Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer (Arbeitgeber) und Univ.Prof.Dr.Walter Schrammel (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I***** B*****, vertreten durch Dr.Günter Blecha, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauerlände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.Februar 1991, GZ 32 Rs 34/91-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4.Oktober 1990, GZ 11 Cgs 89/90-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 27.4.1990 wurde der Antrag des Klägers vom 24.1.1990 auf Zuerkennung einer Alterspension abgelehnt, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Die Wartezeit wäre erfüllt, wenn der Kläger im Zeitraum vom 1.1.1960 bis 31.1.1990 - dies sei der Zeitraum der letzten 360 Kalendermonate vor dem Stichtag, verlängert um den darin enthaltenen einen neutralen Monat - mindestens 180 Versicherungsmonate erworben hätte. Im angeführten Zeitraum habe der Kläger nur 82 Versicherungsmonate erworben. Die Wartezeit wäre auch erfüllt, wenn der Kläger bis zum Stichtag insgesamt 180 Beitragsmonate erworben hätte. Er habe jedoch seit 17.4.1947 bis zum Stichtag nur 179 Beitragsmonate erworben.
Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren auf Gewährung der Alterspension im gesetzlichen Ausmaß seit 1.2.1990 ab. Es ging davon aus, daß der am 5.4.1924 geborene Kläger während des Zeitraumes von April 1947 bis 31.12.1987 mit Unterbrechungen in Jugoslawien insgesamt 161 Versicherungsmonate erworben habe. In Österreich habe der Kläger während des Zeitraumes von Juni 1968 bis November 1971 - mit Unterbrechungen - 18 Beitragsmonate erworben; im Juli 1971 sei ein Ersatzmonat gelagert. Der Monat Oktober 1970 (Krankengeldbezug) stelle aus der damaligen Rechtslage einen neutralen Monat dar. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, daß der Kläger die Wartezeit nicht erfülle. Voraussetzung für eine Erfüllung der Wartezeit nach § 236 Abs 4 ASVG iVm Art IV der 40.ASVG-Novelle wäre, daß der Kläger bis zum Stichtag insgesamt 180 Beitragsmonate vorweisen könnte. Insgesamt habe er jedoch nur 180 Versicherungsmonate erworben, wovon lediglich 179 Beitragsmonate seien. Das Erbringen einer geringeren als im Gesetz vorgesehenen Leistung bei Nichterfüllung der Anspruchsvoraussetzungen sei dem österreichischen Sozialversicherungsrecht fremd.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen des geltend gemachten Verfahrensmangels, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte auch dessen Rechtsmeinung, daß die Voraussetzungen für die Gewährung einer Alterspension beim Kläger im Sinne des § 236 ASVG nicht vorlägen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Kläger erhobene Revision ist im Ergebnis berechtigt.
Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wird nur geltend gemacht, daß die Vorinstanzen den Monat Juli 1971 als Beitrags- und nicht als Ersatzmonat bewerten hätten müssen. Eine Begründung für diese Rechtsansicht läßt der Revisionswerber vermissen. Nach dem Inhalt des Anstaltsaktes handelt es sich bei dem angeführten Monat Juli 1971 um einen solchen, in dem der Kläger in Österreich Krankengeld bezog. Gemäß § 227 Abs 1 Z 6 ASVG gelten als Ersatzzeiten in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitragszeit vorliegt, die Zeiten, während derer der Versicherte nach dem 31.Dezember 1970 Krankengeld bezog oder der Anspruch darauf ausschließlich gemäß § 143 Abs 1 Z 2 ASVG ruhte. Die Vorinstanzen haben in Übereinstimmung mit der beklagten Partei den Monat Juli 1971, in dem der Kläger überwiegend Krankengeld bezog, zutreffend als Ersatzzeit angerechnet. Die Meinung des Berufungsgerichtes, der Kläger habe in Österreich nicht 19, sondern nur 18 Versicherungsmonate erworben, dürfte auf einer Verwechslung der Begriffe Versicherungszeiten und Beitragszeiten beruhen. Versicherungszeiten sind jene Zeiträume, in denen eine Person entweder durch Entrichtung von Versicherungsbeiträgen oder in einer sonstigen gesetzlich anerkannten Form zur Versichertengemeinschaft in einer Beziehung steht. Dem entsprechend ist zwischen Beitragszeiten und Ersatzzeiten zu unterscheiden. Beitragszeiten sind - abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmen - Versicherungszeiten, für die Beiträge wirksam entrichtet wurden. Ersatzzeiten sind bestimmte Zeiten, die, ohne daß für sie ein Beitrag entrichtet worden wäre, als leistungswirksam berücksichtigt werden. Es sind in der Regel Zeiten, während derer der Versicherte aus verschiedenen vom Gesetzgeber anerkannten Gründen nicht in der Lage war, Beiträge zu entrichten, etwa weil er wegen Krankengeldbezug zur Beitragsleistung nicht imstande war (Teschner in Tomandl SV-System 4. ErgLfg 376f).
