TE Vwgh Erkenntnis 2005/12/21 2002/08/0253

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Veröffentlicht am 21.12.2005
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/10 Auskunftspflicht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §23 ;
ASVG §26;
ASVG §32 Abs1;
ASVG §352;
ASVG §357;
ASVG §448;
AuskunftspflichtG 1987 §1 Abs1;
AuskunftspflichtG 1987 §1 Abs2;
AuskunftspflichtG 1987 §1;
AuskunftspflichtG 1987 §4;
AVG §63 Abs1;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
B-VG Art20 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Mag. Dr. Erhard Buder, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelderstraße 94/15, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 3. Mai 2002, Zl. MA 15-II-N 7/2002, betreffend die Erteilung von Auskünften nach dem Auskunftspflichtgesetz in einer Angelegenheit nach dem ASVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid vom 6. Juli 2001 wies die Wiener Gebietskrankenkasse den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung eines höheren Kostenzuschusses als S 300,-- (EUR 22,--) pro Einzelstunde für psychotherapeutische Behandlungen im Zeitraum vom 1. Dezember 1998 bis 31. März 2001 ab. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Klage, welche vom Arbeits- und Sozialgericht Wien mit Urteil vom 5. Dezember 2001 abgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

2. Mit Schreiben vom 7. November 2001 ersuchte der Beschwerdeführer die Wiener Gebietskrankenkasse um Beantwortung nachstehender Fragen:

"1.) Wie viel hat die WGKK in den Jahren 1999 bis 2000 für die so genannten 'freiwilligen Leistungen' ausgegeben? Warum wurde dieses Geld nicht für die Pflichtleistung Psychotherapie verwendet, wenn wegen einer von der WGKK behaupteten 'mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit' die Finanzierung der ambulanten Psychotherapie nicht in einer dem wirtschaftlichen Bedürfnis der versicherten Psychotherapiepatienten entsprechenden Weise erfolgt ist? Ist die WGKK nicht aufgerufen, zuerst die Finanzierung der Pflichtleistungen ausreichend sicherzustellen, bevor sie finanzielle Mittel für 'freiwillige Leistungen' aufwendet?

2.) Hat sich die WGKK mit Studien beschäftigt oder selbst Studien in Auftrag gegeben, die sich mit den Einsparungen durch Psychotherapie in anderen Bereichen wie

z. B. Medikamentenverbrauch, stationäre Aufenthalte etc. befassen? Wenn ja, wie lauten die Ergebnisse dieser Studien und welchen hochgerechneten Einsparungseffekt hat die Psychotherapie für die WGKK dann in diesen anderen Bereichen? Wenn nein, warum nicht?

3.) Durch die 50. ASVG-Novelle wurde eine Ausweitung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommen. Zur Abdeckung des daraus resultierenden finanziellen Mehrbedarfes wurden die Beitragssätze bei den Angestellten um 0,5 und bei den Arbeitern um 0,3 Prozentpunkte erhöht. Wie hoch waren die Einnahmen der WGKK in den Jahren 1999 und 2000, die auf diese Erhöhung zurückzuführen sind? Wie viel hat die WGKK in den entsprechenden Zeiträumen für die Ausweitung des angesprochenen Leistungskataloges (ambulante Psychotherapie bei frei praktizierenden Psychotherapeuten, diagnostische Leistungen der klinischen Psychologen, ergotherapeutische Leistungen, medizinische Hauskrankenpflege, medizinische Maßnahmen der Rehabilitation) detailliert ausgegeben?

