TE OGH 1991/6/20 8Ob3/91

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Veröffentlicht am 20.06.1991
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei M***** R*****, vertreten durch Dr.Günter Tews, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 160.916 sA, infolge der Rekurse beider Teile gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungs- und Rekursgericht vom 22.November 1990, GZ 13 R 39, 40/90-32, womit infolge der Berufung der beklagten Partei und Rekurses der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 23.Mai 1990, GZ 6 Cg 29/89-23, aufgehoben wurde, den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Beiden Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird in der Entscheidungsform des Beschlusses bestätigt.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Beklagte lebte mit P***** S***** in Lebensgemeinschaft. Dieser stand mit der klagenden Bank in Geschäftsverbindung, die ihm einen wiederholt ausnutzbaren Rahmenkredit von S 300.000 einräumte, der über das Konto 10631737 abgewickelt wurde und mittels eines von P***** S***** akzeptierten Blankowechsels besichert war. Die Beklagte verpflichtete sich mit diesem Blankowechsel als Wechselbürgin für den Akzeptanten. Zur Wiederausnützung des Kredites bedurfte es nicht ihrer Zustimmung.

Die Wechselwidmungserklärung vom 11.5.1987 verwies auf die Gewährung eines internen Kredites in der Höhe von S 300.000 an P***** S***** und enthielt ua folgende Bestimmung:

"Zur Sicherstellung aller Forderungen und Ansprüche an Haupt- und Nebenverbindlichkeiten jeder Art, die der VKB (Anm: klagenden Partei) gegen den Kreditnehmer und dessen Rechtsnachfolger aus diesem Kreditverhältnis bzw allfälligen Erhöhungen des Kredites sowie überhaupt aus allen wie immer Namen habenden Forderungen und Ansprüchen aus dieser Geschäftsverbindung bereits zustehen oder in Hinkunft entstehen werden, überreiche ich anbei einen Blankodeckungswechsel, der von mir P***** S***** als Annehmer und M***** R***** als Bürgin für den Annehmer unterfertigt ist."

Die Beklagte wollte sich von ihrem Lebensgefährten trennen und eine finanzielle Abrechnung vornehmen. Dies gab sie im Mai 1988 dem Direktor der klagenden Bank mit dem Hinweis bekannt, daß ihr Lebensgefährte dadurch in finanzielle Schwierigkeiten geraten werde. Sie ließ als Zeichnungsberechtigte das bei der Kündigung der Bürgschaft einen Debetsaldo von S 185.000 aufweisende Konto sperren, weil einige Tage später die Gehälter vom Konto zu überweisen gewesen wären und demnach das Konto entsprechend hätte überzogen werden müssen. Der Beklagten war bekannt, daß innerhalb des nächsten Monats ca S 160.000 auf das Konto zufolge offener Rechnungen eingehen würden. Im Hinblick auf den Eingang dieser Beträge erwartete sie das Erlöschen ihrer Bürgschaftsverpflichtung bis auf etwa S 20.000.

In der Folge kündigte auch die klagende Bank den Bürgschaftsvertrag auf und verhängte aus diesem Grund über das genannte Konto am 25.5.1988 eine Sollsperre und am 1.6.1988 eine Soll- und Haben-Sperre; den Hauptschuldner forderte sie wegen der Bürgschaftskündigung auf, das Konto bis zum 30.6.1988 abzudecken. Dieser Aufforderung kam er aber nicht nach. Hierauf traf der Direktor der klagenden Bank mit ihm um den 30.6.1988 eine Ratenzahlungsvereinbarung und beide kamen überein, daß bis Mitte September 1988 keine Klage eingebracht würde.

