TE OGH 1991/9/24 10ObS223/91

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Veröffentlicht am 24.09.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Gottfried Winkler (Arbeitgeber) und Mag. Karl Dirschmied (Arbeitnehmer) in der Rechtssache der klagenden Partei Horst E*****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei VERSICHERUNGSANSTALT ÖFFENTLICH BEDIENSTETER (BVA), 1081 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versehrtenrente infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Mai 1991, GZ 12 Rs 33/91-21, womit das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 31. Dezember 1990, GZ 26 Cgs 47/90-18, teilweise aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten der Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 26.4.1990 anerkannte die beklagte Partei den Unfall des Klägers vom 18.9.1989 als Dienstunfall iS des § 90 B-KUVG, gewährte ihm für die Folgen nach den §§ 93 und 101 bis 103ff leg cit vom 20.11.1989 bis 31.5.1990 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente und sprach aus, daß vom 1.6.1990 an keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr gegeben sei. Letzteres begründete sie damit, daß seit 1.6.1990 keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr feststellbar sei. Weil eine Versehrtenrente nach § 101 B-KUVG nur während der Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 vH gebühre, entfalle von diesem Zeitpunkt an die Gewährung dieser Rente.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 17.5.1990 Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zu verurteilen, ihm für die Folgen des Dienstunfalles vom 18.9.1989 über den 31.5.1990 hinaus eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente zu gewähren. Der Kläger behauptete, die Befristung der Versehrtenrente mit 31.5.1990 sei tatsachen- und rechtswidrig, weil die beklagte Partei die Minderung der Erwerbsfähigkeit falsch eingeschätzt habe. Das beim Dienstunfall verletzte linke Sprunggelenk sei nämlich nach wie vor instabil, ein sog "Schlottergelenk". Er sei beim Auftreten unsicher und kippe auf unebenem Boden um. Weil er noch große Beschwerden und Schmerzen im Bereich des Sprunggelenks habe, absolviere er derzeit eine physikalische Therapie. Sollte diese wirkungslos bleiben, sei eine neuerliche Operation wahrscheinlich.

Die beklagte Partei wendete ein, die durch die Folgen des Dienstunfalls bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit liege seit 1.6.1990 mit 10 vH unter dem berentungsfähigen Mindestausmaß und beantragte deshalb die Abweisung der Klage.

In der Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 10.10.1990 brachte der Kläger ergänzend vor, daß er wegen der durch den Dienstunfall vom 18.9.1989 verursachten Sprunggelenksverletzung vom 2.4. bis 4.7.1990 im Krankenstand gewesen sei. Deshalb dehnte er das Klagebegehren dahin aus, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm für die Folgen dieses Dienstunfalles für die Zeit vom 2.4. bis 4.7.1990 eine 100 %ige Versehrtenrente (richtig Vollrente) samt Zusatzrente für Schwerversehrte und Kinderzuschuß für ein Kind und vom 5.7.1990 an eine vorläufige (Teil-)Versehrtenrente von 20 vH (der Vollrente) zu zahlen.

In einem am 12.11.1990 eingelangten vorbereitenden Schriftsatz vom 31.10.1990 teilte die beklagte Partei mit, sie beabsichtige, hinsichtlich des in der Tagsatzung vom 10.10.1990 behaupteten unfallbedingten Krankenstandes vom 2.4. bis 3.7.1990 ein Verfahren in Leistungssachen zu eröffnen. Gegen den zu erlassenden Bescheid sei wiederum eine Klage möglich. Im Gegenstand werde die Erlassung eines Urteils unter Beachtung des Grundsatzes der sukzessiven Kompetenz beantragt.

Mit Urteil vom 31.12.1990 wies das Erstgericht das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger für die Zeit vom 2.4. bis 4.7.1990 eine 100 %ige Versehrtenrente einschließlich Zusatzrente für Schwerversehrte und einen Kinderzuschuß für ein Kind sowie vom 5.7.1990 an eine 20 %ige vorläufige Versehrtenrente zu zahlen, ab.