4.) Im April 2000 hat die WGKK für einen Psychotherapiegesamtvertrag gestimmt, der aber letztlich nicht die erforderliche Mehrheit unter den Krankenversicherungsträgern gefunden hat. Wie ist es zu verstehen, dass die WGKK in den letzten Jahren immer eine 'mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit' ins Treffen geführt hat, wenn es um eine für die Patienten zufriedenstellende Finanzierung der Psychotherapie gegangen ist - z.B. um die Erhöhung der seit 1992 (!) unverändert niedrigen Kostenzuschüsse, wo doch immer offensichtlich war, dass bei einem Zustandekommen eines seit 1992 vom Gesetzgeber beabsichtigten Gesamtvertrages erheblich mehr finanzielle Mittel aufzuwenden gewesen wären? Durch welchen Umstand hätte sich dann die 'finanzielle Leistungsfähigkeit' der WGKK zur Finanzierung des Gesamtvertrages verändert? Wenn es im Jahr 2000 zu einem Gesamtvertrag gekommen wäre, wie viel hätte die WGKK dann im Jahr 2001 für die Finanzierung der ambulanten Psychotherapie (Sachleistung und Kostenerstattung bei Wahlpsychotherapeuten) ausgeben müssen?

5.) Durch die 'Wiener Vereinslösung' und des damit verbundenen begrenzten Stundenkontingentes kann nur ein Teil der Psychotherapiebedürftigen Psychotherapie auf Krankenschein in Anspruch nehmen, die Mehrheit bleibt in der ungünstigen Kostenzuschussregelung. Wie ist dies mit dem ASVG und dem Gleichheitsgrundsatz in Einklang zu bringen? Durch die 'Wiener Vereinslösung' sind 'andere Vertragspartner' vorhanden. Aufgrund welcher gesetzlichen Bestimmung verweigert die WGKK den Psychotherapiepatienten, die nicht bei einem Vereinspsychotherapeuten auf Krankenschein in Behandlung sind, die 80-prozentige Kostenerstattung im Sinne der 'Wahlarztregelung'?

6.) Was hat die WGKK in den letzten Jahren getan, um die von ihr behauptete 'mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit' zu verbessern und deren gravierende Auswirkung auf die Psychotherapiepatienten zu unterbinden? Warum hat die WGKK nicht dem Gesetzgeber und dem zuständigen Ministerium mitgeteilt, dass sie ihrer gesetzlichen Verpflichtung im Bereich Psychotherapie nur in ungenügendem Maße nachkommen kann?"

Die Wiener Gebietskrankenkasse lehnte das Auskunftsbegehren des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 29. November 2001 ab, woraufhin der Beschwerdeführer um Bescheiderlassung hinsichtlich der Nichterteilung der gewünschten Auskünfte ersuchte.

3. Mit Bescheid vom 11. März 2002 wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 1 Auskunftspflichtgesetz des Bundes abgewiesen.

