TE OGH 1991/9/24 10ObS173/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.1991
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Felix Joklik und Dr.Gottfried Winkler (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf K*****, vertreten durch Dr.Gerald Reiter, Sekretär der Arbeiterkammer Linz, 4020 Linz, Volksgartenstraße 40, dieser vertreten durch Dr.Harry Zamponi, Dr.Josef Weixelbaum, Dr.Helmut Trenkwalder und Dr.Sebastian Mairhofer, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Gewährung eines Kostenzuschusses für Zahnersätze, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.April 1991, GZ 12 R 21/91-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 28.Dezember 1990, GZ 5 Cgs 171/89-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG die Anträge

1.

§ 95 Abs 3 BSVG nach Art 140 Abs 1 B-VG als verfassungswidrig,

2.

§ 25 Abs 3 lit c der Satzung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 15.3.1974 nach Art 139 Abs 1 B-VG als gesetzwidrig und

              3.              § 12 Abs 3 Satz 1 der Krankenordnung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 28.11.1975 ebenfalls nach Art 139 Abs 1 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben.

Text

Begründung:

I. Zum Sachverhalt:

Beim Kläger wurde im September 1988 von einem Zahnarzt in Ungarn eine zwölfstellige Keramikbrücke im Oberkiefer sowie eine sechsstellige Keramikbrücke im rechten und eine fünfstellige Keramikbrücke im linken Unterkiefer angebracht. Es wurden ihm hiefür 58.900 Forint in Rechnung gestellt.

Die beklagte Partei gewährte dem Kläger für die Brücke im linken Unterkiefer einen Kostenzuschuß von 2.500 S und lehnte die Gewährung eines Kostenzuschusses für die beiden anderen Brücken mit der Begründung ab, daß sie weder den wirtschaftlichen noch den medizinischen Anforderungen entsprächen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger den Kostenersatz für drei Keramikbrücken zu leisten, ab. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Bei der Brücke im Oberkiefer müssen vier Pfeilerzähne acht Brückenzwischenglieder tragen, sodaß auf einen Pfeilerzahn die Belastung von zwei weiteren Zähnen (Brückengliedern) fällt. Als Grundregel gilt aber, daß ein gesunder Zahn höchstens einen gleichgroßen Zahn mittragen darf. Nach der üblichen Punktebewertung für die einzelnen verschieden großen und kräftigen Zähne darf die Summe der Punkte für die ersetzten Zähne die Summe der Punkte für die Pfeilerzähne nicht übersteigen. Beim Kläger ergeben sich unter Berücksichtigung einer Paradentose für die Pfeilerzähne 6,0 Punkte, für die ersetzten Zähne hingegen 9,2 Punkte, weshalb die Pfeilerzähne um mehr als 50 % überlastet sind. Ein weiterer Mangel der beim Kläger angebrachten Brücken besteht darin, daß bei den Zähnen 4 und 5 rechts kein Kontakt mit dem Gegenkiefer zustandekommt.

Die Lebensdauer der beim Kläger angebrachten Oberkieferbrücke beträgt etwa drei Jahre (ab März 1990), die voraussichtliche Lebensdauer der Brücke im rechten Unterkiefer fünf bis sechs Jahre. Nach Ablauf von drei Jahren werden die vier Pfeilerzähne im Oberkiefer voraussichtlich wegen Lockerung entfernt werden müssen und es wird eine Oberkiefertotalprothese notwendig werden. Die Art, wie die Brücken angelegt wurden, entspricht nicht dem österreichischen medizinischen Standard. In Österreich wäre dem Kläger entweder eine Teleskopkrone mit einer Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren oder eine Klammerkrone mit einer Lebensdauer von 10 bis 20 Jahren angefertigt worden. Die Kosten hiefür wären zwischen 40.000 S bis 50.000 S gelegen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß ein Kostenersatz nur in Betracht komme, wenn die Behandlung sowohl nach dem Stand der medizinisch anerkannten Wissenschaft, also der Schulmedizin, als auch wirtschaftlich durchgeführt worden sei. Da die erste Voraussetzung hier nicht erfüllt sei, habe der Kläger keinen Anspruch auf Kostenersatz.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil des Erstgerichtes erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 50.000 S nicht übersteigt, und daß die Revision zulässig sei. Dem Kläger seien die aufgewendeten Kosten nicht zu ersetzen, weil die vorgenommenen Behandlung dem Erfordernis der Zweckmäßigkeit nicht entspreche. Wegen der festgestellten Mängeln sei das Ziel eines Zahnersatzes, nämlich die dauerhafte Wiederherstellung der funktionellen Kaufähigkeit, nicht erreicht und überdies die in absehbarer Zeit notwendig werdende fachmännische prothetische Versorgung wesentlich erschwert.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die rechtzeitige und zulässige Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, über die der Oberste Gerichtshof zu entscheiden hat.

