TE OGH 1991/7/11 8Ob585/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.07.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Schwarz, Dr. Graf und Dr. Floszmann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 25.Juli 1981 geborenen Klaus E*****, infolge a.o. Revisionsrekurses des Vaters

Univ.-Prof. Mag. Dr. Kurt E***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 17.Mai 1991, GZ 2b R 81/91-283, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 21.März 1991, GZ 2 P 58/87-276, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

In Abänderung der vorinstanzlichen Beschlüsse wird dem Antrag des Vaters stattgegeben und dem Erstgericht die Fortsetzung dieses Pflegschaftsverfahrens gemäß § 110 Abs 2 JN aufgetragen.

Text

Begründung:

Der mj. Klaus E***** ist der eheliche Sohn des

o. Univ.Prof. Dr. Kurt E***** und der Ärztin Dr. Laura E*****. Beide Elternteile und der Minderjährige sind österreichische Staatsbürger, die Mutter und das Kind besitzen auch die italienische Staatsbürgerschaft. Die Eltern lebten schon seit dem Jahre 1981 getrennt; der Vater wohnt in Patsch in Tirol, die Mutter und der mj. Klaus wohnen seit dem Jahre 1983 in Bozen in Südtirol. Mit dem Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 4.5.1987 wurde die Ehe der Eltern gemäß § 55a EheG einvernehmlich geschieden. Die sich aus § 144 ABGB ergebenden Rechte und Pflichten wurden der Mutter zuerkannt, der Vater erhielt ein Besuchsrecht.

Am 27.4.1990 faßte das Erstgericht den Beschluß, daß von der Fortsetzung des inländischen Pflegschaftsverfahrens abgesehen werde (ON 246). Dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters wurde mit der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung des Landesgerichtes Innsbruck vom 1.6.1990, ON 251, nicht Folge gegeben.

Am 4.12.1990 beantragte der Vater die Fortsetzung des inländischen Pflegschaftsverfahrens.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab.

Mit dem angefochtenen Beschluß bestätigte das Rekursgericht die erstgerichtliche Entscheidung. Es erklärte den Revisionsrekurs nicht für zulässig und führte in seiner Entscheidungsbegründung zum Sachverhalt aus:

Mit Dekret des Jugendgerichtshofes Trient vom 3.4.1990 wurden die Anträge des Vaters auf "Verwirkung der elterlichen Gewalt der Mutter M***** Laura", auf "Entfernung des Sohnes von der mütterlichen Wohnung" und auf "Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten an ihn" abgewiesen. Auf Grund des vom Vater dagegen erhobenen Rechtsmittels erließ das Oberlandesgericht Trient am 20.12.1990 ein nicht mehr anfechtbares Dekret (siehe ON 270), nach dessen Inhalt "der Kindesmutter die elterliche Gewalt über den mj.Sohn Klaus abgesprochen" und "die Unterbringung des mj. Klaus bei den mütterlichen Großeltern Klaus Rinaldo ***** und R***** (oder R*****) Elsa sowie weiters verfügt wurde, "daß die Verbindung zwischen Dr. E***** und den mütterlichen Großeltern von den Sozialämtern (Jugendämtern) von Bozen und Innsbruck aufrechterhalten und koordiniert" werde. Derzeit wird beim Jugendgerichtshof Trient über einen Antrag der dortigen Staatsanwaltschaft verhandelt, weil sich die Großeltern mütterlicherseits nicht bereit erklärt haben sollen, die Pflege und Erziehung des mj. Klaus in ihrem Haushalt zu übernehmen.

In seiner rechtlichen Beurteilung erklärte das Rekursgericht, die im Rekurs des Vaters geäußerte Absicht, den mj. Klaus in seine Obhut zu nehmen, scheitere daran, daß im Hinblick auf die (auch) italienische Staatsbürgerschaft und den ständigen Wohnsitz des Kindes in Italien die "Prävalenz der italienischen Rechtsordnung" gegeben sei. Der Fortsetzung des inländischen Pflegschaftsverfahrens stehe zwar nicht schon entgegen, daß die Heimatbehörden des Minderjährigen ihre Kompetenz in Anspruch nähmen, wohl aber, daß entweder bereits eine Entscheidung vorliegt, oder eine solche auf Grund eines bereits anhängigen Verfahrens konkret zu erwarten ist. Hier hätten die Heimatbehörden des Minderjährigen nach einem umfangreichen Beweisverfahren und unter Bedachtnahme auf die derzeitigen Lebensumstände des Minderjährigen erst kürzlich mehrere Entscheidungen erlassen, und unter diesen derzeitigen tatsächlichen und rechtlichen Umständen sei von der Fortsetzung des inländischen Pflegschaftsverfahrens abzusehen.