In der Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer vertrete in der Frage der derzeit bestehenden Kostenerstattungssituation bei Inanspruchnahme psychotherapeutischer Behandlungen offenkundig eine andere Rechtsauffassung als die Wiener Gebietskrankenkasse. Diese habe dem Beschwerdeführer für psychotherapeutische Behandlungen einen Kostenzuschuss im Ausmaß von S 300,-- (EUR 22,--) pro Einzelsitzung, gestützt auf § 131 b ASVG iVm § 27 und Anhang 6 der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse, zugesprochen. Der Beschwerdeführer hingegen sei der Ansicht, es stehe ihm ein höherer Kostenzuschuss zu. Sämtliche vom Beschwerdeführer aufgeworfene Fragen stünden in unmittelbarem Bezug zu dieser Rechtsfrage. Gemäß § 1 Abs. 2 letzter Satz Auskunftspflichtgesetz seien Auskünfte nicht zu erteilen, wenn sie offenbar mutwillig verlangt würden. Mutwillig handle ein Antragsteller auch dann, wenn er mit den Mitteln des Auskunftspflichtgesetzes ausschließlich Zwecke verfolge, deren Schutz das Auskunftspflichtgesetz 1987 nicht diene. Gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse habe der Beschwerdeführer bereits Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien erhoben, welche abgewiesen worden sei. Es bestehe daher kein Auskunftsbedürfnis des Beschwerdeführers und somit auch keine Verpflichtung der Wiener Gebietskrankenkasse zur Auskunftserteilung.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch und führte aus, die Nichtbeantwortung seiner Anfrage durch die WGKK erfolge offensichtlich mutwillig und entbehre jeder sachlichen Grundlage. Seine Anfrage könne in keiner Weise in die Nähe einer Mutwilligkeit gerückt werden und sei sachlich begründet, relativ kurz und ohne großen Aufwand von Seiten der WGKK beantwortbar. Seine Anfrage beinhalte teils reine Sachfragen, teils Begründungen des Vorgehens der WGKK. Auskünfte zur Finanzgebarung seien selbstverständlich jedem Versicherten der WGKK zu erteilen. Es sei das Recht jedes Versicherten, Auskünfte über Ausmaß der Einnahmen und Ausgaben der WGKK sowie über die Rechtmäßigkeit der Verwendung der vorhandenen Gelder zu begehren. Die WGKK sei ein Selbstverwaltungskörper und habe im Interesse der Versichertengemeinschaft zu handeln. Es diene auch dem Interesse der WGKK, alle Auskünfte zu erteilen, die der Rechtsfindung und der Rechtssicherheit dienten, "selbst wenn der WGKK durch ein Gerichtsurteil vordergründig ein Schaden erwachsen könnte".

In einem weiteren Schreiben an das Amt der Wiener Landesregierung vom 29. April 2002 führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, die Wiener Gebietskrankenkasse sei nicht dazu im Stande, ihre Begründung der "mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit" zu stützen, und befürchte, ihre mangelnde Glaubwürdigkeit und unzureichende Argumentationslinie könnte vom Beschwerdeführer im laufenden Verfahren verwendet werden. Wahrscheinlich fürchte sie aber - zu Recht - noch vielmehr, dass ihre Antworten von ihm an die Öffentlichkeit (Medien, Politiker) getragen würden. In einem Artikel des "Kurier" vom 6. Dezember 2001 sei über den Prozess des Beschwerdeführers beim Arbeits- und Sozialgericht Wien berichtet worden. Dabei sei die WGKK "äußerst schlecht weggekommen" und wisse daher, auf wessen Seite die öffentliche Meinung stehe.

5. Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch des Beschwerdeführers keine Folge. In der Begründung führte sie nach Schilderung des Sachverhaltes aus, bei der Anfrage des Beschwerdeführers handle es sich um Auskünfte hinsichtlich der finanziellen Gebarung der Wiener Gebietskrankenkasse und den damit im Zusammenhang stehenden Auswirkungen auf die Finanzierung der Psychotherapiekosten. Dieses Auskunftsbegehren stehe ganz offensichtlich im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren, das der Beschwerdeführer gegen die Wiener Gebietskrankenkasse führe und in welchem er die Zuerkennung eines höheren Kostenzuschusses als S 300,-- (EUR 22,--) pro Einzelstunde für psychotherapeutische Behandlungen eingeklagt habe. Zweck des gegenständlichen Auskunftsbegehrens des Beschwerdeführers sei offensichtlich, Argumente zur Unterstützung seiner Rechtsansicht im gerichtlichen Verfahren beizuschaffen bzw. Material über die finanzielle Gebarung der Wiener Gebietskrankenkasse zu erhalten, um dieses in die Öffentlichkeit (Medien, Politik) zu tragen. Auskünfte seien aber dann nicht zu erteilen, wenn mit den Mitteln des Auskunftspflichtgesetzes Zwecke verfolgt würden, deren Schutz das Auskunftspflichtgesetz nicht diene. Dazu gehöre es auch, den Kenntnisstand einer Behörde gleichsam "abzuprüfen", um sie zu einem bestimmten Handeln anzuregen oder Argumente für ein bereits anhängiges Gerichtsverfahren zu sammeln. Bei der Auslegung des Begriffes "Wissenserklärung" könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Organen der Vollziehung im Wege der Auskunftspflicht auch eine Verpflichtung überbinden wollte, ihre Handlungen und Unterlassungen auch dem anfragenden Bürger gegenüber zu rechtfertigen.

