Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** M*****, vertreten durch Dr.Peter Bartl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Prof.Mag.K***** M*****, vertreten durch Dr.Hans Lehofer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Unterhalt (Streitwert S 30.240), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 15.Jänner 1991, GZ R 960/90-27, womit der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Eisenerz vom 24.September 1990, GZ C 467/89a-22, keine Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden derart abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei ab 1.8.1989 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 5.000, und zwar die bis zur Rechtskraft der Entscheidung fälligen Beträge binnen 14 Tagen, die in Hinkunft fällig werdenden Beträge jeweils am Ersten eines jeden Monats im vorhinein, zu bezahlen, und die mit S 30.971,52 (einschließlich S 5.161,92 Umsatzsteuer) bestimmten Prozeßkosten zu Handen des Klagevertreters binnen 14 Tagen zu ersetzen
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 30.8.1984 wurde die Ehe der Streitteile gemäß § 55 Abs 3 EheG geschieden und ausgesprochen, daß den Beklagten das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft. Das Scheidungsurteil wurde den Parteien jeweils am 10.9.1984 zugestellt. Beide Teile erhoben dagegen kein Rechtsmittel. Im Zuge des Scheidungsverfahrens haben die Streitteile am 30.8.1984 für den Fall der rechtskräftigen Scheidung einen Vergleich geschlossen, mit dem sich der Beklagte unter anderem verpflichtete, für die Klägerin ab 1.9.1984 einen monatlichen Unterhalt von S 4.140 bis spätestens Fünften eines jeden Monats im vorhinein bei Exekution zu zahlen, und seine Mietrechte an der ehemaligen Ehewohnung an die Klägerin abtrat. Am 18.9.1984 schlossen die Parteien folgende schriftliche Vereinbarung:
"1.) Herr K***** M***** überträgt die eheliche Wohnung H***** an S***** M*****. Im beiderseitigen Einverständnis wird noch folgendes vereinbart: Bei Großjährigkeit des mj. A***** M***** und M***** M***** soll die oben genannte Wohnung zu gleichen Teilen und Bedingungen an S*****, M***** und A***** M***** übergehen. K***** M***** verpflichtet sich gegenüber den Hauseigentümern mit S***** M***** die nötigen Erklärungen abzugeben.
2.) Herr K***** M***** verpflichtet sich, an Frau S***** M***** beginnend mit 1.9.1984 einen monatlich gesetzlichen Unterhalt von
S 9.460 zu bezahlen, wobei sich diese Summe aus folgenden Punkten zusammensetzt:
Unterhalt für S***** M***** 4.120 S
M***** M***** 2.940 S
A***** M***** 2.400 S
9.460 S.
Zwischen K***** M***** und S***** M***** ist vereinbart, daß der Unterhalt gegenüber S***** M***** fix ist und keine Änderung eintritt (auch bei allfälligen Gehaltserhöhungen). Dieser Vertrag wurde in beiderseitigem Einverständnis geschlossen".
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr ab 1.8.1989 einen Unterhalt von S 5.000 im Monat zu leisten. Sie bringt im wesentlichen vor, daß sich die Umstände seit Abschluß des Unterhaltsvergleiches im Scheidungsverfahren wesentlich geändert hätten. Es seien sowohl die Leistungsfähigkeit des Beklagten als auch ihrer Bedürfnisse gestiegen.
Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wendete ua ein: Durch die Vereinbarung vom 18.9.1984 sei jede Unterhaltserhöhung ausgeschlossen worden. Außerdem stehe der Klägerin auf Grund eines Eigeneinkommens von S 5.000 monatlich kein Unterhalt zu, weil das anrechenbare Einkommen des Beklagten unter Berücksichtigung der Sorgepflichten für seine beiden Söhne und unter Bedachtnahme auf Rückzahlungsraten für die zur Sanierung der ehemaligen Ehewohnung aufgenommenen Kredite nur S 12.000 monatlich betrage.
Die Klägerin entgegnete hierauf, daß die Vereinbarung vom 18.9.1984 als "Schenkungsversprechen" zu qualifizieren sei, weil sie keine Gegenleistung des Beklagten vorsehe, denn er habe ihr die Mietrechte an der Ehewohnung bereits mit gerichtlichem Vergleich vom 30.8.1984 abgetreten. Die Vereinbarung hätte daher der Notariatsform bedurft. Mangels Erfüllung dieses Formerfordernisses sei die Vereinbarung unwirksam.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof im Hinblick auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 80 EheG nicht zu. In rechtlicher Hinsicht meinte es, die Vereinbarung vom 18.9.1984 müsse in Verbindung mit der Vereinbarung im Scheidungsvergleich vom 30.8.1984 gesehen werden. Es handle sich nicht um ein Schenkungsversprechen, sondern um einen zulässigen und formfrei möglichen Verzicht auf die Umstandsklausel im Rahmen einer Vereinbarung iS des § 80 EheG. Da der Ausschluß der Umstandsklausel somit gültig sei, erübrige sich ein Eingehen auf die Beweisrüge.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, in Abänderung der angefochtenen Entscheidung dem Klagebegehren stattzugehen; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin stützt die Zulässigkeit ihrer Revision einerseits darauf, daß die Rechtsprechung zur Frage, ob eine Unterhaltsverzichtserklärung (hier Verzicht auf künftige Unterhaltserhöhungen) jedenfalls Schenkungscharakter habe und daher der Notariatsaktform bedürfe, divergierend sei. Im Rahmen der Rechtsrüge bringt sie auch noch vor, daß selbst bei einem wirksamen Verzicht auf Unterhaltserhöhung hieraus nicht auf einen Verzicht auf Erhöhung wegen inflationsbedingter Geldentwertung geschlossen werden könne.
