TE Vwgh Erkenntnis 2005/12/20 2003/05/0118

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Veröffentlicht am 20.12.2005
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Index

L10013 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt
Niederösterreich;
L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L80003 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan
Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO NÖ 1996 §23 Abs1;
BauO NÖ 1996 §23 Abs2;
BauO NÖ 1996 §23;
BauO NÖ 1996 §48 Abs1;
BauO NÖ 1996 §48 Abs2;
BauO NÖ 1996 §54;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2 Z2;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
GdO NÖ 1973 §61;
ROG NÖ 1976 §16 Abs1 Z1 idF 8000-10;
ROG NÖ 1976 §16 Abs1 Z2 idF 8000-10;
ROG NÖ 1976 §16 Abs1 Z3 idF 8000-10;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Waldstätten und Dr. Moritz, als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des Andreas Reutterer in Falkendorf, vertreten durch Dr. Mario Noe-Nordberg, Rechtsanwalt in 3830 Waidhofen an der Thaya, Hamernikgasse 10, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 28. Mai 2003, Zl. RU1-V-02148/00, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. Ing. Peter Koch, 2. Ingeborg Kropik, beide in 3872 Falkendorf, Feldgasse 17), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In einem am 29. Jänner 2002 bei der Marktgemeinde Amaliendorf-Aalfang eingelangten Ansuchen beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung der Baubewilligung für den Zu- und Umbau einer Garage in eine Kfz--Servicestation auf dem Grundstück Nr. 27/7, KG Falkendorf (Feldgasse 21). Die bestehende Kleingarage soll laut beiliegendem Einreichplan teilweise abgetragen und eine Werkstätte samt fünf Abstellplätzen neu errichtet werden. Das gegenständliche Objekt soll als betrieblich genutzte Werkstatt benutzt werden.

Die mitbeteiligten Parteien sind Eigentümer des Grundstückes Nr. 27/6, KG Falkendorf (Feldgasse 17), das unmittelbar an das Baugrundstück östlich angrenzt.

Den Projektunterlagen ist zu entnehmen, dass der Zubau an die östliche und nördliche Grundstücksgrenze direkt angebaut werden soll. Der Abstellplatz soll auf der östlichen Grundstückseite angesiedelt werden. Eine Schallschutzwand ist weder dem Bauplan noch der Baubeschreibung zu entnehmen.

Vor der Bauverhandlung erhoben die mitbeteiligten Parteien schriftlich Einwendungen. Der Betrieb einer Kfz-Servicestation bewirke eine über das ortsübliche Ausmaß hinausgehende unzumutbare Belästigung durch Geruch, Lärm, Staub u.a. und es sei eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen durch Abgase zu erwarten. Zudem widerspreche das geplante Bauvorhaben der Widmung des Baugrundstückes "Bauland-Wohngebiet".

Die Ladung zur Bauverhandlung enthielt die Belehrung, dass Einwendungen, die nicht spätestens am Tage vor der Verhandlung beim Gemeindeamt oder während der Verhandlung vorgebracht würden, keine Berücksichtigung fänden und die Beteiligten als dem Vorhaben zustimmend angesehen würden.

In der Bauverhandlung vom 20. Februar 2002 wurde das Projekt wie folgt beschrieben: "Der Lokalaugenschein hat ergeben: Der Konsenswerber hat um die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Zu- und Umbaus, sowie teilweisen Abbruch des bestehenden Garagengebäudes samt dazugehöriger fünf Abstellplätze angesucht. Der gegenständliche Um- und Zubau wird in Massivbauweise errichtet, ist teilweise unterkellert und hat die Ausmaße von ca. 10,20 mal 13,30 Meter. Darüber hinaus wird ein überdachter Abstellplatz samt einer mindestens 2 Meter Holzbohlen-Schallschutzwand hergestellt. Das gegenständliche Objekt wird als betrieblich genutzte Werkstatt verwendet." Bezüglich der Mitbeteiligten wurde festgehalten, dass durch ihre schriftlichen Einwendungen eine Beeinspruchung des Bauvorhabens gegeben sei.

