Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 13.,
Hietzingerkai 101-105, vertreten durch Dr. Rudolf Wieser, Dr. Friedrich Hohenauer, Dr. Martin Zanon, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei GEMEINDE S*****, vertreten urch Dr. Andreas Brugger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 364.775,28 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. September 1990, GZ 1 R 115/90-17, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. Jänner 1990, GZ 6 Cg 142/89-8, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.976,-- S (darin 2.496,-- S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei ist (Betriebs)Haftpflichtversicherer des Hoteliers Franz G***** (im folgenden Versicherungsnehmer), dessen Hotel "H*****" in O***** im Gemeindegebiet der beklagten Gemeinde samt - derzeit zwei, unmittelbar an den Hotelkomplex anschließenden - Parkplätzen (einer nördlich des Hotels an der Vorderseite für etwa 50 Fahrzeuge und einer südlich des Hotels an dessen Hinterseite für etwa 15 Fahrzeuge) in einem Lawinenstrich (V*****-Lawine) liegt. Davon hatte sowohl der Versicherungsnehmer als auch die beklagte Partei Kenntnis. Beim Abgang einer Schneebrettlawine am 14.Jänner 1977 auf dem V*****-Hang wurden am Parkplatz des Hotels "H*****" zwei abgestellte Fahrzeuge beschädigt. Am 16.März 1979 ging am V*****-Hang eine Trockenschneelawine los, die am Parkplatz des Hotels "H*****" 10 PKWs verschüttete und beschädigte, drei davon total. Die Parkmöglichkeiten in O***** sind, abgesehen von den hoteleigenen Kfz-Stellplätzen, sehr beschränkt. Es bestehen nur zwei Parkplätze, ein öffentlicher für etwa 150 bis 200 Fahrzeuge und ein privater, entgeltlich zu benützender für etwa 50 bis 60 Fahrzeuge. Ferner kann vom Hotel "H*****" in Richtung Süden (Ortskern) auf einer Straße geparkt werden.
Das Hotel "H*****" wurde ab 1934 in vier Bauetappen (1934, 1951, 1965, 1969) bis zu seiner jetzigen Größe und Form errichtet, ohne daß bei den Bauverhandlungen die Frage der Kfz-Stellplätze erörtert worden wäre. Die Kfz-Stellplätze des Hotels waren nie Gegenstand eines baubehördlichen Genehmigungsverfahrens. Die Baubehörde erließ in den Genehmigungsverfahren für das Hotel nie entsprechende Auflagen oder Regelungen in Ansehung der Anlegung oder Sicherheit der Kfz-Stellplätze. 1978 erarbeitete die Lawinen- und Wildbachverbauung, Gebietsbauleitung Oberes Inntal, unter Berücksichtigung der vergangenen Lawinenabgänge und der Geländeverhältnisse sowie nach Berechnungen einen Gefahrzonenplan für das Gemeindegebiet der beklagten Partei. Dabei wurde im Bereich der V*****-Lawine eine rote und eine gelbe Gefahrenzone ausgeschieden. In der roten Zone, die jene Flächen umfaßt, die durch Lawinen derart gefährdet sind, daß ihre ständige Benützung für Siedlungs- und Verkehrszwecke wegen der voraussichtlichen Schadenswirkungen des Bemessungsereignisses oder der Häufigkeit der Gefährdung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist, ist die Errichtung baulicher Herstellungen nach dem Tiroler RaumordnungsG untersagt, in der gelben Zone nur mit bestimmten Auflagen erlaubt. Der nördliche Kfz-Stellplatz des Hotels "H*****" liegt zu etwa 2/3 in der roten und zu etwa 1/3 in der gelben Zone, der südliche Parkplatz und der gesamte Hotelkomplex zur Gänze in der gelben Gefahrenzone. Der Versicherungsnehmer wußte, daß die Parkplätze nördlich seines Hotels besonders gefährdet sind; es ist nicht feststellbar, daß er vor dem Lawinenabgang am 1.Februar 1986 die Unterscheidung in eine rote und eine gelbe Gefahrenzone in bezug auf seine Kfz-Stellflächen gekannt hätte. Über Anregung der zuständigen Gebietsbauleitung der Wildbach- und Lawinenverbauung fand in O***** am 5.Februar 1981 eine behördliche Verhandlung betreffend die Sicherheit des nördlichen Parkplatzes des Hotels "H*****" statt. Verhandlungsleiter war der für die Sicherheit zuständige damalige Bürgermeister der beklagten Partei. Teilnehmer waren ua zwei Sachverständige, Angehörige des Lawinenwarndienstes und der Lawinenkommission sowie der Versicherungsnehmer. Ausgangspunkt dieser Zusammenkunft war, daß der nördliche Parkplatz des Versicherungsnehmers an seinem östlichen Ende