Der Revisionswerber verweist schließlich darauf, daß die Selbstverwaltungsinteressengemeinschaft der Pensions- und Invaliditätsversicherung Bosnien und Herzegowina, Fachdienst der Einheit Filiale in Bihac, mit Beschluß vom 23.2.1990 rechtskräftig festgestellt habe, daß der Kläger in Jugoslawien 161 und im Ausland 19, also insgesamt 180 Beitragsmonate erreicht habe, die der Bestimmung der Alterspension des Klägers in Jugoslawien zugrundegelegt worden seien. Durch diese als Bescheid zu wertende Entscheidung des Pensions- und Invaliditätsversicherers in Jugoslawien entstehe die für den Kläger "groteske" Rechtslage, daß nach jugoslawischem Recht 19 Beitragsmonate in Österreich angerechnet würden, während in Österreich hievon nur 18 Geltung beanspruchen könnten, sodaß auf der Grundlage des gleichen zu beurteilenden Sachverhaltes in Jugoslawien die Wartezeit als erfüllt angesehen werde, während dies nach österreichischem Recht nicht der Fall sei.
Diesen bereits in der Berufung enthaltenen, vom Berufungsgericht aber mit Stillschweigen übergangenen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:
Es ist richtig, daß nach den Bestimmungen des AbkSozSi-Jugoslawien die beiderseitigen Versicherungszeiten für die Erfüllung der Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch zusammengerechnet werden. Dies entspricht einem nach den einschlägigen Bestimmungen aller von Österreich abgeschlossenen Abkommen über soziale Sicherheit bestehenden allgemeinen Grundsatz. Die österreichischen Versicherungszeiten bilden daher mit den fremdstaatlichen Versicherungszeiten einen einheitlichen Versicherungsverlauf. In Ausführung dieser allgemeinen Zusammenrechnungsbestimmung sehen die Abkommen aber vor, daß der zuständige Versicherungsträger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften festzustellen hat, ob unter Berücksichtigung dieser Zusammenrechnung Anspruch auf die beanspruchte Leistung besteht (Siedl-Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht MGA Allgemeiner Teil, Lfg 24, 71 f). So bestimmt insbesondere Art 18 Abs 1 erster Satz des AbkSozSi-Jugoslawien: "In welchem Ausmaß und in welcher Weise Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind, richtet sich nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Versicherung diese Zeiten zurückgelegt worden sind". Nach Art 19 Abs 2 des Abkommens stellt der zuständige Versicherungsträger jedes Vertragsstaates nach seinen Rechtsvorschriften fest, ob die betreffende Person unter Berücksichtigung der im Art 18 vorgesehenen Zusammenrechnung der Zeiten die Voraussetzungen für den Anspruch auf die in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Leistungen erfüllt. Im Zusammenhang damit steht Art 20 Abs 1 des Abkommens: "Erfüllt eine Person bei Zusammenrechnung der Zeiten nach Art 18 in einem bestimmten Zeitpunkt die Voraussetzungen der auf sie anwendbaren Rechtsvorschriften zwar nicht beider Vertragsstaaten, wohl aber eines von ihnen, so wird der Betrag der Leistung nach den Bestimmungen des Art 19 Abs 3 festgestellt". Der Bescheid des jugoslawischen Sozialversicherungsträgers ist daher für die Beantwortung der Frage, welche Beitrags- und Ersatzzeiten der Kläger im österreichischen Bereich erworben hat, nicht maßgeblich (vgl zur Bindung an Entscheidungen im Vertragsstaat: SSV-NF 3/39 = SZ 62/58). Davon abgesehen ist der im Akt erliegenden Übersetzung des genannten Bescheides (ON 4) gar nicht zu entnehmen, daß dort 19 in Österreich erworbene Beitragsmonate festgestellt wurden. Es heißt dort nur, daß der "gesamte Pensionsstand des Versicherten, der berechnet wird zur Bestimmung der Pension bis 1989 auf Grund der Angaben aus der Personalevidenz insgesamt 15 Jahre beträgt, die Monate in der SFR Jugoslawien 161 und im Ausland 19, insgesamt 180 Monate". Damit wird die Feststellung, der Kläger habe in Österreich zwar 19 Versicherungsmonate, jedoch nur 18 Beitragsmonate erworben, weil es sich bei dem Monat Juli 1971 um einen Ersatzmonat handelt, nicht widerlegt. Es sei nochmals betont, daß der Kläger weder in seiner Berufung noch in seiner Revision Gründe dafür angeführt hat, warum der Monat Juli 1971 ein Beitragsmonat sein soll.
Dennoch kommt der Revision im Ergebnis im Sinne ihres im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages (SZ 48/1, 48/19 ua) Berechtigung zu. Da der Revisionswerber die Rechtsrüge mäß § 503 Z 4 ZPO in Entsprechung des § 506 Abs 2 ZPO gesetzmäßig ausgeführt hat, muß die rechtliche Beurteilung der Sache (hier: der Wartezeitproblematik) nach jeder Richtung hin und ohne Beschränkung auf die Revisionsausführungen überprüft werden (Fasching ZPR2 Rz 1929 mwN).