Gegen die rekursgerichtliche Entscheidung erhebt der Vater außerordentlichen Revisionsrekurs mit dem sinngemäßen Begehren, in Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen die Fortsetzung des inländischen Pflegschaftsverfahrens anzuordnen.

Der Rechtsmittelwerber widerspricht der Annahme des Rekursgerichtes, daß im vorliegenden Falle von den Heimatbehörden des Minderjährigen bereits die erforderlichen Maßnahmen zu dessen Schutz getroffen worden seien. Vielmehr hätten diese Behörden solche Maßnahmen seit vielen Jahren verabsäumt und nun sogar einen Rechtszustand geschaffen, der dem Kindeswohl absolut unzuträglich erscheine. Da der Mutter die elterliche Gewalt über den Minderjährigen abgesprochen und den mütterlichen Großeltern zuerkannt worden sei, diese aber die Übernahme der Pflege und Erziehung des mj. Klaus in ihrem Haushalt abgelehnt hätten, nach dem Inhalt der Entscheidungen der italienischen Behörden aber auch dem Vater jegliches Recht zur Bestimmung von Pflege und Erziehungsmaßnahmen fehle, sei das Kind seit einem halben Jahr überhaupt ohne Sorgeberechtigten, ohne verantwortliche Pflegeperson und ohne gesetzlichen Vertreter und dies in einer sehr wichtigen Lebensphase, da über die Art des weiteren Schulbesuches des nunmehr zehnjährigen Kindes und der damit verbundenen Unterbringung zu entscheiden sei. Demnach erscheine es zur Wahrung des Kindeswohls dringend geboten, das inländische Pflegschaftsverfahren fortzusetzen und die im Interesse des Kindes gelegenen Maßnahmen zu treffen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zulässig und auch gerechtfertigt.

Gemäß § 110 Abs 2 JN kann das Gericht hinsichtlich eines österreichischen Minderjährigen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, von der Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens absehen, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen des Minderjährigen ausreichend gewahrt werden. Vor der Entscheidung ist die Bezirksverwaltungsbehörde zu hören, in deren Sprengel das Gericht seinen Sitz hat.

Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, Jugendwohlfahrtsreferat, hat sich im vorliegenden Falle unter Hinweis auf seine bisherigen Stellungnahmen und die eingetretene Verschlechterung der Situation, in der nun jeder Kontakt zwischen Kind und Vater fehle, dafür ausgesprochen, "die Obsorgeberechtigung für das Kind auch in Österreich dem Vater zu übertragen und das Kind ihm zu übergeben" (ON 268).

Hinsichtlich der im Sinne des § 110 Abs 2 JN von der ausländischen Behörde im Interesse des Minderjährigen getroffenen und zu erwartenden Maßnahmen wird in dem von den Vorinstanzen als Feststellungsgrundlage herangezogenen, zu ON 269 erliegenden Erkenntnis des Oberlandesgerichtes Trient ua ausgeführt, der Vater sei "tatsächlich die einzige Person, die die elterliche Gewalt über den Sohn ausüben kann; da diese jedoch in Österreich lebt, wird sie notwendigerweise Verbindungskanäle benützen müssen, um jene Befugnisse erzieherischer Ausrichtung, der Überwachung der Vormundschaft, die den Inhalt der patria potestas ausmachen, auszuüben. Diese Kontaktmöglichkeiten (Koordinierungsmöglichkeiten) müssen eben von den mütterlichen Großeltern des Minderjährigen aufrecht erhalten werden und von den Sozialstellen in Italien und Österreich (im besonderen vom Amt für Familie und Jugend in Bozen und Innsbruck) geregelt werden. Den Großeltern des Minderjährigen wird also der Enkel Klaus anvertraut, indem sie jene Verantwortung übernehmen, die diese Funktion innehat. Das Gericht möchte unterstreichen, daß diese Maßnahme der Unterbringung des Minderjährigen bei den mütterlichen Großeltern aus der Notwendigkeit heraus entstanden ist, im Augenblick die extreme und drastische Maßnahme der Entfernung des Kindes aus seinem bisherigen Familienmilieu zu vermeiden."

