Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Dr. Dietmar Strimitzer (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erich K*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Herbert Schaller, Rechtsanwalt in Traiskirchen, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (Landesstelle Steiermark), 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Rückforderung eines Überbezuges (S 542.119,10), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. November 1989, GZ 7 Rs 127/89-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 19. Juni 1989, GZ 31 Cgs 95/89-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes und das Urteil des Erstgerichtes - soweit dieses nicht bereits mit rechtskräftigem Beschluß des Berufungsgerichtes als nichtig aufgehoben wurde - werden dahin abgeändert, daß sie lauten:
"Es wird festgestellt, daß der Kläger nicht verpflichtet ist, der beklagten Partei den für die Zeit vom 1.10.1978 bis 31.5.1988 geltend gemachten Überbezug an Alterspension von S 542.119,10 rückzuersetzen".
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 31.131 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 2.830 Umsatzsteuer) und die mit S 17.440,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.906,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 19. August 1907 geborene Kläger, der seit 1939 als selbständiger Unternehmer tätig war, bezieht seit 1. Jänner 1974 von der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eine Alterspension. Da er daneben noch bis Ende 1977 Einkünfte aus einer Geschäftsführertätigkeit erzielte, ruhten während dieser Zeit 40 % der Pension. Mit Verträgen vom 5. September 1978 und 23. Jänner 1979 erwarb der Kläger ab September 1978 Eigentum an verschiedenen forstwirtschaftlichen Liegenschaften (zu einem Drittel). Der Einheitswert und das gemäß § 149 Abs 5 und 6 GSVG zu ermittelnde Nettoeinkommen aus dem forstwirtschaftlichen Betrieb waren so hoch, daß sie das Ruhen von 40 % der Pension bewirkt hätten. Die beklagte Partei erfuhr von diesem Liegenschaftserwerb erst am 18. Mai 1988.
Mit Bescheid vom 18. Jänner 1989 entschied die beklagte Partei, daß
1. die Pension mit den im Bescheid bezifferten Beträgen gemäß § 60 GSVG vom 1. Oktober 1978 an ruhe und
2. der Überbezug von S 542.119,10 gemäß § 76 GSVG zurückgefordert werde.
Begründet wurde das Ruhen (zu 1.) mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit, wobei die erzielten Einkünfte die gesetzlich festgesetzten Grenzbeträge überschreiten; die zu Unrecht erbrachten Geldleistungen seien zurückzufordern (zu 2.), wenn der Überbezug durch Verletzung der Meldevorschriften entstanden sei.
Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren, daß der Überbezug von S 542.119,10 nicht zurückgefordert werde. Der Kläger brachte vor, er habe keine Meldepflicht verletzt, weil er aus seinem forstwirtschaftlichen Besitz überhaupt keine Einkünfte bezogen habe. Auch die Belehrungen der beklagten Partei hätten keinen Hinweis darauf enthalten, daß er etwa bereits die Tatsache eines Besitzes allein melden müsse.
Die beklagte Partei beantragte die Klage abzuweisen und dem Kläger den Rückersatz des Überbezuges in der genannten Höhe aufzutragen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren des Inhaltes, es werde festgestellt, daß die beklagte Partei den im Bescheid genannten Überbezug vom Kläger nicht zurückzufordern habe, ab (Abs 1 des Urteilsspruches). Weiters stellte es fest, daß die Pension des Klägers seit 1. Oktober 1978 mit den schon im Bescheid genannten Beträgen ruhe (Abs 2 des Urteilsspruches), insoweit den Punkt 1. des Bescheides wiederholend. Schließlich erkannte es den Kläger schuldig (Abs 3 des Urteilsspruches), der beklagten Partei den Überbezug in voller Höhe binnen 14 Tagen zu bezahlen. In seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, die verschuldete Verletzung der Meldepflicht sei Grundlage für das der Höhe nach unbestrittene Rückforderungsrecht der beklagten Partei. Das Klagebegehren sei daher abzuweisen und die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Rückzahlungsverpflichtung in Urteilsform einschließlich des zufolge Klage außer Kraft getretenen Pensionsruhens zu wiederholen gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers (mit Urteil) nicht Folge, hob aber aus Anlaß dieser Berufung (mit Beschluß) den Absatz 2 des Spruches des erstgerichtlichen Urteiles (Feststellung des Ruhens der Pension) als nichtig auf. Im übrigen billigte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der Kläger fahrlässig Meldevorschriften verletzt habe. Da das zu ermittelnde Nettoeinkommen aus dem forstwirtschaftlichen Betrieb das Ruhen der Alterspension im Höchstausmaß von 40 % bewirkt hätte, stehe die objektive Verletzung der Meldevorschrift fest. Eine allfällige Rechtsunkenntnis sei dem Kläger als Verschulden vorzuwerfen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung, hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanzen.
