Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juli 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshof Dr. Kießwetter als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Kuch, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andrea B wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach dem § 80 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 26. November 1990, GZ 9 b Vr 884/90-32, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, der Angeklagten Andrea B und des Verteidigers Dr. Breuer zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden werden verworfen. Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben und die über die Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf .. (......) Monate erhöht.
Die Angeklagten werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß § 390 a StPO fallen ihr auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Die am 8.Mai 1963 geborene Andrea B***** wurde mit dem angefochtenen Urteil aufgrund der gegen sie wegen des Verbrechens des Quälens oder der Vernachlässigung unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach dem § 92 Abs. 2 und Abs. 3, zweiter Fall, StGB erhobenen Anklage der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und Abs. 4, erster Fall, StGB (I.a des Urteilssatzes) und dem § 88 Abs. 1 StGB (I.b) sowie der fahrlässigen Tötung nach dem § 80 StGB (II.) schuldig erkannt.
Diesem Schuldspruch liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 16.August 1990 zwischen 14,00 und 15,00 Uhr kam der knapp zehn Monate alte Christian B*****, welcher seit einigen Monaten bei den in geordneten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen lebenden Eheleuten B***** gemeinsam mit deren zweijährigem leiblichen Sohn als Pflegekind aufwuchs, nur mit einer Windelhose bekleidet in einem sogenannten "Laufwagerl" in die Küche des Wohnhauses der Angeklagten. als diese sich dort von der Arbeitsplatte wegdrehte, um die Küche mit einer Kanne heißen Kaffees in der Hand in Richtung Wohnzimmer zu verlassen, übersah sie "zufolge mangelnder Beobachtung ihres Gehbereiches" (US 7) das hinter ihr befindliche Kleinkind, stolperte über das Laufwagerl und verschüttete den Großteil der heißen Flüssigkeit über Gesicht und Körper des Kindes. Dieses erlitt hiedurch nicht lebensbedrohliche, aber schwere Hitzeveränderungen ersten und zweiten Grades im Gesicht, vor allem um die Mund- und Nasenpartie, an beiden Wangen, im Bereich der Schleimhaut der Ober- und Unterlippe, am Kinn und darunter, an der linken Halsseite, über der linken Schulter, über dem linken Rippenbogen bis zum linken Rücken, am linken Arm und an der Außenseite des linken Beines (I.a). Da die Verbrühungen für die Angeklagte "nicht arg ausgesehen haben", begnügte sie sich mit kaltem Abduschen und Einsalben der Brandstellen, einem "aus ärztlicher Sicht als richtig beurteilten" Verhalten (US 7, 8).
Am Abend desselben Tages wusch die Angeklagte ihr Pflegekind zwischen 18-18,30 Uhr in einem durch Beigabe eines Badezusatzes rutschig gewordenen Waschbecken. Dabei entglitt das zufolge der erlittenen Verletzungen unruhig und überdies seit Tagen an katarrhalischen Erscheinungen leidende (US 6) Kind der unaufmerksamen Angeklagten. Es kippte mit dem Oberkörper nach vorn und schlug mit der Stirn gegen die Innenfläche des Waschbeckens, wodurch es leichte Verletzungen (Blutunterlaufung und Hautabschürfung an der Stirn) davontrug (I.b, US 8, 9).
In der folgenden Nacht schlief das Kind nur wenig, die Angeklagte gar nicht. Gegen 6,30-7,00 Uhr früh legte die (dementsprechend übermüdete und durch die vorangegangenen Vorfälle nervös gewordene) Angeklagte das Kind in der Küche auf einen 75 cm hohen Tisch und bereitete Wasser zum Inhalieren vor. Als sie sich zum kochenden Wasser wegdrehte ließ sie ihr Pflegekind ungesichert auf dem Küchentisch liegen. Christian B***** stürzte infolge einer Bewegung vom Tisch und schlug mit Hinterkopf und Rücken auf den Fliesenboden auf. Da die Angeklagte an dem laut schreienden Kind keine äußerlich sichtbaren Verletzungen feststellte und ihr die Möglichkeit innerer Verletzungen "nicht in den Sinn kam" (US 12), brachte sie das Kind schließlich nach erfolglosen Beruhigungsversuchen gegen 8,00 Uhr in das Schlafzimmer und warf es "ohne Verletzungs- und Mißhandlungsvorsatz" (US 12) mit dem Gesicht nach oben "durch Fallenlassen" (US 13) derart in sein Gitterbett, daß er mit dem Kopf an einen Holzteil schlug. Durch die geschilderte zweifache traumatische Einwirkung auf den Kopfbereich erlitt Christian B***** mehrere (äußerlich nicht erkennbare) Schädelverletzungen, nämlich einen Bruch des Schädelknochens im linken Hinterhauptbereich, eine Aufsprengung einer Schädelnaht im rechten Hinterhauptbereich, eine Hirnquetschung der linken Kleinhirnhälfte mit Blutung in die Schädelhöhle und eine Blutunterlaufung am Hinterhaupt. Diese führten nach Entwicklung einer massiven Hirnschwellung infolge Atem- und Hirnlähmung letztlich zum Tode. Die Angeklagte beließ das Kind zunächst im Gitterbett, weil sie bei zwei- bis dreimaliger Nachschau nichts Auffälliges bemerkte und annahm, daß es schlafe. Erst am frühen Nachmittag suchte sie mit ihrem Mann das Krankenhaus in Wiener Neustadt auf, wo um 14,25 Uhr der Tod des Buben festgestellt wurde (insgesamt US 10 ff).