Es könne nicht Aufgabe der Behörde sein, Auskünfte über Fragen zu geben, die ohnedies in einem bereits anhängigen Verfahren geklärt werden. Der Verwaltungsgerichtshof habe hiezu festgestellt, das zur Auskunft berufene Organ sei nicht verpflichtet, Auskünfte über Fragen zu erteilen, die Gegenstand eines Verfahrens seien, welches jederzeit über Initiative der Partei in Gang gesetzt werden könnte, bzw. schon in Gang gesetzt sei. Da bezüglich der Frage des Kostenzuschusses ohnedies schon ein gerichtliches Verfahren anhängig sei, sei diesbezüglich keine Auskunftspflicht der Wiener Gebietskrankenkasse gegeben.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

7. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 20 Abs. 4 B-VG haben alle mit Aufgaben der Bundes- , Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht; berufliche Vertretungen sind nur gegenüber den ihnen jeweils Zugehörigen auskunftspflichtig und dies insoweit, als dadurch die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben nicht verhindert wird. Die näheren Regelungen sind hinsichtlich der Organe des Bundes sowie der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache, hinsichtlich der Organe der Länder und Gemeinden sowie der durch die Landesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung in der Grundsatzgesetzgebung Bundessache, in der Ausführungsgesetzgebung und in der Vollziehung Landessache.

Gemäß § 1 Abs. 1 Auskunftspflichtgesetz des Bundes, BGBl. Nr. 287/1987, haben die Organe des Bundes sowie die Organe der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.

Nach § 1 Abs. 2 Auskunftspflichtgesetz des Bundes sind die Auskünfte nur in einem solchen Umfang zu erteilen, der die Besorgung der übrigen Aufgaben der Verwaltung nicht wesentlich beeinträchtigt. Sie sind nicht zu erteilen, wenn sie offenbar mutwillig verlangt werden.

Art. 20 Abs. 4 zweiter Satz B-VG konstituiert die allgemeine Auskunftspflicht als eigene Materie und knüpft bezüglich der Zuständigkeit an organisatorische Kriterien an. Auf die Auskunftserteilung durch Organe des Bundes (im organisatorischen Sinn) ist sohin das Auskunftspflichtgesetz des Bundes, auf jene durch Organe des Landes (im organisatorischen Sinn) das jeweilige Landesauskunftspflichtgesetz anzuwenden (vgl. Wieser in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, B-VG, Art. 20/4 Rz 69, sowie die hg. Erkenntnisse vom 30. April 1997, 95/01/0200, vom 26. Mai 1998, 97/04/0239, und vom 8. September 1999, 96/01/0438).

Das Auskunftspflichtgesetz des Bundes ordnet im § 4 an, dass auf Antrag des Auskunftswerbers ein Bescheid zu erlassen ist, wenn die Auskunft nicht erteilt wird, ohne darauf einzugehen, wer zur Erlassung dieses Bescheides zuständig ist. Entsprechend der dargestellten Konzeption der Auskunftspflicht ist der Bescheid von jenem Organ zu erlassen, von dem die Auskunft begehrt wurde und das daher über die Rechtmäßigkeit des Begehrens zu befinden hat, bevor es sich für oder gegen die Erteilung der Auskunft entscheidet.

Im Beschwerdefall wurde an die Wiener Gebietskrankenkasse ein Auskunftsbegehren herangetragen. Der Antrag auf Bescheiderlassung hat sich daher auch zutreffend an diese gerichtet. Diese hat auch darüber zu entscheiden gehabt.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich bisher - soweit überblickbar - mit der Frage der anzuwendenden Verfahrensordnung (einschließlich des Rechtsschutzweges) für den Fall noch nicht befasst, dass es sich um die Erledigung eines an einen Sozialversicherungsträger gerichteten Auskunftsbegehrens im Sinne des Art. 20 Abs. 4 B-VG iVm dem Auskunftspflichtgesetz handelt.

