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E000 EU- Recht allgemein;Norm
11992E036 EGV Art36;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Bayjones und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der B Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Schramm Partner Rechtsanwälte in 1010 Wien, Bartensteingasse 2, gegen den Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 18. Juni 2003, GZ: 07N-48/03-51, betreffend Nachprüfungsverfahren nach dem Bundesvergabegesetz 2002 (mitbeteiligte Partei: der Bund, vertreten durch das Bundesministerium für Landesverteidigung, Kommando Einsatzunterstützung, in 1120 Wien, Schwenkgasse 47), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 18. Juni 2003 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Nichtigerklärung der Ausschreibung der mitbeteiligten Partei im Vergabeverfahren "Kettenglieder: Vollst.
m. Endverbinder für die löPzFam." zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen (Spruchpunkt II.).
Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, die mitbeteiligte Partei habe als öffentlicher Auftraggeber mit Bekanntmachung vom 10. April 2003 im amtlichen Lieferungsanzeiger des Amtsblattes zur Wiener Zeitung ein offenes Vergabeverfahren über die im Spruch näher bezeichneten Kettenglieder gemäß den ressortinternen Vergaberichtlinien (des Bundesministeriums für Landesverteidigung) eingeleitet. Nach der Berechnung des geschätzten Auftragswertes durch die mitbeteiligte Partei handle es sich um einen Auftrag im Oberschwellenbereich. Den Ausschreibungsunterlagen sei zu entnehmen, dass die Kettenglieder für eine Systemkette der Firma D ausgeschrieben worden seien. Von der Firma D sei mehrfach bestätigt worden, dass diese Kettenglieder ausschließlich zur militärischen Verwendung hergestellt würden. Dieses Kettensystem sei speziell für einen näher bezeichneten Kampfpanzer des österreichischen Bundesheeres und ausschließlich für die militärische Verwendung auf diesem Kampfpanzer entwickelt worden. Die Beschwerdeführerin habe dagegen behauptet, die ausgeschriebenen Kettenglieder würden auch in handelsüblichen zivilen Kettenfahrzeugen Verwendung finden ("Dual-Use" Einsatz). Hiezu sei von der Firma D bestätigt worden, dass es sich bei den von der Firma D entwickelten und produzierten Systemketten um militärische Produkte handle und dieses militärische Kettensystem auf Grund näher bezeichneter Gründe nicht für den von der Beschwerdeführerin behaupteten "Dual-Use" Einsatz eingesetzt würde. Betreffend die zivile Verwendung von Panzerketten habe die Beschwerdeführerin ein Konvolut von Bildern und Beschreibungen vorgelegt, zu denen ein näher bezeichneter Zeuge ausgeführt habe, dass es sich hiebei um selbsttragende Panzerwannenkonstruktionen für den Kampfeinsatz gehandelt habe. Die Beschwerdeführerin selbst habe zugegeben, dass es sich bei den von ihr angeführten Minenräumfahrzeugen um eine Umrüstung eines Kampfpanzers gehandelt habe. Nach Anführung des § 6 Abs. 1 Z 2 BVergG 2002 sowie des Art. 296 Abs. 1 lit. b und Art. 296 Abs. 2 EG führte die belangte Behörde aus, Art. 296 Abs. 1 lit. b EG finde ausschließlich auf Waren Anwendung, die in die Kriegsmaterialliste gemäß Art. 296 Abs. 2 EG aufgenommen worden seien. Das (von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte) Urteil des EuGH vom 16. September 1999 in der Rechtssache C-414/97 richte sich ausschließlich an den Mitgliedstaat als Gesetzgeber, nicht jedoch an die im Einzelfall die Gesetze vollziehende Behörde. Nur der Mitgliedstaat müsse bei Schaffung eines Ausnahmetatbestandes betreffend das in der Kriegsmaterialliste gemäß Art. 296 Abs. 2 EG enthaltene Kriegsmaterial nachweisen, dass die betreffenden Befreiungen nicht die Grenzen der in den Artikeln des EG-Vertrages vorgegebenen Tatbestände überschritten. Ein solcher Ausnahmetatbestand sei in Österreich durch § 6 Abs. 1 Z 2 BVergG 2002 normiert. Unter dem Aspekt der Wahrung der öffentlichen Sicherheitsinteressen habe der österreichische Gesetzgeber militärische Güter im Sinne der angeführten Kriegsmaterialliste nicht dem BVergG 2002 unterworfen und dabei Art. 3 der Richtlinie 93/36/EWG umgesetzt. Daher habe das