Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Angst, Dr. Graf und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helena H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei N***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Hans Bichler und Dr. Wolfgang Spitzy, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 220.000,-- sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 11. März 1991, GZ 13 R 60/90-16, womit der Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 5. Oktober 1990, GZ 4 Cg 19/90-12, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat der Klägerin die mit S 9.518,40 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (einschließlich S 1.586,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin buchte gemeinsam mit ihrem Mann am 11. Juli 1988 im Reisebüro "R*****"*****, eine von der beklagten GmbH, die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, veranstaltete Kreuzfahrt "Rund um die Welt", die in der Zeit vom 6. Jänner 1989 bis zum 27. April 1989 mit dem Schiff "Vasco da Gama" durchgeführt wurde. Am 25. Jänner 1989 verletzte sich die Klägerin am Schiff durch eine zufallende Türe zwei Finger der rechten Hand (Quetschung).
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von der beklagten Partei ein Schmerzengeld von S 100.000,-- sowie nach Klageeinschränkung einen Betrag von S 120.000,-- als Preisminderung und Schadenersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit. Die Zuständigkeit des Landesgerichtes Linz nahm sie auf Grund der Bestimmungen der §§ 87 und 99 JN mit dem Hinweis in Anspruch, die beklagte Partei betreibe in L*****, Niederlassungen und verwende im geschäftlichen Verkehr Unterlagen und Werbematerialien, die eindeutig auf solche Niederlassungen schließen ließen. Auch habe die beklagte Partei im Klagezeitpunkt Forderungen gegenüber L*****Reisebüros aus ständigen Geschäftsbeziehungen gehabt, die nicht unverhältnismäßig geringer gewesen seien als der Streitgegenstand.
Die beklagte Partei erhob die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit sowie der örtlichen Unzuständigkeit und beantragte die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Klage. Sie wendete ein, daß sie in L***** keine Niederlassungen betreibe; das Reisebüro "R*****" sei nicht ihre Niederlassung und habe von der Klägerin auch nur eine Reiseanmeldung entgegengenommen und an sie, die beklagte Partei, weitergeleitet. Solcherart habe es als Handelsmäkler den Reisevertrag lediglich vermittelt. Die beklagte Partei habe auch nicht den Eindruck erweckt, in Österreich eine Niederlassung zu haben. Auch der Gerichtsstand des Vermögens nach §§ 99 Abs 1 JN sei nicht gegeben.
Hierauf behauptete die klagende Partei noch, die für die inländische Gerichtsbarkeit erforderliche Nahebeziehung zur österreichischen Rechtsordnung sei auch schon dadurch begründet, daß die beklagte Partei ihre Leistungen in Österreich anbiete und den Abschluß von Verträgen mit Österreichern anstrebe.
Das Erstgericht wies die Klage mangels Vorliegens der inländischen Gerichtsbarkeit und zufolge Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes zurück. Es stellte ua fest, daß sich im Zeitpunkt der Klageeinbringung im Gerichtshofsprengel kein Vermögen der beklagten Partei im Sinne des § 99 Abs 1 JN befunden habe und verneinte demgemäß das Vorliegen dieses Gerichtsstandes. Weiters hielt es den Mangel einer Niederlassung der beklagten Partei im Sinne des § 87 Abs 1 JN für erwiesen. Schließlich verneinte es auch den Gerichtsstand des § 99 Abs 3 JN, weil die Klägerin bei der Buchung der Reise im Reisebüro "R*****" gewußt habe, daß dieses Reisebüro lediglich als Vermittler eine Reiseanmeldung angenommen und an die beklagte Partei als Reiseveranstalter übermittelt habe und der Reisevertrag erst durch dessen Reisebestätigung zustandegekommen sei. Bei der Anmeldung leistete die Klägerin im Reisebüro eine Anzahlung von S 20.000,--, nach Erhalt der Reisedokumente bezahlte sie den Restbetrag von S 420.500,30 an das Reisebüro "R*****". Zwischen diesem und der beklagten Partei besteht ein Einziehungsabkommen, auf Grund dessen die beklagte Partei berechtigt ist, zum Zeitpunkt der Abreise oder eine Woche später vom Bankkonto des Reisebüros den Betrag des Reiseentgelts abzubuchen. Stornofälle werden zwischen dem Reisebüro und der beklagten Partei so gehandhabt, daß die beklagte Partei im Rahmen der Rückverrechnung die Stornogebühr einbehält und das Reisebüro diese Gebühr vom Kunden auf eigenes Risiko einfordern muß.