Innerhalb des auf die Bürgschaftskündigung folgenden nächsten Monats waren die von der Beklagten erwarteten und angekündigten Zahlungseingänge von S 160.000 tatsächlich bereits auf das Kreditkonto unterwegs. Der Hauptschuldner, ihr ehemaliger Lebensgefährte, eröffnete jedoch bei der klagenden Bank ein weiteres Konto mit der Nummer 10634566 und gab den Auftrag, alle eingehenden Beträge anstatt dem bisherigen Konto diesem neu eröffneten Konto gutzubuchen. Die klagende Bank war mit der Eröffnung dieses weiteren Kontos einverstanden und schrieb entsprechend der Anweisung des Hauptschuldners die täglich einlangenden und eigentlich für das Kreditkonto bestimmten Losungen in der Höhe von S 269.228,70 auf das neu eröffnete Konto um und buchte sie dort gut. Die Haben-Sperre auf dem alten Kreditkonto verfügte sie nach der Eröffnung des neuen Haben-Kontos und der Anweisung des Hauptschuldners, die eingehenden Beträge auf diesem Konto zu buchen. Die Beklagte verständigte sie von der Eröffnung dieses "Haben-Kontos" nicht.

Dem Hauptschuldner ging es zum Zeitpunkt der Eröffnung des neuen Kontos wirtschaftlich bereits schlecht; dies wußte auch die klagende Bank, wenn ihr auch nicht konkret bekannt war, ob im Fall der Bürgschaftsaufkündigung durch die Beklagte der Konkurs des Hauptschuldners bevorstehe.

Am 15.9.1988 wurde über das Vermögen des Hauptschuldners der Konkurs eröffnet; am 13.12.1988 wurde ein Zwangsausgleich mit einer 20 %igen Quote geschlossen, der erfüllt worden ist.

In der Folge nahm die klagende Bank die Beklagte wegen des offenen Betrages am Kreditkonto 10631737 unter Berücksichtigung der erhaltenen 20 %igen Ausgleichsquote in Anspruch. Sie erwirkte als Aussteller und legitimierter Inhaber des Wechsels vom 11.5.1987 die Erlassung eines Wechselzahlungsauftrages gegen die Beklagte als Wechselbürgin für den Hauptschuldner und Akzeptanten über die am 25.1.1989 zur Zahlung fällig gewesene Wechselsumme in Höhe von S 160.916.

Die Beklagte beantragte die Aufhebung des Wechselzahlungsauftrages und wendete im wesentlichen ein, es sei richtig, daß sie die Wechselbürgschaft für einen über das Konto 10631737 abgewickelten Kredit ihres ehemaligen Lebensgefährten bei der klagenden Bank übernommen habe. Nach Beendigung der Lebensgemeinschaft habe sie aber die klagende Bank ersucht, sie aus dieser Haftung zu entlassen. Die klagende Bank habe dies als Kündigung verstanden und den Hauptschuldner am 31.5.1988 aufgefordert, das Kreditobligo von S 187.807 bis 30.6.1988 zu bereinigen, um die Beklagte als Bürgin entlassen zu können. Der Hauptschuldner habe im Mai 1988 auf das Kreditkonto einzuzahlende Rechnungen über insgesamt S 160.000 ausgestellt. Diesen Umstand habe sie dem Direktor der klagenden Bank zusammen mit ihrer Erwartung mitgeteilt, daß dadurch das Kreditobligo zur Gänze abgedeckt werde. In offenbar mißbräuchlicher Verwendung dieser Information und im bewußten Zusammenspiel mit dem Hauptschuldner habe ihm die klagende Bank daraufhin gestattet, ein neues Konto zu eröffnen, auf welches die eingehenden Zahlungen umgebucht wurden. Die klagende Bank habe seit spätestens April 1988 Kenntnis von dem vorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners gehabt. Sofern überhaupt eine Haftung bestehe, seien diese Zahlungseingänge daher zu ihrer Entlastung zu berücksichtigen. Im übrigen bestritt sie, daß ein "revolvierendes" Kreditverhältnis vorliege; der Kredit hätte nicht ohne ihre Zustimmung wieder ausgenützt werden dürfen. Am 6.5.1988 habe auf dem Konto ein Guthaben bestanden, womit die Bürgschaftsverpflichtung erloschen sei. Letztlich wendete die Beklagte aufrechnungsweise Schadenersatz gemäß § 1364 ABGB in Höhe des Klagebetrages ein. Die klagende Bank habe trotz der Nichtbefolgung ihrer Zahlungsaufforderung bis zur Konkurseröffnung nichts gegen den Hauptschuldner unternommen, aber durch positives Tun eine Abdeckung des Kontos verhindert, indem sie eine Haben-Sperre verfügt habe. Außerdem habe sie unterlassen, von ihrer Aufrechnungsbefugnis nach Punkt 7 der vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Österreichischen Kreditunternehmungen Gebrauch zu machen. Die klagende Bank wäre jederzeit auch während der Rechnungsperiode berechtigt gewesen, das vom Hauptschuldner neu eröffnete Kontokorrentkonto zu kündigen, den Saldo zu ziehen und sodann zu kompensieren. Im Juni 1988 hätten sich mehrfach die Klageforderung übersteigende Salden des Hauptschuldners ergeben.