Bundesvergabeamt im Einzelfall nur zu prüfen, ob die zu beschaffenden Waren auf der Kriegsmaterialliste gemäß Art. 296 Abs. 2 EG enthalten seien. In dieser Liste seien in Punkt 6 "Panzerwagen und eigens für militärische Zwecke konstruierte Fahrzeuge, lit. a: Panzerwagen, lit. b: Militärfahrzeuge, bewaffnet oder gepanzert, einschließlich Amphibienfahrzeuge" angeführt; in Punkt 14 der Liste würden "Teile und Einzelteile des in dieser Liste aufgeführten Materials, soweit sie einen militärischen Charakter haben" genannt. Die im vorliegenden Vergabeverfahren ausgeschriebenen Kettenglieder seien ein wesentlicher Bestandteil eines Kampfpanzers, da der Panzer ohne Kette nicht einsatzbereit sei. Diese Kettenglieder würden ausschließlich zur militärischen Verwendung hergestellt werden, das entsprechende Kettensystem sei speziell für den leichten Kampfpanzer K des österreichischen Bundesheeres und ausschließlich für die militärische Verwendung auf diesem Kampfpanzer entwickelt worden. Diese militärischen Kettensysteme würden für den von der Beschwerdeführerin behaupteten "Dual-Use" Einsatz auf Grund des hohen Preises und der völlig anders gearteten Antriebssysteme nicht eingesetzt. Daher fielen diese Kettenglieder auch bei einer engen Auslegung der Kriegsmaterialliste unter deren Punkt 14. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die im vorliegenden Verfahren maßgeblichen technischen Ausschreibungsunterlagen entsprächen den Unterlagen der Bekanntmachung der mitbeteiligten Partei in einem anderen Vergabeverfahren, welches nach dem BVergG 2002 durchgeführt worden sei, sei nicht entscheidungserheblich, da jeweils im Einzelfall zu prüfen sei, ob die ausgeschriebenen Einzelteile militärischen Charakter hätten. Somit sei die belangte Behörde für das vorliegende Vergabeverfahren nicht zuständig, weshalb auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides in ihrem Recht auf Nichtigerklärung der verfahrensgegenständlichen Ausschreibung gemäß den §§ 162 Abs. 2 Z 2 iVm 163 Abs. 1 BVergG 2002 verletzt.
In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe sich zu Unrecht auf den Ausnahmetatbestand des § 6 Abs. 1 Z 2 BVergG 2002 gestützt. Bei der Beschaffung von Waren durch öffentliche Auftraggeber müssten zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein, damit Art. 296 EG Anwendung finde: das Aufscheinen der Waren in der Kriegsmaterialliste und die Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen. Dabei handle es sich um zwei selbstständige Voraussetzungen, die einzeln zu prüfen seien und die beide zur Rechtfertigung der Ausnahme vorliegen müssten. Dies ergebe sich aus einer Auslegung des Art. 296 EG, welche das Tatbestandselement "Erforderlichkeit für die Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen" einerseits und den Zweck dieser Bestimmung andererseits berücksichtige, und aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-414/97. Nach diesem Urteil müsse der Mitgliedstaat darlegen und beweisen, dass die fragliche Maßnahme, also etwa die Beschaffung von Waren nach den Bestimmungen des BVergG 2002, seine wesentlichen Sicherheit(sinteress)en beeinträchtigen. Den im vorliegenden Vergabeverfahren ausgeschriebenen Kettengliedern fehle es schon am militärischen Charakter, sodass diese nicht unter die Kriegsmaterialliste fielen. Die Beschwerdeführerin habe im Verfahren vor der belangten Behörde gezeigt, dass die Anforderungen an Kettenglieder und allgemein an Ketten von Kettenfahrzeugen keine spezifisch militärischen Anforderungen seien und auch im zivilen Bereich Kettenfahrzeuge eingesetzt würden, die ein ähnliches oder höheres Gewicht und vergleichbare Höchstgeschwindigkeiten aufwiesen (z.B. Feuerlöschfahrzeuge oder Minenräumfahrzeuge). Auch kämen Pionier- und Bergepanzer beinahe ausschließlich zu zivilen Zwecken zum Einsatz. Dass diese Aufgabe in Österreich tatsächlich durch das Bundesheer erbracht werde, ändere nichts an ihrem zivilen Charakter. Die belangte Behörde habe es unterlassen, ausreichende Feststellungen zum nicht-militärischen Charakter der ausschreibungsgegenständlichen Kettenglieder zu treffen und die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweise zu würdigen.
