TE OGH 1991/7/25 7Ob555/91

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Veröffentlicht am 25.07.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brunhilde K*****, vertreten durch Dr. Waltraute Steger, Rechtsanwalt in Linz, und dem auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten Dr. Walter M*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Bertmann, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Dr. Werner M*****, vertreten durch Dr. Peter Riedlsberger, Rechtsanwalt in Linz, und der auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenientin V*****, Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung (Streitwert S 30.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 6. Februar 1991, GZ 18 R 47/91-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 5. November 1990, GZ 23 C 1315/90-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.623,04 (darin S 603,84 USt) und dem Nebenintervenienten der klagenden Partei die mit S 3.623,04 (darin S 603,84 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde in ihrem Ehescheidungsverfahren zu 8 Cg 188/83 des Landesgerichtes Linz von dem zwischenzeitig verstorbenen Rechtsanwalt Dr. Winfried M***** vertreten. Seine Verlassenschaft wurde aufgrund einer unbedingten Erbserklärung dem Beklagten zur Gänze eingeantwortet. Die Ehe der Klägerin wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 4.4.1987, das am 4.5.1987 zugestellt wurde, aus dem Alleinverschulden ihres Ehegatten geschieden. Dieser begehrte in seiner Berufung gegen dieses Urteil, daß anstelle seines alleinigen ein gleichteiliges Verschulden ausgesprochen werde. In der Berufungsbeantwortung erklärte Dr. Winfried M*****, daß die Scheidung unbekämpft geblieben ist. Da er aber nicht wußte, daß die Frist des § 95 EheG mit Rechtskraft der Scheidung, also im vorliegenden Fall am 2.6.1987, nach Verstreichen der vierwöchigen Berufungsfrist nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteiles und nicht erst nach rechtskräftiger Erledigung des nur mehr über den Verschuldensausspruch geführten Verfahrens beginnt, hielt er den Ablauf dieser Frist nicht in Evidenz, er vermeinte, es müsse zunächst die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz abgewartet werden. Nach dem Tod Dr. Winfried M***** suchte die Klägerin im Mai 1988 seinen mittlerweiligen Stellvertreter, den Sohn des Verstorbenen, den Rechtsanwalt Dr. Walter M*****, auf und bevollmächtigte diesen im gleichen Umfang wie seinen Vater. Dr. Walter M***** fiel bei seiner Besprechung mit der Klägerin nicht auf, daß die Frist für die Einleitung des Aufteilungsverfahrens mit 6.2.1988 ablaufen wird. Wäre im Fristenvormerkbuch der Kanzlei Dr. Winfried M***** als letzter Tag für diesen Antrag der 2.6.1988 aufgeschienen, so hätte Dr. Walter M***** einen solchen Antrag namens der Klägerin noch vor dem 2.6.1988 gestellt. Der von der Klägerin nach Zugehen der die Berufung des geschiedenen Gatten abweisenden Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz gestellte Antrag nach § 81 EheG wurde als verfristet zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 22.3.1990 bestätigt. Hätte die Klägerin fristgerecht einen solchen Antrag gestellt, wäre ihr, wie von ihr stets angestrebt, die vormalige Ehewohnung zuerkannt worden. Die von ihrem geschiedenen Ehegatten am 14.2.1989 eingebrachte Klage auf Räumung der vormaligen Ehewohnung wegen titelloser Benützung und der von ihm angestrebte Prozeß auf Bezahlung von S 80.000,-- an Benützungsentgelt für diese Wohnung ist noch nicht rechtskräftig beendet.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß ihr die beklagte Partei für alle nachteiligen Folgen, die ihr aus der Versäumung der Frist des § 95 EheG entstanden sind, zu haften habe. Aufgrund der als auffallende Sorglosigkeit zu wertenden Unterlassung Dris. Winfried M***** stehe die frühere Ehewohnung nunmehr im Alleineigentum des geschiedenen Gatten. Der Schaden, der ihr aus dem Verlust dieser Wohnmöglichkeit erwachse, sei derzeit nicht absehbar.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung. Sie wendete ein, daß der nach dem Tod des Dr. Winfried M***** bestellte mittlerweilige Stellvertreter Dr. Walter M***** den Aufteilungsantrag einzubringen gehabt hätte und daß daher ihn das Verschulden an der unterlassenen Antragstellung treffe.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die unterlassene Antragstellung nach § 81 EheG müsse sowohl Dr. Winfried als auch seinem mittlerweiligen Stellvertreter Dr. Walter M***** als Verschulden angelastet werden. Beide hätten der Klägerin für die durch die Unterlassung ihr erwachsenen Nachteile solidarisch zu haften.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000,-- übersteigt und ließ die Revision zu. Es folgerte rechtlich, es sei als höchstwahrscheinlich anzusehen, daß die unterlassene Eintragung der Frist für die Einbringung des Aufteilungsantrages zum Fristversäumnis geführt habe. Der beklagten Partei sei es nicht gelungen, einen Sachverhalt unter Beweis zu stellen, der einen Schluß auf einen anderen Ablauf des Geschehens zugelassen hätte, daß zumindest als gleich wahrscheinlich anzunehmen sei. Die mangelnde Evidenzhaltung derart wichtiger Fristen sei als grobe Fahrlässigkeit eines Rechtsanwaltes zu qualifizieren. Jeder Rechtsanwalt müsse zumindest mit einer vorübergehenden Verhinderung rechnen und habe daher dafür Sorge zu tragen, daß dadurch seinen Mandanten keine Nachteile erwachsen. Wäre ein entsprechender Fristenvormerk gesetzt worden, so hätte dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zur fristgerechten Einbringung des Aufteilungsantrages geführt. Wenn auch der mittlerweilige Stellvertreter Dr. Walter M***** den drohenden Ablauf dieser Frist erkennen hätte müssen, sei es der Klägerin gelungen, die Kausalität der schuldhaften Unterlassung des früheren Rechtsfreundes für den Schadenseintritt zu beweisen. Das weitere Fehlverhalten Dris. Walter M***** führe nur zu dessen Solidarverpflichtung mit dem Beklagten.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung wird die einjährige Frist