Bei der am selben Tag durchgeführten Verhandlung über die Betriebsanlagengenehmigung führte der Amtsachverständige für Lärmtechnik aus, in derartigen Betriebsanlagen sei aus Erfahrung mit einem Rauminnenpegel von 75 dB bei Schallpegelspitzen von bis zu 105 dB zu rechnen. Für die Fahrbewegungen der Kraftfahrzeuge sei von einem Schallpegel von 85 dB (PKW) und 95 dB (LKW) bei Schallpegelspitzen für den Schallleistungspegel von 95 dB (PKW) und 105 dB (LKW) auszugehen. Unter Berücksichtigung dieser Emissionen sei eine Berechnung der zu erwartenden Immissionen für den Bereich der Grundstücksgrenze der Liegenschaft 27/6 in Anlehnung an die ÖÄL Richtlinie Nr. 28 durchgeführt worden. Diese zeige bei geschlossenen Fenstern, Toren und Türen für die Betriebsgeräusche aus der Werkstätte einen Beurteilungspegel von 39 dB bei Schallpegelspitzen von bis zu 68 dB. Durch Fahrbewegungen der Kunden ergebe sich ein Beurteilungspegel an der Grundstücksgrenze von 45 dB, bei Schallpegelspitzen von bis zu 75 dB. Materialanlieferungen mittels LKW ergäben im unmittelbaren Bereich der Werkstätte einen Beurteilungspegel von 49 dB, bei Schallpegelspitzen bis zu 83 dB. In der gegenständlichen Wohnnachbarschaft könne von einem Grundgeräuschpegel von 35 dB während der Tagzeit ausgegangen werden, der Grenzwert der Zumutbarkeit betrage somit 45 dB. Für die Schallpegelspitzen sei zur Tagzeit zwischen 6.00 und 18.00 Uhr ein Grenzwert von 75 dB und zwischen 18.00 und 22.00 Uhr ein Grenzwert von 70 dB festgelegt.

Ein Vergleich der berechneten Immissionen mit diesen Grenzwerten zeige, dass nach 18.00 Uhr deutliche Überschreitungen des Grenzwertes für die Schallpegelspitzen gegeben seien. Durch Anlieferungen mittels LKW sei auch zur Tagzeit mit deutlichen Überschreitungen zu rechnen. Es wurden verschiedene schalldämmende Maßnahmen gefordert, namentlich eine Einschränkung der Betriebszeit ausschließlich auf den Zeitraum zwischen 7.00 und 18.00 Uhr, ein Geschlossenhalten sämtlicher Fenster, Türen sowie des Zufahrtstores der Werkstätte während des Betriebes in der Werkstätte, ein Schalldämmmaß der Torkonstruktion von mindestens 20 dB mit Nachweis der Herstellerfirma und ein Unterlassen von Arbeitsdurchführungen im Freien. Weiters forderte der Sachverständige zur Reduzierung der Schallemissionen, im Zusammenhang mit den Anlieferungen mittels LKW müsste entlang der Grundstücksgrenze zur Liegenschaft 27/6 ein Schallhindernis geplant werden. Als Mindestanforderung müsste dieses Hindernis ein Schalldämmmaß von 20 dB (fugendichte Ausführung) sowie eine Höhe von mindestens 2 m über Niveau der Stellplätze aufweisen. Durch ein derartiges Hindernis reduzierten sich die Betriebsgeräusche im Zusammenhang mit Anlieferungen durch LKW auf einen Beurteilungspegel von 44 dB, bei Schallpegelspitzen von 74 dB.

Sowohl die mitbeteiligten Parteien als auch der Beschwerdeführer sprachen sich in der Verhandlung vor der Gewerbebehörde gegen die Errichtung einer Schallschutzwand aus.

In einer Stellungnahme nach dieser Verhandlung führte der Amtsachverständige für Lärmtechnik aus, durch die Errichtung einer Schallschutzmauer komme es zwar zu einer Reduzierung der Schallimmissionen direkt an der Grundgrenze der Liegenschaft 26/7, für das Wohnhaus selbst entstehe aber nur eine geringfügige abschirmende Wirkung. Inwieweit vom Schallhindernis Abstand genommen werden könne, müsse durch einen medizinischen Sachverständigen geklärt werden.