Weiters habe sich die mitbeteiligte Partei weder in der Ausschreibung ausdrücklich auf die Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen berufen noch eine solche im Zuge des Nachprüfungsverfahrens substantiiert behauptet oder nachgewiesen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche Sicherheitsinteressen der Republik Österreich durch eine Beschaffung von Kettengliedern nach den Bestimmungen des BVergG 2002 beeinträchtigt sein könnten. Auch die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid nicht geprüft, ob die Ausnahme aus Sicherheitsgründen erforderlich sei. Die Rechtsansicht der belangten Behörde, das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-414/97 richte sich ausschließlich an den Mitgliedstaat als Gesetzgeber, nicht jedoch an die vollziehende Behörde sei unrichtig, da § 6 Abs. 1 Z 2 BVergG 2002 lediglich auf Art. 296 Abs. 1 lit. b EG verweise und nur für Beschaffungen "im Bereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung" gelte. Auftraggeber sei damit stets die Republik Österreich selbst, welche im Einzelfall zu prüfen habe, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäß Art. 296 Abs. 1 lit. b EG vorlägen. Jede andere Auslegung würde die Tatbestandsvoraussetzung der "Erforderlichkeit" in Art. 296 Abs. 1 lit. b EG "außer Kraft setzen".
2. Gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 Bundesvergabegesetz 2002, BGBl. I Nr. 99 (BVergG 2002), gilt dieses Bundesgesetz nicht für Lieferungen von Waren und für die Erbringung von Dienstleistungen im Bereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung, auf die Art. 296 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) Anwendung findet.
Diese Bestimmung entspricht (im Hinblick auf die vom Beschwerdefall betroffenen Lieferungen von Waren) Art. 3 der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. L 99 vom 9. August 1993, Seite 1 bis 53, und verweist allgemein auf Art. 296 EG. Nach dieser Rechtslage ist für die Frage, ob bei der Beschaffung von Waren im Bereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung (der mitbeteiligten Partei) die Bestimmungen des BVergG 2002 zu beachten sind, alleine maßgeblich, ob die Voraussetzungen des Art. 296 EG gegeben sind, wobei - wie auch die Materialien zeigen (AB 1118 BlgNR XXI. GP, 13) - nur dessen Abs. 1 lit. b in Frage kommt.
3. Gemäß Art. 296 Abs. 1 lit. b EG kann jeder Mitgliedstaat die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen; diese Maßnahmen dürfen auf dem gemeinsamen Markt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen.
Gemäß Art. 296 Abs. 2 EG kann der Rat die von ihm am 15. April 1958 festgelegte Liste der Waren, auf die Abs. 1 Buchstabe b Anwendung findet, einstimmig auf Vorschlag der Kommission ändern.
Art. 296 EG ermächtigt somit die Mitgliedstaaten, unter den vorgegebenen Voraussetzungen von Vorgaben des Gemeinschaftsrechts abzuweichen (vgl. Kreuschitz in: Lenz/Borchhardt, EU- und EG-Vertrag3 (2003), 2299, Rz. 1 zu Art. 296 EG). Als Voraussetzungen führt Art. 296 Abs. 1 lit. b EG an, dass die (abweichende) Maßnahme des Mitgliedstaates Waffen, Munition und Kriegsmaterial betreffen muss, die Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen darf und "seines Erachtens" für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist.
