TE Vwgh Erkenntnis 2005/12/21 2005/08/0100

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Veröffentlicht am 21.12.2005
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Index

60/02 Arbeitnehmerschutz;
61/01 Familienlastenausgleich;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §50 Abs1;
KBGG 2001 §2 Abs1;
KBGG 2001 §8 Abs1 Z1;
KBGG 2001 §9 Abs1 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, in der Beschwerdesache des NJ in W, vertreten durch Dr. Josef Schima, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 28/1/21, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Beschluss der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 16. Februar 2005, Zl. LGSW/Abt. 10-AlVG/1218/56/2005-182, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Ausspruch über die Rückforderung von Notstandshilfe wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde in teilweiser Stattgebung der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 24 Abs. 2 AlVG in Verbindung mit den §§ 33 und 36 AlVG sowie § 6 NH-VO den Anspruch auf Notstandshilfe im Zeitraum vom 10. November 2003 bis 31. Dezember 2003 von EUR 21,77 täglich auf EUR 7,47 täglich, im Zeitraum vom 1. Jänner 2003 bis 31. März 2004 von EUR 21,97 täglich auf EUR 7,71 täglich, im Zeitraum vom 1. Mai 2004 bis 31. August 2004 von EUR 21,97 täglich auf EUR 9,88 täglich, im Zeitraum vom 1. September 2004 bis 30. September 2004 von EUR 21,97 täglich auf EUR 9,61 täglich und vom 1. Oktober 2004 bis 5. Dezember 2004 von EUR 21,97 täglich auf EUR 12,60 täglich berichtigt und die auf Grund dessen im Zeitraum vom 10. November 2003 bis 30. November 2004 zu Unrecht bezogene Notstandshilfe in der Höhe von EUR 4.390,67 gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zurückgefordert.

Nach der Begründung dieses Bescheides ergibt sich die Neubemessung der Notstandshilfe aus der Anrechnung von Kinderbetreuungsgeld, welches die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers bezogen habe. Diesen Bezug habe er dem Arbeitsmarktservice bei der jeweiligen Antragstellung auf Zuerkennung von Notstandshilfe dadurch verschwiegen, dass er diesen Bezug nicht als Einkommen seiner Lebensgefährtin angegeben habe. Daher sei er zur Rückerstattung des Überbezuges verpflichtet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich - wie aus dem insoweit eindeutig formulierten Beschwerdepunkt hervorgeht - nur in seinem Recht verletzt, gemäß § 25 AlVG "von der Rückforderung des Betrages von EUR 4.390.67 abzusehen". Er führt dazu aus, den Bezug weder durch unwahre Angaben noch durch Verschweigung maßgeblicher Umstände herbeigeführt zu haben.

Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kann somit nicht die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anrechnung des Kinderbetreuungsgeldes der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers auf die Notstandshilfe gemäß § 24 AlVG sein, sondern nur der davon trennbare (zweite) Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides, mit dem über die Rückforderung des Überbezuges gemäß § 25 Abs. 1 AlVG abgesprochen wird.

Nach § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG ist bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt die Verletzung der Meldepflicht nach § 50 Abs. 1 AlVG die Annahme einer Verschweigung maßgebender Tatsachen im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG und somit die Rückforderung des unberechtigt Empfangenen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 8. September 1998, Zl. 96/08/0117). Aus der Gegenüberstellung der einzelnen Tatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen und Erkennenmüssen, dass die Leistung nicht oder nicht in voller Höhe gebühre) folgt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weiters, dass die ersten beiden Tatbestände zumindest mittelbaren Vorsatz - dolus eventualis - voraussetzen, während es für die Anwendung des dritten Tatbestandes genügt, dass Fahrlässigkeit gegeben war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 91/08/0163).