Der in der Anklageschrift erhobene Vorwurf, die Angeklagte habe durch die oben beschriebenen Handlungen sowie dadurch, daß sie dem Kind Schläge gegen die Augenregion versetzte und es wiederholt heftig schüttelte, ihre Verpflichtung zur Fürsorge und Obhut gegenüber dem Pflegekind (vorsätzlich) gröblich vernachlässigt, erachteten die Tatrichter für nicht erweisbar.
Der Schuldspruch wird sowohl von der Anklagebehörde gestützt auf § 281 Abs. 1 Z 5 und 10 StPO als auch von der Angeklagten, gestützt auf § 281 Abs. 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Die Mängelrüge (Z 5) releviert unter Hinweis auf die (ihrer Meinung nach unbeachtet gebliebene) Aussage der Angeklagten vor der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos von Niederösterreich, wonach sie Christian B***** "aus Zorn, weil er immer schrie, in sein Gitterbett geworfen habe" (AS 51), die erstgerichtliche Feststellung, die Angeklagte habe das Kind "ohne Verletzungs- und Mißhandlungsvorsatz durch Fallenlassen hineingeworfen", als unzureichend begründet, widersprüchlich, undeutlich und unlogisch, weil Fallenlassen passives, Werfen aber aktives Verhalten voraussetze.
Abgesehen davon, daß auch dem "Fallenlassen" gewolltes Handeln, nämlich das Lösen eines Haltegriffes, zugrundeliegt, vernachlässigt die von den Tatrichtern als Feststellungsgrundlage herangezogene, in freier Beweiswürdigung für glaubwürdig befundene Darstellung er Angeklagten in der Hauptverhandlung, wonach sie mit dem Ausdruck "Werfen" nur klarstellen wollte, das Kind nicht vorsichtig in das Gitterbett gelegt zu haben, sondern einfach "hineinplumpsen" ließ (AS 402 f). Das von der Angeklagten dafür vorgegebene Motiv, sie habe wegen des fortdauernden Schreiens des Kindes die Nerven verloren, habe das Schöffengericht im Zuge seiner Erwägungen zur subjektiven Tatseite ohnedies in seine Erwägungen einbezogen (S 18).
Die des weiteren vermißte Auseinandersetzung mit ihrer Aussage, das Kind manchmal am Körper erfaßt und stark geschüttelt zu haben, wodurch blaue Flecken entstanden (AS 55), konnte ohne Verletzung der Begründungspflicht unterbleiben, weil dieser unmißverständlich auf frühere Vorkommnisse zurückgreifenden Aussage jeder Bezug zum inkriminierten Tatgeschehen fehlt.
Auch mit dem Hinweis auf die Vielzahl der Verletzungen, die Art ihres Zustandekommens sowie die "mangelnde Reaktion" der Angeklagten wird kein formeller Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Z 5) aufgezeigt. Die aus der psychischen Ausnahmesituation der Angeklagten gewonnene Überzeugung der Tatrichter, die dem Beschwerdevorbringen entgegen auch die unterlassene Herbeiführung sofortiger ärztlicher Hilfe ersichtlich berücksichtigt (US 8, 12, 20), daß der den schwer verletzten bzw lebensbedrohlichen Zustand des Pflegekindes völlig verkennenden Angeklagten ein Vorsatz in Richtung des Tatbestandes nach dem § 92 StGB (oder den §§ 83 ff StGB) nicht angelastet werden könne, ist als Akt freier richterlicher (und vorliegend auch denkmöglicher) Beweiswürdigung, und somit der Überprüfung im Wege der Mängelrüge entzogen.