4. Hinsichtlich der erstgenannten Voraussetzung bezieht sich Art. 296 Abs. 2 EG auf eine vom Rat am 15. April 1958 festgelegte Liste der Waren, auf die Abs. 1 lit. b Anwendung findet (im Folgenden: Liste) und ermächtigt den Rat zur Änderung dieser Liste auf Vorschlag der Kommission. Diese Liste ist in deutscher Fassung lediglich als Beantwortung der schriftlichen Anfrage von Bart Staes an den Rat im ABl. Nr. 364 E vom 20. 12. 2001, 85-86, veröffentlicht (vgl. zu dieser Liste auch Kreuschitz, aaO, 2301, Rz. 9 zu Art. 296 EG und Fruhmann in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel, Bundesvergabegesetz 2002 (2004), 160).
Ist eine Ware in der Liste enthalten, so kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass es sich um in Art. 296 Abs. 1 lit. b aufgezählte Waren (Waffen, Munition und Kriegsmaterial) handelt.
Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass in der Liste unter Punkt 6 "Panzerwagen und eigens für militärische Zwecke konstruierte Fahrzeuge" sowie unter Punkt 14 "Teile und Einzelteile des in dieser Liste aufgeführten Materials, soweit sie einen militärischen Charakter haben" angeführt sind. Zu der im Beschwerdefall strittigen Frage, ob die ausgeschriebenen Kettenglieder "militärischen Charakter" haben und somit unter Punkt 14 der Liste fallen, sind die Feststellungen der belangten Behörde, diese Kettenglieder würden ausschließlich zur militärischen Verwendung hergestellt und für den von der Beschwerdeführerin behaupteten zivilen Einsatz nicht eingesetzt, im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Schlüssigkeitsprüfung der Beweiswürdigung unbedenklich. So hat sich die belangte Behörde im Wesentlichen auf Stellungnahmen jenes Unternehmens gestützt, welches die entsprechende Systemkette entwickelt hat. Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwendungen können keine Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung dartun, handelt es sich doch bei den von der Beschwerdeführerin angeführten Zivilfahrzeugen nach den nicht bestrittenen Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens lediglich um Umrüstungen von militärischen Fahrzeugen. Auch in der Beschwerde selbst führt die Beschwerdeführerin nichts an, was die zur Feststellung der belangten Behörde, die Kettenglieder seien Teil eines Kettensystems, welches speziell für einen Kampfpanzer des österreichischen Bundesheeres und somit ausschließlich für die militärische Verwendung entwickelt worden sei, führende Beweiswürdigung als unschlüssig erkennen ließe.
5. Die Beschwerdeführerin wendet allerdings ein, es reiche nicht aus, dass die zu beschaffenden Waren auf der Liste angeführt seien, sondern es müsse nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) von der mitbeteiligten Partei nachgewiesen werden, dass im Beschwerdefall die Nichtdurchführung eines Vergabeverfahrens nach den Bestimmungen des BVergG 2002 für die Wahrung der militärischen Sicherheitsinteressen der Republik Österreich erforderlich sei. Die belangte Behörde ist der Auffassung, ihr komme eine derartige Prüfung nicht zu; sie habe nur zu prüfen, ob die zu beschaffenden Waren in der Liste enthalten seien.
Diese Auffassung besteht schon deshalb nicht zu Recht, weil Art. 296 Abs. 1 lit. b EG als weitere Voraussetzung verlangt, dass die (abweichende) Maßnahme (hier: die Nichtdurchführung eines Vergabeverfahrens) für die Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen des Mitgliedstaates erforderlich ist. In diesem Zusammenhang verweist die Beschwerdeführerin zutreffend auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-414/97, Kommission/Spanien. In diesem Urteil hat der EuGH festgehalten, dass "der Vertrag Ausnahmen für den Fall einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nur in den Art. 36, 48, 56, 223 und 224 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 30 EG, 39 EG, 46 EG, 296 EG und 297 EG) vor" sieht, "die begrenzte außergewöhnliche Tatbestände regeln. Wegen ihres begrenzten Charakters eignen sich diese Vorschriften nicht für eine extensive Auslegung. Daher muss der Mitgliedsstaat, der diese Ausnahmen in Anspruch nehmen möchte, nachweisen, dass die betreffenden Befreiungen nicht die Grenzen der genannten Tatbestände überschreiten. Im vorliegenden Fall hat das Königreich Spanien nicht nachgewiesen, dass die im spanischen Gesetz vorgesehenen Befreiungen für die Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind" (vgl. Urteil des EuGH vom 16. September 1999 in der Rechtssache C-414/97, Kommission/Spanien, Slg. 1999, Seite I-5585, Randnr. 21 und 22, mit Verweis auf das Urteil vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 26). Nach dieser Rechtsprechung ist Tatbestandsmerkmal für die Ausnahme nach Art. 296 Abs. 1 lit. b EG, dass die (abweichende) Maßnahme (hier: die Nichtdurchführung eines Vergabeverfahrens) für die Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen des Mitgliedstaates erforderlich ist.