Dabei ging es von folgendem Sachverhalt aus:

Der Kläger erlitt bei dem Dienstunfall vom 18.9.1989 eine Teilverrenkung des linken oberen Sprunggelenks mit einem Einriß des vorderen und hinteren Bandapparates. Diese Verletzung wurde operativ versorgt und anschließend mit einem Gipsverband behandelt. Derzeit bestehen noch eine mäßige Instabilität des linken Sprunggelenks lateral, eine geringgradige Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks links und ein Zustand nach Bänderriß und Operation des rechten Sprunggelenks mit mäßiger Instabilität. Es zeigt sich keinerlei Muskelverschmächtigung und auch im Sprunggelenksbereich keine Schwellung oder Ödembildung. Die noch etwas verdickte Narbe über dem Sprunggelenk ist reaktionslos und nicht druckempfindlich. Die Bewegung im linken Sprunggelenk ist in der Endlage gegenüber rechts geringgradig eingeschränkt. Unabhängig von diesem Dienstunfall besteht am rechten Sprunggelenk ebenfalls ein Zustand nach Bänderriß mit Operation und einer mäßigen Instabilität lateral. Vom 2.4. bis 4.7.1990 war der Kläger wegen Beschwerden im linken Sprunggelenk im Krankenstand und bekam eine physikotherapeutische Behandlung.

In der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, daß die festgestellten Unfallsfolgen vom 1.6.1990 an nur noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 vH bedingten. Damit werde das im § 101 Abs 1 B-KUVG geforderte Mindestmaß von 20 vH nicht erreicht, weshalb das auf eine Versehrtenrente über den 31.5.1990 gerichtete Klagebegehren abzuweisen sei. Das ausgedehnte Klagebegehren sei unter Beachtung des Grundsatzes der sukzessiven Kompetenz abzuweisen, weil darüber bei der beklagten Partei noch kein Verfahren stattgefunden habe und eine diesbezügliche Klage erst gegen einen allfälligen Bescheid der beklagten Partei einzubringen wäre.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, insoweit sie die Abweisung des Begehrens auf Zuerkennung einer 20 %igen Versehrtenrente vom 5.7.1990 an bekämpfte, mit Teilurteil nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil in diesem Umfang als Teilurteil (Punkt 1. der Entscheidung). Im übrigen hob es das erstgerichtliche Urteil mit Beschluß auf und verwies die Sache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück, wobei es den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig erklärte (Punkt 2. der Entscheidung).

In der Begründung des Aufhebungsbeschlusses führte die zweite Instanz aus, daß der Bescheid der beklagten Partei vom 26.4.1990 durch die Klage nach § 71 Abs 1 ASGG zur Gänze außer Kraft getreten sei, auch wenn ursprünglich nur die Nichtzuerkennung einer Rente über den 31.5.1990 hinaus streitgegenständlich gewesen sei. Eine Aufspaltung in verschiedene Zeiträume sei nämlich, wie sich aus SSV-NF 1/1 und 2/131 ergebe, nicht möglich. Deshalb sei die Ausdehnung des Klagebegehrens hinsichlich des Ausmaßes der begehrten Leistung zulässig gewesen, weil das geänderte Klagebegehren auf keinem neuen Klagegrund beruhe, über den im angefochtenen Bescheid noch nicht erkannt worden sei. Das Erstgericht habe § 88 ASGG übersehen. Weil der Kläger nunmehr eine weitere, nämlich eine 100 %ige durch den Dienstunfall bedingte Erwerbsunfähigkeit behaupte, was zu einer höheren Versehrtenrente führen könnte, zur behaupteten Verschlimmerung in der Zeit vom 2.4. bis 4.7.1990 vom Erstgericht aber keine Beweise aufgenommen worden seien, sei seine Entscheidung in diesem Umfang ergänzungsbedürftig.

Rechtliche Beurteilung

Nur gegen den Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß das Klagebegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 100 vH der Vollrente einschließlich Zusatzrente für Schwerversehrte und Kinderzuschuß für ein Kind für die Zeit vom 2.4. bis 4.7.1990 und die Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente vom 5.7.1990 an mangels Zulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen bzw abgewiesen, somit das erstgerichtliche Urteil bestätigt werde.

Der Kläger beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Partei zu "verwerfen" und den angefochtenen Aufhebungsbeschluß zu bestätigen.