Das Erstgericht sprach aus, daß der Wechselzahlungsauftrag vom 27.1.1989 aufrecht bleibe und die Gegenforderung der beklagten Partei in Höhe der Klageforderung nicht zu Recht bestehe. In rechtlicher Hinsicht meinte es, sämtliche Einwendungen seien ins Leere gegangen. Die Beklagte habe nicht die rechtliche Möglichkeit, nach § 1364 ABGB Schadenersatz zu verlangen; im übrigen sei ein Schaden in Höhe des Klagebetrages auch nicht erwiesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. In rechtlicher Hinsicht vertrat es zusammengefaßt folgende Meinung:

Die Wechselbürgschaft sei eine Institution des Wechselrechts und von der bürgerlich-rechtlichen Bürgschaft durchaus verschieden. Die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Bürgschaft seien auf die Wechselbürgschaft nicht anwendbar. Die Übernahme einer Wechselbürgschaft begründe nur dann auch eine Haftung nach bürgerlichem Recht, wenn dies von den Parteien vereinbart worden sei (SZ 53/91 ua). Die Wechselbürgschaft könne ebenso wie sonstige wechselrechtliche Verpflichtungen auch bereits auf einem Blankowechsel (Blankoakzept) wirksam begründet werden (SZ 56/192 ua).

Für die Einwendungen des Wechselbürgen sei, sofern sie nach allgemeinen Grundsätzen gegenüber dem jeweiligen Inhaber durchgriffen (Art 17 WG), grundsätzlich das der Bürgschaft zugrunde liegende Kausalverhältnis maßgeblich, und nicht dasjenige der Person, für die er sich verbürgt habe. Das Kausalverhältnis richte sich im vorliegenden Fall nach dem Inhalt der Wechselwidmungserklärung. Da über den Wortlaut der Urkunde hinausgehende Vereinbarungen weder behauptet noch bewiesen worden seien, sei allein von deren Wortlaut auszugehen.

