Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner, Dr.Schwarz und Dr.Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich (Bundespolizeidirektion Wien), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wider die beklagte Prtei M***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Tassilo Neuwirth und Dr.Wolfgang Wagner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 61.858,80 S sA infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24.Jänner 1991, GZ 15 R 173/90-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 18.Juli 1990, GZ 1 Cg 775/89-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.397,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 24.April 1989 ereignete sich im 4.Wiener Gemeindebezirk auf der Kreuzung des Wiedner Gürtels mit der Prinz Eugen-Straße ein Verkehrsunfall, der von dem Lenker des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten LKWs mit dem polizeilichen Kennzeichen W ***** allein verschuldet wurde. Dabei wurde der Schaltkasten der im Eigentum des Landes Wien stehenden, den Verkehr auf dieser Kreuzung regelnden automatischen Verkehrslichtsignalanlage beschädigt, sodaß diese ausfiel. Ab dem Unfall mußte der Verkehr auf dieser Kreuzung handgeregelt werden. Dadurch erwuchs der klagenden Partei ein Aufwand in der Höhe des Klagebetrages für insgesamt 428 Überstunden der zur Handregelung herangezogenen Polizeibeamten.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung dieses ihr entstandenen Aufwandes, der ihr infolge der notwendig gewordenen Handregelung erwachsen sei, sonst aber nicht angefallen wäre.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Verkehrssignalanlage nicht im Eigentum der Klägerin stehe und es sich deshalb um einen nicht ersatzfähigen Drittschaden handle.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab, weil es sich hier um einen mittelbaren Schaden handle. Die Grenze des unmittelbaren zum mittelbaren Schaden bestimme sich nach dem Schutzzweck der verletzten Gesetzesnorm. Mittelbar sei ein Schaden, wenn er nicht in der Richtung des Angriffes, sondern infolge einer Seitenwirkung in einer Interessensphäre eintrete, die nicht durch das Verbot des Angriffes geschützt sei. Der Schutzzweck der übertretenen Norm des § 11 StVO über die Änderung der Fahrtrichtung und den Wechsel des Fahrstreifens sei die körperliche Unversehrtheit der anderen Straßenbenützer und der Schutz fremden Eigentums. Der Schaden der Klägerin sei aber nicht in Richtung des Angriffes entstanden, da sie nicht Eigentümerin der beschädigten Ampelanlage sei; der Schaden sei infolge einer Seitenwirkung - die händische Regelung des Verkehrs durch Polizeibeamte - entstanden, die gerade nicht durch das Verbot des Angriffes geschützt sei. Der Bundespolizeibehörde komme zwar nach § 95 StVO in deren örtlichem Wirkungsbereich die Handhabung der Verkehrspolizei zu; die klagsgegenständliche Kreuzung sei gerichtsbekanntermaßen auch ein verkehrsreicher Straßenzug, wo die Verkehrsverhältnisse diesen Einsatz erforderten. Dessen ungeachtet könne aber eine Überwälzung der dadurch entstandenen Kosten auf den Schädiger nicht bejaht werden, zumal die Verkehrsregelung nicht zwingend angeordnet sei. Der Klägerin sei daher ein mittelbarer nicht ersatzfähiger Schaden erwachsen.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der klagenden Partei Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens ab, wobei es aussprach, daß die Revision nicht zulässig sei. Rechtlich führte es im wesentlichen folgendes aus:
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes handle
ein Organ der Bundesstraßenverwaltung, wenn es eine besondere
Verkehrsregelung durch Anweisung an Straßenbenützer nach § 44 b
Abs 1 StVO gibt, in Vollziehung der Gesetze (Verkehrspolizei) als
Organ des Landes (EvBl 1978/39 = ZVR 1978/86; vgl auch ZVR
1984/256 = SZ 56/134). Das bedeute im vorliegenden Fall, daß die
mit der Verkehrspolizei betrauten Beamten der
Bundespolizeidirektion Wien als Organe des Landes Wien tätig
würden (vgl Benes-Messiner, StVO8 Anm 1 zu § 95), ihr Gehalt aber
von der Klägerin bezögen. Deshalb sei der Klägerin auch der
klagsgegenständliche Schaden für die Bezahlung der Überstunden
ihrer Dienstnehmer entstanden. Die Lehre, daß eine bloße
Schadensverlagerung den Schädiger nicht zu entlasten vermöge,
beruhe auf dem Gedanken, daß der für den Eintritt des Schadens
verantwortliche Schädiger nicht bloß deshalb von seiner
Ersatzpflicht befreit werden dürfe, weil der Schaden auf Grund
eines Rechtsverhältnisses nicht beim Verletzten, sondern bei
einem Dritten eintritt. Es werde also die Wertung vorgenommen,
daß der verantwortliche Schädiger dem Schaden näher stehe als der
Dritte, den kein Vorwurf bezüglich des Schadenseintrittes treffe.