Das von der klagenden Partei angerufene Rekursgericht änderte die erstgerichtliche Entscheidung im Sinne der Verwerfung der Einreden der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit und der örtlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ab. Es sprach aus, daß der Revisionsrekurs zulässig sei. In seiner Entscheidungsbegründung führte es ua aus: Der Oberste Gerichtshof vertrete bei Beurteilung der inländischen Gerichtsbarkeit in ständiger Rechtsprechung die sogenannte Indikationentheorie:
danach sei die inländische Gerichtsbarkeit indiziert, wenn ein gesetzlicher Tatbestand der örtlichen Zuständigkeit erfüllt sei. Darüberhinaus sei aber zu prüfen, ob die durch den Gerichtsstand repräsentierte Inlandsbeziehung auch insgesamt für die Bejahung des inländischen Justizbedürfnisses ausreiche. Die Mehrzahl der gesetzlichen Gerichtsstände repräsentiere eine ausreichende Inlandsbeziehung und genüge deshalb auch vom Standpunkt der Indikationentheorie für die Begründung der inländischen Jurisdiktion. Von der Judikatur werde der Gerichtsstand des Vermögens nach § 99 JN jedenfalls als eine ausreichende Inlandsbeziehung für die Ableitung der inländischen Gerichtsbarkeit angesehen (SZ 55/95; SZ 60/164; JBl 1978, 656). Im Sinne dieser Rechtsprechung habe das Erstgericht auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes die von der Klägerin behaupteten Gerichtsstände des § 87 Abs 1 und § 99 Abs 1 JN zu Recht verneint. Dagegen vertrete das Rekursgericht die Auffassung, daß das Vorliegen des Gerichtsstandes nach § 99 Abs 3 JN beim gegebenen Sachverhalt zu bejahen und solcherart die für die inländische Gerichtsbarkeit erforderliche Inlandsbeziehung gegeben sei. Nach § 99 Abs 3 JN könnten ausländische Anstalten, Vermögensmassen, Gesellschaften, Genossenschaften und andere Personenvereine bei dem inländischen Gericht geklagt werden, in dessen Sprengel sich ihre ständige Vertretung für das Inland oder ein mit der Besorgung der Geschäfte solcher Anstalten und Gesellschaften betrautes Organ befinde. Nach den Feststellungen sei hier davon auszugehen, daß die beklagte Partei mit dem Reisebüro "R*****" sowie anderen L***** Reisebüros insofern in einer ständigen Geschäftsbeziehung stehe, als diese Reisebüros Anmeldungen für von der beklagten Partei veranstaltete Reisen entgegennähmen, weil direkte Buchungen bei der beklagten Partei ohne Zwischenschaltung von Reisebüros nicht möglich seien. Weiters, daß die Reisebüros die Anmeldungen an die beklagte Partei weiterleiteten und daß nach Annahme dieser Anmeldungen durch die beklagte Partei diese die Reiseunterlagen an die inländischen Reisebüros sendeten, die sie an die Kunden ausfolgten und von den Kunden den Reisepreis kassierten, der dann bei Reisebeginn oder etwas später abzüglich der Provision von der beklagten Partei von den Reisebüros auf Grund von Einziehungsabkommen abgebucht werde. Eine Vollmacht zum Abschluß der Reiseverträge hätten die inländischen Reisebüros nicht. Es bestehe auch keine gesellschaftsrechtliche Verbindung zwischen den Reisebüros und der beklagten Partei. Nicht zweifelhaft sei, daß die in dieser Geschäftsbeziehung zur beklagten Partei stehenden L***** Reisebüros nicht als ständige Vertreter der beklagten