Der Rekurs ist nach § 47 Abs 2 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 leg cit zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

Die vorliegende Rechtsstreitigkeit über den Bestand und den Umfang des Anspruches des Klägers auf eine Versehrtenrente ist eine Sozialrechtssache iS des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG. In einer solchen Leistungssache darf nach § 67 Abs 1 Z 1 leg cit - vorbehaltlich des hier nicht in Frage kommenden § 68 - vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat.

Wird in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG die Klage rechtzeitig erhoben, so tritt gemäß § 71 Abs 1 leg cit der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft.

Wird eine Klage erhoben, obwohl die ua im § 67 ASGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, so ist die Klage nach § 73 leg cit in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen.

Nach § 86 ASGG ist in Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1

Z 1.... ASGG eine Änderung der Klage hinsichtlich des

Gesundheitszustandes, des Ausmaßes der vom Versicherten

eingeklagten Versicherungsleistung (des Teils der

Versicherungsleistung).... ohne Zustimmung des Beklagten bis zum

Schluß der mündlichen Verhandlung zulässig. Die §§ 67 und 69 sind insoweit nicht anzuwenden.

Bei Anwendung der zit Verfahrensbestimmungen ergibt sich für den vorliegenden Fall:

Mit dem Bescheid vom 26.4.1990 stellte die beklagte Partei nach § 129 B-KUVG von Amts wegen fest, daß dem Kläger für die Folgen des als Dienstunfall anerkannten Unfalles vom 18.9.1989 (nur) vom 20.11.1989 bis 31.5.1990 eine vorläufige Versehrtenrente (lediglich) im Ausmaß von 20 vH der Vollrente gebühre und daß vom 1.6.1990 an eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr gegeben sei. Deshalb entfalle von diesem Zeitpunkt an, wie in der Bescheidbegründung ausgeführt wird, nach § 101 B-KUVG die Gewährung einer Versehrtenrente.

Mit dem genannten Bescheid hat die beklagte Partei daher nicht nur über den Bestand und den Umfang des Anspruches des Klägers auf eine Versehrtenrente (nur) im Ausmaß von 20 vH der Vollrente bis 31.5.1990, sondern auch über den (Nicht-)Bestand eines Anspruches auf eine Versehrtenrente ab 1.6.1990 entschieden.

Der Kläger durfte daher in dieser Leistungssache Klage erheben, deren Begehren sich - entgegen der Ansicht der Rekurswerberin - zulässigerweise auch auf eine Versehrtenrente über den 31.5.1990 hinaus, also auf Weitergewährung der im angefochtenen Bescheid mit 31.5.1990 zeitlich begrenzten Versehrtenrente, infolge der nach § 86 ASGG zulässigen Klageausdehnung für die Zeit vom 2.4. bis 4.7.1990 aber auch auf eine Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente samt Zusatzrente und Kinderzuschuß richten konnte.

Daß der angefochtene Bescheid außer Kraft getreten ist, wird von der Rekurswerberin für die Zeit vom 20.11.1989 bis 31.5.1990, die von ihr rechtsirrtümlich als alleiniger Gegenstand ihres Bescheides angesehen wird, ausdrücklich zugestanden, trifft jedoch nach der dargestellten Gesetzeslage auch für die Zeit vom 1.6.1990 an zu.

Das Berufungsgericht ist daher ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß die Klage auch hinsichtlich des ausgedehnten Begehrens zulässigerweise erhoben wurde und daher nicht nach § 73 ASGG zurückzuweisen, sondern sachlich zu erledigen ist.

Die zutreffende Meinung des Berufungsgerichtes, daß hinsichtlich der für die Zeit des Krankenstandes vom 2.4. bis 4.7.1990 behaupteten, zu völliger Erwerbsunfähigkeit führenden Verschlimmerung der Unfallsfolgen keine Beweise aufgenommen und auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen wurden, wird im Rekursverfahren nicht bekämpft. Wenn die dem Aufhebungsbeschluß zugrunde liegende Rechtsansicht richtig ist, darf der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die vom Berufungsgericht für nötig erachteten Verfahrensergänzungen tatsächlich erforderlich sind (stRsp zB MGA ZPO14 § 519 E 49).

Deshalb war dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E27633

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00223.91.0924.000

Dokumentnummer

JJT_19910924_OGH0002_010OBS00223_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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