Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Richard Bauer (Arbeitgeber) und Reinhold Ludwig (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernst F*****, vertreten durch Dr. Harald Ofner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (Landesstelle Wien), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. März 1991, GZ 32 Rs 33/91-47, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2.Oktober 1990, GZ 10 Cgs 160/88-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 28.7.1988 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 11.5.1988 auf Invaliditätspension mangels Invalidität ab.
Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß vom Stichtag an gerichtete Klage stützt sich im wesentlichen darauf, daß der überwiegend als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesene Kläger nach einem Schlaganfall, einem Herzinfarkt und wegen Epilepsie (2 bis 4 Anfälle im Monat trotz Tabletten) keiner geregelten Tätigkeit nachgehen könne.
Die beklagte Partei wendete ein, der Kläger könne noch alle Arbeiten in der üblichen Arbeitszeit verrichten und beantragte daher die Abweisung der Klage.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Es stellte zunächst den seit der Antragstellung bestehenden körperlichen und geistigen Zustand des am 12.1.1953 geborenen Klägers ganz genau fest.
Von den Feststellungen über den geistigen Zustand sei hervorgehoben: klares Bewußtsein, allseits voll orientiert, Duktus zügig, zielgerichtet und kohärent, Stimmungslage....ausgeglichen, keine Beeinträchtigung der sensomotorischen Umstellbarkeit, keine Störung der Konzentrationsfähigkeit oder Merkfähigkeit, kein Hinweis auf Sinnestäuschung oder Wahnideen; organische Hirnleistungsschwäche bei ursprünglich durchschnittlicher Begabung, nunmehr niedriger Intelligenz, verminderte Konzentrationsfähigkeit, persönlichkeitsmäßig derzeit deutlich endogene depressive Komponente, im Test keine Hinweise auf Aggravation, organisches Psychosyndrom oder epileptische Wesensveränderungen, leichte psychosomatische Störung.
Von den eingehenden Feststellungen zu den Anfällen sei hervorgehoben: Die vom Kläger (bei den ärztlichen Untersuchungen) angegebenen zwei epileptischen Anfälle (Grand mal) pro Monat, die mit einer nur wenige Minuten dauernden Bewußtlosigkeit und tonisch-klonischen Krämpfen der Extremitäten, aber keinem Harn- oder Stuhlabgang verbunden sind und einen höchstens einige Stunden währenden Dämmer- und Schläfrigkeitszustand zur Folge haben, während dessen der Kläger nicht arbeitsfähig ist, ohne daß ein Krankenstand erforderlich wäre, sind bei korrekter Einnahme der (dem Kläger verordneten, aber nicht immer regelmäßig verwendeten antiepileptischen) Medikamente nicht wahrscheinlich. Die ebenfalls auftretenden nichtepileptischen, sondern funktionellen oder psychogenen minutenlangen Anfälle, nach denen der Kläger (sofort) wieder voll arbeitsfähig ist, kann er willentlich beherrschen.
Mit dem seit der Antragstellung vorliegenden Gesundheitszustand kann der unterweisbare und einordenbare Kläger während der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen leichte und mittelschwere Arbeiten leisten und den Arbeitsplatz erreichen. Arbeiten an exponierten Stellen (laufenden Maschinen) sind (wegen der möglichen Anfälle) zu vermeiden. Feinarbeiten mit der linken Hand sind nicht möglich.
Diese Arbeitsfähigkeit reicht für die (vom Erstgericht näher beschriebenen) Hilfsarbeitertätigkeiten eines Material- und Werkzeugausgebers, Reinigungsarbeiters in Lagern und Magazinen, Werkstättenaufräumers, Kontrollarbeiters für einfache Fertigungskontrollarbeiten sowie eines Tischarbeiters im Buchbindergewerbe sowie in der Kleinleder- und Plastikwarenerzeugung aus.
Der Kläger war überwiegend als Hilfsarbeiter tätig.
Daraus zog das Erstgericht den rechtlichen Schluß, daß der Kläger nicht als invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG gelte. Selbst wenn man zwei während der Arbeitszeit auftretende epileptische Anfälle pro Monat annehme, würde dies nur etwa 24 Krankenstandstage pro Jahr ergeben, die ihn nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließen würden. Dem Kläger sei es aber zumutbar, die erforderlichen und ärztlich verordneten antiepileptischen Medikamente, die seine Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigen, einzunehmen.
Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge.
