Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Thomas R*****, geboren am 20. November 1979, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien als Unterhaltssachwalter, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 2. Mai 1991, GZ 47 R 300/91-102, womit infolge Rekurses des Minderjährigen der Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 10. April 1991, GZ 7 P 151/87-98, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Nach den Angaben der Mutter des Minderjährigen hat der Vater Peter R*****, der bis dahin mit ihr in aufrechter ehelicher Gemeinschaft gelebt hatte, seit 27. Mai 1981 seine Familie verlassen; seither ist er unbekannten Aufenthalts.
Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 9. August 1982 wurde der Vater zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 1.230 an seinen Sohn verhalten; dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen. Seither bezieht das Kind Unterhaltsvorschüsse.
Am 4. Jänner 1991 beantragte der zum Unterhaltssachwalter bestellte Magistrat der Stadt Wien namens des Minderjährigen die Erhöhung der monatlichen Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf S 3.020 ab dem Antragstag. Dieser habe unmittelbar vor seinem "Verschwinden" als Hotelportier monatlich S 15.000 brutto verdient; er sei nur für den Minderjährigen sorgepflichtig. Daß er seither unbekannten Aufenthaltes und deshalb seine derzeitige Beschäftigung nicht bekannt sei, dürfe dem Minderjährigen nicht zum Nachteil gereichen. Die Bedürfnisse des Kindes hätten sich seit der einzigen Unterhaltsbemessung wesentlich erhöht; der Vater sei gewiß in der Lage, ein Einkommen zu erzielen, mit dem er den Durchschnittsbedarf des Kindes decken könne.
Das Erstgericht wies den Unterhaltserhöhungsantrag ab. Aufgrund der Aktenlage sei es nicht möglich, die derzeitigen Lebensverhältnisse des Vaters zu erheben, sodaß dessen Unterhaltsverpflichtung nicht erhöht werden könne.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Rechtsmittelwerber habe seine im Rekurs aufgestellten Behauptungen über das letzte bekannte Einkommen des Vaters nicht unter Beweis gestellt. Da über die derzeitigen Lebensverhältnisse des Vaters keine Feststellungen getroffen werden könnten und dem Pflegschaftsgericht ein Rückgriff auf frühere Umstände verwehrt sei, habe es den Erhöhungsantrag zu Recht abgewiesen.
Der ao. Revisionsrekurs des Minderjährigen ist berechtigt.
Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt allerdings nicht vor (§ 16 AußStrG iVm § 510 Abs. 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung SZ 53/54 = ÖA 1980, 23 mit Billigung von Pichler (ÖA 1981, 67) ausgesprochen, die Beweislast dafür, daß der Unterhaltspflichtige zur Zahlung der der allgemeinen Veränderung der Lebenshaltungskosten und der Einkommensverhältnisse sowie dem erhöhten Bedarf des älter gewordenen Kindes entsprechenden erhöhten Unterhaltsleistungen außerstande sei, treffe diesen, sofern der Unterhaltserhöhungsantrag des Minderjährigen gegen den Unterhaltspflichtigen, der unbekannten Aufenthaltes ist, lediglich auf solche Umstände gestützt wird (ebenso ÖA 1991, 23). Handelt es sich - wie hier - nicht um eine Erstbemessung, so ist bis zum Beweis des Gegenteils von jenen Verhältnissen auszugehen, die dieser Erstfestsetzung zugrunde gelegt wurden. Auch in Verfahren, die vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht werden, hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen; daher muß derjenige, der eine für die Unterhaltsbemessung maßgebliche, zu seinen Gunsten ausschlaggebende Änderung der Verhältnisse, die sich nicht bloß auf die allgemeine Veränderung der Lebenshaltungskosten und Einkommensverhältnisse sowie den gestiegenen Bedarf des älter gewordenen Kindes beschränkt, behauptet, diese Änderung auch unter Beweis stellen. Der Minderjährige begehrt nun in der Tat lediglich die Anpassung der Unterhaltsverpflichtung an die seit der vor etwa neun Jahren erfolgten Erstbemessung eingetretenen Nominallohnsteigerung und - vor allem - seinen altersbedingt erhöhten Bedarf; eine reale Steigerung der Leistungsfähigkeit unterstellt der Minderjährige seinem Vater nicht. Dann wäre es aber dessen Sache, eine ihn entlastende Änderung der Umstände im Sinne verminderter Leistungsfähigkeit zu beweisen.
Von diesen Grundsätzen abzugehen, besteht kein Anlaß. Soweit in der Entscheidung EvBl. 1990/156 die Ansicht vertreten wird, auf die Anspannung des Unterhaltspflichtigen gestützte Unterhaltsbemessungsverfahren blieben im allgemeinen dann aussichtslos, wenn der Unterhaltspflichtige schon lange Zeit hindurch unbekannten Aufenthaltes ist, kann jedenfalls so weit nicht beigepflichtet werden, als die Beweislast den Unterhaltspflichtigen trifft (ebenso auch ÖA 1991/23).
Diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen nicht Rechnung getragen. Deren Verfahren ist deshalb mangelhaft geblieben. Das Erstgericht wird nach den noch erforderlichen Erhebungen in Bindung an die weiter oben angestellten Erwägungen des Obersten Gerichtshofes über den Erhöhungsantrag des Minderjährigen neu zu entscheiden haben.
Anmerkung
E27324European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0010OB00597.91.0918.000Dokumentnummer
JJT_19910918_OGH0002_0010OB00597_9100000_000