Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Unterbringungssache des Walter H*****, infolge Revisionsrekurses des Vertreters des mit der Führung der Abteilung betrauten Arztes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 8. August 1991, GZ 1 b R 134/91-10, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hall in Tirol vom 12. Juli 1991, GZ Ub 435/91-6, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Walter H***** leidet an einem angeborenen Schwachsinn. Der Schwachsinnsgrad entspricht einem Grenzbefund von Imbezillität zu Idiotie. Dadurch war auch der Besuch einer Spezialklasse für Geistesschwache in einer Sonderschule nicht möglich. Walter H***** ist gutmütig, einigermaßen lenkbar und zeigt keinen Hang zu Aggressionen. Aufgrund des Schwachsinns besteht jedoch die Gefahr einer Verwahrlosung und einer Selbstgefährdung.
Das Erstgericht erklärte die Unterbringung des Walter H***** in der geschlossenen Abteilung des Landeskrankenhauses Hall in Tirol für die Dauer von drei Monaten für zulässig.
Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß es die weitere Unterbringung des Walter H***** für unzulässig erklärte. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist. Nach der Auffassung des Rekursgerichtes könne in einer Krankenanstalt oder Abteilung für Psychiatrie nur untergebracht werden, wer an einer psychischen Krankheit leidet. Während das Sachwaltergesetz zwischen den Begriffen der psychischen Krankheit und der geistigen Behinderung unterscheide, jedoch für beide Fälle die Bestellung eines Sachwalters vorsehe, verfolge das Unterbringungsgesetz das Ziel, den Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker in geschlossenen Bereichen von Krankenanstalten besser zu gewährleisten. Das Vorliegen einer geistigen Behinderung allein reiche daher für eine Unterbringung nicht aus. Geistig Behinderte könnten nur dann Aufnahme finden, wenn neben der geistigen Behinderung auch die Symptome einer psychischen Erkrankung vorlägen. Da Walter H***** nicht psychisch krank, sondern geistig behindert sei, sei die Unterbringung unzulässig.
Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich der Rekurs des Oberarztes Dr. Max P*****, dessen Rekurslegitimation zu bejahen ist. Das Unterbringungsgesetz räumt das Rekursrecht auch dem Abteilungsleiter ein. Unter Abteilungsleiter ist auch der Vertreter des mit der Führung der Abteilung betrauten Arztes zu verstehen (§ 4 Abs 2 UbG). Der Rechtsmittelwerber gehört nach der Aktenlage ganz offensichtlich diesem Personenkreis an (AS 9, ON 2). Der Revisionsrekurs ist auch zulässig, weil zur Frage der analogen Anwendung des § 3 UbG auf Personen, die nicht an einer psychischen Krankheit leiden, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt.
Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 3 UbG darf in einer Krankenanstalt oder einer Abteilung für Psychiatrie nur untergebracht werden, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet. Materiell-rechtliche Voraussetzungen der Unterbringung sind somit das Vorliegen einer psychischen Krankheit und einer Gefährdung. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, ist die Unterbringung unzulässig. Daß Walter H***** nicht an einer psychischen Krankheit leidet und daß neben seiner geistigen Behinderung nicht auch Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten, wird vom Rechtsmittelwerber nicht in Frage gestellt. Dieser beruft sich lediglich auf die ernsthafte Gefährdung des Betroffenen. Diese mag zwar gegeben sein, könnte aber nur dann den Ausspruch der Zulässigkeit der Unterbringung rechtfertigen, wenn die Bestimmung des § 3 UbG analog auch auf Personen angewendet werden könnte, die nicht an einer psychischen Krankheit leiden. Die analoge Anwendung einer Bestimmung setzt eine Lücke im Rechtssinn voraus. Eine solche ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (Koziol-Welser8 I 24; SZ 58/206 ua). Daß eine Regelung wünschenswert wäre, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Gesetzeslücke (EvBl. 1987/9). Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt war nicht die Fürsorge und der Schutz von aufgrund einer geistigen Behinderung gefährdeten Personen das Ziel des Unterbringungsgesetzes, sondern aussschließlich der Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker in geschlossenen Bereichen von Krankenanstalten (1202 BlgNR 17. GP 2 f), die nach dem Gesetz auch nur zur Aufnahme psychisch Kranker bestimmt sind und in die geistig Behinderte nur dann Aufnahme finden sollen, wenn neben der geistigen Behinderung auch Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten (1204 BlgNR 17. GP 1 f). Daraus folgt, daß nach den obigen Grundsätzen die Annahme einer Gesetzeslücke nicht gerechtfertigt ist und eine analoge Anwendung des § 3 UbG auf Personen, die zwar erheblich gefährdet, aber nicht an einer psychischen Krankheit leiden, nicht in Betracht kommt.
Demgemäß ist dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.
Anmerkung
E26633European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0070OB00586.91.0904.000Dokumentnummer
JJT_19910904_OGH0002_0070OB00586_9100000_000