Die Klägerin hafte als Wechselbürgin wie ein "Bürge und Zahler"; daher könne grundsätzlich die Einforderung des fälligen Kredites keine mißbräuliche Rechtsausübung des Gläubigers darstellen, auch wenn dies die Wechselbürgin deshalb hart treffe, weil im Innenverhältnis vom Hauptschuldner kein Ersatz zu erlangen sein werde. Diese Wertung liege im gesetzlichen Wahlrecht des Gläubigers begründet, die es diesem erlaube, die verbürgte Forderung selbst im Zusammenwirken mit dem Hauptschuldner nur zu dem Zweck einzulösen, diesen zu schonen. Nur wenn eine solche Rechtsdurchsetzung augenfällig den vordringlichen Zweck verfolge, den Bürgen zu schädigen, wofür diesen die Behauptungs- und Beweislast treffe, käme eine rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme des Bürgen statt des "zahlungsfähigen" Hauptschuldners in Betracht (RdW 1990, 155). Die Tatsache der Inanspruchnahme des Bürgen vor dem Hauptschuldner sei daher als solche unbedenklich. Die Umstände, die den Gläubiger bewegten, von seinem Wahlrecht gerade durch Inanspruchnahme des Wechselbürgen Gebrauch zu machen, könnten aber - wegen Verstoßes gegen die rechtlichen Wertungen der Wechselbürgschaft als solcher oder auf Grund von Wertungen, die sich aus dem konkret zugrunde liegenden Kausalverhältnis ergeben - rechtsmißbräuchlich sein. Daraufhin seien die Behauptungen der beklagten Partei zu untersuchen. Auch der im Bewußtsein seiner möglichen primären Inanspruchnahme zeichnende Wechselbürge wolle letztlich (materiell) nur für die fremde Verbindlichkeit des Hauptschuldners haften und gehe daher davon aus, daß er einen dauernden Nachteil aus der übernommenen Haftung nur im Fall des "Nichtleistenkönnens" des Hauptschuldners zu gewärtigen habe, also dann, wenn er nach Einlösung der Forderung des Gläubigers durch Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung beim Regreß gegen den Hauptschuldner scheitere. Wie für den Gläubiger seien daher auch für den Bürgen Verschlechterungen der Vermögenslage des Hautschuldners bedeutsam und daher etwa auch der mögliche Umstand maßgeblich, daß der Hauptschuldner zur Leistung zu einem gewissen Zeitpunkt noch in der Lage sei, später aber nicht mehr. Diese Wertung ergäbe sich zwangslos aus § 1364 ABGB, auch wenn sich der Wechselbürge zur Begründung eines Schadenersatzanspruches nicht hierauf berufen könne. Der Bürge solle nicht durch die Saumseligkeit des Gläubigers zu Schaden kommen.

Der Oberste Gerichtshof habe bereits ausgesprochen, daß eine im Vordruck eines Bürgschaftsverpflichtungsformulars festgelegte Klausel, die Haftung des Bürgen bleibe unverändert in Kraft, wenn die Bank andere Sicherheiten, die ihr für ihre Forderung bestellt wurden oder werden, freigebe, eine gröbliche Benachteiligung des Vertragspartners im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB darstellen könne (WBl 1989, 252 = SZ 61/235). Könne aber das Abbedingen des (einem zivilrechtlichen Bürgen - § 1360 ABGB) gewährten Schutzes vor einseitiger Schmälerung der Haftungsgrundlage des Hauptschuldners durch den Gläubiger eine gröbliche Benachteiligung darstellen, dann müsse wohl auch ein entsprechendes oder ähnlich zu wertendes tatsächliches Verhalten des Gläubigers von rechtlicher Bedeutung sein, insbesondere ein Verhalten, durch das nicht nur die Haftungsgrundlage geschmälert, sondern sogar die leicht mögliche Befriedigung grundlos ausgelassen werde.

