TE OGH 1991/7/9 10ObS179/91

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Veröffentlicht am 09.07.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Richard Bauer (Arbeitgeber) und Reinhold Ludwig (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann M*****, derzeit ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Ferdinand Weber und Dr. Hannes Hirtzberger, Rechtsanwälte in Krems, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 1991, GZ 34 Rs 246/90-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 1. August 1990, GZ 16 Cgs 257/88-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 11.1.1938 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war zunächst als Landarbeiter und selbständiger Landwirt tätig. Seit 1972 war er als Hochofenarbeiter bei der VÖEST-Alpine beschäftigt. Zunächst arbeitete er etwa zwei bis drei Jahre an der Nachschlacke, in der Folge war er als zweiter Hochofenmann an der Eisenrinne tätig und dann ab 1982 als erster Helfer des Schmelzers (erster Hochofenmann) eingesetzt. Als solcher war sein unmittelbarer Vorgesetzter der Schmelzer, der Partieführer einer in der Regel 8 Mann starken Arbeitsgruppe ist. Die Arbeitsaufgabe des ersten Hochofenmannes besteht im Durchführen von Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten sowie in der Mitarbeit bzw. dem Überwachen des Hochofenabstiches im jeweils zugeteilten Aufgabenbereich. Der erster Hochofenmann erhält seine Arbeitsanweisungen und Informationen vom Vorarbeiter (Schmelzer). Der Kläger war mit der Schmelze von Roheisen in der Gußhalle am Hochofen beschäftigt. Dabei hatte er mit Ton- und Teermassen, Kokslösche, Quarzsand und Graphit umzugehen und die Einrichtungen und die Betriebsabläufe in der Gußhalle zu überwachen. Es handelt sich um einen Gruppenarbeitplatz, an welchem Hitzeschutz in Form von Mantel, Handschuhen, Gamaschen und Gesichtsschutz zu tragen war. Der Arbeitsvorgang umfaßte die Mitarbeit beim Öffnen und Schließen des Abstichloches, das Überwachen des Abstiches und das Durchführen der notwendigen Eingriffe, das Betätigen der Roheisen- und Schlackenkipprinnen, das Überwachen des Füllvorganges der Roheisen- und Schlackenpfannen, das Bereitstellen und die Zugabe der Pfannenzusätze, das Durchführen von Instandhaltungsarbeiten an Roheisen und Schlackenrinnen im laufenden Betrieb, das Auswechseln von Formen und deren Reinigung, das Auswechseln der Windführungen und das Abstopfen und Ausschneiden der Formen, die Mitarbeit bei Störungen und Reparaturen nach Anweisungen, das Bedienen des flurgesteuerten Laufkranes und das Fahren mit dem Stapler, das fallweise Öffnen und Schließen des Schlackenstichloches, das Reinhalten des Ofenbereiches, die Kontrolle des Kühlsystems des Hochofens sowie die Vertretung des Vorarbeiters (Schmelzers) bei dessen Abwesenheit. Die hiefür notwendigen Kenntnisse erwarb sich der Kläger durch stufenweises Anlernen durch die Vorarbeiter nach vorangegangener Ausübung der Tätigkeit eines zweiten Hochofenmannes; die erforderlichen Kenntnisse in der Handhabung der Betriebsmittel, der Einsatzmöglichkeiten der Betriebs- und Hilfsstoffe, der Betriebseinrichtungen in Aufbau und Funktion, die Kenntnisse und Erfahrungen bei der Instandhaltung der Rinnen und deren Wechsel sowie die Erfahrung beim Beobachten des Abstichvorganges bezüglich Verstopfung oder Stockung der Schmelze erwarb sich der Kläger in etwa zwei Jahren. Wenn der Schmelzer Urlaub hatte, im Krankenstand war oder vorübergehend bei anderen Hochöfen eingesetzt wurde, hatte ihn der Kläger zu vertreten. In der Funktion eines Schmelzers hat der Kläger höchstens 1 1/2 Jahre lang gearbeitet. Die wesentlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Tätigkeit eines Schmelzers erforderlich sind, hat er daher erworben und in der genanntne Zeit ausgeübt; er hat daher einen Ausbildungsstand erreicht, der ihn zur Tätigkeit eines Schmelzers befähigte.