Der Umstand, dass die betroffenen Waren unter die Liste fallen, erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal schon deshalb nicht, da für die Anwendung des Art. 296 Abs. 1 lit. b EG neben dem Umstand, dass es sich um in Art. 296 Abs. 1 lit. b aufgezählte Waren ("Waffen, Munition und Kriegsmaterial") handelt, zusätzlich Voraussetzung ist, dass die Maßnahme erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des EuGH im zitierten Urteil Kommission/Spanien, da die dortige spanische Regelung auch Waren betraf, die von der Liste erfasst werden ("Waffen, Munition und ausschließlich für den militärischen Gebrauch bestimmtes Gerät"; vgl. Randnr. 5 des Urteils) und der EuGH dennoch den Nachweis dieses Tatbestandsmerkmales durch den Mitgliedstaat für erforderlich hielt.
Die Auffassung der belangten Behörde, sie habe das Urteil Kommission/Spanien nicht zu berücksichtigen, da sich dieses ausschließlich an den Mitgliedstaat als Gesetzgeber richtet, nicht jedoch an die vollziehende Behörde, trifft nicht zu. Wie oben ausgeführt, verweist § 6 Abs. 1 Z 2 BVergG 2002 - ohne nähere Konkretisierung - allgemein auf Art. 296 EG. Das Gesetz spricht lediglich von Beschaffungen "im Bereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung" (BMLV) und beschränkt diese Ausnahme damit auf den Bund als öffentlichen Auftraggeber, der durch das BMLV vertreten wird (vgl. Fruhmann, aaO, 159). Mit dieser Regelung wird jedoch nicht - wie von der belangten Behörde angenommen - bereits eine abweichende Maßnahme gemäß Art. 296 Abs. 1 lit. b EG getroffen. Vielmehr kommt diese Maßnahme dem BMLV zu, dem es dann auch obliegt, fallbezogen in einem allfälligen Verfahren vor der Vergabekontrollbehörde dieser darzulegen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 296 Abs. 1 lit. b EG erfüllt sind. Diese Auslegung stimmt auch mit der Rechtsprechung des EuGH im Bereich des öffentlichen Auftragswesens überein, nach der die Beweislast dafür, dass die Umstände, welche eine Ausnahme von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts rechtfertigen, tatsächlich vorliegen, demjenigen obliegt, der sich auf sie berufen will (vgl. das Urteil des EuGH vom 13. Oktober 2005 in der Rechtssache C- 458/03, Parking Brixen GmbH gegen Gemeinde Brixen und Stadtwerke Brixen AG, Slg. 2005, Randnr. 63, mwN; von der Notwendigkeit eines fallbezogenen Nachweises durch den öffentlichen Auftraggeber geht im Übrigen auch die Europäische Kommission aus; vgl. Kommission, Grünbuch Beschaffung von Verteidigungsgütern, KOM(2004)608 endgültig vom 23.9.2004, 7).
6. Nach dieser Rechtslage ist im Beschwerdefall entscheidend, ob die mitbeteiligte Partei im Verfahren vor der belangten Behörde dargelegt hat, dass die Nichtdurchführung eines Vergabeverfahrens nach den Bestimmungen des BVergG 2002 für die Wahrung der militärischen Sicherheitsinteressen der Republik Österreich erforderlich sei. Hiezu behauptet die Beschwerde, die mitbeteiligte Partei habe im Verfahren vor der belangten Behörde eine Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen weder substantiiert behauptet noch nachgewiesen. Diese Behauptung besteht nicht zu Recht.