Im vorliegenden Fall habe die klagende Bank die Kündigung der Wechselbürgschaft durch die Beklagte ganz offensichtlich zunächst zum Anlaß für die Beendigung der Geschäftsverbindung mit dem Hauptschuldner gemäß Punkt 37 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Österreichischen Kreditunternehmungen genommen: sie habe den Saldo des Kontos 10631737 fälliggestellt und den Kontoinhaber aufgefordert, das Konto bis 30.6.1988 abzudecken, wobei zunächst eine Soll- und mit 1.6.1988 auch eine Haben-Sperre verfügt wurde. Die völlige Abwicklung der Geschäftsverbindung sei daher für Ende Juni 1988 vorgesehen gewesen. Die klagende Bank habe sich damit primär (auch noch nach dem 30.6.1988) zunächst an den Hauptschuldner gehalten, bis über dessen Vermögen am 15.9.1988 der Konkurs eröffnet worden sei. Hätte sie nicht (zumindest ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des weiteren Kontos für den Hauptschuldner) Kenntnis von dessen schlechter wirtschaftlicher Situation gehabt, könne sich die Beklagte als Wechselbürgin durch das bloße Zuwarten noch nicht beschwert erachten. Da die Situation aber bedenklich war, hätten es die auch für die Wechselbürgschaft geltenden vertraglichen Neben- und Sorgfaltspflichten der klagenden Bank erfordert, die Beklagte zumindest von der Eröffnung eines separaten Haben-Kontos zu verständigen. Da gemäß Punkt 37 Abs 1 der AGB mit der Beendigung der Geschäftsverbindung der Saldo jedes für den Kunden geführten Kontos sofort fällig werde, habe es für die Wechselbürgin überraschend sein müssen, daß die klagende Bank dessen ungeachtet sogar die Eröffnung eines neuen Haben-Kontos vereinbart habe. Tatsächlich habe es dann (entsprechend der Vereinbarung eines "Haben-Kontos") die klagende Bank auch vermieden, das Risiko einer Kreditierung auf diesem Konto einzugehen und Verfügungen des Kontoinhabers ganz offensichtlich nur in Höhe der Eingänge auf dem Konto zugelassen. Der Zusammenhang mit der Sperre des durch die Wechselbürgschaft gesicherten Kreditkontos und die Beachtung der Warnung der Beklagten, der Hauptschuldner werde in finanzielle Schwierigkeiten geraten, sei damit offensichtlich. Unter diesen Umständen erscheine es unverständlich, daß die klagende Bank, wenn sie sich schon entschieden habe, zunächst gegen den Hauptschuldner vorzugehen, nicht von ihrer Aufrechnungsbefugnis gemäß Punkt 7 der AGB Gebrauch gemacht habe, um Befriedigung zu erlangen. Die offenkundige Spekulation mit der günstigen Rechtsposition aus der Wechselbürgschaft der Beklagten heraus erscheine umso mehr mißbräuch, je länger die klagende Bank - selbst bezüglich der Liquidität des Hauptschuldners vorsichtig agierend - von der gegebenen Befriedigungsmöglichkeit durch Aufrechnung nicht Gebrauch gemacht habe. Es treffe zwar zu, daß die klagende Bank im allgemeinen keine Verpflichtung zur Aufrechnung gemäß Punkt 7 der AGB treffe; in der vorliegenden besonderen Situation habe sie aber auch die Interessen aus ihrer Vertragsbeziehung zur Wechselbürgin zu beachten gehabt. Die Herbeiführung des Bürgschaftsfalles wider Treu und Glauben - im vorliegenden Fall dadurch, daß die klagende Bank die Nichtleistung des Hauptschuldners durch Unterlassung der Aufrechnung mitzuverantworten habe - müsse im Rahmen der Einwendungen aus dem zwischen den Streitteilen bestehenden Kausalverhältnis zur Verneinung des wechselmäßigen Anspruches im Umfang der möglichen Schuldtilgung führen.