Die beklagte Partei und - ihr folgend - das Erstgericht haben die vom Kläger in Jugoslawien erworbenen Versicherungszeiten offensichtlich in der Weise berechnet, daß sie die zusätzlichen Versicherungstage durch 30 teilten und die sich dadurch ergebende Zahl den ganzen Versicherungsmonaten hinzuzählten (Seite 2 des Ersturteils, Blatt 6 des Pensionsaktes). Der Oberste Gerichtshof hat diese Art der Berechnung jedoch wiederholt abgelehnt und die Ansicht vertreten, daß nicht in Versicherungsmonaten ausgedrückte jugoslawische Versicherungszeiten mangels besonderer Bestimmungen in einem Abkommen nach der innerstaatlichen Regelung des § 231 ASVG in Versicherungsmonate umzurechnen seien (SSV-NF 3/137; 10 Ob S 417/90). An dieser Rechtsansicht ist ungeachtet der jüngsten Ausführungen von Siedl (Umrechnung von ausländischen Versicherungszeiten, SozSi 1991, 425) festzuhalten. Zunächst einmal bietet die Aufhebung der Z 9 lit a des Schlußprotokolls zum AbkSozSi-Jugoslawien durch Art I Z 32 des Zweiten Zusatzabkommens mit Wirkung vom 1.7.1989 keinen Anlaß, von der bisherigen Judikatur abzugehen, weil auch diese aufgehobene Bestimmung keine Umrechnungsregeln enthielt, sondern die Heranziehung der nach den jugoslawischen Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungszeiten mit ihrer tatsächlichen Dauer anordnete. Die analoge Anwendung des § 231 ASVG wurde übrigens nicht aus der Z 9 lit a des Schlußprotokolls abgeleitet (vgl SSV-NF 3/137). Durch den Entfall dieser Vorschrift sollte erreicht werden, daß die Einschränkung des Grundsatzes des Art 18 Abs 1 letzter Satz des Abk, nach dem sich das Ausmaß der Versicherungszeiten ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates richtet, in dessen Versicherung sie zurückgelegt wurden, beseitigt wird und daher in beiden Vertragsstaaten eine gleiche Versicherungsdauer für die Feststellung der Leistungsansprüche heranzuziehen ist (605 BlgNr 17. GP, 20). Auch aus Art 15 Abs 3 der Zusatzvereinbarung zur Durchführung des Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit BGBl 1977/428 lassen sich für die im vorliegenden Fall vorzunehmende Umrechnung von restlichen Versicherungstagen in Versicherungsmonate keine Anhaltspunkte gewinnen: diese Bestimmung setzt voraus, daß Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates in Zeiteinheiten ausgedrückt werden, die von den in den Rechtsvorschriften eines anderen Vertragsstaates festgelegten abweichen, was hier nicht der Fall ist. Die von Siedl aaO angesprochenen, in den Europäischen Gemeinschaften getroffenen "Klarstellungen" sind für den inländischen (österreichischen) Rechtsbereich nicht verbindlich. Aber selbst die in dem von Siedl aaO genannten Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 30.10.1975 enthaltene Umrechnungsmethode, wonach nämlich ein Dezimalrest auf die nächst höhere in Monaten ausgedrückte Einheit auszurunden sei, wenn eine Versicherungszeit von weniger als einem Monat als voller Monat angesehen werde, führt zu keinem anderen als dem hier vertretenen Ergebnis.
Die Umrechnung der nicht in Versicherungsmonaten ausgedrückten jugoslawischen Zeiten hat daher nach der innerstaatlichen Regelung des § 231 ASVG zu erfolgen. Diese Umrechnung ist ein Akt der rechtlichen Beurteilung, weshalb es auch nicht schadet, daß der Kläger die "Feststellung", er habe in Jugoslawien 161 Versicherungsmonate erworben, unbekämpft ließ. Auszugehen ist nämlich von den vom jugoslawischen Versicherungsträger bekanntgegebenen Versicherungszeiten, die dann nach § 231 ASVG in Versicherungsmonate umzurechnen sind. Feststellungen über diese Versicherungszeiten sind den Urteilen der Vorinstanzen nicht zu entnehmen. Nach der im Pensionsakt enthaltenen Aufstellung dieser Zeiten (Blatt 6 verso) wäre nicht auszuschließen, daß bei der richtigen Ermittlung der Versicherungsmonate unter Berücksichtigung der in Österreich erworbenen Versicherungszeiten die Wartezeit für den Anspruch des Klägers auf Alterspension erfüllt ist. Dazu kommt noch die - bisher nicht
aufgeklärte - offenbare Unrichtigkeit der Umrechnung des Zeitraumes 8.1.1986 bis 31.12.1987 in 22 Monate und 23 Tage (richtig offenbar: 23 Monate und 23 Tage). Mangels jeglicher Feststellungen im oben dargelegten Sinn liegt eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor, die zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und - da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen - zur Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht führt.
Kosten des Revisionsverfahrens wurden nicht verzeichnet.
Anmerkung
E27629European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00209.91.0917.000Dokumentnummer
JJT_19910917_OGH0002_010OBS00209_9100000_000