Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Juni 1991 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Glatz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wladimir K***** wegen § 33 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28.November 1990, GZ 6 b Vr 6203/89-34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seinem schuldig sprechenden Teil aufgehoben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht im Umfang der Aufhebung zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Der ***** 1920 geborene Wladimir K***** wurde der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 lit a FinStrG (A) sowie nach § 33 Abs. 2 lit a iVm § 33 Abs. 3 lit b FinStrG (B) schuldig erkannt.
Die von ihm dagegen aus § 281 Abs. 1 Z 4, 5 und 9 lit b StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist begründet.
Der Angeklagte hatte durch seinen Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 28.November 1990 (zum Teil neuerlich) die Einvernahme der Zeugen Dipl.Ing. Viktor und Anni S***** zum Beweis dafür beantragt, daß die Zeugin Eva K***** von ihrem ersten Gatten große Mengen Schmuck während aufrechter Ehe und davor geschenkt bekommen habe (S 106 im Zusammenhalt mit S 142), ferner die Einvernahme der Zeugin K***** zum Beweis dafür begehrt, daß die Kreditrückzahlung für das Haus in Sch***** teilweise aus Schmuckverkäufen erfolgte (S 142) und endlich die Einvernahme der Zeugen Dr. Max W***** und Günther W***** zum Nachweis dafür verlangt, daß die Zeugin Eva K***** im Jahr 1974 an Abfertigung und Sonderzahlung nach einem Gerichtsverfahren einen einmaligen Betrag von ca 250.000 S erhalten habe (S 107 im Zusammenhalt mit S 142).
Das Schöffengericht lehnte alle diese Anträge "im Hinblick auf die Rechtskraft des Abgabenbescheides" ab (S 142) und stützte sich auch im Urteil im wesentlichen auf dieses Argument (S 159), wobei es allerdings zusätzliche Überlegungen in Gestalt würdigender Beurteilung einzelner Beweisergebnisse hinzufügte (S 158 ff).
Rechtliche Beurteilung
Durch das abweisliche Zwischenerkenntnis wurde der Angeklagte - wie die Beschwerde ausführt - in seinen Verteidigungsrechten geschmälert.
Auszugehen ist davon, daß nach der Entscheidung des verstärkten Senates vom 21.April 1977 (SSt 48/36) zwar vom Bestehen der sich aus dem Spruch eines gegen den Beschuldigten ergangenen rechtskräftigen Bescheides über die endgültige Abgabenfestsetzung dem Grunde und der Höhe nach ergebenden Abgabenschuld als Tatsache auszugehen ist, daß aber das Strafgericht im übrigen in der Beurteilung der Strafbarkeit des Verhaltens des Beschuldigten völlig frei ist und daß es selbständig und unabhängig die objektiven Tatbestandsmerkmale und uneingeschränkt die innere Tatseite einschließlich des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit selbst zu prüfen hat. Daraus folgt die Berechtigung des in einem Finanzstrafverfahren Angeklagten, die Ausschöpfung sämtlicher für die Beurteilung der Schuldfrage relevanten Beweisquellen unter der Sanktion der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO begehren zu können, wobei dann, wenn das Gericht in freier Würdigung der Beweise (§ 258 StPO) zum Ergebnis gelangte, daß die zur Erfüllung des jeweiligen Straftatbestandes erforderliche Schuldform nicht mit der im Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachzuweisen ist, zu einem (Teil-)Freispruch gelangen kann, ohne daß hiedurch an der rechtskräftig festgestellten Abgabenschuld eine Änderung eintreten müßte. Von Bedeutung erscheint in diesem Zusammenhang auch, daß in dem zur Abgabenfestsetzung führenden
Verfahren - namentlich im Bereich der Zuschätzung nach § 184 BAO - der das Strafverfahren beherrschende Zweifelsgrundsatz (in dubio pro reo) nicht gilt, der übrigens im § 98 Abs. 3 FinStrG für das Verfahren vor der Finanzstrafbehörde ausdrücklich normiert ist.
Da nun vorliegend ersichtlich nicht ausgeschlossen werden kann, daß die beantragten Beweise - ungeachtet der Höhe der Abgabenschuld - für die Beurteilung der inneren Tatseite des Angeklagten im Sinne der vorstehenden Ausführungen und im Lichte des Zweifelsgrundsatzes allenfalls von Bedeutung sein können, war - da der aufgezeigte Verfahrensmangel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden kann - bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung (§ 285 e StPO) mit einer Kassierung des Schuldspruchs vorzugehen, ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf das übrige Beschwerdevorbringen weiter einzugehen.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E26113European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0120OS00056.91.0620.000Dokumentnummer
JJT_19910620_OGH0002_0120OS00056_9100000_000