Die Berufungswerberin bemängle daher zu Recht das Fehlen von Sachverhaltsfeststellungen zu der der klagenden Bank möglichen Kompensation mit ihrer Forderung aus dem Kontokorrentkreditkonto gegen die Forderung des Hauptschuldners aus der Saldoziehung des neu eröffneten Haben-Kontos. Die Außerstreitstellung, daß für das Konto 10631737 vorgesehene Überweisungsbeträge in Höhe von S 269.228,70 tatsächlich dem neuen Konto 10634566 gutgebucht worden seien, reiche - abgesehen davon, daß der Zeitraum, über den sich die Zahlungseingänge erstreckten, nicht feststehe - für die rechtliche Beurteilung noch nicht aus, weil sich die Aufrechnungsbefugnis der Bank auf den sich aus der Saldoziehung ergebenden Betrag beschränke. Im fortgesetzten Verfahren werde sich daher das Erstgericht mit der konkreten Ausgestaltung der Aufrechnungslage bei jeweils möglicher Kompensation (Saldoziehung) befassen müssen, insbesondere mit der Frage, ob sie schon vor dem 30.6.1988 das Kreditobligo des Hauptschuldners abgedeckt hätte. Den noch weitergehenden Standpunkt der Beklagten teilte das Berufungsgericht nicht, nämlich daß sich die Haftung eines Dritten bei mehrfacher Abrechnungsmöglichkeit nach dem niedersten Saldo der Zwischenzeit richte. Durch die Wechselwidmungserklärung sei hievon eine abweichende Vereinbarung getroffen worden. Der Feststellung des jeweiligen Kontostandes, insbesondere des am 6.5.1988, bedürfe es daher nicht.

Zusammengefaßt gelangte daher das Berufungsgericht zur Ansicht, die Beklagte sei im Umfang der möglichen Aufrechnung gegen die Forderung des Hauptschuldners auf dem neu eröffneten Konto befreit; zur Klärung der Aufrechnungslage seien aber noch ergänzende Feststellungen nötig. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Rechtsfrage fehle, ob und unter welchen Voraussetzungen der Wechselbürge den Wechselinhaber (im Rahmen des Art 17 WG) mit schuldbefreiender Wirkung entgegenhalten könne, daß seine Inanspruchnahme rechtsmißbräuchlich sei, weil der Gläubiger die eine längere Zeit hindurch gegebene, einfach durchzusetzende Befriedigungsmöglichkeit ausgelassen habe.

Gegen dieses Urteil richten sich die Rekurse beider Teile wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache.

Die klagende Bank begehrt die Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise beantragt sie, die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht unter Überbindung ihrer im Rekurs geäußerten Rechtsansicht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt die Aufhebung des Wechselzahlungsauftrags und die Abweisung des Klagebegehrens; hilfsweise stellt auch sie einen Aufhebungsantrag.

Beide Teile beantragen jeweils, dem Rekurs der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind aus dem vom Berufungsgericht angegebenen Grund zulässig. Der Rekurs der klagenden Bank ist sachlich nicht berechtigt, dem Rekurs der Beklagten kommt hingegen hinsichtlich der Berechnungsmodus teilweise Berechtigung zu.

Die sorgfältige und ausgewogene rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist - von den noch darzustellenden Ergänzungen abgesehen - im Grundsatz zutreffend; sie wird vom Obersten Gerichtshof übernommen. Es genügt daher zur Vermeidung von Wiederholungen, auf diese Begründung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Auch wenn es grundsätzlich dem Gläubiger freisteht, ob er sich zuerst an den Hauptschuldner oder an den Bürgen und Zahler wendet, kann die Inanspruchnahme des Bürgen und Zahlers unter gleichzeitiger Nichtinanspruchnahme des zahlungsfähigen Hauptschuldners unter besonderen - hier vorliegenden (siehe dazu die oben wiedergegebenen Erwägungen des Berufungsgerichtes) - Voraussetzungen rechtsmißbräuchlich sein. Eine solche rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme des Wechselbürgen führt zur Verneinung des wechselmäßigen Anspruchs im Umfang der leicht möglichen Befriedigung durch Schuldtilgung durch den Hauptschuldner (so auch BGH BB 1966, 305 und 1968, 853).