Der Kläger vermag leichte und mittelschwere, eingeschränkt auch schwere körperliche Arbeit in allen Körperhaltungen zu leisten. Schwere und sehr schwere Hebeleistungen sind zu meiden, ebenso Arbeiten an exponierten Stellen und unter Einwirkung von Kälte. Dessen ungeachtet können die Arbeiten sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen geleistet werden. Das Tragen eines Lärmschutzes ist notwendig. Die Arbeit am Hochofen ist als körperlich schwer einzustufen und wird auch exponiert verrichtet. Dem Kläger kann diese Arbeit auf Grund der medizinischen Einschränkungen nicht mehr zugemutet werden.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.8.1988 gerichtete Klagebegehren ab. Es ging davon aus, daß der Kläger keinen angelernten Beruf iS des § 255 Abs. 2 ASVG ausgeübt habe. Ein Vergleich der vom Kläger erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse mit jenen, die üblicherweise im Lehrberuf eines Hüttenwerkschlossers erworben werden ergebe, daß die vom Kläger durch praktische Arbeit erworbenen qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten nicht jenen in einem Lehrberuf gleichzuhalten seien. Der Kläger sei daher nach § 255 Abs. 3 ASVG auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen.

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Es pflichtete der Ansicht des Klägers, daß es sich bei den Tätigkeiten des ersten Hochofenmannes bzw. des Schmelzers nicht um Teiltätigkeiten des Lehrberufs Hüttenwerkschlosser handle, nicht bei. Der Aufgabenbereich des Hüttenwerkschlossers umfasse die Erzaufbereitung, Roheisengewinnung, Stahlerzeugung und Weiterverarbeitung von Stahl sowie die Herstellung von Halbfabrikaten. In der Regel führe der Hüttenwerkschlosser nicht alle Aufgaben und Tätigkeiten durch, sondern er sei in einem bestimmten Teilgebiet des Hüttenbereiches tätig. Die drei wichtigsten Betriebe bildeten der Hochofen, das Stahlwerk und das Walzwerk. Daraus ergebe sich bereits klar, daß die Tätigkeit am Hochofen vom Berufsbild des Hüttenwerkschlossers umfaßt werde. Die Tätigkeit eines Schmelzers sei mit der Koordination und Überwachung der Tätigkeit der Gußhallenmannschaft verbunden. Daß ein Schmelzer, der die Berufsausbildung eines Hüttenwerkschlossers absolviert habe, noch eine zusätzliche Praxiszeit benötige, sei schon wegen dieser Vorgesetztenfunktion verständlich. Dies ändere aber nichts daran, daß die Tätigkeit eines Schmelzers keine qualifizierte Tätigkeit iS des § 255 Abs. 2 ASVG darstelle. Auch wenn die Tätigkeit eines Schmelzers eine systematische Anlernung und längere Erfahrung erfordere, so seien doch nur verhältnismäßig wenige, immer wiederkehrende und schematisch ablaufende Arbeitsvorgänge zu verrichten, so daß die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten - überwiegend schwere manuelle Arbeit und bestimmte beschränkte Überwachungsaufgaben - nicht jenen vielfältigen praktischen und theoretischen Kenntnissen gleichgehalten werden könnten, wie sie in einem Lehrberuf vermittelt würden. Der Kläger habe aber selbst die Tätigkeit eines Schmelzers im Beobachtungszeitraum höchstens durch 1 1/2 Jahre, somit nicht überwiegend, iS des § 255 Abs. 2 zweiter Satz ASVG ausgeübt. Die von ihm überwiegend verrichtete Tätigkeit eines zweiten und später eines ersten Hochofenmannes vermöge noch weniger die Qualifikation eines Anlernberufes zu erfüllen. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit sei daher nach § 255 Abs. 3 ASVG zu beurteilen. Die zutreffende Auffassung des Erstgerichtes, daß der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch zumutbare Tätigkeiten verrichten könne, werde in der Berufung nicht bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache führt der Kläger im wesentlichen aus, die dreijährige firmeninterne Schulung und seine Fachkenntnisse gingen weit über das Hilfsarbeiterniveau hinaus. Der Kläger werde auch in den allfälligen Verweisungsberufen einen nicht annähernd gleich hohen Arbeitsverdienst erzielen können. Er habe schon als erster Hochofenmann alle Kenntnisse eines Schmelzers erworben und genieße daher Berufsschutz als angelernter Schmelzer.

Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Ein angelernter Beruf liegt nach § 255 Abs. 2 ASVG vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten müssen zwar nicht die eines bestimmten geregelten Lehrberufes sein, allerdings den in einem Lehrberuf erworbenen besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten an Umfang und Qualität entsprechen. Der Berufsschutz ist nicht nur dann zu bejahen, wenn der Versicherte alle Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die nach den Ausbildungsvorschriften zum Berufsbild eines Lehrberufes zählen und daher einem Lehrling während der Lehrzeit zu vermitteln sind; es kommt vielmehr darauf an, daß ein angelernter Arbeiter über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die üblicherweise von ausgelernten Facharbeitern des jeweiligen Berufes in dessen auf den Arbeitsmarkt gefragten Varianten (Berufsgruppe) unter Berücksichtigung einer betriebsüblichen Einschulungszeit verlangt werden. Hingegen reicht es - wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat - nicht aus, wenn sich die Kenntnisse und Fähigkeiten nur auf ein oder mehrere Teilgebiete eines Berufes beschränken, der von ausgelernten Facharbeitern allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird (SSV-NF 1/48 = SZ 60/23, SSV-NF 2/66 = SZ 61/147; SSV-NF 3/70, 4/80 ua). Gegen die Auffassung der Vorinstanzen, daß die Tätigkeit eines Schmelzers einen Teilbereich des Lehrberufes des Hüttenwerkschlossers darstellt, wird in der Revision nichts mehr vorgebracht. Diese Auffassung ist auch zutreffend, wenn man die Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf Hüttenwerkschlosser berücksichtigt (vgl. BGBl. 1974/171 Anl. 7; BGBl. 1980/15 Z 2; ebenso Berufslexikon Bd. 1 "Lehrberufe" 165, Stichwort Hüttenwerkschlosser). Aus diesen Ausbildungsvorschriften ergibt sich eindeutig, daß sich die zugegebenermaßen qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten eines Schmelzers von Roheisen in der Gußhalle am Hochofen nur auf ein Teilgebiet eines Berufes beschränken (nämlich den Schmelzvorgang beim Hochofen), der von ausgelernten Hüttenwerkschlossern allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird, weshalb kein angelernter Beruf iSd § 255 Abs 2 ASVG vorliegt. Der Oberste Gerichtshof hat auch schon in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SSV-NF 2/120 ausgeführt, daß etwa die Tätigkeit eines Schmelzers ausschließlich in der Graugießerei, auch wenn sie eine systematische Anlernung und längere Erfahrung erforderte, auf verhältnismäßig wenige, immer wiederkehrende und schematisch ablaufende Arbeitsvorgänge so spezialisiert, daß die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht jenen vielfältigen praktischen und auch theoretischen Kenntnissen gleichgehalten werden können, wie sie in einem Lehrberuf vermittelt werden. Dazu kommt, daß der Kläger, worauf schon die Vorinstanzen hingewiesen haben, in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag gar nicht überwiegend den Beruf des Schmelzers (Vorarbeiters), sondern den des sogenannten ersten Hochofenmannes ausübte, der als solcher dem Hochofenschmelzer unterstellt war. Die Vorinstanzen haben daher einen Berufsschutz des Klägers mit Recht verneint.

Der in der Revision erhobene Einwand, der Kläger werde in den Verweisungsberufen einen nicht annähernd gleich hohen Arbeitsverdienst erzielen können, ist nicht zielführend, weil die Erzielung eines annähernd gleich hohen Lohnes in einem Verweisungsberuf keine Voraussetzung für die Gewährung einer Invaliditätspension darstellt. War ein Versicherter nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig, gilt er nach § 255 Abs. 3 ASVG als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird, und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, daß ein körperlich und geistig gesunderer Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Da der Kläger mit gewissen Einschränkungen leichte und mittelschwere, teilweise sogar schwere körperliche Arbeit leisten kann, ist seine Verweisbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt offenkundig. Eine Prüfung der Voraussetzungen für die Invaliditätspension nach § 255 Abs. 4 ASVG wird erst zum Stichtag 1.2.1993 erfolgen können.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 1 lit. b ASGG. Gründe für einen Kostenersatz an den unterlegenen Kläger nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und sind auch nach der Aktenlage nicht ersichtlich.

Anmerkung

E26367

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00179.91.0709.000

Dokumentnummer

JJT_19910709_OGH0002_010OBS00179_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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