Gleichfalls im Verfahren vor der Gewerbebehörde erklärte der Amtsarzt, dass der Grundgeräuschpegel sogar unter 35 dB liege, weshalb die Lärmbelastung aus medizinischer Sicht unter 45 dB liegen müsse. Die Errichtung einer Schallschutzwand werde unbedingt gefordert.

Mit Stellungnahme vom 18. März 2002 führten die mitbeteiligten Parteien gegenüber der Baubehörde bezugnehmend auf das lärmtechnische Gutachten aus, dass das gegenständliche Bauvorhaben ohne entsprechende zusätzliche Baumaßnahmen, wie eine Lärmschutzwand, nicht zulässig sei. Sie würden das Projekt daher auf Grund ihrer subjektiven Anrainerrechte ablehnen. Zudem dürfe das Bauwerk und die Lärmschutzwand iSd §§ 54 und 56 der NÖ BauO 1996 nicht genehmigt werden.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Amaliendorf-Aalfang vom 6. Mai 2002 wurde dem Beschwerdeführer die baubehördliche Bewilligung für den Zu- und Umbau der Kleingarage in eine Servicestation "samt Abstellplätzen und Schallschutzwand" erteilt. In der Begründung wurde auf das Lärmgutachten im Gewerbeverfahren verwiesen und ausgeführt, dass die Vorschreibung eines Schallhindernisses mit einem Mindestdammmaß von 20 dB und einer Mindesthöhe von 2,0 m erforderlich gewesen sei. Ein derartiger Betrieb sei gemäß § 16 Abs. 1 NÖ ROG in der Widmungsart "Bauland - Wohngebiet" zulässig. Ein Widerspruch zu § 54 NÖ BauO liege nicht vor.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führten die mitbeteiligten Parteien im Wesentlichen aus, dass weder auf ihre Einwände bezüglich der Übereinstimmung des Bauvorhabens mit dem Flächenwidmungsplan iSd Bestimmung des § 16 Abs. 1 Z. 1 NÖ ROG 1976 noch auf ihren Einwand eines fehlenden Gutachtens betreffend § 54 NÖ BauO 1996 eingegangen worden sei. Außerdem sei die Unzulässigkeit des Bauvorhabens iSd § 54 dadurch verstärkt, dass sich in der näheren Umgebung kein vergleichbares Gebäude an der Grundstücksgrenze mit Brandschutzwand befinde und keine vergleichbare Wand vorhanden sei. Die im Bescheid zitierten Gutachten seien unzulänglich.

Die Berufungsbehörde ergänzte das Ermittlungsverfahren durch Einholung weiterer Gutachten.

Nach dem Gutachten des Baumeisters T. vom 4. Juli 2002 weiche der geplante Zubau in Anordnung und Höhe nicht von den an allgemein zugänglichen Orten zugleich mit ihm sichtbaren Bauwerken auffallend ab. Eine Beeinträchtigung des Lichteinfalls zum Nachbargrundstück Nr. 27/6 sei wegen der Gebäudehöhe der Servicestation von 3 m unter Heranziehung der geltenden Normierung auszuschließen. Das Vorhaben füge sich weitestgehend in die Umgebung ein.

Die Gemeindeärztin führte in ihrer Stellungnahme aus, dass im Interesse der Nachbarn die für den Betrieb auferlegten Bestimmungen einzuhalten und die Belastung durch Lärm und Abgase auf das absolute Minimum zu beschränken seien.

Mit Stellungnahme vom 22. Juli 2002 brachten die mitbeteiligten Parteien vor, dass die beantragte Servicestation direkt an zwei Grundstücke angrenze und keine vergleichbare Servicestation mit Lärmschutzwand in der Umgebung vorhanden sei. Durch die Bauführung an der Grundgrenze würde ihnen eine Erweiterungsmöglichkeit genommen. Es liege eine auffallende Disharmonie und Abweichung mit der Umgebung vor und es sei eine massive Verschlechterung der Lebensqualität zu erwarten, zumal nur ein Abstand von 7 m zu ihrem Schlafraumfenster bestehe.

Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Amaliendorf-Aalfang vom 5. August 2002 wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid der Baubehörde erster Instanz vollinhaltlich bestätigt. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen mit den Gutachten des Amtsachverständigen für Lärmtechnik, des Baumeisters T. sowie der Stellungnahme der Gemeindeärztin.