Ergänzend ist zu bemerken:

1. Zum Rekurs der klagenden Bank:

Das Berufungsgericht hat keineswegs eine Billigkeitsentscheidung getroffen. Das Vorgehen der klagenden Bank, durch das der Bürgschaftsfall ausgelöst wurde, überschreitet in der Tat die Grenzen zulässiger Rechtsausübung. Die Wechselbürgin wurde unter Verletzung der die klagende Bank im konkreten Fall treffenden Aufklärungspflicht in Anspruch genommen. Zu Unrecht meint die klagende Bank, es treffe sie nur bei Eingehen einer Bürgschaft eine Aufklärungspflicht (RdW 1990, 77). Gerade auf Grund des schon bestehenden Vertragsverhältnisses zur Beklagten trafen sie vertragliche Neben- und Sorgfaltspflichten, zu denen es auch gehört hätte, daß sie die Beklagte über wichtige und von dieser nicht zu erwartende Veränderungen, wie die Umbuchung der Eingänge auf ein neues Konto und die Verfügungsmöglichkeit des Hauptschuldners über dieses Habenkonto, verständigt. Bei der konkreten Sachlage wäre die klagende Bank im Hinblick auf die ihr bekannten finanziellen Schwierigkeiten des Hauptschuldners auch verpflichtet gewesen, von der ihr leicht möglichen Befriedigungsmöglichkeit gegenüber dem Hauptschuldner Gebrauch zu machen. Ihr Einwand, der Hauptschuldner hätte die Zahlungen ja auch auf ein Haben-Konto bei einem anderen Kreditinstitut gutbringen lassen können, geht schon deshalb ins Leere, weil die Zahlungen im kritischen Zeitpunkt bereits auf ihr Kreditkonto unterwegs waren. Es kann auch keine Rede davon sein, daß der klagenden Bank die Tilgung des Kredites durch Kompensation unzumutbar gewesen wäre, weil diese dem Risiko der Anfechtung ausgesetzt gewesen wäre: Sie verweist selbst darauf, daß die Bürgschaft im Fall erfolgreicher Anfechtung wiederaufgelebt wäre (6 Ob 691/87).

2. Zum Rekurs der Beklagten:

Soweit sich die weitwendigen Rekursausführungen mit der Frage der angeblichen Formungültigkeit der Wechselbürgschaft, der Anwendbarkeit des § 1364 ABGB auf die Wechselbürgschaft und der Nichtwiederausnutzbarkeit des Kredites befassen, ist die Beklagte auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes zu verweisen; die Beklagte hat sich eindeutig für einen revolvierenden Kontokorrentkredit verbürgt, sodaß die nicht von dieser Rechtslage ausgehenden rechtlichen Überlegungen ins Leere gehen.

Das Berufungsgericht ist zu dem an sich für die Beklagte günstigen Ergebnis gekommen, daß ihre Inanspruchnahme als Wechselbürgin im Umfang der unterlassenen leicht möglichen Schuldtilgung durch Kompensation mit den Forderungen des Hauptschuldners als rechtsmißbräuchlich ausscheidet, und es hat in seinem Aufhebungsbeschluß dem Erstgericht auch aufgetragen, Feststellungen über die konkrete Aufrechnungslage zum jeweils möglichen Kompensationszeitpunkt (Saldoziehung) zu treffen.

Die Beklagte meint, die klagende Bank habe ihr gegenüber nicht nur durch das Unterlassen der leicht möglichen Schuldtilgung durch Kompensation, sondern bereits dadurch rechtsmißbräuchlich gehandelt, daß sie jene Eingänge auf das Kreditkonto, für das sie, die Beklagte, die Wechselbürgschaft übernommen hatte, nicht, wie vom Überweisenden vorgesehen, auf das "verbürgte" Konto gutgebucht habe, sondern die Umbuchung auf ein anderes Konto gestattet und damit die Verminderung des Saldos positiv verhindert habe. Erstem Umstand kommt keine Bedeutung zu, weil - wie die Beklagte selbst mehrmals betont (zB S 15 des Rekurses) - bereits auf den Zahlungsbelegen vorgesehen war, daß auf das Kreditkonto oder ein anderes Konto des Empfängers einzuzahlen ist. Dem Rekurs kommt aber insofern Berechtigung zu, als die nach dem Zeitpunkt der Fälligstellung des Kredites gegenüber dem Hauptschuldner eingehenden Gutschriften auch der Wechselbürgin zugute kommen müssen:

