TE OGH 1991/7/11 7Ob20/91

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Veröffentlicht am 11.07.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerda W*****, vertreten durch Dr. Dieter Böhmdorfer ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei W***** Versicherungs-AG, Wien 2., Untere Donaustraße 13-14, vertreten durch Dr. Johann Mayerhofer und Dr. Herbert Handl, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wegen Bestellung einer Ärztekommission (Streitwert S 61.000,-) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24. Jänner 1991, GZ 5 R 107/90-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Handelsgerichtes Wien vom 26. Februar 1990, GZ 37 Cg 207/89-4, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben, die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, sodaß sie zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, einen Arzt zur Bildung einer Ärztekommission nach Art. 14 AUVB 1965 zu benennen, der über Art und Umfang der Folgen des Verkehrsunfalles, den die Klägerin am 20. 7. 1988 erlitten hat sowie zur Frage, in welchem Umfang die vom Wilhelminenspital festgestellten Verletzungen auf den Versicherungsfall zurückzuführen sind, ferner über die Beeinflussung der Unfallsfolgen durch Krankheit oder Gebrechen im Rahmen der Ärztekommission ein Schiedsgutachten zu erstellen hat. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.002,40 (darin S 960,40 Umsatzsteuer und S 2.240,- Barauslagen) bestimmten Prozeßkosten erster Instanz, die mit S 7.857,40 (darin S 642,90 Umsatzsteuer und S 4.000,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 9.077,- (darin S 679,50 Umsatzsteuer und S 5.000,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist bei der beklagten Partei zu den AUVB 1965 unfallversichert. Sie hat am 20. 7. 1988 einen Verkehrs(Auffahr)Unfall erlitten, "wobei" sie sich im Wilhelminenspital der Stadt Wien behandeln ließ. Dort wurde ihr die Diagnose "Susp. Deckplattenkonstruktion BWK 10 und Susp frischer vorderer Kantenabbruch BWK 12" erstellt und sie in stationärer Behandlung übernommen. Sie wurde am 21. 7. 1988 mit der Diagnose Morbus Scheuermann Th 9 bis Th 12 entlassen.

Art. 14.1 der AUVB 1965 lautet auszugsweise: "Im Falle von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallsfolgen oder darüber, in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallsfolgen durch Krankheit oder Gebrechen entscheidet die Ärztekommission ...

Die beklagte Partei hat die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche mit Schreiben vom 17. 3. 1989 unter Hinweis, daß die Diagnose Morbus Scheuermann in keinem Zusammenhang mit dem Unfall stehe unter Anführung der Rechtsfolgen des § 12 Abs.3 VersVG abgelehnt.

Die Klägerin stellte zunächst das im Spruch ersichtliche Begehren, in eventu begehrt sie die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei aus den Folgen des Verkehrsunfalles vom 20. 7. 1988.

Die beklagte Partei beantragt die Klagsabweisung und wendete ein, daß zwischen den am 20. 7. 1988 allfällig festgestellten behaupteten Verletzungen und dem am gleichen Tag erlittenen Verkehrsunfall kein Zusammenhang bestehe, weil erstere auf den Morbus Scheuermann zurückzuführen seien. Eine Ärztekommission sei nur dann einzusetzen, wenn nicht bereits nach den Versicherungsbedingungen eine Leistungspflicht abgelehnt worden sei.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren mit Teilurteil ab und behielt sich die Entscheidung über das Eventualbegehren vor, weil zu dessen Beurteilung die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sei. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Teilurteil. Es bewertete den Streitgegenstand als mit S 50.000,- übersteigend und erklärte die Revision für nicht zulässig. Beide Vorinstanzen vertraten die Rechtsansicht, daß nicht die Ärztekommission, sondern das Gericht zur Entscheidung über die Frage, ob ein versicherungspflichtiger Unfall vorliege, berufen sei. Vorliegendenfalls sei nicht nur der Eintritt des Versicherungsfalles, sondern auch der Umfang der Schadensfolgen und die Frage der Kausalität strittig. Es könne zuerst daher nur auf Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers geklagt werden. Erst nach Vorliegen eines positiven Feststellungserkenntnisses habe die Ärztekommission über die Unfallsfolgen zu entscheiden.

Die gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Berufungsgegnerin ist zuzugestehen, daß nach der Lehre und Rechtsprechung (RdW 1984, 209) die Frage, ob überhaupt ein versicherungspflichtiger Unfall vorliegt, nicht von der Ärztekommission, sondern von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden ist. Soweit ein Versicherungsfall keine Leistungspflicht des Versicherers auslöst, z.B. wegen schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalles oder wegen Verletzung einer Obliegenheitspflicht oder wegen Nichtzahlung einer Folgeprämie bleibt kein Raum für die Durchführung des Schiedsverfahrens (Bruck-Möller VVG8 § 64 Anm. 19). Richtig ist auch, daß für das Vorliegen eines Versicherungsfalles nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast trifft (Jabornegg, Das Risiko des Versicherers, 29; Prölss-Martin aaO, 302 sowie 7 Ob 45/89). Im vorliegenden Fall ist aber nicht der Eintritt des Versicherungsfalles, sondern die Frage, ob die Unfallsfolgen nicht oder nur teilweise auf den Unfall zurückzuführen sind, strittig. Gerade die Lösung dieser Frage weist aber Art. 14 Abs 1 der AUVB 1965 der Ärztekommission zu (Auf die deutsche Lehre und Judikatur zu dieser Frage muß wegen der entscheidenden Verschiedenheit zwischen den österreichischen und den deutschen Versicherungsbedingungen in diesem Punkt nicht eingegangen werden).

Geht man von der eingangs zitierten Außerstreitstellung der beklagten Partei aus, so kann diese nur dahin verstanden werden, daß die Einlieferung der Klägerin in das Spital unmittelbare Folge des zuvor erlittenen Verkehrsunfalles war. Die dortige Feststellung, daß ein "frischer" vorderer Kantenabbruch beim BWK 12 besteht, läßt bis zum Nachweis eines weiteren unmittelbar vor oder unmittelbar nach dem Verkehrsunfall eingetretenen traumatischen Krankheitsgeschehens gleicher Art nach der Erfahrung des täglichen Lebens nur den Schluß zu, daß die diagnostizierte Verletzung eben durch den Verkehrsunfall verursacht worden ist. Damit sind aber entsprechend Art. 14.1 AUVB 1965, die Frage, in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, sowie die Beeinflussung der Unfallsfolgen durch Krankheit oder Gebrechen zu begutachten.

Das Begehren der Klägerin auf Mitwirkung der beklagten Partei bei Bildung einer Ärztekommission erweist sich daher gerechtfertigt. Das Klagebegehren ist auch schlüssig. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Begründung der zu VersRSch 1988, 132 veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 19. 5. 1988, 7 Ob 14/88, verwiesen.

Der Revision war daher stattzugeben.

Der Kostenentscheidung hinsichtlich der Prozeßkosten erster Instanz gründet sich auf § 41, jene über die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E26617

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0070OB00020.91.0711.000

Dokumentnummer

JJT_19910711_OGH0002_0070OB00020_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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