Gemäß § 4 des Auskunftspflichtgesetzes des Bundes, BGBl. Nr. 287/1987, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 158/1998 (im Folgenden: APG), ist auf Antrag des Auskunftswerbers hierüber ein Bescheid zu erlassen, wenn eine Auskunft nicht erteilt wird. Als Verfahrensordnung, nach der der Bescheid zu erlassen ist, gilt das AVG, sofern nicht für die Sache, in der Auskunft erteilt wird, ein anderes Verfahrensgesetz anzuwenden ist.

Soweit die Gebietskrankenkasse Organe "der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung" hat, ist sie nach § 1 APG berufen, entweder Auskünfte zu erteilen oder nach § 4 leg. cit. einen Bescheid zu erlassen. Gemäß § 4 APG gelten für die Erlassung dieses Bescheides nur dann allgemein die Rechtsvorschriften des AVG, wenn nicht ein anderes "Verfahrensgesetz", nämlich die einschlägigen Bestimmungen des ASVG, anzuwenden sind, die teilweise das AVG für anwendbar erklären (§ 357 ASVG), teilweise abweichende Verfahrensbestimmungen enthalten, wozu auch die Regelungen über den Einspruch und die Berufung, somit auch über den Instanzenzug zählen.

Der mit "Verfahren" überschriebene Siebente Teil des ASVG regelt in Abschnitt I, 1. Unterabschnitt ("Arten des Verfahrens") in § 352 Folgendes:

"Geltungsbereich der Regelung

§ 352. Die Bestimmungen dieses Teiles gelten für das Verfahren zur Durchführung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sowie der Bestimmungen über die zusätzliche Pensionsversicherung (§ 479), soweit nicht

1. die Durchführung durch privatrechtliche Verträge zu erfolgen hat oder die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben ist oder

2. für die Durchführung in anderen Teilen dieses Bundesgesetzes besondere verfahrensrechtliche Bestimmungen getroffen sind oder

3. Angelegenheiten der Beiträge des Bundes zu den in diesem Bundesgesetze geregelten Versicherungen oder Kostenersätze des Bundes für erbrachte Versicherungsleistungen zu behandeln sind oder

4. in anderen Teilen dieses Bundesgesetzes vorgesehene Straf- , Aufsichts-, Entscheidungs- oder Genehmigungs(Zustimmungs)befugnisse von den hiezu berufenen Behörden ausgeübt werden."

§ 352 ASVG weist nur "Verfahren zur Durchführung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes" mit näher bezeichneten Ausnahmen dem im ASVG geregelten Verfahren zu. Bei der Auskunftserteilung nach dem APG handelt es sich um keine solche Angelegenheit "dieses Bundesgesetzes". Es ist daher auf das Verfahren (entgegen dem § 357 ASVG) das AVG zur Gänze anzuwenden. Zur Frage, ob gegen einen die Auskunft verweigernden Bescheid eines Sozialversicherungsträgers ein Rechtsmittel zulässig ist, hat der Verwaltungsgerichtshof das Folgende erwogen:

Das Auskunftspflichtgesetz des Bundes regelt nicht die Frage der Zulässigkeit der Berufung gegen einen Auskunftsverweigerungsbescheid. Bei der Beantwortung der Frage, ob der Auskunftsverweigerungsbescheid mit Berufung bekämpft werden kann und welche in diesem Fall die zuständige Berufungsbehörde ist, ist daher auf verfassungsrechtliche Grundsätze zurückzugreifen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. Oktober 1994, 93/04/0069, und vom 29. Oktober 1996, 96/07/0180). Der Instanzenzug geht bei Anwendung des Auskunftspflichtgesetzes des Bundes über eine allenfalls vorhandene organisatorisch übergeordnete Bundesbehörde bis zum sachlich zuständigen Bundesminister (vgl. Wieser, a.a.O., und Perthold-Stoitzner, Das Auskunftsverfahren, in ecolex 1991, 735ff).