Die mitbeteiligte Partei hat - wie auch den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen ist (vgl. OZ 19) - zur Frage der wesentlichen Sicherheitsinteressen ausgeführt, die Gewährleistung der militärischen Verteidigungsfähigkeit sei Teil der österreichischen Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin und hiezu auf eine Entschließung des Nationalrates vom 12. Dezember 2001 verwiesen. Gepanzerte Ketten- und Gefechtsfahrzeuge stellten einen wesentlichen Teil der Sicherung des Staatsgebietes und damit auch der Souveränität der Republik Österreich dar. Für das Betreiben dieser Fahrzeuge seien die Kettenglieder ein wesentlicher unverzichtbarer Teil, um die Sicherheit für die Republik Österreich zu gewährleisten. Eine Beschaffung derartiger Güter sei nach den Bestimmungen des BVergG 2002 nicht durchzuführen. Schon die Bindung an die im Gesetz geregelten Fristen sei bei der Beschaffung von Rüstungsgütern nicht immer möglich, da die Beschaffungsverfahren im Bereich des österreichischen Bundesheeres grundsätzlich bedarfsorientiert seien. Da Lagerbestände nicht immer entsprechend kalkulierbar seien, liege es im wesentlichen Sicherheitsinteresse der Republik Österreich, dass die Beschaffung von Kettengliedern für Panzerfahrzeuge durchgehend gewährleistet sei. Ansonsten müssten die Fahrzeuge den Fahrbetrieb einstellen und sei daher die Einsatzbereitschaft der Verbände und somit auch die Sicherheit der Republik Österreich gefährdet. Dem stehe die Durchführung offener Vergabeverfahren im Interesse der Förderung des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung aller Bieter nicht entgegen.
Die solcherart von der mitbeteiligten Partei dargelegte Erforderlichkeit ist im Gegensatz zum Urteil Kommission/Spanien - in welchem für den EuGH nicht nachvollziehbar war, warum eine Mehrwertsteuer-Befreiung von Waffen zur Bereitstellung von Finanzmitteln zur Verstärkung und Modernisierung der spanischen Streitkräfte erforderlich sei (vgl. Randnr. 21 und 22) - nicht als unvertretbar zu erkennen. Im Hinblick darauf, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Bestimmung der jeweiligen Sicherheitsinteressen Sache des Mitgliedstaates ist und den jeweiligen nationalen Behörden zukommt (vgl. das Urteil des EuGH vom 11. März 2003 in der Rechtssache C-186/01, Alexander Dory/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 2003, Seite I-2479, Randnr. 32 und 36, dort zur Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer, und das Urteil des EuGH vom 16. Oktober 2003 in der Rechtssache C-252/01, Kommission/Königreich Belgien, Slg. 2003, Rand Nr. 30, im Zusammenhang mit den "wesentlichen Interessen der Sicherheit" in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/50/EWG), hat die mitbeteiligte Partei in nicht unvertretbarer Weise dargetan, dass die Nichtdurchführung eines Vergabeverfahrens nach den Bestimmungen des BVergG 2002 zur Wahrung der dargelegten wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist.
7. Im Übrigen enthält die Beschwerde keinerlei Vorbringen dahingehend, dass im Beschwerdefall die in Art. 296 Abs. 1 lit. b EG angeführten Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt gefährdet wären.
Aus diesen Gründen ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zum Ergebnis gekommen ist, dass Art. 296 Abs. 1 lit. b EG Anwendung findet und somit gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 BVergG 2002 keine Zuständigkeit der belangten Behörde gegeben ist.
Da die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages der Beschwerdeführerin sohin zu Recht erfolgte, erweist sich die Beschwerde als unbegründet, sodass sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
8. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 21. Dezember 2005
Gerichtsentscheidung
EuGH 61984J0222 Johnston VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Gemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003040126.X00Im RIS seit
06.03.2006Zuletzt aktualisiert am
21.11.2011