II. Zur Präjudizialität:

Die grundlegende Regelung über den Zahnersatz enthält in dem hier maßgebenden Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) BGBl 1978/559 § 95 Abs 3, der lautet:

"(3) Zu den Kosten eines unentbehrlichen Zahnersatzes und seiner Instandsetzung sind nach Maßgabe der Satzung Zuschüsse zu gewähren."

Den zu leistenden Kostenersatz regelt § 25 Abs 3 der Satzung der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 15.3.1974, der in dem hier maßgebenden Teil lautet:

"(3) Werden Zahnersatz bzw Kieferregulierungen durch

Vertragszahnärzte, Vertragsdentisten oder in

Vertragseinrichtungen gewährt, hat der Versicherte zu den

tariflichen Kosten bei

..................

c) Voll-Metallkronen an Klammerzähnen, bei Teilprothesen

(darunter sind Vollgußkronen und Bandkronen mit gegossener

Kaufläche zu verstehen) 50 vH der vertraglich festgelegten Tarife

als Zuzahlungen zu leisten. ........"

Mit dem Zahnersatz beschäftigt sich außerdem noch § 12 Abs 3 der Krankenordnung der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 28.11.1975, der lautet:

"(3) Der Zahnersatz hat die medizinisch-funktionelle Wiederherstellung der Kaufähigkeit so weit als möglich zu gewährleisten; er ist jedoch in wirtschaftlichem und zweckmäßigem Umfang anzufertigen. Für Sonderausführungen, die über diesen Umfang hinausgehen, ist keine zusätzliche Leistungserbringung möglich. Aus kosmetischen Gründen angefertigter Zahnersatz wird nicht vergütet. Dasselbe gilt in gleicher Weise auch für Neuherstellungen und Reparaturen."

Alle diese Bestimmungen, von der Krankenordnung aber jedenfalls Satz 1 des § 12 Abs 3, sind iVm § 95 Abs 6 und § 88 BSVG dafür maßgebend, auf welche Leistungen der Kläger wegen des bei ihm angefertigten Zahnersatzes Anspruch hat. Sie sind daher vom Obersten Gerichtshof bei der Entscheidung über die Revision des Klägers anzuwenden, weshalb Präjudizialität besteht. Dies gilt trotz der abweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen auch für § 25 Abs 3 der Satzung, weil die Möglichkeit besteht, daß der Anspruch des Klägers auf einen Kostenzuschuß dem Grunde nach zu bejahen ist (vgl VfSlg 10.296).

III. Zu den Bedenken gegen die Verfassungs- bzw

Gesetzmäßigkeit:

Zu § 95 Abs 3 BSVG:

Die Satzung der Versicherungsträger ist ihrer Struktur nach eine Verordnung (VfSlg 1798, 3219, 3709, 5422 ua). Durch Art 18 Abs 2 B-VG wird der Gesetzgeber verpflichtet, den Regelungsspielraum der Verwaltung für die Erlassung von Durchführungsverordnungen so weit einzuengen, daß alle wesentlichen Merkmale einer näheren Konkretisierung des Gesetzes im Verordnungsweg bereits dem Gesetz selbst zu entnehmen sind. Gesetzliche Regelungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, sind wegen Undeterminiertheit verfassungswidrig; soweit es sich dabei um eine ausdrückliche Verordnungsermächtigung handelt, spricht man von einer formalgesetzlichen Delegation (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts4 170; Adamovich-Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3 252; Aichleitner, Österreichisches Verordnungsrecht Band 2, 986; VfSlg 6289, 7334, 7903 uva).