Parteien im Inland anzusehen seien, weil darunter nur jene Personen verstanden werden könnten, die kraft Gesetzes oder kraft Vollmacht im Namen und mit Rechtswirkung für und gegen den Vertretenen zu handeln befugt seien. Wohl aber seien diese Reisebüros als mit der Besorgung der Geschäfte der beklagten Partei in Österreich betraute Organe im Sinne des § 99 Abs 3 JN zu qualifizieren. Als solche Organe seien im Hinblick auf den dem Sprachgebrauch des ABGB entnommenen Ausdruck "Besorgung der Geschäfte" alle jene Personen anzusehen, die die Geschäfte der ausländischen Gesellschaft im Inland auftragsgemäß ganz oder zum Teil besorgten. Diese Voraussetzungen erfüllten aber entgegen der in der Rekursbeantwortung vertretenen Auffassung die von den L***** Reisebüros für die beklagte Partei im Zusammenhang mit der Buchung und Durchführung von Reiseverträgen vorgenommenen Tätigkeiten. Daß sie diese Aufgaben im Rahmen der ständigen Geschäftsbeziehung zur beklagten Partei im Auftrag dieser erfüllten, könne nicht zweifelhaft sein, zumal zwischen der beklagten Partei und den Reisebüros Einziehungsabkommen bestünden und die beklagte Partei auch zur Entgegennahme von Reiseanmeldungen die Tätigkeit der Reisebüros brauche, weil es eine Direktbuchung der Reisen bei der beklagten Partei als Reiseveranstalter nicht gebe. In der Judikatur werde die Auffassung vertreten, daß der Gerichtsstand nach § 99 JN ausdehnend auszulegen sei.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs der beklagten Partei mit dem Abänderungsantrag, die erstgerichtliche Entscheidung wiederherzustellen. Die Rechtsmittelwerberin vertritt den Standpunkt, daß das Reisebüro "R*****" nicht als "Organ" der beklagten Partei im Sinne des § 99 Abs 3 zweiter Fall JN angesehen werden könne, weil dieser Begriff nicht ausdehnend interpretiert werden dürfe. In der Entscheidung SZ 35/38 sei die in Wien seßhafte Generalvertretung der Deutschen Bundesbahn zutreffend als deren Organ angesehen und ausgesprochen worden, daß der Ausdruck "Besorgung der Geschäfte" dem Sprachgebrauch des ABGB entnommen sei. Dagegen habe die Entscheidung EvBl 1977/128 in Verkennung der Entscheidung SZ 35/38 rechtsirrtümlich die Ansicht vertreten, Organ im Sinne des § 99 Abs 3 JN sei, wer nach den §§ 1002 ff ABGB zur Besorgung der Geschäfte bevollmächtigt sei. Der Begriff "Organ" habe aber eine eigenständige Bedeutung und sei nicht dem Sprachgebrauch des ABGB entnommen. Unter "Organ" seien nur Personen zu verstehen, die in der Satzung einer juristischen Person vorgesehen seien und die erst das Handeln der juristischen Person ermöglichten. Hier vermenge das Rekursgericht die Begriffe "Organ" und "Besorgung der Geschäfte". Aus dem einen folge nicht zwingend auch das andere. Auch Fasching spreche nicht davon, daß die Rechtsbegriffe des § 99 Abs 3 JN ausdehnend auszulegen seien, sondern beschäftige sich ausschließlich mit dem Vermögensbegriff. Zusammenfassend gesehen gestehe die Rekurswerberin zwar zu, daß die von den L***** Reisebüros für die beklagte Partei vorgenommene Tätigkeit als "Geschäftsbesorgung im weiteren Sinn" zu verstehen sei, nicht jedoch, daß diese "Organ" der beklagten Partei seien.
Rechtliche Beurteilung
Den Rekursausführungen kann nicht gefolgt werden.
