Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka (Arbeitgeber) und Claus Bauer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerhard W*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ANGESTELLTEN, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 1991, GZ 34 Rs 5/91-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 9. Oktober 1990, GZ 16 Cgs 125/90-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger zur Alterspension den Kinderzuschuß für das Kind Marian W*****, geboren am 31.12.1963, für die Zeit vom 1.7.1990 bis 30.11.1990 in der gesetzlichen Höhe von S 650,-- monatlich zu gewähren.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am ***** geborene Kläger bezieht auf Grund eines Bescheides der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 4.1.1988 ab 1.12.1987 eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Gemäß § 270 iVm § 262 ASVG wurden Kinderzuschüsse für seine beiden Kinder Marian W*****, geboren 31.12.1963, und Rene W*****, geboren 19.6.1966, in Höhe von je S 650 monatlich gewährt. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 6.7.1990 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 25.5.1990 auf Weitergewährung des Kinderzuschusses für den Sohn Marian über den 30.6.1990 hinaus ab. Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger die Weitergewährung des Kinderzuschusses bis Ende November 1990. Die Voraussetzungen für die Weitergewährung seien gegeben, weil das Studium des Sohnes durch die Erfüllung der Wehrpflicht verzögert worden sei.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Sohn des Klägers habe bis zum Sommersemester 1989 an der Universität Wien studiert und anschließend ein postgraduiertes Studium in den USA aufgenommen. Der Sohn habe den Präsenzdienst vom 30.9.1982 bis zum 29.9.1983 abgeleistet, doch sei die Kindeseigenschaft nur um sechs Monate nach Vollendung des 26. Lebensjahres, also bis zum 30.6.1990 verlängert worden, da der Grundwehrdienst nur sechs Monate dauere.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte folgenden Sachverhalt fest:
Der am 31.12.1963 geborene Sohn des Klägers, Marian W*****, studierte bis zum Sommersemester 1989 an der Universität Wien (Geschichte) und nahm anschließend ein postgraduiertes Studium in den USA auf. Vom 30.9.1982 bis zum 29.9.1983 leistete er den Präsenzdienst, wobei er sich freiwillig für insgesamt ein Jahr verpflichtet hatte.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die beklagte Partei habe den Kinderzuschuß sechs Monate über die Vollendung des 26. Lebensjahres hinaus gewährt. Dies entspreche genau der Dauer des Grundwehrdienstes. Dieser betrage nach § 28 Abs.1 WehrG sechs Monate. Nur die gesetzlich normierte Wehrpflicht, nicht aber ein freiwillig verlängerter Grundwehrdienst sei geeignet, die Kindeseigenschaft im Sinn des Gesetzes zu verlängern.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Grundwehrdienst dauere gemäß § 28 Abs.1 WehrG sechs Monate; eine Verlängerung auf acht Monate aus militärischem Interesse zufolge einer freiwilligen Meldung (§ 28 Abs.3 WehrG) liege hier nicht vor. Der angenommene sechsmonatige Grundwehrdienst hätte am 29.3.1981 (richtig offenbar 1983) geendet. Bei pflichtgemäßer Bemühung wäre noch ein erfolgreicher Abschluß des Sommersemesters 1983 möglich gewesen. Der "Verlust" von ein bis zwei Wochen zu Beginn des Semesters hätte nicht dessen Verlust zwangsläufig zur Folge gehabt, denn es sei gerichtsbekannt, daß der praktische Vorlesungsbetrieb im März erst allmählich anzulaufen beginne. Die Verlängerung des Grundwehrdienstes auf Grund freiwilliger Meldung zum Wehrdienst als Zeitsoldat (§ 32 Abs.1 WehrG) bewirke mangels Zwangsläufigkeit keine Verlängerung der Kindeseigenschaft; es sei somit kein unüberwindliches Hindernis vorgelegen, so daß das Erstgericht zu Recht eine über den 30.6.1990 hinausgehende Weitergewährung des Kinderzuschusses abgewiesen habe.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Kläger erhobene Revision ist berechtigt. Gemäß § 252 Abs.2 Z 1 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der 44.ASVGNov (Art VI Abs 13 SozRÄG 1988, BGBl 1987/609) besteht auch nach Vollendung des 18.Lebensjahres die Kindeseigenschaft weiter, wenn und so lange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitkraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26.Lebensjahres; zur Schul- oder Berufsausbildung zählt auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen und auf die Erwerbung eines akademischen Grades. Ist die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehrpflicht, der Zivildienstpflicht, durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert worden, so besteht die Kindeseigenschaft über das 26.Lebensjahr hinaus für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum. Die Kindeseigenschaft wird nur in dem Ausmaß durch die Ableistung des Wehrdienstes verlängert, als hiedurch die Schul- oder Berufsausbildung tatsächlich verzögert wurde (SSV-NF 3/59).