Gegen diesen Bescheid erhoben die mitbeteiligten Parteien Vorstellung mit dem Vorbringen, die Behörde sei nicht auf ihre Einwendungen eingegangen und es liege eine örtlich unzumutbare Lärmbelästigung vor. Sie legten Lichtbilder vor.

Die belangte Behörde holte im Hinblick auf § 54 NÖ BauO ein Sachverständigengutachten ein.

Der Sachverständige Dipl. Ing. J. ermittelte unter Anschluss einer Fotodokumentation bei 8 Gebäuden, die zugleich mit dem gegenständlichen Objekt sichtbar seien, die Abstände zu den Grundstücksgrenzen und die Gebäudehöhe. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Anordnung auf dem Bauplatz sowohl die Servicestation als auch die Schallschutzmauer von der Umgebung deutlich abwichen. Hinsichtlich der Gebäudehöhe der Servicestation liege keine Abweichung vor, hinsichtlich der Mauer könne keine Aussage getroffen werden, weil sie nicht Gegenstand der Einreichung sei und ihre Höhe nicht feststehe. In Anbetracht des Abstandes des Gebäudes der Mitbeteiligten (als Bauwerk 17 bezeichnet) von der Grundgrenze liege durch das 5,27 m hohe Servicegebäude keine Beeinträchtigung des Lichteinfalls auf zulässige Hauptfenster vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Vorstellung Folge gegeben, der Bescheid zweiter Instanz behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde Amaliendorf-Aalfang zurückverwiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Baubehörde habe eine endgültige Beurteilung der Zumutbarkeit bzw. Gesundheitsauswirkungen der Lärmimmissionen im Sinne des § 48 Abs. 1 NÖ BauO 1996 nicht vorgenommen, weshalb diesbezüglich ein schwer wiegender Verfahrensmangel vorliege. Auf die vom Lärmsachverständigen geforderten Einschränkungen bei der Betriebszeit usw. komme es nicht an, weil diesbezügliche Vorschreibungen der Baubehörde verwehrt seien. Die erste Alternative des § 54 NÖ BauO 1996 sei insofern erfüllt, als das Bauprojekt laut dem von der belangten Behörde eingeholten Gutachten in seiner Anordnung auf dem Grundstück von den an allgemein zugänglichen Orten zugleich mit ihm sichtbaren Bauwerken auffallend abweiche. Auch sei von Seiten des Bauwerbers kein Bauansuchen betreffend die Schallschutzwand vorgelegen, weshalb die diesbezügliche Bewilligung unzuständiger Weise erfolgt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem gesetzlich gewährten Recht auf Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung gemäß § 23 Abs. 1 und Abs. 2 NÖ BauO 1996 verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligten Parteien, eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit seinem eingangs der Beschwerde erstatteten Vorbringen, gemäß § 23 Abs. 8 NÖ BauO 1996 i.d.F. LGBl. 8200-3 (BO), könne ein Baubewilligungsbescheid nur bis zur Fertigstellung der Fundamente aufgehoben werden, verkennt der Beschwerdeführer, dass die Vorstellungsbehörde nicht in Ausübung dieser Bestimmung, sondern, wie im Bescheid ausdrücklich genannt, nach § 61 Abs. 4 NÖ Gemeindeordnung vorgegangen ist; auch in der Bescheidbegründung ist von einer Nichtigkeit keine Rede.

Tragende Aufhebungsgründe im angefochtenen Bescheid waren die nach Auffassung der Vorstellungsbehörde unzureichende Beweisaufnahme zur Zumutbarkeit nach § 48 BO, die von der Gewerbebehörde angenommene Zulässigkeit nach § 54 BO und die Einbeziehung der Schallschutzmauer in den Spruch der Baubewilligung.

Der Beschwerdeführer bringt vor, aus dem Gutachten des Amtssachverständigen für Lärmtechnik im Betriebsanlagegenehmigungsverfahren habe sich ergeben, dass unter Einhaltung einzelner vom Sachverständigen geforderter und ihm sodann auch von der Gewerbebehörde auferlegter Maßnahmen mit keiner unzumutbaren Lärmbeeinträchtigung für die Mitbeteiligten zu rechnen sei. Dem Gutachten sei ein Befund vorausgegangen, der sich mit den jeweiligen Schallpegelwerten auseinander gesetzt habe.

