Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Redl, Dr. Kellner, Dr. Schiemer und Dr. Floßmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach dem am 19.9.1990 verstorbenen Daniel S*****, wohnhaft gewesen, vertreten durch Dr. Kuno Ther und Dr. Reinhard Köffler, Rechtsanwälte in Villach, wider die beklagten Parteien
1. Wolfgang G*****, und 2. Manfred G*****, beide vertreten durch Dr. Hans Winkler und Dr. Rudolf Pototschnig, Rechtsanwälte in Villach, wegen restlicher S 79.800, infolge Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 3.Mai 1991, GZ 2 R 26/91-45, womit infolge Berufung der klagenden und der erstbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 31.Oktober 1990, GZ 25 Cg 251/89-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.094 (darin S 849 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 21.11.1988, 13 E Vr 2645/87, wurde der Erstbeklagte schuldig erkannt. Daniel S*****, der nach Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz verstorben ist, am 17.8.1987 in einer Diskothek in F***** durch Versetzen eines wuchtigen Faustschlages gegen das Gesicht, welcher einen Sturz mit Schädelbasisfraktur, Nasenprellung und leichter Gehirnerschütterung zur Folge hatte, vorsätzlich schwer am Körper verletzt zu haben.
Gegen den Bruder des Erstbeklagten, den Zweitbeklagten, der sich ebenfalls in der Diskothek befunden und sich in dem Strafverfahren als Zeuge selbst als Täter bezeichnet hatte, sowie gegen mehrere andere Zeugen, welche dies indirekt oder direkt bestätigt hatten, wurde wegen Verdachtes des Vergehens der falschen Beweisaussage, des Vergehens der versuchten Begünstigung sowie des Verbrechens der Verleumdung zu 11 E Vr 1020/89 des Landesgerichtes Klagenfurt ein weiteres Strafverfahren eingeleitet, in welchem alle Beschuldigten in erster Instanz freigesprochen wurden. Nach den Feststellungen dieses noch nicht rechtkräftigen Urteiles sei die Tat vom Zweitbeklagten begangen worden.
Mit der vorliegenden Klage begehrte Daniel S*****, beide Beklagten solidarisch zur Zahlung von Schmerzengeld und Ersatz von Sachschaden zu verurteilen, "er könne das Risiko, nur einen der Beklagten in Anspruch zu nehmen, nicht auf sich nehmen; überdies hätten beide Beklagten am Niederschlag zusammengewirkt".
Der Erstbeklagte beantragte ungeachtet des rechtskräftigen Strafurteiles und der damals noch gültigen Bestimmung des § 268 ZPO die Klagsabweisung, weil er an dem Vorfall nicht beteiligt gewesen sei und wandte auch ein Mitverschulden des Klägers, der ihn provoziert habe, ein, anerkannte aber in der Folge einen Teil des Klagebegehrens. Der Zweitbeklagte wandte die bindende Wirkung des Strafurteiles ein und wies darauf hin, daß das Strafgericht seiner Aussage, der Täter gewesen zu sein, in dem Verfahren gegen seinen Bruder keinen Glauben geschenkt habe.