Unbeachtlich ist auch die Rechtsrüge (Z 10), die aus dem Tatverhalten der Angeklagten den zwingenden Schluß auf die vorsätzliche Unterlassung zeitgerechter Hilfeholung ableiten will. Dieses Vorbringen mißachtet nämlich die für die gesetzmäßige Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes unabdingbare Prämisse des Festhaltens an den vom Erstgericht (hier in subjektiver Hinsicht) getroffenen Urteilsfeststellungen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten:
Zum Schuldspruchfaktum I.a macht die Mängelrüge (Z 5) die Nichtbeachtung ihrer Angaben in der Hauptverhandlung, wie es zum inkriminierten Verschütten des heißen Kaffees gekommen war, geltend. Die Schilderung der Angeklagten, wonach sie sich umgedreht habe und auf den Rand des Laufwagerls des Pflegekindes gestiegen sei (AS 396, 417), bringt in gleicher Weise wie der vom Erstgericht in diesem Zusammenhang verwendete Begriff des "Wegdrehens" den für den Schuldspruch entscheidungswesentlichen Umstand zum Ausdruck, daß das verletzungskausale Ausschütten der heißen Flüssigkeit nicht etwa durch einen vom Kind herbeigeführten Anprall veranlaßt wurde, sondern auf das (aktive) Verhalten der Angeklagten zurückzuführen war. Die Rüge geht daher ins Leere.
Auch der Einwand der Rechtsrüg (Z 9 lit a), angesichts des "keine nennenswerte Raumforderung" in Anspruch nehmenden Tatverhaltens sei die Herbeiführung einer Gefahrensituation in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht vorhersehbar gewesen, geht fehl.
In objektiver Hinsicht ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob das Verhalten der Angeklagten allgemein verbindlichen Verhaltensanforderungen widersprochen hat und der eingetretene Erfolg aus der ex-ante-Sicht eines ihren Verkehrskreisen angehörenden sachkundigen Beobachter nach den Erfahrungen des täglichen Lebens vorhersehbar war (vgl Burgstaller in WK, Rz 36; Kienapfel AT Z 25 RN 29 Foregger-Serini-Kodek StGB4 Erl VII, Mayerhofer-Rieder StGB3 EGr 112 ff, je zu § 6 StGB). Diese Prüfung muß allerdings zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausfallen.
Das Tragen einer Kanne heißen Kaffees in einer Wohnung, in der sich ein fast nacktes Kleinkind mit Hilfe eines "Laufwagerls" frei bewegen kann, stellt nach allgemeinen Erfahrungswerten einen die Anwendung entsprechender Sorgfalt gebietenden relevant risikobehafteten Vorgang dar. Einerseits bewegen sich Kleinkinder bekanntermaßen in jeder Weise unberechenbar, andererseits ist die Gefahr (allenfalls auch großflächiger, schwerwiegender) Verbrühungen im Falle eines Kontaktes der empfindlichen Haut eines Kleinkindes mit einer heißen Flüssigkeit allgemein einsichtig. Die Annäherung eines Kleinkindes mittels Laufwagen ist bei auch nur durchschnittlicher Aufmerksamkeit leicht zu erkennen. Das inkriminierte Unfallgeschehen wurde, wie festgestellt, durch ein von der Beschwerdeführerin gesetzes Verhalten ausgelöst. Das Erstgericht hat daher zu Recht eine objektive Sorgfaltswidrigkeit der Angeklagten angenommen und ihr den Handlungserfolg als objektiv fahrlässig herbeigeführt zugerechnet.