Nach § 20 Abs. 1 BO hat die Baubehörde vorerst zu prüfen, ob das jeweilige Vorhaben der Widmungsart des Flächenwidmungsplanes entspricht. Das verfahrensgegenständliche Grundstück weist laut rechtsgültigem Flächenwidmungsplan die Widmung "Bauland - Wohngebiet" auf.

§ 16 Abs. 1 Z. 1 NÖ ROG, i.d.F. LGBl. 8000-10 (ROG), lautet:

"Bauland

(1) Das Bauland ist entsprechend den örtlichen Gegebenheiten in folgende Widmungsarten zu gliedern:

1. Wohngebiete, die für Wohngebäude und die dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienenden Gebäude sowie für Betriebe bestimmt sind, welche in das Ortsbild einer Wohnsiedlung eingeordnet werden können und keine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- oder Geruchsbelästigung sowie sonstige schädliche Einwirkung auf die Umgebung verursachen;"

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der seit der Novelle LGBl. 8000-10 geänderten Fassung der Z. 1 bis 3 des § 16 Abs. 1 ROG sind im Wohngebiet Betriebe aller Art grundsätzlich zulässig, sofern sie in das Ortsbild eingeordnet werden können und die konkret von ihnen ausgehende Emissionsbelastung das örtlich zumutbare Ausmaß nicht übersteigt. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist auf Grund von Sachverständigengutachten festzustellen, wobei sich die Prüfung der Emissionen im Allgemeinen mit der Prüfung nach § 48 BO, dessen Abs. 2 wieder auf den Flächenwidmungsplan verweist, deckt (vgl. das hg Erkenntnis vom 27. Februar 2002, 2000/05/0068).

§ 48 BO lautet:

"Immissionsschutz

(1) Emissionen, die von Bauwerken oder deren Benützung ausgehen, dürfen

1.

das Leben oder die Gesundheit von Menschen nicht gefährden;

2.

Menschen durch Lärm, Geruch, Staub, Abgase, Erschütterungen, Blendung oder Spiegelung nicht örtlich unzumutbar belästigen.

(2) Ob Belästigungen örtlich zumutbar sind, ist nach der für das Baugrundstück im Flächenwidmungsplan festgelegten Widmungsart und der sich daraus ergebenden zulässigen Auswirkung des Bauwerks und dessen Benützung auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen zu beurteilen."

Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters in ständiger Rechtsprechung dargelegt, dass sich die Behörde bei der Beurteilung, ob eine Gefahr oder Belästigung seitens eines Betriebes zu befürchten ist, im Allgemeinen der Mithilfe von Sachverständigen zu bedienen hat, und zwar eines technischen und eines medizinischen Sachverständigen. Sache des technischen Sachverständigen ist es, über das Ausmaß der zu erwartenden Immissionen und ihre Art Auskunft zu geben, während es dem medizinischen Sachverständigen obliegt, seine Meinung hinsichtlich der Wirkungen der Immissionen auf den menschlichen Organismus darzulegen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2002, Zl. 2000/05/0059 mwN).