Das Erstgericht, das die mündliche Verhandlung am 20.4.1990 gemäß § 193 Abs 3 ZPO geschlossen und seine schriftliche Entscheidung der Kanzlei am 15.11.1990 zur Abfertigung übergeben hat, ging entsprechend dem rechtskräftigen Straferkenntnis vom 21.11.1988 von der alleinigen Täterschaft des Erstbeklagten aus, verneinte ein Zusammenwirken mit dem Zweitbeklagten und auch ein Mitverschulden des Verletzten und verurteilte den Erstbeklagten zur Zahlung des als angemessen erachteten Schmerzengeldes sowie des Sachschadens. Das Begehren gegen den Zweitbeklagten wies es ab, weil ein Zusammenwirken beider Beklagter, das zu dem Faustschlag des Erstbeklagten geführt habe, nicht erfolgt sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Erstbeklagten, welcher nur bekämpfte, daß seine Täterschaft als erwiesen angenommen wurde und auf die am 16.11.1990 in Kraft getretene Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof verwies, keine Folge. Es führte aus, das Erstgericht habe seine Entscheidung schon vor dem 16.11.1990 gefällt und sei daher an die Vorschrift des § 268 ZPO gebunden gewesen. Es habe daher hinsichtlich des Nachweises der strafbaren Handlung, ihrer Zurechnung und des Kausalzusammenhanges zwischen der strafbaren Handlung und deren Folgen vom Straferkenntnis abweichende Feststellungen gar nicht treffen dürfen. Die Richtigkeit seiner Feststellungen, welche hier nicht auf Grund freier Beweiswürdigung zu treffen gewesen seien, könne daher nicht erfolgreich bekämpft werden. Das Berufungsgericht habe die angefochtene Entscheidung auf der Grundlage der im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz vorliegenden Tatsachen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Die erst danach erfolgte Änderung der Rechtslage sei nicht beachtlich. Mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung der Aufhebung des § 268 ZPO für die Rechtsprechung sei die ordentliche Revision zuzulassen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Die Aufhebung eines Gesetzes durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes tritt gemäß Art 140 Abs 5 B-VG frühestens am Tage der Kundmachung in Kraft. Sie wirkt daher grundsätzlich für die Zukunft und nicht zurück. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände ist das Gesetz - soferne der Verfassungerichtshof nichts anderes ausspricht - außer im Anlaßfall, den der Erstbeklagte nicht für sich in Anspruch nehmen kann, weiterhin anzuwenden (Art 140 Abs.7 B-VG; vgl auch § 5 ABGB). Dies bedeutet, daß die prozessuale Vorschrift des § 268 ZPO bis zur Kundmachung des aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes in BGBl Nr 706 vom 16.11.1990 dem Rechtsbestand angehörte. Das Erstgericht, dessen Entscheidung vor diesem Datum gefällt wurde, hatte daher das Beweisverbot des § 268 ZPO zu beachten und durfte über den Beweis und die Zurechnung der schweren Körperverletzung des Klägers, die Gegenstand des verurteilenden Erkenntnisses des Landesgerichtes Klagenfurt vom 21.11.1988 war, eine weitere Beweisaufnahme oder eine andere Würdigung der Beweise gar nicht zulassen.
Prozeßnormen wirken nur für die Zeit nach ihrem Inkrafttreten. Eine Rückwirkung kann innerhalb eines bereits anhängigen Verfahrens nur dann eintreten, wenn das neue Verfahrensgesetz dies ausdrücklich (insbesondere durch Übergangsvorschriften) anordnet. In allen anderen Fällen ist das Verfahren vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen neuen Vorschrift an nach dieser fortzusetzen und zu beenden, wobei aber die nach den alten Verfahrensvorschriften gesetzten Prozeßhandlungen dem Verfahren zugrundezulegen und bezüglich ihrer Wirksamkeit nach den Vorschriften des alten Prozeßrechtes zu beurteilen sind (Fasching, Lehrbuch2 Rz 130).
Die Änderung der Verfahrensrechtslage ist hier während des Berufungsgverfahrens eingetreten. Das Berufungsgericht hatte bei Erledigung der Tatsachen- und Mängelrüge des Erstbeklagten in der Berufung als Rechtsmittelgericht nur zu überprüfen, ob im erstinstanzlichen Verfahren Fehler unterlaufen sind. Da in diesem § 268 ZPO noch anzuwenden war, hat es zutreffend das Vorliegen von Fehlern verneint. Es hätte vielmehr eine erhebliche Verletzung geltender Verfahrensvorschriften bedeutet, das Beweisthemenverbot des § 268 ZPO nicht zu beachten. Mit dem Hinweis auf die Aufhebung dieser Bestimmung in der Berufung konnte das Urteil des Erstgerichtes daher nicht erfolgreich bekämpft werden. Die fehlende Bindung an Straferkenntnisse in einem anhängigen Rechtsmittelverfahren kann nur dann relevant werden, wenn das Berufungsgericht die erstinstanzliche Beweisaufnahme ergänzt oder wiederholt (5 Ob 1503/91 ua; Konecny, Versicherungen im Zivilprozeß nicht mehr an verurteilende Straferkenntnisse gebunden in ecolex 1990, 738; vgl auch Simotta,
Die Bedeutung einer strafgerichtlichen Verurteilung für den Zivilprozeß nach Aufhebung des § 268 ZPO in NZ 1991, 75).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E26610European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0060OB00597.91.0912.000Dokumentnummer
JJT_19910912_OGH0002_0060OB00597_9100000_000