TE OGH 1991/6/11 5Ob525/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.1991
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Klinger, Dr. Schwarz und Dr. Floßmann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Ralph S*****, geboren am 7. Mai 1987, infolge Revisionsrekurses seiner Mutter, Sylvia S*****, *****Wien, M*****gasse 37, vertreten durch Dr. Eva Wagner, Rechtsanwältin in Wr. Neustadt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Jänner 1991, GZ 43 R 42/91-74, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 7. September 1990, GZ 9 P 282/67-68, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden insoweit aufgehoben, als dem Vater des pflegebefohlenen Kindes in Punkt 2) ein erweitertes Besuchsrecht nach Ablauf des ersten Monats eingeräumt wurde, nämlich die Ausdehnung der Besuchszeit an jedem Freitag um drei Stunden von 13 Uhr bis 16 Uhr mit der Maßgabe, das Kind nicht zurück in den Kindergarten, sondern zur Mutter zu bringen. In diesem Umfang wird die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht hat dem Vater ein Besuchsrecht in folgender Form eingeräumt:

1.) Für die Dauer von einem Monat ab Beschlußfassung an jedem Freitag von 9 Uhr bis 13 Uhr;

2.) nach Ablauf des ersten Monats an jedem Freitag von 9 Uhr bis 16 Uhr, jeweils mit dem Auftrag, das Kind vom Kindergarten abzuholen und dorthin zurückzubringen;

3.) nach Ablauf des ersten Jahres an jedem zweiten Wochenende von Samstag 8 Uhr bis Sonntag 18 Uhr;

4.) ab der zweiten Volksschulklasse 3 Wochen im Sommer und 1 Woche zu Weihnachten oder in den Semesterferien.

Begründet wurde dies damit, daß der psychiatrische Sachverständige Univ. Prof. Dr. Max F***** eine derartige Besuchsregelung angeregt und die Mutter sich damit einverstanden erklärt habe. Sie entspreche dem Wohl des Kindes und sei seinem Alter angepaßt. Der Vater erweise sich nämlich als durchaus erziehungssuffizient.

Das Gericht zweiter Instanz änderte in teilweiser Stattgebung eines Rekurses der Mutter die Regelung des väterlichen Besuchsrechts dahin ab, daß der den Punkten 3) und 4) zugrundeliegende Antrag des Vaters abgewiesen und zu den im übrigen bestätigten Punkten 1) und 2) nur noch ausgesprochen wurde, der Vater habe das Kind in den Fällen einer bis 16 Uhr verlängerten Besuchszeit nicht zurück in den Kindergarten, sondern zur Mutter zu bringen. Auch dabei wurde in Erwiderung eines die Aktenwidrigkeit behauptenden Rekursarguments ausgesprochen, daß die zeitliche Ausgestaltung des Besuchsrechts dem Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. F***** folge. Gegen eine siebenstündige Besuchszeit nach einer einmonatigen Eingewöhnungsphase bestünden keine Bedenken, zumal sie auch der mit solchen Problemen vertraute Sachverständige nicht gesehen habe. Der Revisionsrekurs wurde - zwar nicht im Spruch, aber in den Gründen - für unzulässig erklärt, weil die Entscheidung auf den Einzelfall abstelle und Rechtsfragen der in § 14 Abs 1 AußerStrG angeführten Qualifikation nicht zu lösen gewesen seien.

Gegen diesen Beschluß hat die Mutter fristgerecht "Revisionsrekurs" erhoben, ohne auf das Problem der Zulässigkeit des Rechtsmittels besonders einzugehen. Ihrer Meinung nach sei auch das Rekursgericht von aktenwidrigen Entscheidungsgrundlagen ausgegangen, weil der psychiatrische Sachverständige keineswegs die Ausweitung der wöchentlichen Besuchszeit nach einer einmonatigen Eingewöhnungsphase befürwortet habe. Insoweit gehe die Entscheidung sogar über den Antrag des Vaters hinaus, der eine Regelung im Sinne des Sachverständigengutachtens angestrebt habe. Die Anfechtung richtet sich formell gegen die Bestätigung der Punkte 1) und 2) des erstgerichtlichen Beschlusses, doch zielt der Abänderungsantrag auf eine Besuchsregelung, die den Vater berechtigt, das Kind an jedem Freitag von 9 Uhr bis 13 Uhr zu sich zu nehmen, wobei er es vom Kindergarten abholen und dorthin wieder zurückbringen müsse; ein allfälliger Antrag des Vaters, der Punkt 2) des erstgerichtlichen Beschlusses entspreche, sei abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Revisionsrekurs ist zulässig, und er ist auch berechtigt. Da § 16 Abs 3 AußerStrG nur auf die Bestimmungen der §§ 508 a sowie 510 Abs 1 letzter Satz und Abs 3 ZPO verweist, nicht jedoch auf § 506 ZPO, werden im außerstreitigen Verfahren vom Revisionsrekurswerber keine besonderen Rechtsausführungen zur Zulässigkeit seines Rechtsmittels verlangt. Es genügt, wenn in den Anfechtungsgründen eine iS des § 14 Abs 1 AußerStrG erhebliche Rechtsfrage angesprochen wird (vgl Kralik, Der Zugang zum OGH im Außerstreitverfahren, JBl 1991, 290, der die mangelnde Formstrenge auf alle zulässigen Revisionsrekursgründe bezieht). Darum bietet der vorliegende Revisionsrekurs auch keinen Anlaß für ein Verbesserungsverfahren. Er erweist sich schon im Hinblick darauf als zulässig, daß fehlerhafte Schlußfolgerungen aus Beweisergebnissen und Parteierklärungen zur Annahme eines allseitigen Einverständnisses mit einer bestimmten Besuchsrechtsregelung geführt haben und deshalb eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache unterblieben ist.