des § 95 EheG für eine Antragstellung nach § 81 EheG mit der

Rechtskraft des Scheidungsausspruches in Form eines Teilurteiles

in Lauf gesetzt (EvBl. 1981/211 = MietSlg. 33.534; JBl. 1982, 495

= SZ 55/34 = MietSlg. 34.598; SZ 60/116 = EvBl. 1988/7 uva,

zuletzt 1 Ob 553/91). Die allgemeine Verjährungsbestimmung des § 1497 ABGB ist auch auf die Präklusivfrist des § 95 EheG analog anzuwenden (1 Ob 681/90).

Es entspricht der einhelligen Lehre und ständiger Rechtsprechung, daß im Sinn des § 1299 ABGB der Rechtsanwalt den Mangel des notwendigen Fleißes und der erforderlichen nicht gewöhnlichen Kenntnisse seines Berufes zu vertreten hat. Trotz des nach der zitierten Bestimmung vorgesehenen strengeren Maßstabes in der Bewertung der erforderlichen Sorgfalt dürfen die Anforderungen an den Rechtsanwalt nicht überspannt werden. Es können von ihm nur Fleiß und die Kenntnisse verlangt werden, die seine Fachgenossen gewöhnlich haben (vgl. Strasser in Rummel ABGB2 § 1012 Rz 8 mwN; Reischauer in Rummel ABGB § 1299 Rz 2 mwN, zuletzt 2 Ob 586/88). Die Erfassung und Überwachung des Fristenwesens zählt aber zu den wichtigsten Vorkehrungen in einer Rechtsanwaltskanzlei, für die der Rechtsanwalt persönlich Sorge zu tragen hat (vgl. Fasching, Kommentar zu den ZPGesetzen II, 731). Ein Rechtsanwalt, dessen Vollmachtsverhältnis aufrecht ist, hat daher mit Eintritt der (Teil)Rechtskraft des Scheidungsausspruches trotz der Verfahrensfortsetzung allein über den Verschuldensausspruch den Ablauf der Frist des § 95 EheG in Evidenz zu halten und seinen Mandanten über die Möglichkeit des Eintrittes der Verfristung dieser Antragstellung selbst dann zu belehren, wenn er den Mandanten schon früher auf eine solche Antragstellung aufmerksam gemacht hat (ähnlich JBl. 1984, 554, WBl. 1987, 212). Unterläßt er dies, so ist sein Verhalten auffällig sorglos. Darüber hinaus geht die Treuepflicht des Rechtsanwaltes über die Beendigung des Mandanten hinaus. Er muß die Interessen des von ihm vertretenen Mandanten im Hinblick auf einen in Zukunft drohenden Vermögensnachteil wahren (ähnlich 4 Ob 543/87).

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, muß ein Rechtsanwalt stets mit seiner zumindest vorübergehenden Verhinderung rechnen und hat dafür Sorge zu tragen, daß die während dieser Zeit zu wahrenden Fristen eingehalten werden können, damit seinen Mandanten kein Nachteil aus einer Fristversäumnis erwächst. Dieser allgemeine Grundsatz erfährt im § 11 Abs. 2 RAO für den Fall der Kündigung des Vollmachtsverhältnisses durch den Rechtsanwalt nur eine spezielle Regelung. Der vom Revisionswerber zitierten Entscheidung AnwBl. 1982/1643 kann keine gegenteilige Auffassung entnommen werden.

Im Zusammenhang mit der Feststellung, daß Dr. Winfried M***** trotz Bestehens einer gefestigten Judikatur nicht wußte, daß die Frist des § 95 EheG bereits mit der Rechtskraft des Scheidungsausspruches zufolge dessen unterlassener Bekämpfung durch den Gegner in Lauf gesetzt worden ist und deshalb die Eintragung dieser Frist im Vormerkkalender nicht veranlaßt hat, begründet seine Unterlassung eine kausale (Mit-)Ursache für den der Klägerin daraus erwachsenen Schaden. Daß das Fehlverhalten des mittlerweiligen Stellvertreters Dr. Walter M***** unabhängig von dieser Unterlassung zum gleichen Schadenseintritt geführt hätte, wurde von der beklagten Partei nicht bewiesen. Der der Berufungsentscheidung zugrunde liegende Beweislastverteilung entspricht daher der herrschenden Rechtsprechung (vgl. Reischauer in Rummel ABGB § 1294 Rz 14 f; § 1298 Rz 2 mwN). Zutreffend ist auch die Annahme der Vorinstanzen, daß den Beklagten, als Universalsukzessor nach Dr. Winfried M*****, mit Dr. Walter M***** die Solidarhaftung im gegenständlichen Schadensfall trifft.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E26627

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0070OB00555.91.0725.000

Dokumentnummer

JJT_19910725_OGH0002_0070OB00555_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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