Unter Wehrpflicht ist der auf Grund des Wehrgesetzes 1978 (Wiederverlautbarung BGBl. 1978/150) in der hier anzuwendenden Fassung vor dem WehrRÄG 1983, BGBl. 1983/577, zu leistende Präsenzdienst zu verstehen. Gemäß § 1 Abs.1 WehrG ist jeder österreichische Staatsbürger männlichen Geschlechtes nach Maßgabe des Wehrgesetzes wehrpflichtig. Nach § 27 Abs.1 WehrG gliedert sich der Präsenzdienst in den ordentlichen und den außerordentlichen Präsenzdienst. Der ordentliche Präsenzdienst umfaßt den Grundwehrdienst und die Truppenübungen. Der Grundwehrdienst dauert sechs Monate; die Gesamtdauer aller Truppenübungen, zu denen ein Wehrpflichtiger einberufen wird, darf 60 Tage nicht überschreiten (§ 28 Abs.1 und 2 WehrG). Die Wehrpflichtigen können sich nach § 28 Abs.3 WehrG verpflichten, anstelle des Grundwehrdienstes in der Dauer von sechs Monaten einen solchen von acht Monaten zu leisten. Wehrpflichtige, die den Grundwehrdienst in der Dauer von acht Monaten geleistet haben, sind von der Verpflichtung zur Leistung von Truppenübungen nach Absatz 2 befreit (§ 28 Abs.4 WehrG). Der außerordentliche Präsenzdienst ist unter anderem als freiwillig verlängerter Grundwehrdient nach § 32 WehrG zu leisten. Danach können Wehrpflichtige auf Grund einer freiwilligen Meldung im Anschluß an den Grundwehrdienst oder nach der Entlassung aus diesem den freiwillig verlängerten Grundwehrdienst in der Dauer von mindestens drei Monaten, höchstens aber vier Jahren leisten (nach § 32 WehrG idF des WehrRÄG 1983 können Wehrpflichtige, die den Grundwehrdienst geleistet haben, auf Grund freiwilliger Meldung zum Wehrdienst als Zeitsoldat in der Dauer von mindestens drei Monaten bis zu höchstens 10 Jahren verpflichtet werden).
Ob unter Erfüllung der Wehrpflicht (§ 252 Abs.2 Z 1 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung) nur der ordentliche Präsenzdienst zu verstehen ist oder auch der außerordentliche Präsenzdienst in Form des freiwillig verlängerten Grundwehrdienstes bzw. des Wehrdienstes als Zeitsoldat und ob der Grundwehrdienst mit sechs Monaten oder auch mit acht Monaten angenommen werden kann, braucht im vorliegenden Fall jedoch nicht näher erörtert zu werden. Auszugehen ist nämlich davon, daß der Sohn des Klägers selbst bei der für den Kläger ungünstigsten Annahme eines Grundwehrdienstes von nur sechs Monaten, diesen bis Ende März 1983 hätte leisten müssen. Daß der Präsenzdienst am 30.9.1982 verspätet angetreten worden wäre, wurde von der beklagten Partei nicht eingewendet und ist daher nicht näher zu untersuchen. Auch wenn man eine fiktive Dauer der Wehrpflicht bis Ende März 1983 zugrunde legt, wäre nämlich die Schul- oder Berufsausbildung (hier das Studium der Geschichte) um die Zeit bis zum Beginn des Wintersemesters 1983/84 verzögert worden.
Gemäß § 19 Abs.1 AHStG beginnt das Studienjahr am 1.Oktober und endet am 30.September. Es besteht aus dem Wintersemester, dem Sommersemester und den Ferien. Das Wintersemester beginnt am 1. Oktober, das Sommersemester am 1.März. Im Hinblick auf die Besonderheiten des Studienbetriebes kann die Oberste akademische Behörde einer Hochschule jedoch einen anderen Beginn des Sommersemesters festlegen. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß das Sommersemester 1983 am 1.März begann. Die Fristen für die Immatrikulation (§ 6 Abs.1 AHStG) und für die Inskription (§ 10 AHStG) sind gemäß § 19 Abs.3 AHStG nach den örtlichen Verhältnissen von der zuständigen akademischen Behörde festzusetzen. Diese Fristen haben mindestens vier Wochen zu betragen.