Nach der Anordnung des § 99 Abs 3 JN können Anstalten, Vermögensmassen, Gesellschaften, Genossenschaften und andere Personenvereine auch bei dem Gericht geklagt werden, in dessen Sprengel sich ihre ständige Vertretung für das Inland oder ein mit der Besorgung der Geschäfte solcher Anstalten und Gesellschaften betrautes Organ befindet. Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ 35/38 die Wiener Generalvertretung der Deutschen Bundesbahn nicht als gesetzlicher oder satzungsmäßiger Vertreter, wohl aber als mit der Besorgung von Geschäften der Deutschen Bundesbahn betrautes Organ im Sinne des § 99 Abs 3 JN gewertet. In den Entscheidungen EvBl 1977/128 und zuletzt 2 Ob 585/90 hat der Oberste Gerichtshof weiters ausgesprochen, daß unter Organ im Sinne dieser Gesetzesstelle im Hinblick auf den dem Sprachgebrauch des ABGB entnommenen Ausdruck "Besorgung der Geschäfte" auch (ausdrücklich oder konkludent) Bevollmächtigte im Sinne der §§ 1002 ff ABGB zu betrachten sind. Unter "Organ" werden somit im besonderen Sinne dieser Gesetzesstelle nicht nur, wie die Rechtsmittelwerberin meint, die gesetzlichen oder satzungsgemäß zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Personen angesehen, sondern grundsätzlich auch ihre Bevollmächtigten und Beauftragten als ausdrücklich oder konkludent (§ 863 ABGB) bestellte rechtsgeschäftliche Stellvertreter (hiezu Strasser in Rummel ABGB2 Rz 1 zu § 1002; weiters Rz 7, 12, 34 zu § 1002). Von diesen zu unterscheiden ist der von der beklagten Partei genannte bloße Abschlußvermittler, der kein Stellvertreter, sondern nur beauftragt ist, für einen anderen Geschäfte mit einem Dritten zu vermitteln. Er weist nur Abschlußgelegenheiten nach und bringt potentielle Kunden zusammen, seine Tätigkeit besteht in der Einziehung von Erkundigungen und im Erteilen von Auskünften (Koziol-Welser8 I 172).
Als ein solcher, nicht nur als Abschlußvermittler tätiger, sondern darüberhinaus von der beklagten Partei zumindest konkludent bestellter Bevollmächtigter ist hier der Betreiber des Reisebüros "R*****" zu werten. Dessen Tätigkeit erschöpfte sich nicht in der Vermittlung von Reiseaufträgen, d.i. die bloße Entgegennahme von Buchungen und Weiterleitung an die beklagte Partei als Reiseveranstalter gegen Provisionszahlung. Die beklagte Partei bediente sich seiner vielmehr auch bei der gesamten weiteren Vertragsgestaltung, indem nach Leistung einer "Anzahlung" direkt an das Reisebüro die Reisebestätigung und die Reisedokumente dem Kunden und Vertragspartner der beklagten Partei auch nicht von dieser selbst, sondern über dieses Reisebüro ausgefolgt wurden und diesem sodann das Inkasso des gesamten Reiseentgeltes oblag. Im Stornofalle hatte der Betreiber des Reisebüros schließlich auch die Einbringlichmachung der Stornogebühr zu besorgen. Alle diese Tätigkeiten, insbesondere das laufende Inkasso (vgl Strasser aaO Rz 34 zu § 1002) sämtlicher Reiseentgelte, stellen sich jedenfalls als solche auf Grund eines zumindest konkludent (§ 863 ABGB) zustandegekommenen Auftrags- und Vollmachtsverhältnisses im Sinne der §§ 1002 ff ABGB dar. Ausgehend von diesen Tätigkeiten führt auch die Ansicht Faschings (I 484) zur Beurteilung des Betreibers des Reisebüros "R*****" als Organ im Sinne des § 99 Abs 3 JN, weil nach ihm hiefür die allgemeinen Regeln des geschäftlichen Verkehrs und der Umfang der Vertragsbefugnisse des Bevollmächtigten maßgebend sind. Daß die Tätigkeit des Betreibers des Reisebüros "R*****" als Geschäftsbesorgung im Sinne des § 99 Abs 3 JN zu qualifizieren ist, wird von der Rechtsmittelwerberin schließlich selbst zugestanden, sodaß sich insoweit weitere Ausführungen erübrigen.
Hat der Betreiber des Reisebüros "R*****" in L***** als Organ der beklagten Partei deren Geschäfte besorgt, so ist das angerufene Gericht gemäß § 99 Abs 3 JN zur Verhandlung der vorliegenden Rechtssache örtlich zuständig. Da die Klägerin die Reise in L***** buchte und die förmliche Vertragsabwicklung auch in L***** erfolgte, ist eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland und demgemäß auch die inländische Gerichtsbarkeit gegeben.
Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E27535European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00560.91.0627.000Dokumentnummer
JJT_19910627_OGH0002_0080OB00560_9100000_000