bereits zweimal durch eine Lawine verschüttet worden war. Der östlich des Hoteleinganges liegende, besonders gefährdete Teil des Parkplatzes sollte entweder nicht mehr benützt oder im Falle einer Lawinengefahr geräumt werden. Anzustreben war eine Lösung, diesen Teil des Parkplatzes im Winter überhaupt nicht mehr zu benützen. Die Zusammenkunft zielte darauf ab, eine vorübergehende Lösung des Sicherheitsproblems zu finden, zumal eine Verbauungsstudie des V*****-Hanges in Ausarbeitung war. Das Provisorium sollte nur bis zur Beendigung der Verbauung Gültigkeit haben. Sollte es nicht zu einer Verbauung der Lawinenhänge kommen, erschienen permanente Maßnahmen (zB Errichtung einer Schutzmauer) zur Sicherung dieser Kfz-Stellplätze notwendig. Es wurden mehrere Möglichkeiten besprochen (Sperre des östlichen Teils des Parkplatzes, Abstellen der Fahrzeuge bei Grundnachbarn ua). Der damalige Bürgermeister der beklagten Partei schlug als Leiter der Lawinenkommission vor, daß die für die Schipisten zuständige Lawinenkommission die Lawinengefahr in Ansehung des Parkplatzes feststellen sollte. Die Entscheidung über eine Sperre bzw. Wiedereröffnung wäre auf Grund dieser Empfehlung zu treffen. Ein Mitglied der Lawinenkommission lehnte diesen Vorschlag ab, weil es sich hiebei um eine Erweiterung des Aufgabenbereiches der Lawinenkommission handle und die Aufgabe von nur allen drei Mitgliedern übernommen werden könne. Es ist nicht feststellbar, daß der Bürgermeister hierauf antwortete oder daß er im Zuge dieser Verhandlung die Verantwortung übernommen hätte, bei Lawinengefahr den Versicherungsnehmer zu warnen. Die Weiterbenützung des nördlichen Parkplatzes wurde dem Versicherungsnehmer jedenfalls nicht untersagt. Seit 1977 bemühte sich der Versicherungsnehmer um eine lawinensichere Verbauung des V*****-Hanges. Bis zum Winter 1985/86 wurden etwa 27 % der Verbauungsmaßnahmen (Stützverbauung) durchgeführt.
Für den Bereich O***** waren zum Zeitpunkt des Schadensereignisses (1.Februar 1986) zwei - von
15 - Lawinenunterkommissionen der Lawinenkommission S***** zuständig, aber keine für den eigentlichen Ortsbereich und damit auch für den Parkplatzbereich des Hotels "H*****". Am 1.Februar 1986 ging im Gemeindegebiet der beklagten Gemeinde eine Lawine ab, wobei auch 54 Fahrzeuge beschädigt wurden, welche auf den Kfz-Stellplätzen des Hotels "H*****" von Hotelgästen abgestellt waren. Die klagende Partei als (Betriebs)Haftpflichtversicherer des Versicherungsnehmers bezahlte für diese Schäden 840.137,16 S.
Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei aus dem
Rechtsgrund der Amtshaftung den Zuspruch von 419.570 S sA als
Hälfte des von ihr an Hotelgäste des Versicherungsnehmers
vergüteten Schadens, dies unter Berücksichtigung eines
Selbstbehaltes des Versicherungsnehmers von 1.000 S und eines
50 %-igen Mitverschuldens des Versicherungsnehmers sowie die
Feststellung, daß die beklagte Partei der klagenden Partei zur
Hälfte für alle künftigen Aufwendungen zu haften habe, die die
klagende Partei als Haftpflichtversicherer des Hoteliers
(Versicherungsnehmers).... für Schadenersatzleistungen an Gäste
des Hotels.... zu erbringen habe, deren Fahrzeuge am Parkplatz
dieses Hotels durch den Lawinenabgang..... am 1.Februar 1986
beschädigt worden seien. Dazu trägt die klagende Partei im wesentlichen vor, die beklagte Partei habe schuldhaft an der Herbeiführung der Beschädigung der Fahrzeuge mitgewirkt, weil sie gewußt habe, daß die nach der Tiroler Bauordnung (TBO) und der ReichsgaragenO erforderliche Baubewilligung für die Parkplätze beim Hotel des Versicherungsnehmers gefehlt habe, und dennoch diesen Zustand ausdrücklich sanktioniert habe. Sie habe auch gewußt, daß dieser Kfz-Stellplatz in einem extrem lawinengefährdeten Bereich angelegt worden sei. Bei einer Begehung am 5.Februar 1981 sei eine einstweilige Benützungsbewilligung ausdrücklich erteilt, eine Beseitigung des konsenslosen Zustandes nicht veranlaßt worden. Darüber hinaus habe es die beklagte Partei unterlassen, eine Lawinenkommission einzusetzen, deren Zuständigkeitsbereich auch den gegenständlichen Hotelparkplatz umfaßt habe, sodaß auch eine Warnung bei Lawinengefahr nicht erfolgt sei.
Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein, daß der Versicherungsnehmer den gesetzwidrigen Zustand selbst herbeigeführt habe; der Versicherungsnehmer habe kein subjektives Recht darauf besessen, daß seine Kfz-Stellplätze gesperrt werden, er habe auch keinen entsprechenden Antrag gestellt. Ein allfälliges Mitverschulden der Organe der beklagten Partei trete gegenüber dem gewichtigen schuldhaften Verhalten des Versicherungsnehmers in den Hintergrund. Ein Bauansuchen für die Errichtung der Kfz-Stellplätze sei nie gestellt worden, eine Bauverhandlung habe nie stattgefunden, eine Benützungsgenehmigung sei bescheidmäßig nie erfolgt. Die unterlassene Bildung einer Lawinenkommission sei nicht kausal, weil die Benützung der Kfz-Stellplätze ohne Baubewilligung ohnedies untersagt gewesen sei und der Versicherungsnehmer das Risiko der Lawinengefahr gekannt habe, insbesondere auf Grund des Lawinenabganges von 1979, bei dem Fahrzeuge auf den Kfz-Stellplätzen seines Hotels beschädigt worden seien. Die widerrechtliche Benützung der Kfz-Stellplätze habe dem Versicherungsnehmer zum überwiegenden Vorteil gereicht.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsklagebegehren mit einem Teilbetrag von 364.775,28 S sA statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 68.878,04 S sA sowie das Feststellungsbegehren, letzteres rechtskräftig, ab. Die beklagte Partei habe rechtswidrig (entgegen §§ 39, 40 TBO) ihre Pflicht zur Aufsicht verletzt. Durch §§ 25 und 40 Abs 2 TBO sollten auch Interessen des Versicherungsnehmers geschützt werden. Der beklagten Partei sei die Lawinengefährdung der Kfz-Stellplätze des Hotels des Versicherungsnehmers bekannt gewesen, ebenso habe ihr bekannt sein müssen, daß in Ansehung dieser Kfz-Stellplätze eine Bewilligung nicht vorgelegen sei, obwohl im Rahmen des mehrfachen Zu- und Ausbaues der Kfz-Stellplätze auch hinsichtlich dieser Bauvorhaben zu entscheiden gewesen wäre. Die beklagte Partei hafte daher für die Schäden der klagenden Partei nach den Bestimmungen des AHG. Den Versicherungsnehmer treffe infolge des Unterlassens einer entsprechenden Antragstellung bei der beklagten Partei ein Mitverschulden von 50 %. § 2 Abs 2 AHG sei nicht anzuwenden, weil die dem Versicherungsnehmer zumutbaren Anträge nicht Rechtsmittel seien. Die von der beklagten Partei unterlassene Einrichtung einer Lawinenkommission sei für den Eintritt der Unfallschäden nicht kausal.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge; in Stattgebung der Berufung der beklagten Partei wies es das Klagebegehren zur Gänze ab. Die ordentliche Revision ließ es zu. Nach der Rechtsauffassung der zweiten Instanz habe der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung SZ 53/61 einen Größenschluß gezogen: Wenn schon derjenige, der ein Rechtsmittel gegen den Akt eines Hoheitsträgers unterlasse, seinen Amtshaftungsanspruch verliere, müsse dies umsomehr für denjenigen gelten, der sich eine Anfechtungsmöglichkeit schon dadurch genommen habe, daß er selbst den Akt des Rechtsträgers herbeiführe, indem er ihn beantrage. Dieser Schluß sei hier dahin zu erweitern, daß noch mehr derjenige, der rechtswidrig, nämlich ohne Einholung einer Baubewilligung, ein Bauwerk (hier Kfz-Stellplätze) errichtet habe, dieses jedenfalls ab 1977 in Kenntnis der Lawinengefahr (Bemühungen des Versicherungsnehmers um lawinensichere Verbauung des V*****-Hanges) weiterbetreibe und seinen Gästen zur Verfügung stelle, für daraus entstandene Schäden selbst zu haften habe. Bei Verschulden des Geschädigten habe keine Verschuldensteilung nach § 1304 ABGB zu erfolgen, sondern es erlösche der Anspruch gegen den Rechtsträger insoweit zur Gänze, als durch Rechtsmittel (im weiteren Sinn) hätte Abhilfe geschaffen werden können. Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten gehe hier ausschließlich zu Lasten des Geschädigten, der ja auch den wirtschaftlichen Nutzen aus seiner rechtswidrigen Handlungsweise gezogen habe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der klagenden Partei ist im Ergebnis nicht gerechtfertigt.