Dabei könne von einer unübersehbaren Ausdehnung der Schadenersatzansprüche keine Rede sein, wenn die Wertung dahin eingeschränkt werde, als nur der Schaden, der typischerweise beim Geschädigten eintritt, im besonderen Fall durch irgendein Rechtsverhältnis auf einen Dritten überwälzt werde. Es werde also kein Schaden in die Betrachtung einbezogen, der ohnehin nicht normalerweise beim unmittelbar Geschädigten eintritt und daher zu ersetzen wäre (vgl SZ 35/32 = JBl 1962, 638; EvBl 1972/297). Im vorliegenden Fall wende die Beklagte lediglich ein, daß die Klägerin nicht Eigentümerin der beschädigten Verkehrslichtsignalanlage sei; wäre sie dies, würde sie den Folgeschaden, der durch den Einsatz der Polizei zur händischen Regelung entstanden ist, nicht bestreiten. Da aber diese Polizeibeamten als Organe des Eigentümers des Schaltkastens der VLSA des Landes Wien, tätig würden, ihren Gehalt aber nicht von diesem, sondern von der Klägerin bezögen, handle es sich um einen typischen Schaden, der auch dann eingetreten wäre, wenn die Polizeibeamten ihr Gehalt vom Land Wien bezögen. Es komme daher zu keiner Ausdehnung des Schadens, sodaß ein Fall von Schadensverlagerung vorliege (vgl Koziol, Haftpflichtrecht I2 278 ff).
Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der (ordentlichen) Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang stünde.
Gegen dieses Urteil des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die ao Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Bestätigung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern.
Die klagende Partei machte von der ihr eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Gebrauch und beantragte, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem Schadensereignis wie dem vorliegenden fehlt und die Bedeutung der hier zu lösenden Rechtfrage über den Einzelfall deshalb hinausgeht, weil die Ereignung von Verkehrsunfällen mit gleichgelagertem Geschehensablauf im Hinblick auf den steigenden Straßenverkehr nicht ausgeschlossen werden kann. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
In ihrer Revision wendet sich die Beklagte gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, es liege hier ein ersatzfähiger nicht mittelbarer Schaden, nämlich ein Fall der sogenannten Schadensverlagerung vor; ihrer Ansicht nach handle es sich um einen den Schäden an Leasingfahrzeugen oder jenen von Dienstgebern wegen Ausfall des Dienstnehmers vergleichbaren mittelbaren Schaden, der von der klagenden Partei nicht geltend gemacht werden könne. Dem kann nicht gefolgt werden.
Auszugehen ist vorerst davon, daß der Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges durch ein straßenverkehrsordnungswidriges Verhalten (Verstoß gegen § 11 StVO) den Schaden an und damit den Ausfall der automatischen Verkehrssignalanlage des Landes Wien schuldhaft verursacht hat, während des Ausfalles dieser Signalanlage eine Regelung des Verkehrs durch Armzeichen notwendig war, die mit der Verkehrsregelung auf der Unfallskreuzung befaßten Polizeibeamten der Bundespolizeidirektion Wien funktionell als Landesorgane tätig geworden sind, die Tragung der damit verbundenen Kosten jedoch dem Bund oblag (vgl Dittrich-Stolzlechner, StVO3, Rz 3 und 4 zu § 95 StVO; MGA StVO8, Anm 1 zu § 95 StVO). Die vom Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges verletzte Bestimmung dient nicht nur dem Schutz absolut geschützter Rechtsgüter (anderer Verkehrsteilnehmer oder sonstiger Rechtssubjekte), sie hat vielmehr auch die Verhinderung weiterer Schäden des geschützten Rechtsinhabers im Auge (Koziol, Haftpflichtrecht2 I 156). Diese Folgeschäden fallen somit grundsätzlich nur dann in den Schutzbereich der verletzten Norm, wenn der Nachteil beim verletzten Eigentümer oder sonstigen absolut Berechtigten selbst eingetreten ist. Dementsprechend ist nach Lehre und Rechtsprechung in aller Regel nur der Schade des unmittelbar Geschädigten, also desjenigen zu ersetzen, dessen Schutz die übertretene Norm bezweckte, und zwar um eine Unübersehbarkeit der zuzurechnenden Schadensfolgen zu verhindern (Koziol, aaO, 276). Ausnahmen von diesem Grundsatz
