekursgründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Ersatzpflicht der Mutter und allenfalls des Vaters ausgesprochen werde. Die Entscheidung hänge von der erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechtes ab, ob der gutgläubige Verbrauch zu Unrecht ausgezahlter Unterhaltsvorschüsse, der das Kind von der Haftung befreit, auch auf die Rückzahlungsverpflichtung der übrigen in § 22 UVG genannten Personen Einfluß hat.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist gemäß § 14 Abs. 1 AußStrG zulässig. Ein Fall des Art III und des § 3 RRAG iVm Art XLI Z 9 WGN liegt nicht vor, weil die Beschränkung des Rechtsmittelzuges durch den bisherigen § 15 Abs. 3 UVG nur für Beschlüsse gegolten hatte, mit denen über die Gewährung von Vorschüssen entschieden wurde (RZ 1981/58 uva), nicht aber für Beschlüsse über den Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse (SZ 55/24). Die Entscheidung über das Rechtsmittel hängt von der erheblichen Rechtsfrage ab, ob die nach § 22 UVG subsidiär haftenden Personen (hier: Mutter und Vater) zum Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse auch dann herangezogen werden können, wenn das Kind selbst diese Vorschüsse nicht zurückzuzahlen hat, weil sie für seinen Unterhalt verbraucht worden sind. Diese Frage wird im Schrifttum und in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und der Rekursinstanzen unterschiedlich beantwortet.
Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Gemäß § 22 Abs. 1 UVG hat das Kind Vorschüsse, die ... entgegen
einer Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse zu Unrecht
gezahlt worden sind, zurückzuzahlen, soweit sie nicht ... für den
Unterhalt des Kindes verbraucht worden sind. Soweit die zu Unrecht gewährten Vorschüsse vom Kind nicht hereingebracht werden können, haften der gesetzliche Vertreter des Kindes und diejenigen Personen, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, zur ungeteilten Hand, hilfsweise der Unterhaltsschuldner, jedoch nur derjenige, der die Gewährung der Vorschüsse durch unrichtige Angaben in der Erklärung (§ 11 Abs. 2) oder durch Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlaßt hat.
In der Regierungsvorlage (RV) zum Stammgesetz (5 BlgNR 14.GP in Strauß-Brosch Unterhaltsvorschußgesetz 91 ff) wird die primäre Rückzahlungspflicht des Kindes damit begründet, daß ihm die - zu Unrecht - ausgezahlten Beträge ja auch zugekommen sind; im Sinne der herrschenden Rechtsprechung sei das Kind allerdings von der Rückzahlung zu Unrecht erhaltener Unterhaltsleistungen insoweit befreit, als es die ausgezahlten Beträge für seinen Unterhalt verbraucht hat. Die RV verweist dazu auf die Entscheidung SZ 13/262 (mit welcher das Judikat 33 neu auf die Rückforderung irrtümlich bezahlter Unterhaltsbeiträge für anwendbar erklärt wurde) und auf die Entscheidung EvBl 1965/2 (in welcher ebenfalls ausgesprochen wurde, daß irrtümlich geleistete Unterhaltsbeträge nicht zurückgefordert werden können, wenn sie der Unterhaltsberechtigte bestimmungsgemäß verbraucht hat). Nach dem Kind haften für die zu Unrecht gewährten Vorschüsse der Vertreter des Kindes und die Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet; sie gehen dem Unterhaltsschuldner vor, weil sie die Angelegenheiten des Kindes zu besorgen haben bzw mittelbar durch die Vorschüsse einen Vorteil genießen. Da diese Person aber an sich durch die zu Unrecht ausgezahlten Beträge nicht bereichert sind, setzt ihre Ersatzpflicht ein schuldhaftes Verhalten voraus, daß für die Auszahlung der Vorschüsse ursächlich gewesen ist. Das Verschulden muß ein grobes sein, weil die Anforderungen an den gesetzlichen Vertreter und an die mit der Pflege und Erziehung betraute Person nicht überspannt werden soll. Bei dem Rückforderungsanspruch gegen das Kind nach § 22 Abs. 1 Satz 1 UVG handelt es sich im Wesen um einen Bereicherungsanspruch, bei den Ersatzansprüchen gegen den Vertreter des Kindes, die Pflegeperson und den Unterhaltsschuldner um Schadenersatzansprüche (RV aaO 91 ff).
