Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Peter B*****, geboren ***** 1989, *****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft St.Pölten als Unterhaltssachwalterin, infolge Revisionsrekurses der Unterhaltssachwalterin gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgericht vom 20.Feber 1991, GZ R 70/91-7, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 8.Jänner 1991, GZ 1 P 126/90-4, abgeändert wurde, den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Sache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Mit Vergleich vom 27.10.1989 verpflichtete sich der Antragsteller als außerehelicher Vater des am 5.10.1989 geborenen Minderjährigen, einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 1.500 zu zahlen. Diesem Vergleich lag ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von rund S 8.700 zuzüglich anteiliger Sonderzahlungen zugrunde. Der Vater war bis 30.9.1990 als Tischlergeselle beschäftigt; seit 1.10.1990 besucht er eine Schule für den medizinisch-technischen Fachdienst in Wien. Die Ausbildung zur medizinisch-technischen Fachkraft dauert 2 1/2 Jahre. Während dieser Schulzeit hat der Vater kein Erwerbseinkommen. Er ist für keine weiteren Personen sorgepflichtig und besitzt kein nennenswertes Vermögen.
Der Vater beantragt, den montlichen Unterhaltsbetrag ab 1.10.1990 auf monatlich S 500 herabzusetzen. Den Entschluß, die Ausbildung zur medizinisch-technischen Fachkraft zu machen, habe er bereits während des Präzenzdienstes gefaßt, bei dem er als Sanitäter eingeteilt gewesen sei. Nach Abschluß dieser Ausbildung werde er weit bessere Berufschancen haben und mehr verdienen als bisher. Schulgeld habe er keines zu zahlen, lediglich für die Lehrbehelfe müsse er aufkommen. Für die Bestreitung seines Lebensunterhaltes während der Zeit der Ausbildung habe er gespart. Zur Zahlung des festgelegten Unterhaltsbetrages während dieser Ausbildungszeit sei er jedoch nicht imstande.
Die Unterhaltssachwalterin sprach sich gegen die Bewilligung dieses Antrages aus. Einem Unterhaltspflichtigen sei es zwar nicht verwehrt, seinen Beruf zu wechseln, er dürfe dadurch aber nicht den Unterhalt des Kindes schmälern. Bereits der im Vergleich festgelegte Unterhalt unterschreite den Bedarf des Kindes. Die Mutter des Minderjährigen beziehe nur die Sondernotstandshilfe und benötige die Unterhaltsbeiträge für den Minderjährigen dringend. Der Vater verfüge offenbar über ausreichende Ersparnisse, weil er ein Auto, eine Hifi-Anlage und einen Fotoapparat angeschafft habe; auch bestehe die Gefahr, daß der Vater die angestrebte Ausbildung nicht abschließen werde. Diese würde aber auch nicht zu einer wesentlichen Besserstellung des Kindes führen.
Das Erstgericht wies den Herabsetzungsantrag ab. Der Vater sei verpflichtet, nach seinen Kräften zum Unterhalt des Minderjährigen beizutragen. Von einem Unterhaltspflichtigen müsse daher die Ausübung eines nach seiner Ausbildung und seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten entsprechenden Berufes verlangt werden, damit der Unterhalt des Kindes nicht nachteilig beeinträchtigt werde. Diese Verpflichtung könne durch den Wunsch nach einer anderen Berufsausbildung nicht beeinträchtigt werden. Das gelte umso mehr, als der Vater seine Ausbildung als Tischler praktisch abgeschlossen und sich erst im Alter von 23 Jahren für eine neue Berufsausbildung entschlossen habe. Auch könnte der für die Zeit dieser Berufsausbildung entgangene Unterhalt künftig nur schwer durch ein erst später erzieltes, höheres Einkommen ausgeglichen werden.
Das Rekursgericht setzte den vom Vater zu leistenden Unterhalt ab 1.1.1990 auf monatlich S 500 herab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Grundsatz, wonach Kinder, die zwar schon eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, aber eine vertretbare Weiterbildung anstreben, nicht als selbsterhaltungsfähig anzusehen sind und weiterhin Anspruch auf Unterhalt haben, müsse auch für unterhaltspflichtige Eltern gelten, die sich in einem Alter befinden, in dem eine weitere Schul- oder Berufsausbildung noch vertretbar ist. Wenn der Vater wegen seiner Tätigkeit als Sanitäter beim Bundesheer nunmehr im Alter von 23 Jahren den Entschluß gefaßt habe, sich zur medizinisch-technischen Fachkraft ausbilden zu lassen, könne sein Herabsetzungsantrag nicht wegen seiner Unterhaltspflicht abgelehnt werden. Auch in Ausbildung stehende Unterhaltspflichtige müßten ihre Ausbildung nicht abbrechen und einen Beruf ergreifen, um ihrer Unterhaltspflicht nachkommen zu können. Es bestehe auch kein Grund für die Annahme, daß sich der Antragsteller bloß seiner Unterhaltsverpflichtung entziehen wolle; für seinen Entschluß dürften vielmehr auch medizinische Gründe maßgebend sein, wenngleich der Hinweis darauf im Rekurs als unzulässige Neuerung unbeachtlich sei. Da die angestrebte Berufsausbildung nur 2 1/2 Jahre dauere und einen sicheren und vor allem besser dotierten Arbeitsplatz garantiere, werde auch der Minderjährige in absehbarer Zeit an der beruflichen Besserstellung seines Vaters teilhaben. Der Unterhalt des Kindes sei aber im Hinblick auf die subsidiäre Unterhaltspflicht der Großeltern nicht gefährdet.