Die subjektive Vorhersehbarkeit ist nach der dem Täter aufgrund seiner geistigen und körperlichen Verhältnisse möglichen Einsichtsfähigkeit zu prüfen (Burgstaller in WK, Rz 84; Kienapfel AT Z 25 RN 31, 32, Mayerhofer-Rieder StGB3, ENr 144 ff je zu § 6 StGB). Diese Einsichtsfähigkeit in die Gefährlichkeit des inkriminierten Tuns ist bei der (durchschnittlich begabten, gesunden) Angeklagten bei der gegebenen Fallgestaltung zweifelsohne ebenso gegeben wie die in der Beschwerde angezweifelte Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens. Auch Unerfahrenheit in der Kindeserziehung die das Erstgericht der Angeklagten (trotz des am 30.März 1988 geborenen und von ihr aufgezogenen Sohnes) ebenso zubilligte wie eine hohe nervliche Belastung zur Tatzeit lassen die - objektiv gebotene und subjektiv grundsätzlich erfüllbare - Forderung an die Beschwerdeführerin, sich vor dem von ihr beabsichtigten Standortwechsel davon zu überzeugen, ob das Wegtragen der Kanne mit heißem Kaffee ohne Gefährdung des Kleinkindes erfolgen kann, keinesfalls als überspannt und unrealistisch erscheinen (vgl Foregger-Serini-Kodek aaO Erl V, Mayerhofer-Rieder aaO EGr 157 ff).
Zum Schuldspruchfaktum I.b macht die ...... (sachlich Z 9 b) geltend, der Angeklagten müsse entgegen der Auffassung des Erstgerichtes, das der Täterin insoweit schweres Verschulden anlastete (US 20 f), Strafausschließung gemäß dem § 88 Abs. 2 StGB zugebilligt werden.
Infolge der große Körperteile des Kindes erfassenden Verbrühung, die für die Beschwerdeführerin wie für jedermann erkennbar mit großer Schmerzempfindlichkeit verbunden waren, hätte ein Waschen des Bauches des Kindes auf die im Urteil beschriebene Weise überhaupt unterbleiben oder zumindest nur mit äußerster Sorgfalt und Rücksichtnahme auf oberen Zustand vorgenommen werden dürfen. Dadurch, daß die Beschwerdeführerin dieser nach Lage des Falles gebotenen besonderen Sorgfaltspflicht nicht nach gekommen ist, sondern das Kind, wie die Beschwerde ausführt, nicht anders wusch, "als dies tausende Hausfrauen und Mütter" (AS 51) auch tun, ist ihr auffallende Sorglosigkeit im Sinne eines schweren Verschuldens anzulasten, zumal unter diesen Umständen auch ein Entgleiten des unruhigen Kindes (US 20) samt Verletzungsfolge als wahrscheinlich vorhersehbar war (Foregger-Serini-Kodek4 Erl IV, Mayerhofer-Rieder3 EGr 2 je zu § 88 StGB).
Nur in der Mängelrüge (Z 5) zum Schuldspruchfaktum 5 behauptete Unvollständigkeit des Ausspruches darüber, daß die inkriminierten, letztlich zum Tode führenden Schädelverletzungen durch eine zweifache traumatische Einwirkung auf den Kopf (Sturz auf Fliesenboden, Anprall auf Holzteil des Gitterbettes) hervorgeruren wurden, haftet dem Urteil ebensowenig an. Ungeachtet dessen, daß die Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung (im übrigen anders als vor dem Landesgendarmeriekommando, wo sie noch von einem Anprall des Kindes gegen die Holzwand ausging, AS 51) eine derartige Kontaktierung des Kopfes entschieden in Abrede stellte und auf die Fähigkeit des Kindes hinwies, auch ohne fremde Hilfe aufzustehen, sowie des Umstandes, daß der medizinische Sachverständige Dr. D***** das Entstehen sämtlicher Schädelverletzungen im Zuge des Sturzes auf den Fliesenboden nicht ausschließen konnte, blieb es den Tatrichtern unbenommen, in freier Beweiswürdigung der von diesem Sachverständigen größte Wahrscheinlichkeit zuerkannten Geschehensvariante (AS 410) der Verletzungsverursachung durch zwei gesonderte gewaltsame Einwirkungen den Vorzug zu geben, mit der auch die Aussage der Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung, das Kind in das Gitterbett einfach fallen gelassen zu haben (AS 410) durchaus im Einklang steht. Mit dem ebenfalls bloß spekulativen Einwand, die zum Tode führende Verletzung hätte sich das Kleinkind auch bei einem Aufziehen im Bett und einem dabei erfolgten Sturz mit Anprall an einen Holzteil zuziehen können, wird ein formeller Begründungsmangel jedenfalls ebensowenig zur Darstellung gebracht wie mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, daß sämtliche Schädelverletzungen beim Sturz auf den Fliesenboden entstanden sein könnten, der der Beschwerdeführerin im übrigen gar nicht zum Vorteil gereicht.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) strebt die Unterstellung des festgestellten Sachverhaltes unter den Tatbestand des § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB an. Die Beschwerdeführerin beruft sich dazu auf die ihrer Ansicht nach unzureichende Urteilsannahme, ihr sei (wie sie meint, lediglich) die Verletzung des Pflegekindes als Folge des inkriminierten sorgfaltswidrigen Verhaltens erkennbar gewesen (US 11, 13). Diese Annahme reicht aber im Hinblick auf den Grundsatz der Haftung im Rahmen adäquater Vorhersehbarkeit (vgl hiezu auch Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB2, RN 27, 28 zu § 80) aus, die (keine weitere Feststellung erfordernde, vielmehr auf Grund der Gesetzeslage zwingende) Zurechnung auch der in concreto eingetretenen Todesfolge als fahrlässig herbeigeführt zu tragen. Der aktuelle Kausalverlauf, demzufolge die zweifache Gewalteinwirkung der im Urteil festgestellten Art zu schweren Schädelverletzungen des Kleinkindes und in weiterer Folge zu dessen Tod führte, entspricht allgemeiner, auch der Beschwerdeführerin zweifelsohne einsichtiger Erfahrung. Von einer bezüglich der Todesfolge atypischen Ungefährlichkeit des fraglichen Tatverhaltens kann daher nach Lage des Falles überhaupt keine Rede sein. Die konkrete Voraussehbarkeit des Erfolges, nämlich des Todes des Kindes, wird dem Beschwerdevorbringen zuwider auch von den Sachverständigen Dr. H***** und Dr. D***** nicht in Frage gestellt, deren Ausführungen über die Möglichkeit einer Fehleinschätzung bzw der verzögerten Erkennbarkeit der konkreten Verletzungsfolgen unzweifelhaft nur unter dem Gesichtspunkt des Anklagevorwurfs der vorsätzlichen Pflichtverletzung zu verstehen sind (AS 445, 455).
Den Nichtigkeitsbeschwerden war somit ein Erfolg zu versagen.
Das Schöffengericht verurteilte Andrea B***** (unter Anrechnung der Vorhaft) zu sechs Monaten Freiheitsstrafe, die gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Bei der Strafzumessung wurde als erschwerend die Deliktshäufung, als mildernd das Teilgeständnis und die bisherige Unbescholtenheit (gemeint: ordentlicher Lebenswandel) gewertet. Die bloße Strafdrohung wurde nach dem Persönlichkeitsbild der Angeklagten als ausreichend abhaltend angesehen, generalpräventive Hindernisse dagegen nicht angenommen.
Staatsanwaltschaft und Angeklagte bekämpfen diesen Strafausspruch, wobei die Anklagebehörde Straferhöhung und Ausschaltung der bedingten Strafnachsicht, die Angeklagte Herabsetzung der Freiheitsstrafe oder von einer herabgesetzten Freiheitsstrafe ausgehend eine Geldstrafe anstreben.
Nur die Berufung der Anklagebehörde ist teilweise im Recht.
Bei der zur Strafbemessung durchzuführenden Abwägung der Erschwerungs- und Milderungsgründe ist im vorliegenden Fall darauf Bedacht zu nehmen, daß der Angeklagten eine sich in einem kurzen Zeitraum häufende Zahl wiederholter und auch schweren Sorgfaltsverletzung einem Kleinkind gegenüber anzulasten ist, wobei auch das objektive Gewicht der verschuldeten Taten und damit die Schwere der Rechtsgutbeeinträchtigung, die die Schuld umfaßt, entsprechend veranschlagt werden muß. Auch unter Berücksichtigung der von den Tatrichtern der Angeklagten zugebilligten psychischen Ausnahmesituation ist mit der vom Schöffengericht ausgemessenen Strafe der Schuldgehalt der sie treffenden Taten nicht abgegolten. Diese war daher auf das aus dem Spruch ersichtliche Ausmaß zu erhöhen. In der Frage der Beurteilung der Täterpersönlichkeit ist jedoch dem Erstgericht darin beizupflichten, daß die bloße Androhung der Strafvollziehung ausreichend ist, die Angeklagte in Zukunft von strafbaren Handlungen abzuhalten. Dem stehen generalpräventive Erwägungen nicht entgegen.
Die Berufung der Angeklagten war auf diese Entscheidung zu verweisen; die Kostenentscheidung findet ihre Begründung in der angeführten gesetzlichen Bestimmung.
Anmerkung
E26153European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0130OS00025.91.0710.000Dokumentnummer
JJT_19910710_OGH0002_0130OS00025_9100000_000