Der Verwaltungsgerichtshof hat einen der antragstellenden Partei zuzurechnenden Vorsatz bisher in der Regel bei der Unterlassung der Meldung der Aufnahme einer Tätigkeit (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 3. Oktober 2002, Zl. 97/08/0611 und Zl. 97/08/0654) oder eines mehrmonatigen Studienaufenthaltes im Ausland (vgl. das Erkenntnis vom 21. September 1993, Zl. 92/08/0243) sowie bei unwahrer Beantwortung einer im Antragsformular gestellten Frage, auch wenn eine dritte Person dieses Formular für den Antragsteller ausgefüllt hat (vgl. das Erkenntnis vom 11. Mai 1993, Zl. 92/08/0182), wie z.B. bei Verschweigung einer Witwenpension (Erkenntnis vom 11. Mai 1993, Zl. 92/08/0087), einer eigenen Unfallrente (Erkenntnis vom 20. November 2002, Zl. 2002/08/0208) oder einer Beschäftigung als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer GesmbH (Erkenntnis vom 9. März 2001, Zl. 2000/02/0009), insbesondere auch einer geringfügig entlohnten Beschäftigung (Erkenntnis vom 5. November 2003, Zl. 99/08/0078), angenommen, nicht aber z. B. beim Verschweigen einer Unterhaltsleistung, die erst durch eine Änderung der Rechtslage während des Leistungsbezuges für die Notstandshilfeberechnung "wesentlich" wurde (vgl. das Erkenntnis vom 19. Februar 2003, Zl. 2000/08/0091), und beim Verschweigen einer Unfallrente des Ehepartners nach Erhalt einer Information durch den Sachbearbeiter, die Nachweise darüber seien für den Anspruch ohne Relevanz (vgl. das Erkenntnis vom 19. Februar 2003, Zl. 2000/08/0126).

Soweit in dem vom Arbeitsmarktservice auch im Beschwerdefall verwendeten bundeseinheitlichen Antragsformular nach Einkünften des Ehepartners oder Lebensgefährten gefragt wird, geschieht dies in der Weise, dass die Frage zu Punkt 1 des Formulars in erster Linie auf im Haushalt lebende Angehörige abzielt (diese werden an dieser Stelle des Formulars als "Ehegatten, Lebensgefährten, Kinder, Enkel, Stief-, Wahl- und Pflegekinder" definiert), zu deren Bekanntgabe ein Raster zur Verfügung gestellt wird, der aus sechs Zeilen und mehreren Spalten besteht; in die ersten drei dadurch entstehenden Kästchen sind gemäß der Beschriftung der Spalten Name und Wohnort des Angehörigen, die Geburtsdaten und das "Verwandtschaftsverhältnis zum/r Antragsteller/in" einzutragen. In den nächsten drei Kästchen wird unter der gemeinsamen Überschrift "Nettoeinkommen der/des Angehörigen" nach "Höhe in Euro wöchentlich/monatlich", "Art" und "Von welcher Stelle" gefragt. Eine Erläuterung des Begriffs "Nettoeinkommen" enthält das Formular weder an dieser noch an einer anderen Stelle. In Punkt 8 ("Ich habe ein eigenes Einkommen") wird bei der Frage "Wenn ja, welcher Art ?" der Einkommensbegriff mit dem Klammerausdruck

"(z.B. Pensionen, Renten, Unterhaltsleistungen, Einkommen aus geringfügiger, selbständiger oder freiberuflicher Tätigkeit, Vermietung oder Hausbesorgertätigkeit)"

erläutert.

Es wird somit nach dem Bezug von Kinderbetreuungsgeld weder beim Arbeitslosen selbst noch bei im gemeinsamen Haushalt lebenden Partnern gefragt. Auch aus den Erläuterungen des Formulars zum Einkommensbegriff geht nicht hervor, dass Kinderbetreuungsgeld als Einkommen betrachtet wird, wobei im Zusammenhang mit Angehörigen der dort verwendete Begriff des "Nettoeinkommens" überhaupt nicht erläutert wird.

Aus den Fragestellungen im Formular kann somit nicht abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer vorsätzlich den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes bei seiner Lebensgefährtin verschwiegen hat.

Das Wissen um die Anrechenbarkeit des Kinderbetreuungsgeldes erschließt sich dem Normadressaten auch nicht etwa z.B. durch nahe liegende Überlegungen über den Zweck dieser Sozialleistung von selbst, wie schon die nicht widerspruchsfreie Rechtslage hinsichtlich der Notstandshilfe einerseits und hinsichtlich des Kinderbetreuungsgeldes andererseits zeigt:

Gemäß § 5 Abs. 1 letzter Satz der Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973 in der Fassung BGBl. II Nr. 490/2001, ist u. a. Einkommen nach § 3 Abs. 1 Z. 5 lit. d EStG 1988 (somit auch Kinderbetreuungsgeld, dessen Steuerfreiheit auf dieser Bestimmung beruht) beim Arbeitslosen nicht bloß bis zur Grenze der Geringfügigkeit im Sinne des § 5 Abs. 2 ASVG, sondern überhaupt nicht auf die Notstandshilfe anzurechnen, wogegen § 36a Abs. 3 AlVG (Einkommen), der - wie Abs. 1 leg. cit. festlegt - auch für die Anrechnung auf die Notstandshilfe gilt, die Hinzurechnung des Kinderbetreuungsgeldes als "steuerfreie Bezüge gemäß § 3 Abs. 1 ... Z. 5 lit. a bis d ... EStG 1988" zum "Einkommen nach § 2 Abs. 2 EStG 1988" anordnet. § 6 Abs. 7 erster Satz Notstandshilfeverordnung sieht hingegen für die Anrechung des Einkommens der Lebensgefährtin keine Ausnahme von § 36a Abs. 3 Z. 1 AlVG und damit die Hinzurechnung des Kinderbetreuungsgeldes vor.