Aus dem Wortlaut des § 22 UVG und aus der Betonung der Subsidiarität der Haftung des gesetzlichen Vertreters und der Pflegeperson in der RV hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 2.Mai 1979, 1 Ob 15/79 = SZ 52/69 = RZ 1979/60 abgeleitet, daß der gesetzliche Vertreter des Kindes (- das gleiche müßte für die "Pflegeperson" und den hilfsweise haftenden Unterhaltsschuldner gelten -) nur unter zwei (kumulativen) Voraussetzungen in Anspruch genommen werden kann: 1. Bei Bestehen einer Rückzahlungspflicht des Kindes, wenn also die zu Unrecht gezahlten Vorschüsse weder nach § 19 Abs. 1 letzter Satz UVG einbehalten werden können noch für den Unterhalt des Kindes bereits verbraucht worden sind; 2. nach Feststellung der Unmöglichkeit der Hereinbringung der zu Unrecht gewährten Vorschüsse vom Kind; eine Haftung des gesetzlichen Vertreters werde erst aktuell, wenn eine Rückzahlungspflicht des Kindes besteht. Dieser Ansicht ist der Oberste Gerichtshof auch in der von beiden Vorinstanzen zitierten Entscheidung vom 10. Jänner 1990, 3 Ob 604/89 = RZ 1990/56 gefolgt.
Der 2.Senat des Obersten Gerichtshofes hat hingegen in seiner Entscheidung vom 29.Februar 1984, 2 Ob 521/84 = EFSlg 46.545 die Ansicht vertreten, daß das Bestehen einer Ersatzpflicht des Kindes nicht Voraussetzung für die Heranziehung der subsidiär haftenden Personen sei. Der Ausspruch, daß das Kind wegen Verbrauches für den Unterhalt nicht zum Ersatz der zu Unrecht geleisteten Vorschüsse herangezogen werden könne, schließe eine Inanspruchnahme der Mutter und des gesetzlichen Vertreters, deren Haftung schadenersatzrechtlicher Natur sei, nicht aus, käme man doch andernfalls zu dem Ergebnis, daß bei Verbrauch der Vorschüsse für den Unterhalt des Kindes eine Ersatzpflicht der subsidiär haftenden Personen selbst bei vorsätzlicher Verletzung der Mitteilungspflicht nicht bestünde; eine solche Auswirkung widerspräche aber dem Zweck des § 22 Abs. 1 letzter Satz UVG. An dieser Ansicht hat der 2.Senat auch in der - nicht veröffentlichten - Entscheidung vom 31.Oktober 1989, 2 Ob 602/89 - welche allerdings in Erledigung eines außerordentlichen Revisionsrekurses im Sinn des § 16 AußStrG (aF) ergangen ist - implicite festgehalten.
Dieselbe Ansicht hat im Ergebnis auch der 3.Senat in der Entscheidung vom 16.Juni 1984, 3 Ob 548/84 = ÖA 1985, 83 vertreten: Er kam dort nämlich bei der Prüfung der Ersatzpflicht des Kindes zu dem Ergebnis, daß dieses wegen Verbrauches der Vorschüsse nicht rückzahlungspflichtig sei. Erst durch die Ablehnung des Rückersatzanspruches gegen das Kind komme es aber zur Prüfung der Frage, ob die nur subsidiär haftende Mutter zum Ersatz verpflichtet ist. Der Oberste Gerichtshof hat sodann auch diese Haftung geprüft und sie nur deshalb verneint, weil es an einer grob fahrlässigen Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 22 Abs. 1 UVG fehlte.
Auch nach der Ansicht Knolls (UVG in ÖA, Rz 8 zu § 22 UVG) hat der (gutgläubige) Verbrauch der zu Unrecht ausgezahlten Unterhaltsvorschüsse durch das Kind auf die Ersatzpflicht der übrigen Haftpflichtigen keinen Einfluß; er löse diese Ersatzpflicht vielmehr erst aus. Diese Auffassungen vertreten auch mehrere Entscheidungen zweiter Instanzen (EFSlg 39.015; 43.918; 49.176; 57.588), während andere Rekursentscheidungen den Grundsätzen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ 52/69 = RZ 1979/60 gefolgt sind (EFSlg 43.915; 46.542; anscheinend auch 49.173).
Der erkennende Senat schließt sich der vom Obersten Gerichtshof bereits in der Entscheidung vom 12.März 1991, 4 Ob 507/91, vertretenen Auffassung an:
Die am Anfang jeder Auslegung stehende wörtliche (sprachliche, grammatikalische) Auslegung, bei welcher auch die eigentümliche Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang zu unterstreichen ist, scheint zunächst für die in SZ 52/69 und RZ 1990/56 vertretene Ansicht zu sprechen, sollen doch der gesetzliche Vertreter und die "Pflegeperson" für den Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse nur insoweit haften, als diese vom Kind nicht hereingebracht werden können. "Hereinbringen" bedeutet aber nach dem ständigen Sprachgebrauch der juristischen Praxis - zB Exekution zur Hereinbringung von Geldforderungen; die Exekutionsordnung verwendet allerdings den Terminus "Exekution wegen Geldforderungen" - ebenso wie die Worte "Einbringen" oder "Einbringung" (vgl etwa § 370 EO, sowie das Bundesgesetz über die Einbringung der gerichtlichen Gebühren, Kosten und Geldstrafen = gerichtliches Einbringungsgesetz) für die Durchsetzung einer bestehenden Schuldverpflichtung. Daraus könnte der Schluß gezogen werden, daß die nach § 22 Abs. 1 UVG subsidiär Verpflichteten nur dann herangezogen werden können, wenn eine Ersatzpflicht des Kindes zwar besteht, die Leistung aber uneinbringlich ist, also nicht "hereingebracht" werden kann.
Die Gesetzesauslegung darf aber - ebenso wie die Vertragsauslegung - bei der Wortinterpretation nicht stehenbleiben. Der übliche, normale Wortsinn ist nämlich nur ein Hinweis für die Auslegung der Norm, nicht mehr; erst der äußerst mögliche Wortsinn steckt die Grenze jeglicher Auslegung ab, welche auch mit den sonstigen Interpretationsmethoden nicht überschritten werden darf (Koziol-Welser8 I 21 unter Berufung auf Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft5, 310 und Bydlinski, juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff 441; SZ 54/135 ua).
Die Wortfolge "Soweit die zu Unrecht gewährten Vorschüsse vom Kind nicht hereingebracht werden können", läßt sich nun auch dahin verstehen, daß die Hereinbringung (schon) daran scheitert, daß gegen das Kind wegen Verbrauchs der Unterhaltsvorschüsse kein Ersatzanspruch besteht; gerade dieser Fall wird ja unmittelbar vorher im ersten Satz des § 22 Abs. 1 UVG angeführt. Dafür spricht auch, daß eine subsidiäre Haftung nicht gleichzeitig auch eine bloß akzessorische Haftung sein muß, die - wie etwa die einfache Bürgschaft - das Bestehen einer Hauptschuld voraussetzt; eine subsidiäre Haftung entsteht vielmehr sehr oft auch (und gerade) dann, wenn die Voraussetzungen für die primäre Haftung eines anderen gar nicht vorliegen, so etwa in den Fällen des § 140 Abs. 2 und des § 141 ABGB. Sowohl die RV als auch der Zweck des § 22 UVG legen es nahe, die Wortfolge "Soweit die zu Unrecht gewährten Vorschüsse vom Kind nicht hereingebracht werden können" als bloße Subsidiarität zu verstehen, was durch den äußerst möglichen Wortsinn jedenfalls noch gedeckt ist. Die RV begründet die Rückzahlungspflicht des Kindes damit, daß ihm die zu Unrecht ausgezahlten Beträge zugekommen sind, und sieht in diesem Rückforderungsanspruch gegen das Kind zutreffend einen Bereicherungsanspruch; der Ersatzanspruch gegen den Vertreter des Kindes und die "Pflegeperson" ist dagegen deutlich als deliktischer Schadenersatzanspruch konzipiert (so auch SZ 57/24). Die Rückersatzansprüche gegen das Kind und gegen die subsidiär Haftenden beruhen daher auf verschiedenen Rechtsgründen; die subsidiär Haftenden erfüllen keine Verbindlichkeit des Kindes, sondern ihre eigene, auf einem anderen Rechtsgrund beruhende Verbindlichkeit. Infolge der Verschiedenheit der Rechtsgründe der Haftung wäre daher eine über die bloße Subsidiarität hinausgehende Verknüpfung der Haftung des Kindes und der sonstigen Haftenden in der Weise, daß letztere (aus anderem Rechtsgrund) nur zu haften hätten, wenn auch das Kind schuldet, zumindest ungewöhnlich; auf eine solche "akzessorische" Regelung wäre daher nur dann zu schließen, wenn sie sich aus dem Zweck des Gesetzes klar ergäbe.
Das ist aber hier nicht der Fall: Die RV sagt nach der Erörterung der Haftungsgrundlage für die Rückzahlungspflicht des Kindes nur, daß "nach dem Kind" für die zu Unrecht gewährten Vorschüsse der Vertreter des Kindes und die "Pflegeperson" haftet, und begründet die Subsidiarität der Haftung (und nur diese) richtig damit, daß diese Personen (im Normalfall der Verwendung der Vorschüsse für das Kind) durch die zu Unrecht ausgezahlten Beträge nicht bereichert sind. Die Verknüpfung der subsidiären Ersatzpflicht des gesetzlichen Vertreters und der "Pflegeperson" mit dem Bestehen einer primären Ersatzpflicht des Kindes würde den Zweck der Vorschrift, die genannten Personen wegen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung von Mitteilungspflichten (§ 21 UVG) oder wegen unrichtiger Angaben im Antrag (§ 11 UVG) für den dadurch verursachten Schaden aus der Auszahlung nicht gebührender Vorschüsse heranziehen zu können, weitgehend vereiteln.
In der Lehre (Knoll aaO Rz 4 zu § 22 UVG) und in der Rechtsprechung der Rekursinstanzen (EFSlg 39.009; 46.528; 51.987;
54.855) ist mit Recht anerkannt, daß das Kind nicht zur Haftung herangezogen werden kann, wenn ihm die zu Unrecht gewährten Vorschüsse überhaupt nicht zugekommen sind. Bestünde aber die in den Entscheidungen SZ 52/69 = RZ 1979/60 und RZ 1990/56 angenommene Akzessorietät zwischen einer primären Schuld des Kindes und einer subsidiären Haftung der übrigen im § 22 Abs. 1 UVG genannten Personen tatsächlich, dann käme man zu dem - dem Gesetzeszweck eklatant widersprechenden - Ergebnis, daß diese Personen selbst bei vorsätzlicher Verletzung ihrer Pflichten nach §§ 11 Abs. 2, 21 UVG nicht zum Ersatz herangezogen werden könnten, wenn sie die zu Unrecht bezogenen Unterhaltsvorschüsse gar nicht dem Kind zugewendet hätten.