Nach den weiteren Feststellungen haben die mütterlichen Großeltern die Übernahme des mj. Klaus in ihre Pflege und Erziehung im Sinne des vorgenannten Erkenntnisses des Oberlandesgerichtes Trient jedoch abgelehnt. Vom Jugendgerichtshof Trient werden deswegen derzeit Verhandlungen über die weiteren Maßnahmen geführt. Die Staatsanwaltschaft hat "für den Fall ihres Fehlschagens das Verbleiben des Minderjährigen im bisherigen Ambiente befürwortet" (erstgerichtlicher Beschluß ON 276, S 925).

Nach der Aktenlage ist bisher noch immer keine Maßnahme getroffen worden, die dem derzeitigen Pflege- und Erziehungsnotstand des in seinem Wohl ganz offenkundig gefährdeten Minderjährigen ein Ende bereiten könnte. Die vom Oberlandesgericht Trient als Rechtsmittelinstanz selbst als notwendig erachtete und verfügte Unterbringung des Minderjährigen bei seinen mütterlichen Großeltern ist an deren Weigerung, die ihnen zugewiesene Aufgabe zu übernehmen, gescheitert, sodaß der Minderjährige nach wie vor den seinem Wohl abträglichen Einflüssen seiner zur Ausübung der elterlichen Gewalt als unfähig erkannten Mutter ausgesetzt ist. Obwohl das Oberlandesgericht Trient den Vater des Minderjährigen als "die einzige Person, die die elterliche Gewalt....ausüben kann", ansah (Erkenntnis in ON 269), wurde dennoch bisher nicht die sich nun geradezu zwingend aufdrängende Konsequenz gezogen, den Minderjährigen endlich dem als allein kompetent angesehenen Vater in Pflege und Erziehung zu überantworten und damit auch dem ganz offenkundig seinem Wohl schädlichen Einfluß des Milieus seiner Mutter zu entziehen. Weshalb die vom Oberlandesgericht Trient so stark in den Vordergrund geschobene Veränderung des Umfeldes des Kindes, die durch seine Zuweisung an den Vater einträte, als "extreme und drastische Maßnahme" vermieden werden sollte, ist bei der gegebenen Sachlage nicht erkennbar.

Aus der Sicht der inländischen Rechtsordnung erweisen sich damit die von der ausländischen Behörde bisher tatsächlich getroffenen Maßnahmen als völlig unzureichend, die wohlverstandenen Interessen des Kindes rasch und zuverlässig zu wahren. Bei der gegebenen Sachlage kann unter dem das inländische Pflegschaftsverfahren beherrschenden Gesichtspunkt des Kindeswohles ausschließlich noch die Frage entscheidend sein, ob auch gegen die Unterbringung des Kindes beim Vater überhaupt irgendwelche schwerwiegende konkrete Gründe sprechen, da gegenteiligenfalls der Unterbringung des Kindes bei einem leiblichen Elternteil gegenüber jener bei fremden Pflegepersonen jedenfalls der Vorzug zu geben ist. Dem Akteninhalt kann nicht entnommen werden, daß eine solche Prüfung bisher in Italien überhaupt eingeleitet wurde und daß binnen kurzer Zeit die Fällung einer diesbezüglichen Entscheidung zu erwarten ist. Vielmehr dauern die "Verhandlungen" vor der ausländischen Behörde erster Instanz schon seit Monaten an und es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Trient, nach der der Minderjährige sogleich der Pflege und Erziehung der Mutter entzogen werden muß, von der Unterbehörde respektiert und eine zielstrebige Maßnahme in dieser Richtung gesetzt worden wäre.

Damit erweist es sich entgegen der Ansicht der Vorinstanzen im Sinne des § 110 Abs 2 JN als notwendig - die diesbezügliche Ermessensentscheidung der inländischen Gerichte hat sich nur am Wohl des Kindes zu orientieren (3 Ob 582/83; 3 Ob 513,514/85; öAmtsVd 1987, 139; 8 Ob 568,569/88) - das inländische Pflegschaftsverfahren betreffend den mj. Klaus E***** sofort fortzusetzen und durch alle zu Gebote stehenden und umgehend zu setzenden Maßnahmen auf eine vom Kindeswohl dringend geforderte Lösung hinzuwirken. Mangels wesentlicher zwischenzeitiger Änderung der Sachlage könnte diese offenbar wohl nur in der Übertragung des Pflege- und Erziehungsrechtes betreffend den mj. Klaus E***** an seinen leiblichen Vater gelegen sein, zumal auch seine Person betreffende Hinderungsgründe bislang nicht aktenkundig sind.

Dem Revisionsrekurs war daher stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E26264

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00585.91.0711.000

Dokumentnummer

JJT_19910711_OGH0002_0080OB00585_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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