Ausgehend von dieser Rechtslage wäre es dem Sohn des Klägers zwar möglich gewesen, vor oder auch nach der Entlassung aus dem Präsenzdienst am 29.3.1983 an der Universität zu immatrikulieren und zu inskripieren. Grundsätzlich ist es auch möglich, mit einem Studium sowohl zu Beginn eines Winter- als auch eines Sommersemesters zu beginnen. Wegen der üblichen Maturatermine vor dem Sommer beginnen allerdings, wie gerichtsbekannt ist, die meisten Studenten ihr Studium in einem Wintersemester, so daß die Fakultäten ihre Studienprogramme danach ausrichten. Wer in einem Sommersemester beginnt, muß daher damit rechnen, daß er von einer zweisemestrigen Lehrveranstaltung zuerst den zweiten Teil besuchen muß und daß er an Lehrveranstaltungen für Anfänger oft erst in seinem zweiten Semester teilnehmen kann. Nach § 2 Abs.3 der Studienordnung für die Studienrichtung Geschichte, BGBl. 1975/442, ist Ziel des ersten Studienabschnittes unter anderem die Einführung in die Methoden und in die Theorie der Geschichtswissenschaft. Mit dem Beginn des Geschichtsstudiums in einem Sommersemester sind daher zweifellos Schwierigkeiten verbunden, auf die auch das Oberlandesgericht Wien als bis zum Inkrafttreten des ASGG letzte Instanz in Leistungsstreitsachen immer wieder hingewiesen hat (SSV 12/10, 20/51, 22/89, 24/131). Es wurde betont, daß vielfach eine verständnisvolle und erfolgversprechende Mitarbeit bei Vorlesungen im Sommersemester und den hiemit verbundenen praktischen Übungen jene Kenntnisse voraussetzt, die der im Wintersemester abgehaltene Teil der Vorlesungen vermittelte. Die erstmalige Inskription im Sommersemster sei zwar grundsätzlich zulässig, werde jedoch, da der Vorlesungsplan nicht von vornherein darauf abgestellt sei, insbesondere bei naturwissenschaftlichen Studien vielfach eine dem normalen Studiengang zuwiderlaufende und das Studium erschwerende Umstellung erfordern und im Ergebnis mangels entsprechender gegenseitiger Abstimmung der Vorlesungen dazu führen, daß der Hörer Vorlesungen nicht folgen könne und daher im nächsten Wintersemester praktisch neu beginnen müsse. Eine erstmalige Inskription im Sommersemester hätte daher vielfach nur rein formelle Bedeutung, vor allem hinsichtlich der Erfüllung der Mindestzahl der erforderlichen Studiensemester.
Ob der Studienbeginn in einem Sommersemester mit Rücksicht auf § 252 Abs.2 Z 1 ASVG, in dem neben der Wehrpflicht auch von einer Verzögerung durch ein anderes unüberwindbares Hindernis die Rede ist, gefordert werden muß, kann hier dahingestellt bleiben. Dies könnte insbesondere nur im jeweiligen Einzelfall anhand der konkreten Studiengegebenheiten beurteilt werden. Im vorliegenden Fall würde aber zu der Notwendigkeit, das Studium in einem Sommersemester zu beginnen, noch dazu kommen, daß dieses nicht rechtzeitig, sondern nur mit einer Verspätung von einem Monat hätte begonnen werden können. Unter derart erschwerten Bedingungen war dem Sohn des Klägers der Beginn des Geschichtsstudiums erst im April 1983 auch im Interesse der Versichertengemeinschaft und bei einer strengen Auslegung des § 252 Abs.2 Z 1 ASVG nicht mehr zumutbar. Daraus folgt aber, daß entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes das Studium durch die Erfüllung der Wehrpflicht um wenigstens weitere fünf Monate verzögert wurde, so daß der Kinderzuschuß (§ 262 ASVG) im begehrten Umfang zu Recht gebührte.
Der Revision war daher Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn abzuändern.
Kosten des Revisionsverfahrens wurden nicht verzeichnet.
Anmerkung
E26349European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00125.91.0528.000Dokumentnummer
JJT_19910528_OGH0002_010OBS00125_9100000_000