Nun ist zwar die Prüfung der Frage, ob eine formalgesetzliche Delegation oder aber eine dem Art 18 Abs 2 B-VG entsprechende gesetzliche Ermächtigung zur Erlassung von Verordnungen vorliegt, nicht notwendigerweise und allein auf jene Bestimmung beschränkt, welche die ausdrückliche Ermächtigung zur Verordnungserlassung enthält, sondern es ist bei einer solchen Prüfung vielmehr der gesamte Inhalt des in Prüfung gezogenen Gesetzes zu berücksichtigen (VfSlg 2381, 3322, 3360, 3993 ua). Nun zählt zwar § 74 Abs 1 Z 3 BSVG die Vorsorge für Zahnbehandlung und Zahnersatz zu den Aufgaben der Krankenversicherung, doch enthält die Aufzählung der Leistungen der Krankenversicherung im § 75 BSVG keine Bestimmungen über die Zahnbehandlung und den Zahnersatz. Dieser wird vielmehr in § 95 BSVG gesondert geregelt, weshalb, abgesehen von den in dieser Bestimmung enthaltenen Verweisungen, die für andere Krankheitsfälle normierten Leistungsgrundsätze für die Zahnbehandlung und den Zahnersatz nicht herangezogen werden können. Hier kämen daher nur § 95 Abs 4 BSVG in Betracht, wonach die Kostenzuschüsse für die entsprechenden Leistungen in den eigenen Einrichtungen, den Vertragseinrichtungen und bei den Vertragsärzten und Vertragsdentisten gleich hoch sein müssen, und ferner § 95 Abs 6 ASVG, wonach § 88 Abs 1 bis 3 dieses Gesetzes entsprechend gilt, wenn der Anspruchsberechtigte zur Erbringung der Leistungen des Zahnersatzes nicht die Vertragspartner, die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen der Bauernkrankenversicherung in Anspruch nimmt. Auch aus diesen Bestimmungen kann aber nicht entnommen werden, nach welchen Kriterien die Höhe der im § 95 Abs 3 BSVG genannten Zuschüsse in der Satzung festzulegen ist; überdies lassen sowohl § 95 Abs 3 BSVG als auch die angeführten Bestimmungen die Möglichkeit offen, daß in der Satzung besondere Voraussetzungen für die Gewährung der Zuschüsse bestimmt werden. Dem § 95 Abs 3 BSVG sind daher weder für sich allein noch im Zusammenhang mit anderen gesetzlichen Bestimmung die wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung zu entnehmen, weshalb nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes Bedenken bestehen, ob er nicht eine verfassungswidrige formalgesetzliche Delegation enthält.

In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, daß der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 30.4.1991, 10 Ob S 63/91, den Antrag auf Aufhebung des vergleichbaren § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG gestellt hat, der beim Verfassungsgerichtshof unter G 245/91 eingetragen ist.

Zu § 25 Abs 3 lit c der Satzung:

Ist § 95 Abs 3 BSVG verfassungswidrig, so fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für die die Höhe der Kostenzuschüsse festsetzende Bestimmung der Satzung, weshalb diese gesetzwidrig ist. Da hier nur die Anwendung des § 25 Abs 3 lit c der Satzung in Betracht kommt, kann auch nur die Aufhebung dieser Bestimmung beantragt werden.

Zu § 12 Abs 3 der Krankenordnung:

Gemäß § 214 BSVG hat der Versicherungsträger eine Krankenordnung aufzustellen, die insbesondere das Verhalten der Versicherten und der Leistungsempfänger im Leistungsfalle, das Verfahren bei Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenversicherung und die Überwachung der Kranken zu regeln hat. Demgegenüber - und im übrigen entgegen dem § 1 Abs 1 der Krankenordnung - wird im § 12 Abs 3 der Krankenordnung nicht eine der genannten Angelegenheiten geregelt, sondern es wird darin festgelegt, welchen Erfordernissen der Zahnersatz entsprechen muß, damit hiefür eine Leistung der Krankenversicherung erbracht wird. Für eine solche Regelung fehlt aber die gesetzliche Grundlage im BSVG. Wenn auch das Wort "insbesondere" im § 214 dieses Gesetzes zuläßt, daß in der Krankenordnung auch andere als die im Gesetz ausdrücklich angeführten Angelegenheiten geregelt werden, so muß es sich im Sinn einer verfassungskonformen Auslegung doch um den angeführten vergleichbare Angelegenheiten handeln, weil sonst § 214 BSVG wegen Undeterminiertheit ebenfalls verfassungswidrig wäre.

Überdies könnte man § 95 Abs 3 BSVG dahin verstehen, daß darin die Voraussetzungen für den Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten eines Zahnersatzes abschließend festgelegt werden sollten. Es wäre dann daraus abzuleiten, daß einzige Voraussetzung für die Gewährung eines Zuschusses die Unentbehrlichkeit des Zahnersatzes ist. In diesem Fall würde § 12 Abs 3 der Krankenordnung dem § 95 Abs 3 BSVG widersprechen und wäre daher aus diesem Grund gesetzwidrig, weil er nicht allein auf die Unentbehrlichkeit des Zahnersatzes abstellt, sondern auf dessen Funktionsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Es bestehen daher aus beiden Gründen Bedenken in der Richtung, daß der - hier allein in Betracht kommende - Satz 1 des § 12 Abs 3 der Krankenordnung, bei der es sich wie bei der Satzung um eine Verordnung handelt (Tomandl in Tomandl, Sozialversicherungssystem4 4.ErgLfg 15 mwN in FN 14; Korinek in Tomandl aaO 499 mwN in FN 17 und 18), gesetzwidrig sein könnte.

Anmerkung

E27643

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00173.91.0924.000

Dokumentnummer

JJT_19910924_OGH0002_010OBS00173_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten