Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Stefan und Dr.Dietmar Strimitzer (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Katharina Sch*****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (Landesstelle Wien), 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ruhens einer Witwenpension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Juni 1990, GZ 31 Rs 108/90-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 29. November 1989, GZ 3 Cgs 348/89-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 2.12.1986 sprach die beklagte Partei ua aus, daß der Klägerin vom 29.8. bis 31.12.1986 (nach dem am 29.8.1986 verstorbenen Versicherten Edmund Sch*****) die Witwenpension (§ 136 Abs 1 GSVG) von monatlich 10.797,80 S gebührt. Dazu teilte sie mit, daß das Ruhen der Pension vom 29.8.1986 an noch nicht feststellbar sei, weshalb der ruhensfähige Pensionsanteil vom 29.8. bis 31.12.1986 mit monatlich 4.319,10 S als jederzeit verrechenbarer Vorschuß gezahlt und über das Ruhen der Pension (§ 60 GSVG) noch gesondert entschieden werde.
Nach Vorliegen des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 1986, wonach die Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 458.546 S erzielte, stellte die beklagte Partei mit Bescheid vom 28.7.1989 ua fest, daß die Pension vom 29.8. bis 31.12.1986 mit monatlich 4.319,10 S ruhe (§ 60 GSVG), rechnete den Vorschuß gegen die Nachzahlung auf (§ 71 GSVG) und verrechnete den zuviel bezogenen Vorschuß von insgesamt 21.883,40 S mit der zu erbringenden Leistung (§ 71 GSVG).
Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage stützte sich darauf, daß die Klägerin im genannten Zeitraum zwar den Betrieb ihres verstorbenen Ehegatten weitergeführt, aber wegen ausstehender Forderungen von etwa 1,115.000 S keinerlei Entnahmen vorgenommen und deshalb keine Einkünfte erzielt habe.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Sie wendete ein, die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb stammten aus dem Verkauf des als Verlassenschaftsfortbetrieb geführten Unternehmens des verstorbenen Ehegatten. Ein solcher Veräußerungsgewinn zähle zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit und sei daher nach § 60 iVm § 61 GSVG bei der Ruhensfeststellung zu berücksichtigen. Dadurch würden die Grenzbeträge nach § 60 Abs 2 GSVG von 6.408 S bzw 11.019 S überstiegen.
Das Erstgericht stellte fest, daß die Hinterbliebenenpension der Klägerin in der Zeit vom 29.8. bis 31.12.1986 nicht ruhte, und erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin auch für diese Zeit (die Leistung) in der gesetzlichen Höhe unter Abstandnahme von der Verrechnung von 21.883,40 S mit der zu erbringenden Leistung zu gewähren. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen verkaufte die Klägerin das Speditionsunternehmen ihres verstorbenen Ehegatten im Jahre 1986 um 400.000 S, wobei der Käufer nur das Anlagevermögen, nicht aber die offenen Verbindlichkeiten des Unternehmens übernahm, die aus dem Kaufpreis und dem Umlaufvermögen abgezahlt wurden. Die Verbindlichkeiten überstiegen das Umlaufvermögen um 342.743,75 S. Rückstellungen von 164.450 S standen dem Geldabfluß von 164.000 S für Steuern und Beerdigungskosten gegenüber. In den Aktiven zum 31.12.1986 schlug sich bereits der Gewinn für die Periode vom 29.8. bis 31.12.1986 von 166.938,92 S nieder. Zum 31.12.1986 betrug das Fehlkapital 498.800,75 S. Daraus zog das Erstgericht den Schluß, daß es sich nur um einen rechnerischen Veräußerungsgewinn handle, dem keine tatsächlichen Einkünfte gegenüberstünden, die ein Ruhen der Pension bewirken könnten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es stellte ergänzend fest, daß die Klägerin den Gewerbebetrieb ihres Ehegatten nur für die Dauer der Verlassenschaft bis zur Liquidierung im Namen und auf Rechnung der Verlassenschaft weitergeführt und daß das Fortbetriebsrecht der Verlassenschaft mit 31.12.1986 geendet habe, mit welchem Tag die Anzeige der Zurücklegung des Fortbetriebsrechtes erstattet und das Fortbetriebsrecht gelöscht wurde. Der gesamte Nachlaß wurde der Klägerin als Alleinerbin am 5.12.1988 eingeantwortet. Der Kaufvertrag über das Anlagevermögen vom 3.12.1986 wurde am 8.1.1987 verlassenschaftsbehördlich genehmigt. Daraus folgerte das Berufungsgericht, daß die Klägerin vom 29.8. bis 31.12.1986 nur wie ein Verwalter im Namen der Verlassenschaft tätig gewesen sei und daher keine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe. Deshalb liege kein aus einer solchen Tätigkeit erzieltes Einkommen vor.
Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revisionder beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern.
Rechtliche Beurteilung
Weil der erkennende Senat gegen die von ihm anzuwendenden Ruhensbestimmungen des § 60 GSVG in den mit Ablauf des 31.12.1989 außer Kraft getretenen Fassungen der 9. und 10. GSVGNov und des § 61 GSVG verfassungsrechtliche Bedenken hatte, beantragte er mit Beschluß vom 9.10.1990, 10 Ob S 334/90, auszusprechen, daß § 60 GSVG verfassungswidrig war, und § 61 leg cit als verfassungswidrig aufzuheben.
Mit dem auch andere Aufhebungsanträge erledigenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14.6.1991, G 258, 259/90-17, sprach der Verfassungsgerichtshof ua aus, daß § 60 GSVG idF der 9. und 10. GSVGNov und der nach dem Antrag des Obersten Gerichtshofes mit dem Sozialrechts-ÄnderungsG 1991, BGBl 157 ab 1.4.1991 aufgehobene § 61 GSVG idF der 10. GSVGNov verfassungswidrig waren.
An diesen Spruch des Verfassungsgerichtshofes sind nach Art 140 Abs 7 Satz 1 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden.
Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz mangels eines gegenteiligen Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes nach dem 2.Satz des zit Absatzes weiterhin anzuwenden.
Anlaßfall ist ausschließlich die Rechtssache, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bewogen hat (VfSlg 3103). Die Rückwirkung der Aufhebung auf den Anlaßfall besteht ausschließlich darin, daß dieser so zu entscheiden ist, als ob die aufgehobene Bestimmung im für die Entscheidung des Anlaßfalles maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr bestanden hätte (VfSlg 3961, 4072), so daß sie im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden ist (VfSlg 8934).
Weil die das Zusammentreffen eines Pensionsanspruches aus der Pensionsversicherung mit einem Erwerbseinkommen regelnden Ruhensbestimmungen der §§ 60 und 61 BSVG bei der Entscheidung dieses Anlaßfalles nicht mehr anzuwenden sind, stellt die Erzielung von Erwerbseinkommen aus einer neben dem Anspruch auf die Witwenpension ausgeübten Erwerbstätigkeit keinen Ruhensgrund mehr dar.
Schon deshalb war der Revision nicht Folge zu geben.
Anmerkung
E26673European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00237.91.0917.000Dokumentnummer
JJT_19910917_OGH0002_010OBS00237_9100000_000