Ein rechtswidriges und schuldhaftes Organhandeln in Vollziehung der Gesetze, das den Rechtsträger gemäß § 1 AHG zum Schadenersatz verpflichtet, kann auch in einer Unterlassung bestehen, wenn eine Pflicht des Organs zum Tätigwerden bestand und pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte (EvBl 1989/157; EvBl 1988/140; SZ 59/68 ua; Schragel aaO, Rz 130). In Ansehung des Vorwurfes der klagenden Partei, die beklagte Partei habe die Lawinenkommission nicht zusammentreten lassen, hat bereits das Erstgericht zutreffend erkannt, daß pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt nicht verhindert hätte. Darauf kommt die klagende Partei auch nicht mehr zurück. Wann im einzelnen die Kfz-Stellplätze vom Versicherungsnehmer errichtet bzw erweitert wurden, steht nicht fest; nach der Aussage des Versicherungsnehmers habe er im Laufe der Jahre immer wieder Zu- und Anbauten und Aufbauten vornehmen lassen (ON 7 AS 42). Festgestellt wurde, daß das Hotel in vier Etappen (1934, 1951, 1965, 1969) errichtet wurde. Demnach kann die rechtliche Beurteilung nicht nur unter dem Gesichtspunkt der derzeitigen Tiroler Bauordnung (TBO 1974) erfolgen. Mit Gesetz vom 15.Oktober 1900 wurde für die gefürstete Grafschaft Tirol mit Ausnahme jener Orte, die Bauordnungen auf Grund von Landesgesetzen besaßen, eine Bauordnung erlassen (LGBl 1901/1). Der Landesgesetzgeber hat dieses Gesetz wiederholt novelliert (LGBl 1927/7, 1928/11, 1928/12, 1930/6, 1933/41, 1937/1, 1946/7, 1962/22, 1965/17, 1969/21, 1970/12 und 1972/10); auf Kfz-Stellplätze und ihre Bewilligungspflicht war in diesem Gesetz nicht Bezug genommen, wohl aber darauf, daß zur Führung von Neubauten, Zubauten und Umbauten, sowie zur Vornahme wesentlicher Abänderungen an bestehenden Gebäuden, wodurch in irgendeiner Weise auf die Festigkeit und Feuersicherheit des Gebäudes....., auf die Gesundheit seiner Bewohner oder auf die Rechte der Nachbarn Einfluß geübt wird, die Bewilligung des Gemeindevorstehers erforderlich ist (§ 44, dann § 45 leg.cit.); der Bürgermeister hatte insbesondere darüber zu wachen, daß kein Bau vor rechtskräftiger Baubewilligung ausgeführt wird und bei Wahrnehmung einer Übertretung die Fortsetzung der Arbeiten zu untersagen bzw unverzüglich die Entscheidung der zuständigen Baubehörde einzuholen und erforderlichen Falles das Strafverfahren einzuleiten (§ 56 leg.cit.). Die Verordnung über Garagen und Einstellplätze (Reichsgaragenordnung) vom 17.Februar 1939, dRGBl I, S.219, in Österreich eingeführt durch Verordnung vom 18.November 1939, dRGBl 1939 I, S.2305, GBlÖ 1939/1447, stand nach dem Wiedererstehen Österreichs weiter als Tiroler Landesgesetz entsprechend § 2 R-ÜG in Geltung (VfSlg 2977). Nach § 54 Abs 2 ReichsgaragenO ist mit der für die bauliche Anlage von Einstellplätzen durch die bestehenden Bauvorschriften geforderten baupolizeilichen Genehmigung auch die Genehmigung für den Einstellplatz und seine Zubehöranlagen einzuholen. 1974 erhielt das Land Tirol eine einheitliche Bauordnung (TBO LGBl 1974/42, inzwischen mehrfach novelliert und wiederverlautbart; LGBl 1978/37, 1978/43, 1984/19, 1989/10 und 1989/33), womit ua die Reichsgaragenordnung außer Kraft trat (§ 57 Abs 2 Z 10 TBO). Nach § 25 lit g TBO bedarf die Errichtung oder Änderung von Kfz-Stellplätzen einschließlich der Zu- und Abfahrten einer Bewilligung der Behörde; zuständige Behörde ist nach § 50 Abs 1 TBO der Bürgermeister. Gemäß § 40 Abs 2 TBO hat die Behörde - durch Bescheid - die Fortsetzung der Arbeiten an einem Bauvorhaben zu untersagen, wenn ein bewilligungspflichtiges Bauvorhaben ausgeführt wird, ohne daß eine rechtskräftige Baubewilligung hiefür vorliegt. Wird innerhalb eines Monats nach Zustellung des Untersagungsbescheides nicht nachträglich um die Baubewilligung angesucht oder wird die Baubewilligung nicht erteilt, so hat die Behörde die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes durch Beseitigung der baulichen Anlage, für die keine Bewilligung vorliegt, zu verfügen. Nach § 44 Abs 3 lit a TBO hat die Behörde den Abbruch einer baulichen Anlage innerhalb angemessener Frist anzuordnen, wenn für eine bauliche Anlage eine Bewilligung nicht besteht, obwohl sie bewilligungspflichtig wäre, und der Eigentümer nicht innerhalb eines Monats ab der Zustellung der Androhung des Abbruchauftrages nachträglich um die Erteilung der Baubewilligung angesucht hat oder wenn für diese bauliche Anlage die Baubewilligung versagt worden ist. §§ 40 Abs 2, 44 Abs 3 TBO sind keine Ermessensvorschriften, den - nach § 50 Abs 1 TBO
zuständigen - Bürgermeister der beklagten Gemeinde trifft die Rechtspflicht, tätig zu werden (vgl JBl 1989, 43 zu § 40 Abs 3 TBO). Für ein Einschreiten nach § 53 Abs 1 TBO (Verwaltungsstrafverfahren) ist die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig (§ 53 Abs 2 TBO).
Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, schon § 2 Abs 2 AHG stehe dem Ersatzanspruch der klagenden Partei entgegen, wird vom Obersten Gerichtshof freilich nicht geteilt. Es trifft zu, daß sich die Rechtsprechung stets zu einem weiten Rechtsmittelbegriff bekannte. Dies ist vom Zweck der Regelung des § 2 Abs 2 AHG, den von einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten eines Organs Betroffenen zunächst zu verhalten, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten den Schaden gar nicht entstehen zu lassen, auch gerechtfertigt (Schragel aaO Rz 179). Es muß auch ohne Belang sein, ob der von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellte Behelf formal im selben Verfahren oder in einem besonderen Verfahren zur Verfügung steht, wenn er nur geeignet ist, die schadensverursachenden Folgen eines rechtswidrigen und schuldhaften Organverhaltens durch direkte Einwirkung auf das betreffende Verfahren zu verhindern oder zu verringern (Schragel aaO Rz 179). Es hieße aber den Begriff des Rechtsmittels überdehnen, wollte man darunter auch Maßnahmen zur Ingangsetzung neuer, selbständiger Verfahren verstehen, die einen drohenden Schaden abwenden sollen (vgl Schäfer in Staudinger Komm.12 Rz 470 zu § 839 BGB; Papier in Münchener Komm.2 Rz 287 zu § 839 BGB). Die Unterlassung derartiger Schritte kann freilich ein Mitverschulden gemäß § 1304 ABGB begründen. Demnach sind aber auch die Unterlassung eines Bauansuchens, die Einholung einer Benützungsgenehmigung oder gleichzuhaltende Schritte nicht als Unterlassung eines Rechtsmittels zu qualifizieren. Da die Grundsätze des bürgerlichen Rechts im Amtshaftungsrecht gelten, stehen dem haftungspflichtigen Rechtsträger aber auch alle Einwendungen zu, die nach bürgerlichem Recht dem Anspruch des Klägers entgegengehalten werden können; insbesondere kann ein Mitverschulden des Geschädigten geltend gemacht werden (SZ 51/7;
JBl 1970, 261 ua; Schragel aaO, Rz 155; Vrba-Zechner, Kommentar
zum Amtshaftungsrecht 186 und in ÖJZ 1981, 626 mwN; Koziol,
Österr. Haftpflichtrecht2 II 380). Bei Wertung eines