Im konkreten Fall beschwert sich die Rechtsmittelwerberin gegen die Unterstellung, der psychiatrische Sachverständige habe die letztlich beschlossene Regelung des väterlichen Besuchsrechts vorgeschlagen. Tatsächlich ging seine Anregung dahin, daß sich Vater und Sohn in den nächsten 12 Monaten regelmäßig einmal in der Woche an vom Gericht festzulegenden Tagen über 4 Stunden sehen und daß die Besuchszeit nach diesem Jahr auf ein Wochenende von Samstag 8 Uhr bis Sonntag 18 Uhr alle 14 Tage ausgedehnt wird (AS 215 f). Damit war die Mutter einverstanden, nachdem auch das zuständige Jugendamt "den vom Sachverständigen vorgeschlagenen Zeitrahmen" befürwortet hatte, allerdings unter der vom Jugendamt empfohlenen Voraussetzung, daß der Vater das Kind jeweils vom Kindergarten abholt und dorthin zurückbringt (ON 61 und 64). Demnach beruht die Ausweitung der Besuchszeit von 4 auf 7 Stunden pro Woche nach einer einmonatigen Eingewöhnungsphase zwar nicht gerade auf einer aktenwidrigen Grundlage, weil die vom Sachverständigen gebrauchte Wendung, der Vater solle seinen Sohn jede Woche "über 4 Stunden sehen", bei rein wörtlicher Interpretation auch als Vorschlag einer wöchentlichen Besuchszeit von "mehr als 4 Stunden" gedeutet werden könnte; auch das Einverständnis des Jugendamtes und der Mutter auf diese Interpretation zu beziehen, läßt sich jedoch mit deren Stellungnahmen nicht vereinbaren. Beide haben den Sachverständigen offensichtlich so verstanden, daß er im ersten Jahr eine wöchentliche Besuchszeit von 4 Stunden als angemessen erachtete und mit "über" die Zeitdauer iS von "während" festlegen wollte. Anders hätte ihr Beharren auf Übergabe und Zurückstellung des Kindes im Kindergarten keinen Sinn, weil selbst bei genügend langen Öffnungszeiten bezweifelt werden müßte, ob es dem Wohl eines Kindes entspricht, an den Besuchstagen jeweils für kurze Zeit - praktisch nur zur An- und Ablieferung - den Kindergarten aufzusuchen. Zu Unrecht wurde daher vom Erstgericht die Ausdehnung der Besuchszeit nach Ablauf des ersten Monats auf ein Einverständnis der Mutter gestützt. Sie beruht - worauf die Revisionsrekurswerberin erneut hinzuweisen ist, um den Vorwurf einer Überschreitung des Begehrens zu entkräften - letztlich auf dem Antrag des Vaters (ON 65, AS 237), der das Gutachten des Sachverständigen in diesem Sinn interpretierte.

Aus dem aufgezeigten Mißverständnis resultieren Mängel der Sachverhaltsfeststellung und der rechtlichen Beurteilung, die im Zusammenhang mit dem auf § 15 Z 3 AußerStrG gestützten Anfechtungsgrund der Aktenwidrigkeit aufzugreifen sind (vgl Kralik aaO). Das Rekursgericht hat sich zwar mit dem von der Mutter aufgezeigten Problem unzulänglicher Öffnungszeiten des Kindergartens beschäftigt, das bei einer Besuchszeit von 9 Uhr bis 16 Uhr die direkte Rückgabe des Kindes an sie notwendig macht, sich jedoch in der Sache auf eine Wiederholung der auf unrichtigen Prämissen aufbauenden Entscheidungsgründe des Erstgerichtes beschränkt. Um verläßlich beurteilen zu können, ob die angefochtene Erweiterung des Besuchsrechts nach dem ersten Monat dem Wohl des Kindes entspricht - was nach ständiger Judikatur den Ausschlag zu geben hätte (EFSlg 33.478 uva, zuletzt etwa EFSlg 59.644 und 8 Ob 507/90) - werden unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens ON 58 und der Stellungnahme der Eltern in ON 64 und ON 65, die allenfalls noch erörtert werden müßten, erst die notwendigen Entscheidungsgrundlagen zu schaffen sein. Im Rahmen einer allfälligen Verfahrensergänzung könnte auch geklärt werden, wie sich die bereits rechtskräftig gewordene Besuchsrechtsregelung bewährt hat.

Aus allen diesen Gründen war wie im Spruch zu entscheiden.

Anmerkung

E27084

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0050OB00525.91.0611.000

Dokumentnummer

JJT_19910611_OGH0002_0050OB00525_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten
JUSLINE Umfrage
Welchen Beruf üben Sie aus?
Beispiele: Selbstständiger Architekt, Mitarbeiter einer Rechtsabteilung, Rechtsanwalt,...
JUSLINE Werbung