Gemäß § 2 Abs. 1 des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG), BGBl. I Nr. 103/2001, ist eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, dass der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 8) des Elternteiles im Kalenderjahr den Grenzbetrag von EUR 14.600,-- nicht übersteigt; gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 letzter Satz KBGG zählen auch Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 3 in Verbindung mit den §§ 12 und 13 KBGG haben - der Sache nach - in Lebensgemeinschaft lebende Mütter bzw. Väter Anspruch auf einen Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld, sofern der im gemeinsamen Haushalt lebende Partner kein Einkommen erzielt oder der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 8: d.h. unter Einschluss auch der Notstandshilfe) nicht mehr als EUR 7.200,-- (Freigrenze) beträgt. Übersteigt das Einkommen des Ehegatten die Freigrenze, so ist der Unterschiedsbetrag (auch dann, wenn er aus einem Notstandshilfebezug erwächst) auf den Zuschuss anzurechnen (§ 12 Abs. 2 leg. cit.).

Auch aus der Sicht des KBGG wäre daher nicht von vornherein damit zu rechnen, dass der Notstandshilfebezug des Lebensgefährten, von dessen Höhe zunächst die Gebührlichkeit des Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld abhängt, durch gleichzeitige Anrechnung des Kinderbetreuungsgeldes (samt Zuschuss) gekürzt werden kann, sodass es also - anders als im Verhältnis zweier Notstandshilfebezüge zueinander (§ 36 Abs. 2 vorletzter Satz AlVG) - unter bestimmten Umständen sogar zu einer mehrfachen wechselseitigen Anrechnung von Notstandshilfe und Kinderbetreuungsgeld kommen kann und so die zuerst erwähnte Regelung den sozialpolitischen Zweck der letztgenannten zu konterkarieren scheint.

Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein bloßes Redaktionsversehen vorliegt und der Gesetzgeber bei der (der Befreiung von der Steuerpflicht dienenden) Einfügung der Wendung", weiters das Kinderbetreuungsgeld" in die Bestimmung des § 3 Abs. Z. 5 lit. b EStG 1988 durch Art. 14 des Bundesgesetzes, mit dem u.a. das Kinderbetreuungsgeldgesetz erlassen wurde, BGBl. I Nr. 103/2001, nur übersehen hat, dass er durch diese Änderung gleichzeitig beim Einkommensbegriff des AlVG wegen der in § 36a Abs. 3 Z. 1 AlVG enthaltenen Verweisung auf § 3 Abs. 1 Z. 5 lit. a bis d EStG 1988 eine Hinzurechnungsanordnung trifft. Diese könnte bisher auch beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit unentdeckt geblieben sein, wofür § 5 Abs. 1 der NHV als Beleg dienen kann. Auch die Materialien zum Kinderbetreuungsgeldgesetz (RV: 620 Blg. NR XXI. GP, 55) gehen ausdrücklich von einer "grundsätzlichen Zulässigkeit des Bezuges von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe während des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld" aus.

Es kann somit weder auf Grund der geschilderten Gestaltung des Antragsformulars noch auf Grund der Rechtslage davon die Rede sein, dass eine Verpflichtung zur Bekanntgabe einer steuerfreien Sozialleistung, wie z.B. des Kinderbetreuungsgeldes beim Angehörigen, sofern sie überhaupt besteht, einem Antragsteller auf Zuerkennung von Notstandshilfe mit durchschnittlichen Fähigkeiten erkennbar sein muss.

Aus dem Umstand allein, dass der Beschwerdeführer bei seinen Antragstellungen auf Zuerkennung von Notstandshilfe wohl das Nettoeinkommen seiner Lebensgefährtin aus einer Beschäftigung, nicht aber das Kinderbetreuungsgeld angegeben hat, kann daher nicht auf einen Vorsatz oder auf einen bedingten Vorsatz geschlossen werden. Andere Umstände, welche eine andere Schlussfolgerung tragen könnten, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig; er war daher im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 21. Dezember 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005080100.X00

Im RIS seit

19.02.2006

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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