Mitverschuldens im Bereich der Vollziehung der Gesetze ieS wird stets zu berücksichtigen sein, daß Organe der Rechtsträger ohne Rücksicht auf das Verhalten der Parteien und Beteiligten verpflichtet sind, sich rechtmäßig zu verhalten, so daß in der Regel ein Mitverschuldenseinwand nur bei verfahrensfreien Verwaltungsakten - hier Unterlassungen - zum Tragen kommen wird (Schragel aaO, Rz 155). Nach herrschender Auffassung hat das Mitverschulden iS des § 1304 ABGB kein Verschulden im technischen Sinn zur Voraussetzung; nicht einmal Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nötig, sondern nur eine, für den Schadeneintritt kausale Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (SZ 54/85, SZ 51/188; Koziol aaO, I 236 f; Schragel aaO, Rz 155; Reischauer in Rummel, Rz 1 zu § 1304 mwN; Mayrhofer in Ehrenzweig, Das Recht der Schuldverhältnisse Allgemeine Lehren3 304 f). Das Vorliegen beidseitigen Verschuldens wird in der Regel zu einer Schadensteilung führen, doch kann nach Lehre und Rechtsprechung trotz Mitverschuldens eine alleinige Schadenstragung durch den Schädiger oder den Geschädigten in Betracht kommen (SZ 32/71;
1 Ob 19/82). Hat etwa der Geschädigte selbst bewußt zu seinem Nachteil gehandelt, so wird eine Schadenersatzpflicht des fahrlässigen Schädigers zur Gänze entfallen (1 Ob 19/82 ua;
Schragel aaO, Rz 155; Koziol aaO, 241 mwN in FN 36; Harrer in Schwimann, Rz 40 zu § 1304 mwN); gleiches gilt, wenn außergewöhnlich grober Fahrlässigkeit nur eine leichte Fahrlässigkeit gegenübersteht (vgl Mayrhofer aaO, 305 mwN in FN 11; Reischauer aaO, Rz 5 zu § 1304).
Wenn die Kfz-Stellplätze nach dem Inkrafttreten der TBO 1974 (1.Jänner 1975) errichtet oder zumindest erweitert wurden, erweist sich bei Abwägung des beiderseitigen Verschuldens das Verschulden des Versicherungsnehmers, der in Kenntnis der Lawinengefahr für die Kfz-Stellplätze bei seinem Hotel weder ein Bauansuchen zur Errichtung bzw Erweiterung seiner Kfz-Stellplätze noch ein Ansuchen um Benützungsbewilligung (§ 43 TBO) stellte, als derart gravierend, daß ein Mitverschulden der Organe der beklagten Partei, das darin liegt, daß sie von den ihnen nach der TBO eingeräumten Möglichkeiten (§§ 40, 44 TBO) keinen Gebrauch machten, nicht ins Gewicht fällt. Vor dem Inkrafttreten der TBO 1974 bestand eine Bewilligungspflicht zur Errichtung von Kfz-Stellplätzen nicht nach der Bauordnung für Tirol LGBl 1901/1 idgF, sondern nur nach der Reichsgaragenordnung, wenn etwa im Zuge einer Vergrößerung des Hotels Abstellplätze zu errichten waren (§ 54 Abs 2 iVm § 2 Abs 2 Reichsgaragenordnung). Rechtsfolgen der Verletzung dieser Bestimmungen war die Einleitung eines, nicht in die Zuständigkeit der beklagten Partei fallendes Verwaltungsstrafverfahrens. Aber selbst bei Annahme einer Pflicht des Bürgermeisters zum Einschreiten nach der Bauordnung für Tirol, LGBl 1901/1, wäre bei Abwägung des beiderseitigen Verschuldens das Verhalten der Parteien nicht anders zu beurteilen als nach der TBO 1974. Ob der Versicherungsnehmer offenbar aus wirtschaftlichen Erwägungen kein Bauansuchen stellte, ist für die Frage des Verschuldens nicht relevant.
Das Berufungsgericht hat somit das Klagebegehren zu Recht abgewiesen. Auf die übrigen Einwendungen der beklagten Partei kommt es dann nicht mehr an. Der Revision ist nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E27334European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0010OB00038.9.0918.000Dokumentnummer
JJT_19910918_OGH0002_0010OB00038_9000000_000