Diesen Erfordernissen genügt das Ermittlungsverfahren auf Gemeindeebene nicht. Dem Beschwerdeführer kann zwar insofern beigepflichtet werden, dass sich der Sachverständige für Lärmtechnik ausführlich mit den jeweiligen Schallpegelwerten auseinander gesetzt hat, die Frage der Zumutbarkeit der Lärmbelästigung auf die Umgebung konnte aber nicht abschließend geklärt werden. Während der lärmtechnische Amtsachverständige von einem Grundgeräuschpegel von 35 dB, und einem Grenzwert der Zumutbarkeit von 45 dB, ausging, war der medizinische Sachverständige der Ansicht, dass der Grundgeräuschpegel unter 35 dB und dementsprechend auch der Grenzwert der Zumutbarkeit unter 45 dB liegen müsse. Auch kann aus den Ausführungen des lärmtechnischen Sachverständigen, durch die Errichtung einer Schallschutzmauer komme es zwar zu einer Reduzierung der Lärmbelästigung direkt an der Grundgrenze zum Grundstück Nr. 27/6, für das Wohnhaus selbst entstehe aber nur eine geringfügige Abschirmung, insofern wenig gewonnen werden, als im baubehördlichen Verfahren das gesamte Nachbargrundstück vor Immissionen zu schützen ist und eine abschließende Beurteilung im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung möglich sein muss (vgl. hiezu Hauer, Der Nachbar im Baurecht, 5. Auflage, Seite 291). Eine auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens allenfalls erforderliche Schallschutzmauer kann bei der Beurteilung der durch die Emission des Betriebes entstehenden Immissionen nicht berücksichtigt werden. Gleichfalls finden sich weder in der Stellungnahme des medizinischen Sachverständigen noch in jener der Gemeindeärztin Ausführungen über die Wirkung der Immissionen auf den menschlichen Organismus.

Zu Recht weist die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift darauf hin, dass der Sachverständige im Gewerbeverfahren seine Lärmschutzbeurteilung an eine Reihe von Auflagen geknüpft hat (vgl. bezüglich der Relevanz von im Gewerbeverfahren geforderten Auflagen für das Bauverfahren das hg Erkenntnis vom 15. Dezember 1992, 92/05/0239). Ob die Erfüllung dieser Auflagen, insbesondere der Einsatz einer Schallschutzwand, baurechtlich überhaupt zulässig ist, war jedenfalls nicht Gegenstand des Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens. Auflagen dürfen gemäß § 23 Abs. 2 BO nur zu den in dieser Gesetzesstelle genannten Zwecken vorgeschrieben werden. Keinesfalls kann durch Vorschreibung von Auflagen im Baubewilligungsverfahren ein auf Grund der Flächenwidmung für ein an sich unzulässiges Bauvorhaben dessen Zulässigkeit bewirkt werden (Hauer aaO, 262).

Der Vorwurf des Beschwerdeführers, die belangte Behörde hätte ein Ergänzungsgutachten eines lärmtechnischen Sachverständigen einholen müssen, geht insofern ins Leere, als es der Vorstellungsbehörde im Allgemeinen bei Vorliegen von Verfahrensmängeln freisteht, ein eigenes Ermittlungsverfahren durchzuführen oder aber wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften den angefochtenen Bescheid aufzuheben (vgl. hiezu Hauer, aaO, 157).

Zu der von den Mitbeteiligten erst nach der Bauverhandlung, aber noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides erhobenen Einwendung der Unzulässigkeit nach § 54 BO ist zunächst zu bemerken, dass insofern ein partieller Verlust der Parteistellung nicht eintreten konnte, weil das von der Baubehörde verwendete Ladungsformular nicht den in § 41 Abs. 2 AVG geforderten Hinweis auf die gemäß § 42 AVG eintretenden Folgen enthielt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2004, Zl. 2002/05/1371).

Der Beschwerdeführer bekämpft insbesondere das der Beurteilung der belangten Behörde zu Grunde liegende Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. J.; der von der Berufungsbehörde herangezogene Sachverständige T. hätte demgegenüber widerspruchsfrei und schlüssig erhoben, dass das Vorhaben in keiner Weise auffällig sei. Bestritten werde, dass Ausgangsbasis der Betrachtungen dieses Sachverständigen "allgemein zugängliche Grundstücke" gewesen wären. Die Anordnung der Bauwerke dürfte der Sachverständige lediglich aus den Bauakten entnommen haben, aber nicht an Ort und Stelle überprüft haben. Es könne keinesfalls ausgeschlossen werden, dass nicht auch andere Bauwerke an den Grundgrenzen bzw. nahe denselben errichtet worden seien.

§ 54 BO lautet samt Überschrift:

"§ 54

Bauwerke im ungeregelten Baulandbereich

Ein Neu- oder Zubau eines Bauwerks ist unzulässig, wenn für ein als Bauland gewidmetes Grundstück kein Bebauungsplan gilt oder dieser keine Festlegung der Bebauungsweise oder -höhe enthält und das neue oder abgeänderte Bauwerk

-

in seiner Anordnung auf dem Grundstück oder Höhe von den an allgemein zugänglichen Orten zugleich mit ihm sichtbaren Bauwerken auffallend abweicht oder

-

den Lichteinfall unter 45 Grad auf Hauptfenster zulässiger Gebäude auf den Nachbargrundstücken beeinträchtigen würde.

Zur Wahrung des Charakters der Bebauung dürfen hievon Ausnahmen gewährt werden, wenn dagegen keine hygienischen oder brandschutztechnischen Bedenken bestehen."

Die belangte Behörde gelangte zu ihrer Beurteilung, das Vorhaben weiche in seiner Anordnung von zugleich sichtbaren Bauwerken auffallend ab, auf Grund des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens Dipl. Ing. J.. Soweit dieses Gutachten als Beurteilungsgrundlage des angefochtenen Bescheides in der Beschwerde bekämpft wird, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dem Beschwerdeführer das Gutachten vor der Bescheiderlassung vorgehalten wurde, er sich aber dazu nicht geäußert hat (geäußert hat sich nur die Marktgemeinde Amaliendorf-Aalfang). Bezüglich des Bezugsbereiches hat der Sachverständige eine Fotomontage bestehend aus 18 Bildern angefertigt, wobei nach seiner Darstellung 14 Bilder vom öffentlichen Gut aus, 4 Bilder, die alle die gegenständliche in Errichtung befindliche Servicestation betreffen, von zwei unmittelbar benachbarten Grundstücken aus aufgenommen wurden. Da für die Festlegung des Bezugsbereiches zur Beurteilung der im § 54 BO genannten Abweichung die Bauwerke der Umgebung entscheidend sind, kann deswegen, weil auch diese vier Aufnahmen gemacht wurden, eine Mangelhaftigkeit der Beweisaufnahme und eine daraus resultierende Unschlüssigkeit der Beurteilung durch die belangte Behörde, was die Sichtbarkeit von allgemein zugänglichen Orten betrifft, nicht erkannt werden. Während im Befund des Gutachtens T. bei den aufgezählten 9 Parzellen nur die geringsten vorhandenen Abstände ziffernmäßig dargestellt werden, findet sich im Gutachten Dipl. Ing. J. eine tabellenförmige Darstellung von 8 Bauwerken und deren Abstände zur vorderen, hinteren, linken und rechten Grundstücksgrenze. Diese insgesamt 32 Abstände enthalten einen Maximalwert von 28,5 m und einen Minimalwert von 0,00 m (letzterer nur in einem Fall und offenbar punktförmig), wobei ein Abstand von weniger als 3 m insgesamt fünfmal festgestellt wurde. Der Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass er die Abstände aus den Bauakten, bei zwei Bauwerken aus Beilagen des Gutachtens des Sachverständigen T., entnommen habe.

Diesen Maßangaben ist der Beschwerdeführer im Vorstellungsverfahren nicht entgegengetreten. Mit der in der Beschwerde geäußerten, nicht näher begründeten Vermutung, Bestände könnten von den in Bauakten erliegenden Plänen abweichen, kann die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht erschüttert werden. Die Schlussfolgerung der belangte Behörde, dass das zu errichtende Gebäude auf Grund der Situierung einer Breitseite und einer Längsseite jeweils an einer Grundstücksgrenze von zugleich sichtbaren Bauwerken auffallend abweiche, ist daher durchaus gerechtfertigt.

Zu bedenken ist allerdings, dass die belangte Behörde in ihrer Entscheidung nur zu beurteilen hatte, ob die Vorstellungswerber, also Nachbarn, durch die erteilte Baubewilligung in ihren Rechten verletzt sind.

Zuletzt hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. Februar 2005, Zl. 2003/05/0100, seine Auffassung wiederholt, dass § 54 BO nicht weiter gehende Mitspracherechte als § 6 Abs. 2 BO schaffe und dass daher trotz des Bindewortes "oder" zwischen den beiden Unterfällen des § 54 BO das subjektive öffentliche Recht des Nachbarn darauf beschränkt werden müsse, dass die auffallende Abweichung einen Einfluss auf den Lichteinfall auf die Nachbarliegenschaft ausübe. Eine Verletzung von Nachbarrechten könne somit nur dann gegeben sein, wenn der Lichteinfall unter 45 Grad auf Hauptfenster zulässiger Gebäude auf den Nachbargrundstücken beeinträchtigt wird. Dies bedeutet aber, dass auf Grund einer (im Berufungs- und Vorstellungsverfahren den Prüfungsrahmen begrenzenden) Nachbareinwendung eine Unzulässigkeit nach § 54 BO nur dann angenommen werden kann, wenn die festgestellte auffallende Abweichung einen Einfluss auf den Lichteinfall auf Hauptfenster zulässiger Gebäude ausüben kann.

Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang, dass die Mitbeteiligten in ihrer Vorstellung vorgebracht haben, die Möglichkeit einer späteren Wohnhauserweiterung in Nordwest/Westrichtung werde stark beeinträchtigt; dem Gutachten Dipl. Ing. J. kann nicht entnommen werden, dass insofern auf mögliche erlaubte Bauführungen auf dem Nachbargrundstück eingegangen worden wäre.

Mit ihrer im angefochtenen Bescheid dokumentierten Rechtsauffassung, die Bauführung sei unzulässig, weil das Bauwerk in seiner Anordnung auf dem Grundstück von den an allgemein zugänglichen Orten zugleich mit sichtbaren Bauwerken auffallend abweiche, verletzte die belangte Behörden den Beschwerdeführer in seinen Rechten, weil die Unzulässigkeit isoliert auf Grund der auffallenden Abweichung ohne Prüfung der kumulativen Voraussetzung der Beeinträchtigung des Lichteinfalles angenommen wurde.

Soweit der Beschwerdeführer rügt, dass die belangte Behörde auf die Ausnahmemöglichkeit nach § 54 letzter Satz BO nicht eingegangen sei, ist ihm zu entgegnen, dass dazu auf Grund der Vorstellung der Nachbarn kein Anlass bestand; sie hat insofern keine Rechtsansicht überbunden, sodass der Beschwerdeführer nicht in Rechten verletzt sein kann.

Bezüglich der Schallschutzmauer bringt der Beschwerdeführer vor, dass ein tatsächlich errichtetes Bauwerk Gegenstand eines Bauverfahrens sein könne, auch wenn kein Antrag um Baubewilligung vorliege, zumal die Schallschutzmauer durch die Gewerbebehörde mit Bescheid vom 26. April 2002 vorgeschrieben worden sei.

Gemäß § 23 Abs. 1 BO hat die Baubehörde über einen Antrag auf Baubewilligung einen schriftlichen Bescheid zu erlassen. Die Erteilung der Baubewilligung ist somit ausnahmslos ein antragsbedürftiger Verwaltungsakt, der ohne Vorliegen eines darauf gerichteten Antrages rechtswidrig ist (Hauer-Zaussinger, Niederösterreichisches Baurecht6, 335). Diese Rechtswidrigkeit hat die belangte Behörde zu Recht im angefochtenen Bescheid aufgezeigt; von einem "Kompetenzkonflikt" kann schon deshalb keine Rede sein, weil gemäß § 1 Abs. 2 Z. 2 BO durch die BO die Vorschriften, wonach für Bauvorhaben zusätzliche Bewilligungen, z. B. nach dem Gewerberecht erforderlich seien, nicht berührt werden.

Nur dadurch, dass die belangte Behörde ohne Bedachtnahme auf die beschränkte Rechtsstellung des Nachbarn im Bauverfahren die Unzulässigkeit des Projekts nach § 54 BO ohne Prüfung weiterer Voraussetzungen annahm, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war daher gemäß § 41 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl II Nr. 333/2003, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 20. Dezember 2005

Schlagworte

Auflagen BauRallg7 Baubewilligung BauRallg6 Baurecht Nachbar Besondere Rechtsgebiete Inhalt der Vorstellungsentscheidung Aufgaben und Befugnisse der Vorstellungsbehörde Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Belichtung Belüftung BauRallg5/1/3 Planung Widmung BauRallg3 Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4 Umfang der Abänderungsbefugnis Allgemein bei Einschränkung der Berufungsgründe beschränkte Parteistellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003050118.X00

Im RIS seit

23.01.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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