wurden - abgesehen von den im Gesetz ausdrücklich normierten (etwa § 1327 ABGB) - allerdings in Fällen zugelassen, in welchen ein Dritter aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder rechtsgeschäftlicher Regelung den Schaden des Verletzten zu tragen hat, wodurch der Schade ja nicht behoben, sondern bloß auf den Dritten überwälzt und der Schädiger von seiner Ersatzpflicht nicht befreit wurde (vgl Koziol, aaO, 279). Denn durch die infolge eines besonderen Rechtsverhältnisses ausgelöste Schadensverlagerung allein soll der verantwortliche Schädiger - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte - dann nicht entlastet werden, wenn er dem Schaden "nähersteht" als der am Schadenseintritt unbeteiligte Dritte. Der Schädiger hat jedenfalls für die typischen Folgen, die die übertretene Norm verhindern wollte, einzustehen; von einer gegen die Anerkennung des Ersatzes mittelbarer Schäden ins Treffen geführten Gefahr der unübersehbaren Ausdehnung der Schadenersatzansprüche kann in diesen Fällen keine Rede sein (Koziol, aaO, 280; SZ 51/164; SZ 55/190; SZ 58/202; JBl 1986, 468).
Ein Fall einer solche Schadensverlagerung liegt hier vor. Denn es besteht einerseits kein Zweifel, daß die Kosten der nach dem unfallsbedingten Ausfall der Verkehrssignalanlage notwendig gewordenen Verkehrsregelung durch Handzeichen einen typischen Folgeschaden der Beschädigung der automatischen Verkehrsregelungsanlage darstellen, der vom Schutzzweck der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung umfaßt ist. Anderseits hat diesen wegen des Erfordernisses weiterer Verkehrsregelung typischen, in der Regel beim Eigentümer der Verkehrsleitanlage eintretenden Schaden im vorliegenden Fall kraft besonderer öffentlich-rechtlicher Regelung (§ 2 FinanzverfassungsG 1948 BGBl 45 iVm Art 10 Abs 1 Z 14 B-VG) nicht das Land Wien, sondern der Bund zu tragen. Dieser Fall der Überwälzung eines konkret vorhersehbaren Schadens auf einen Dritten unterscheidet sich doch grundsätzlich von der schadenersatzrechtlich nicht schutzwürdigen Situation eines Dritten (etwa des Strombeziehers) der bloß in einer schuldrechtlichen Stellung zum verletzten Eigentümer (Energieversorgungsunternehmen) steht und durch den Stromausfall einen - von vornherein nicht überschaubaren - Schaden erleidet (Produktionsausfall) der - bestünde diese schuldrechtliche Beziehung (Stromlieferungsvertrag) nicht - keineswegs im Vermögen des (primär) verletzten Eigentümers (Energieversorgungsunternehmen) eingetreten wäre. Der Oberste Gerichtshof billigt daher die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß hier ein Fall der sogenannten bloßen Schadensverlagerung vorliegt, der es wohl rechtfertigt, dem Bund als Dritten ausnahmsweise einen Anspruch auf Ersatz des auf ihn "überwälzten" Schadens zu gewähren.
Die von der Revisionswerberin zur Stützung ihres Standpunktes herangezogene, in den Leasing- und Entgeltfortzahlungsfällen entwickelte, Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Sachverhalt schon wegen der - im Vergleich zu dem Verhältnis Leasingnehmer und Leasinggeber bzw Dienstnehmer und Dienstgeber - anders gelagerten rechtlichen Beziehung zwischem dem Land Wien als Eigentümer der beschädigten Verkehrssignalanlage und dem Bund als Träger der durch den Ausfall der beschädigten Anlage typischer Weise aufgelaufenen Kosten der seinen Organen gesetzlich obliegenden Handhabung der Verkehrspolizei nicht übertragbar.
Im Hinblick auf die bestehende Schadenersatzpflicht der Beklagten kann die in der Revisionsbeantwortung noch vorgetragene Ansicht unerörtert bleiben, die Klägerin könnte den begehrten Ersatzanspruch auch aus der Bestimmung des § 1042 ABGB ableiten.
Damit erweist sich aber die Revision als nicht berechtigt, weshalb ihr kein Erfolg beschieden sein konnte.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E26172European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0020OB00037.91.0626.000Dokumentnummer
JJT_19910626_OGH0002_0020OB00037_9100000_000