Die beklagte Partei beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Ergebnis berechtigt.
Gemäß § 76 Abs 1 GSVG (ebenso wie gemäß § 107 Abs 1 ASVG) hat der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern, wenn der Leistungsempfänger bzw. Zahlungsempfänger (§ 75 GSVG) den Bezug durch bewußt unwahre Angaben, bewußte Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften und der Auskunftspflicht (§§ 18 bis 20 und 22 GSVG) herbeigeführt hat oder wenn der Leistungsempfänger bzw. Zahlungsempfänger erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebühre. Ob es sich bei den von der beklagten Partei zurückgeforderten, im Zeitraum 1. Oktober 1978 bis 31. Mai 1988 an den Kläger erbrachten Pensionsleistungen (ab Juni 1988 wurden die ruhenden Pensionsteile nicht mehr ausgezahlt) um "zu Unrecht erbrachte Geldleistungen" im Sinne der eben zitierten Gesetzesstelle handelt, hängt zunächst einmal davon ab, inwieweit gemäß § 60 GSVG (in seinen hier maßgeblichen, mit Ablauf des 31. Dezember 1989 - vgl. 16. GSVG-Novelle BGBl. 1989/643 - außer Kraft getretenen Fassungen) die Alterspension des Klägers ruhte.
Der erkennende Senat hatte gegen die hier anzuwendende Ruhensbestimmung des § 60 GSVG verfassungsmäßige Bedenken, die ihn veranlaßten, beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 89 Abs. 3 B-VG den Antrag zu stellen, gemäß Art. 140 Abs. 4 B-VG auszusprechen, daß § 60 GSVG in den Fassungen der 3., 4., 5., 8., 9. und 10. GSVG-Novelle verfassungswidrig war (Antrag vom 26. September 1990, 10 Ob S 168/90).
Diesem Antrag gab der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 14. Juni 1991, G 252, 253/89, G 167/90 ua, Folge. Er sprach aus, daß § 60 GSVG in den Fassungen der 3., 4., 5., 8., 9., 10., 15. und 17. Novelle verfassungswidrig war. Daher ist diese Bestimmung gemäß Art. 140 Abs. 7 letzter Satz B-VG auf die Rechtssachen, die den Anlaß zur Einleitung des Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Normen gaben (Anlaßfälle), nicht mehr anzuwenden (vgl. Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts6 381 Rz 1170 mwN; VfSlg. 3961, 4072, 8934 ua).
Damit ist aber die gesetzliche Grundlage für eine wegen Erzielung eines Erwerbseinkommens ausgesprochene Ruhendstellung von Teilen der dem Kläger unbestritten gebührenden Alterspension weggefallen. Daraus folgt, daß es sich bei den von der beklagten Partei ruhend gestellten Pensionsteilen nicht um "zu Unrecht erbrachte Geldleistungen" im Sinne des § 76 Abs. 1 GSVG handelt, so daß nicht weiter geprüft werden muß, ob der Kläger Meldevorschriften verletzt oder sonst einen Rückforderungstatbestand verwirklicht hat.
Für die auf § 76 Abs. 1 GSVG iVm § 60 GSVG gestützte Rückforderung fehlt also eine gesetzliche Grundlage.
Der Revision des Klägers kommt daher im Ergebnis Berechtigung zu. Die Urteile der Vorinstanzen waren im Sinne einer gänzlichen Stattgebung der Klage abzuändern. Dabei war dem Klagebegehren, bei dem es sich seinem Wesen nach um ein Feststellungsbegehren handelt, eine deutlichere Fassung zu geben (vgl. SSV-NF 4/37; Fasching in Tomandl SV-System 4. Erglfg. 728; Kuderna ASGG 378 Anm. 1 zu § 69 und 450 Anm. 11 zu § 89; 10 Ob S 11/91, 10 Ob S 14/91 ua).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASGG. Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens wurden nicht verzeichnet. Die hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens gebührende Umsatzsteuer konnte nur in der verzeichneten Höhe zuerkannt werden. Die Kosten des Revisionsverfahrens waren auf Grund einer Bemessungsgrundlage in Höhe des Rückforderungsanspruches (vgl. SSV-NF 2/1) festzusetzen.
Anmerkung
E27646European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00235.91.0917.000Dokumentnummer
JJT_19910917_OGH0002_010OBS00235_9100000_000