Mit einer ähnlichen Begründung hat der 2.Senat des Obersten Gerichtshofes in der schon zitierten Entscheidung EFSlg 46.545 eine Ersatzpflicht der subsidiär haftenden Personen auch für den Fall des Verbrauches der Vorschüsse für den Unterhalt des Kindes bejaht, käme man doch sonst zu dem Ergebnis, daß diese Personen nicht einmal bei vorsätzlicher Verletzung ihrer Mitteilungspflicht (§ 21 UVG) haftbar wären. Dieses Argument ist allerdings nur dann (in vollem Umfang) stichhaltig, wenn man der mit beachtlichen Gründen vorgetragenen Ansicht (Knoll aaO Rz 4 zu § 22 UVG) folgt, daß der Gesetzgeber (trotz der Erwähnung der Entscheidungen SZ 13/262 und EvBl 1965/2 in der RV zum UVG) den Haftungsausschluß des Kindes auf den Verbrauch der Vorschüsse für seinen Unterhalt schlechthin abgestellt hat, "Redlichkeit" also nicht fordert (so etwa Rekursgerichte in EFSlg 43.903; 46.530
= RPflSlg A 1984, 81; 54.852; 54.853; 54.854; 57.587
= RPflSlg A 1988, 141; EFSlg 54.859) oder dem Kind, das im Regelfall die Unterhaltsvorschüsse überhaupt nicht in seine Hand bekommt (vgl EFSlg 46.530), zumindest die Unredlichkeit Dritter - für welche der Gesetzgeber ohnehin eine eigene Deliktshaftung normiert hat - nicht zugerechnet wissen wollte. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hat allerdings den Begriff des "Verbrauches der Vorschüsse für den Unterhalt des Kindes" bisher im Sinne eines "redlichen Verbrauches" aufgefaßt (ÖA 1986, 112; die Frage noch offenlassend ÖA 1983, 107 = JBl 1984, 486; gerade in dieser Entscheidung wurde aber dem Kind als Rechtsmißbrauch zugerechnet, daß es sich auf den Verbrauch der Vorschüsse berufen hatte, obwohl der gesetzliche Vertreter selbst die Einstellung der Vorschüsse beantragt hatte) und - im Rahmen der Beurteilung nach § 16 AußStrG (aF) - die Ansicht, daß im Fall der Unredlichkeit von einem Verbrauch für den Unterhalt des selbsterhaltungsfähigen Kindes nicht gesprochen werden könne, nicht als offenbar gesetzwidrig erkannt, womit dem Kind im Ergebnis die Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 21 UVG durch einen subsidiär Ersatzpflichtigen zugerechnet wurde (ÖA 1985, 78). Legt man diese Ansicht zugrunde, dann zieht eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der Pflichten nach § 11 Abs. 2 und § 21 UVG durch die subsidiär Ersatzpflichtigen in aller Regel ohnehin auch eine Rückzahlungspflicht des primär haftenden Kindes nach sich, weil es sich bei (qualifiziert) schuldhaftem Verhalten dieser Personen nicht auf einen "redlichen Verbrauch" für seinen Unterhalt berufen könnte.
Auf diese bisher kaum behandelte Problematik, welche über die hier zu lösende Rechtsfrage hinausgeht, braucht aber hier nicht näher eingegangen zu werden. Nach dem bisherigen Stand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß die Frage der Redlichkeit des Verbrauches in besonderen Fällen aufgrund des Verhaltens des Kindes beurteilt (vgl etwa ÖA 1986, 116 "mußte den Kindern oder ihrer gesetzlichen Vertreterin nicht ... auffallen ...") und ihm das Verhalten der "Pflegeperson" oder des gesetzlichen Vertreters nicht zugerechnet werden wird (vgl dazu allgemein Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen 262 ff). In solchen Fällen hätte aber die Berufung der subsidiär Ersatzpflichtigen auf den Verbrauch der Vorschüsse für den Unterhalt des Kindes in der Tat das unbefriedigende Ergebnis, daß sie selbst bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung ihrer Mitteilungspflicht nicht haften müßten.
Überwiegende Gründe sprechen somit für die in der Entscheidung 2 Ob 521/84 = EFSlg 46.545 vertretene Ansicht, daß der Ausspruch, das Kind könne wegen Verbrauches der Vorschüsse für den Unterhalt nicht zum Ersatz herangezogen werden, eine Heranziehung der Mutter und des gesetzlichen Vertreters nicht ausschließt. Subsidiäre Ersatzansprüche gegen den gesetzlichen Vertreter und diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet (und hilfsweise auch gegen den Unterhaltsschuldner), können vielmehr auch geltend gemacht werden, wenn das Kind zum Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse nicht verpflichtet werden kann, weil diese Vorschüsse zu seinem Unterhalt verbraucht worden sind.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher in den Grenzen des Rechtsmittelantrages, nämlich im Umfang der Beurteilung der Ersatzpflicht der Mutter und des Vaters aufzuheben; die Rechtssache ist insoweit an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Anmerkung
E25816European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0090OB00704.91.0508.000Dokumentnummer
JJT_19910508_OGH0002_0090OB00704_9100000_000