Der von der Unterhaltssachwalterin erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Durch die - durch das BG über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes in diese Bestimmung aufgenommenen - Worte "nach Kräften" ist die Anspannungstheorie im Gesetz verankert worden; die Eltern müssen daher alle persönlichen Fähigkeiten, also ihre Leistungskraft unter Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres Könnens, ausschöpfen (60 BlgNR 14.GP 21). Gestatten ihre Ausbildung und ihre persönlichen Fähigkeiten die Erzielung eines angemessenen Einkommens, dann muß ein mit einem unerzwungenen Berufswechsel verbundener Einkommensverlust zur Anspannung des betreffenden Elternteiles führen; eine Schmälerung des Unterhaltsanspruches des Kindes kommt - anders als bei Schmälerung des Einkommens des Unterhaltspflichtigen durch einen wegen besonderer Umstände erzwungenen Berufswechsel - nicht in Betracht. Das auf die Unterhaltsleistung angewiesene Kind kann regelmäßig auch nicht auf eine künftige, im Regelfall gar nicht absehbare Besserstellung des Unterhaltspflichtigen, welche erst nach einer Unterbrechung der bisher ausgeübten Tätigkeit und dem Abschluß einer neuen Berufsausbildung eintreten könnte, verwiesen werden. Die Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit und die Aufnahme einer neuen Berufsausbildung führt auch nicht zur subsidiären Unterhaltspflicht der Großeltern, weil die Zahlungspflicht gemäß § 141 ABGB nur eintritt, soweit die Eltern nach ihren Kräften - also auch nach der im Gesetz vorgesehenen Anspannung - zur Leistung des Unterhalts nicht imstande sind. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, wonach der Unterhaltsanspruch eines bereits selbsterhaltungsfähigen Kindes wiederaufleben kann, wenn es sich nach einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung zu einer weiteren Ausbildung entschließt, um offenkundig bessere berufliche Fortkommensmöglichkeiten zu erlangen, woran jedoch ein strenger Maßstab anzulegen ist (SZ 51/90; EFSlg 45.661/2; EFSlg 49.944), können wegen der im Gesetz vorgesehenen Anspannung nicht zu einer Entlastung eines Unterhaltspflichtigen führen.
Soweit der Antragsteller seine bisherige Beschäftigung, die ihm die Erzielung eines angemessenen Einkommens ermöglicht hat, nur wegen des Wunsches nach einer weiteren Berufsausbildung aufgegeben hat, macht er keinen für einen Herabsetzungsantrag tauglichen Grund geltend, mag damit auch die Vorstellung besserer Fortkommensmöglichkeiten in der Zukunft verbunden gewesen sein. Es ist aber auch nicht gewiß, daß die Ausbildung zur medizinisch-technischen Fachkraft wesentlich bessere Berufsaussichten bietet als die Ausübung eines erlernten Handwerksberufes bei entspechender beruflicher Weiterbildung.
Einkommenseinbußen wegen eines erzwungenen Berufswechsels können dagegen zur Minderung einer bestehenden Unterhaltsverpflichtung führen. Der Antragstellter hat dazu zwar erst im Rekurs, jedoch als zulässige Ergänzung des bisherigen Vorbringens (SZ 46/88; EFSlg 39.657 uva) behauptet, daß er zu dem Berufswechsel gezwungen sei, weil die Ausübung des erlernten Berufes wegen der im letzten Jahr bei ihm wiederholt auftretenden Kollapszustände, insbesondere beim Bedienen von Maschinen, mit einer erhöhten Gesundheitsgefährdung verbunden sei. Sollte sich die Richtigkeit dieser Behauptung herausstellen, dann könnte die mit der neuen Berufsausbildung verbundene Herabsetzung seiner Leistungsfähigkeit auch zur Herabsetzung des Unterhaltsanspruches des Minderjährigen führen, soweit nicht Ansprüche auf Übergangsgeld (§ 306 ASVG) und damit auch ein Erhöhungsbeitrag für Angehörige oder auf Beihilfe gemäß §§ 19 f ArbeitsmarktförderungsG dem entgegenstehen. Voraussetzung ist aber, daß die - nunmehr kurz vor Ablauf des ersten Ausbildungsjahres schon durch eine Schulauskunft
erhebbare - Eignung des Unterhaltspflichtigen für die angestrebte neue Berufsausbildung gegeben ist.
Da im aufgezeigten Umfang Feststellungen fehlen, erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.
Anmerkung
E26520European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0040OB00518.91.0618.000Dokumentnummer
JJT_19910618_OGH0002_0040OB00518_9100000_000