Die herrschende Rechtsprechung (SZ 51/15; JBl 1981, 650 uva), wonach ein unentgeltlicher Verzicht formfrei erklärt werden kann, wird zwar teilweise von der Lehre für nicht unproblematisch gehalten (Rummel in Rummel II Rz 8 zu § 1444 ABGB mwN); hierauf kommt es aber im vorliegenden Fall nicht an, weil die schriftliche Vereinbarung vom 18.9.1984, die zwischen dem Ausspruch der Scheidung und dem Eintritt seiner Rechtskraft getroffen wurde, im Zusammenhang mit der Scheidung und dem gerichtlichen Scheidungsvergleich vom 30.8.1984 gesehen werden muß; sie präzisiert nur die im gerichtlichen Vergleich bereits getroffene Vereinbarung über die gesetzliche Unterhaltspflicht, die anläßlich der Scheidung für die Zeit darnach getroffen wurde (§ 80 EheG). Solche Vereinbarungen sind nicht unentgeltlich und daher formfrei (SZ 26/222; 41/149 uva; Pichler in Rummel II Rz 1 f zu § 80 EheG). Die Klägerin konnte daher auch formfrei auf die Umstandsklausel verzichten; ein solcher Verzicht ist zulässig (EFSlg 46.285; 38.810 ua; Rummel in Rummel I2 Rz 8 a aE zu § 901
ABGB).
Zu Recht verweist aber die Klägerin darauf, daß der von ihr
abgegebene Verzicht auf eine Unterhaltserhöhung nicht mit der
erforderlichen Deutlichkeit erkennen lasse, daß hiebei auch eine
infaltionsbedingte Geldentwertung unberücksichtigt zu bleiben
hat. Die Unterinstanzen haben übersehen - und es weicht die
Entscheidung insofern von der ständigen Rechtsprechung des
Obersten Gerichtshofes in einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502
Abs 1 ZPO) ab -, daß trotz wirksamen Verzichts auf ein
Unterhaltserhöhungsbegehren ein solches aus dem Grunde der
Geldentwertung nicht ausgeschlossen ist, sofern nichts
Gegenteiliges ausdrücklich vereinbart wurde; dies ist hier nicht
der Fall, denn in der Verzichtserklärung wird vielmehr
ausdrücklich nur auf allfällige Gehaltserhöhungen des Beklagten
Bezug genommen, sodaß die Klägerin trotz ihres Verzichts ihr
Unterhaltserhöhungsbegehren auf inflationsbedingte Geldentwertung
stützen kann.
Freilich ist eine solche Anpassung - die dem (hypothetischen) Parteiwillen entspricht - in solchen Fällen erst dann zulässig, wenn ein auffallendes Mißverhältnis zur ursprünglichen Kaufkraft eingetreten ist. Die Grenzen, wann ein solches Mißverhältnis vorliegt, schwanken; so verlangen die Entscheidungen SZ 7/400; 54/159 und EvBl 1982/170 erheblichen Kaufkraftverlust, während die EFSlg 48.862 verlangt, daß die wirtschaftliche Existenz zumindestens erheblich beeinträchtigt ist. Generell kann man sagen, daß bei einem wirksamen Ausschluß der Umstandsklausel eine Erhöhung wegen Geldentwertung erst bei einem wesentlich höheren Kaufkraftverlust begehrt werden kann als dem, der normalerweise eine Erhöhung wegen geänderter Verhältnisse rechtfertigen würde (vgl die Nachweise bei Rummel, aaO Rz 8 a in den dort genannten Fallgruppen; aus diesen Entscheidungen ergibt sich, daß die bisherige zweit- und letztinstanzliche Rechtsprechung eine Änderung von etwa 10 % jedenfalls als ausreichend ansah).
Im vorliegenden Fall begehrt die Klägerin eine Erhöhung ihrer seit der Scheidung im Jahr 1984 unverändert gebliebenen Unterhaltsleistung um etwa 20 %; ein Betrag, der in etwa dem inzwischen eingetretenen Kaufkraftverlust entspricht. Ein solcher Betrag muß jedenfalls bereits als erheblicher Kaufkraftverlust angesehen werden, der in ein auffallendes Mißverhältnis zur ursprünglichen Kaufkraft getreten ist und daher die Klägerin berechtigt, auch in concreto den erhöhten Unterhalt zu begehren.
Der vom Berufungsgericht unerledigt gelassenen Beweisrüge der Klägerin (hinsichtlich ihres Verdienstes aus Gelegenheitsarbeiten) kommt keine Bedeutung zu, einerseits weil es sich ohnedies nur um geringfügige, bei der Unterhaltsbemessung zu vernachlässigende Beträge handelt, und andererseits auch der Beklagte davon ausgeht, daß der der Klägerin nach der Vereinbarung vom 18.9.1984 zustehende Unterhaltsbetrag fix und von einem allfälligen Nebenverdienst unabhängig ist (vgl Revisionsbeantwortung S. 2 Mitte). Die Entscheidung ist daher im Sinne der Klagestattgebung spruchreif.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E26115European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00603.91.0912.000Dokumentnummer
JJT_19910912_OGH0002_0080OB00603_9100000_000