Die klagende Bank hat nämlich die Aufkündigung der Bürgschaft zum Anlaß einer Soll- und Haben-Sperre auf dem Kreditkonto ab 25.5. bzw 1.6.1988 genommen und den Hauptschuldner aufgefordert, das Konto bis 30.6.1988 abzudecken. Diese Vorgangsweise kann nur als Aufkündigung des Kreditvertrages gegenüber dem Hauptschuldner gewertet werden. Damit würde aber der Saldo fällig (P 36 f AGB). Ab dem Zeitpunkt der Aufkündigung des Kreditvertrages gegenüber dem Hauptschuldner war die klagende Bank auf Grund ihrer Treuepflicht auch gegenüber der Wechselbürgin verpflichtet, gerade das zu unterlassen, was dazu führen mußte, daß nun die Wechselbürgin von ihr in Anspruch genommen wird, nämlich die Gestattung einer durch die Umbuchung der Zahlungseingänge besicherten weiteren Kreditinanspruchnahme - auf dem neuen Haben-Konto - durch den Hauptschuldner trotz seiner ihr bekannten schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse allein zu Lasten der Wechselbürgin, obwohl ihr die Tilgung seiner Schuld aus dem aufgekündigten Kreditvertrag leicht möglich gewesen wäre. Aus dieser Vorgangsweise der klagenden Bank geht eindeutig hervor, daß ihr die enorme Gefahr bewußt war, daß der Hauptschuldner bei Ermöglichung der Inanspruchnahme weiteren Kredites seine Verpflichtung zum Zeitpunkt der von ihr geforderten Abdeckung des Kreditkontos am 30.6.1988 nicht erfüllen kann. Die Beklagte hat sich nach P 2 ihrer Wechselverpflichtungserklärung gegenüber der klagenden Bank nur zur Abdeckung aller im Zeitpunkt der Fälligstellung des Kredites gegenüber dem Hauptschuldner zustehenden Ansprüche verpflichtet. Sie darf nicht dadurch schlechter gestellt werden, daß die klagende Bank den Hauptschuldner nicht zur sofortigen, sondern erst zur Abdeckung seiner Kreditverbindlichkeit binnen Monatsfrist aufgefordert und ihm ermöglicht hat, über die zwischenzeitigen Eingänge anderweitig zu verfügen. Alle nach Fälligstellung der Kreditverbindlichkeit gegenüber dem Hauptschuldner eingehenden Gutschriften müssen daher der beklagten Wechselbürgin zugute kommen, wobei es gleichgültig ist, auf welches Konto diese Gutschriften gutgebracht wurden. Insofern ist der Rekurs der Beklagten berechtigt und die Ergänzungsaufträge des Berufungsgerichtes korrekturbedürftig.

Die Sache ist dennoch nicht spruchreif. Es steht nämlich nicht fest, wie hoch der Saldo auf dem bis S 300.000 ausnutzbaren Kreditkonto zum Zeitpunkt der Aufkündigung dieses gegenüber dem Hauptschuldner (Ende Mai/Anfang Juni 1988) war, sodaß nicht beurteilt werden kann, ob durch die nachträglichen für das alte Konto vorgesehenen, tatsächlich aber dem neuen Konto gutgebuchten Gutschriften in der unstrittigen Höhe von S 269.228,70 die klagende Bank durch Kompensation hätte voll befriedigt werden können. Im Umfang dieser ausgelassenen leichten Befriedigungsmöglichkeit entfällt die Haftung der beklagten Wechselbürgin; dieser wird im fortgesetzten Verfahren zu klären sein.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E26329

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00003.91.0620.000

Dokumentnummer

JJT_19910620_OGH0002_0080OB00003_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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