Zur Rechtsrüge wegen der festgestellten hohen Anzahl der epileptischen Anfälle in der Zeit vom 15.3.1989 bis 31.1.1990 wäre das Klagebegehren berechtigt, führte das Berufungsgericht aus, daß die Zahl dieser Anfälle zunächst sehr beeindruckend wirke. Berücksichtige man aber, daß ein Gutteil dieser Anfälle auf das dem Kläger anzulastende therapeutische Fehlverhalten zurückzuführen sei, und die sodann verbleibenden Anfälle nur eintägige Krankenstände bewirkten, so trete - unter Annahme von zwei Anfällen pro Monat - durch die dann voraussichtlichen 24 Krankenstandstage pro Jahr noch kein Ausschluß vom Arbeitsmarkt ein (SSV-NF 3/107). Bei gehöriger Medikation sei sogar eine Verminderung der Anfallsfrequenz zu erwarten.
Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das zur Gänze angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Sache an eine Vorinstanz zurückzuverweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die in der Rechtsrüge aufgeworfenen Fragen, ob der Kläger wegen seines geistigen Zustandes einsehen kann, daß die regelmäßige Einnahme der ihm ärztlicherseits verordneten Medikamente zur Vermeidung von epileptischen Anfällen notwendig ist, und ob er nach dieser Einsicht auch handeln kann, müssen nicht beantwortet werden.
Selbst wenn dem Kläger die unregelmäßige Einnahme dieser Medikamente nicht vorzuwerfen und davon auszugehen wäre, daß wegen der unzureichenden Medikation monatlich zwei große epileptische Anfälle auftreten würden, wäre er noch nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen.
Nach den Angaben des Klägers bei der ersten stationären Durchuntersuchung im Neurologischen Krankenhaus der Stadt Wien - Rosenhügel vom 15. - 24.3.1989 (ON 16, AS 63) treten diese Anfälle hauptsächlich nachts aus dem Schlaf heraus, tagsüber aber nur gelegentlich auf. Auch in der Anamnese des Befundberichtes über den stationären Aufenthalt im selben Krankenhaus vom 26. bis 31.8.1989 heißt es, diese großen Anfälle würde der Patient meistens in der Nacht und aus dem Schlaf bekommen (ON 22, AS 85). Während der stationären Durchuntersuchung im selben Krankenhaus vom 22. bis 31.1.1990 gab der Kläger an, daß die Anfälle sowohl tagsüber als auch nachts aufgetreten seien (ON 28, AS 101).
Berücksichtigt man einerseits, daß nach den großen Anfällen nach der mehrere Minuten dauernden Bewußtlosigkeit höchstens für einige Stunden eine Art Verdämmerung bzw Müdigkeit besteht, während welcher der Kläger nicht arbeiten kann, andererseits aber, daß die großen Anfälle auch während des Urlaubes, an anderen arbeitsfreien Tagen (insbesondere Sonn- und Feiertagen, meist auch Samstagen), aber auch an Arbeitstagen außerhalb der Arbeitszeit auftreten, dann kann keine Rede davon sein, daß die bei nicht ausreichender Einnahme von Antiepileptika zu erwartenden zwei großen Anfälle je Monat zu 24 Krankenstandstagen pro Jahr führen werden. Die Zahl der in diesem Fall zu erwartenden Krankenstandstage wird daher wesentlich niedriger sein.
Daß eine solche verhältnismäßig geringe Zahl von Krankenstandstagen noch nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt, entspricht der stRsp des erkennenden Senates (SSV-NF 3/45, 107, 152; 4/40, 168 ua).
Daß ein Epileptiker insbesondere wegen der bei Arbeitgebern und Arbeitskollegen negative Gefühle auslösenden Begleitumstände der (großen) Anfälle vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre, ist weder festgestellt noch offenkundig. Es besteht auch kein diesbezüglicher allgemeiner Erfahrungssatz (vgl auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung IV 668c und d mwH). In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß der Sachverständige für Berufskunde, der wußte, daß der Kläger wegen epileptischer Anfälle keine Arbeiten an exponierten Stellen verrichten soll, keine Aussage darüber machte, daß Epileptiker (jedenfalls) vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen seien.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Mangels besonderer Schwierigkeiten des Revisionsverfahrens reicht die behauptete Vermögens- und Einkommenslosigkeit, die für die Bewilligung der Verfahrenshilfe und zur vorläufig unentgeltlichen Beigebung eines Rechtsanwaltes zu berücksichtigen gewesen wäre, nicht aus, dem zur Gänze unterlegenen Kläger Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner von einem gewählten Rechtsanwalt verfaßten Revision zuzubilligen.
Anmerkung
E26362European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00201.91.0709.000Dokumentnummer
JJT_19910709_OGH0002_010OBS00201_9100000_000