Der Instanzenzug richtet sich - sofern er nicht ausdrücklich in den Auskunftspflichtgesetzen geregelt wird, wie in dem des Bundes - nicht nach der Angelegenheit, in welcher Auskunft begehrt wurde, sondern nach organisatorischen Kriterien.

Die angerufene Wiener Gebietskrankenkasse hat als Versicherungsträger (§ 23 Abs. 1 Z. 1 ASVG) die Aufgaben der Krankenversicherung zu besorgen (§ 26 ASVG). Diese Aufgaben stellen funktionell Bundesverwaltung dar (Art. 10 Abs. 1 Z. 11 B-VG). Im Gegenstand ist daher das Auskunftspflichtgesetz des Bundes anzuwenden. Nach § 32 Abs. 1 ASVG ist die Wiener Gebietskrankenkasse als Körperschaft öffentlichen Rechts eingerichtet. Nach herrschender Auffassung (Tomandl, Sozialversicherungssystem, 489) sind die Versicherungsträger, sohin auch die Wiener Gebietskrankenkasse, als Selbstverwaltungskörper organisiert und ihre Tätigkeit (Vollzug der Sozialversicherungsgesetze) wird als Selbstverwaltung angesehen. Die Wiener Gebietskrankenkasse besorgt ihre Aufgaben im "eigenen Wirkungsbereich", d.h. unter Ausschluss eines Weisungszuges an staatliche Behörden. Diesen kommt lediglich ein Aufsichtsrecht zu (§ 448 ASVG). Die innerorganisatorische Gliederung einer Gebietskrankenkasse sieht keinen Instanzenzug vor; sie hat auch keine Relevanz für die behördliche Gestion (vgl. Tomandl, aaO, 650). Über den Antrag auf Bescheiderlassung im Sinne des § 4 Auskunftspflichtgesetz des Bundes hat die Gebietskrankenkasse sohin als "Selbstverwaltungseinrichtung" entschieden. Auf dem Gebiet der Selbstverwaltung bedarf es zur Einräumung eines Rechtsmittels an ein Organ der staatlichen Verwaltung einer ausdrücklichen Bestimmung (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. März 1987, 86/01/0193, und vom 15. November 2000, 99/01/0324, sowie aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse VfSlg. 6811 und 8419). In den Organisationsvorschriften der Gebietskrankenkasse (8. Teil Abschnitt I bis IV, IX ASVG) ist ein solcher Rechtszug nicht vorgesehen. In der Angelegenheit nach dem Auskunftspflichtgesetz des Bundes ist sohin der Instanzenzug erschöpft (Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG) und eine Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zulässig.

Im vorliegenden Fall hat die Wiener Gebietskrankenkasse, sohin ein Sozialversicherungsträger, den Bescheid nach § 4 APG erlassen. Nach der dargestellten Rechtslage hätte über ein Rechtsmittel die organisatorisch übergeordnete Behörde zu entscheiden. Der Landeshauptmann von Wien als belangte Behörde ist aber nach dem die Errichtung der Gebietskrankenkassen normierenden ASVG nicht die der Wiener Gebietskrankenkasse organisatorisch übergeordnete Behörde. Die Berufung wäre daher von der belangten Behörde als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Da die belangte Behörde über diese Berufung in der Sache entschieden hat, hat sie den Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Seite 577, zweiter Absatz).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 21. Dezember 2005

Schlagworte

Instanzenzug Zuständigkeit Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2002080253.X00

Im RIS seit

19.02.2006

Zuletzt aktualisiert am

23.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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