Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton J. G*****, Immobilienverwalter, ***** vertreten durch Dr. Johann-Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Brigitte B*****, im Haushalt, ***** vertreten durch Dr. Dieter Böhmdorfer und Dr. Wolfram Themmer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Wiederaufnahme des beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu AZ ***** über die Klage der Wiederaufnahmsbeklagten gegen den Wiederaufnahmskläger wegen grundbücherlicher Löschung eines Eigentumsrechtes anhängig gewesenen Rechtsstreites infolge Revisionsrekurses der widerklagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 23. April 1991, GZ 45 R 661/90(ON 17), womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 27.Juni 1990, GZ 21 C 558/90-12, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird stattgegeben. Der angefochtene Beschluß wird im Sinne einer (ersatzlosen) Aufhebung des erstinstanzlichen Klagszurückweisungsbeschlusses abgeändert und dem Prozeßgericht erster Instanz die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind Kosten des fortzusetzenden Verfahrens.
Text
Begründung:
Nach dem im erstinstanzlichen Urteil des vorangegangenen Rechtsstreites als unbestritten zugrunde gelegten Sachverhalt hatte sich der nunmehrige Wiederaufnahmskläger am 19.Oktober 1981 von einer damals im 76.Lebensjahr gestandenen Wohnungseigentümerin am 27.Tag ihres stationären Krankenhausaufenthaltes eine Spezialvollmacht zum Verkauf ihrer Eigentumswohnung unter ausdrücklicher Zustimmung zum Selbstabschluß erteilen lassen. Nachdem die Wohnungseigentümerin am 6.Februar 1982 gestorben war, errichtete der nunmehrige Wiederaufnahmskläger mit dem Verlassenschaftskurator über den Kauf der Liegenschaftsanteile, mit denen das Wohnungseigentüm der Erblasserin verbunden war, unter Berufung auf einen angeblich am 19. Oktober 1981 mündlich abgeschlossenen Kaufvertrag eine Vertragsurkunde. Nach abhandlungsgerichtlicher Genehmigung dieses Vertrages wurde auf Grund dieses Rechtstitels das Eigentumsrecht des nunmehrigen Wiederaufnahmsklägers grundbücherlich einverleibt.
Die Verlassenschaft nach der ehemaligen Wohnungseigentümerin erhob gegen den nunmehrigen Wiederaufnahmskläger eine Löschungsklage. Sie behauptete vor allem die Unwirksamkeit des Kaufvertrages wegen Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin zur Zeit ihrer Vollmachtserteilung am 19.Oktober 1981.
Zur strittigen Tatfrage, wie weit die Kritik- und Entschlußfähigkeit der Krankenhauspatientin am Tag ihrer Vollmachtsunterfertigung in Ansehung des Rechtsgeschäftes, zu dem die Vollmacht ermächtigen sollte, reichte, holte das Prozeßgericht im Löschungsverfahren das Sachverständigengutachten eines Facharztes für Psychiatrie ein. Der Sachverständige vermochte außer Krankengeschichten nur die im Rechtsstreit abgelegten Aussagen als Grundlagen für seinen Befund heranzuziehen. Auf Grund des Beweisverfahrens, insbesondere des Sachverständigengutachtens, gelangte das Prozeßgericht erster Instanz im Löschungsstreit, in welchen auf der Klagsseite nach der Einantwortung des Nachlasses die Nichte der Erblasserin als deren Erbin eingetreten war, zur Tatsachenfeststellung, daß die Erblasserin im Zeitpunkt der Unterfertigung der Vollmachtsurkunde vom 19.Oktober 1981 nicht in der Lage gewesen sei, das vorgeschlagene Rechtsgeschäft mit allen seinen verschiedenen Punkten voll zu erfassen und dabei zu beurteilen, ob dieses ihr zum Vorteil oder Nachteil gereiche bzw. ob sie nicht anderwärts ein günstigeres Anbot bekäme.
Daraus folgerte das Prozeßgericht erster Instanz im Löschungsstreit die Unwirksamkeit des Kaufvertrages mangels wahrer Einwilligung der Verkäuferin. Das Berufungsgericht erachtete entgegen der Bemängelung durch den nunmehrigen Wiederaufnahmskläger das Sachverständigengutachten als schlüssig und ausreichend, die erstinstanzlichen Feststellungen zur Kritik- und Entscheidungsfähigkeit der Erblasserin als durchaus unbedenklich und bestätigte das dem Löschungsbegehren der Erbin stattgebende erstinstanzliche Urteil. Die vom nunmehrigen Wiederaufnahmskläger als dem Beklagten im vorangegangenen Löschungsstreit erhobene Revision verfiel der Zurückweisung (6 Ob 1544/89).
Hierauf brachte der im Löschungsstreit unterlegene Beklagte am 5. April 1990 eine Wiederaufnahmsklage mit dem letztlichen Ziel einer Abweisung des im Löschungsstreit gegen ihn erhobenen Begehrens an. Als Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO machte der Wiederaufnahmskläger geltend, die ehemalige Bedienerin der Erblasserin könne bezeugen, daß ihr die Erblasserin schon zwei Jahre vor ihrem Ableben über ihre Absicht berichtet habe, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes mit dem nunmehrigen Wiederaufnahmskläger eine Leibrentenvereinbarung abzuschließen; weiters könnte diese Frau bezeugen, daß die Erblasserin vor ihrem stationären Spitalsaufenthalt im Herbst 1981 und auch nach ihrer kurzfristigen Rückkehr aus dem Spital in ihre Wohnung "in Ordnung" gewesen sei. Eine andere Frau habe die Erblasserin während ihres Spitalsaufenthaltes und auch nachher besucht und könne aus eigener Wahrnehmung Beobachtungen bezeugen, aus denen zu folgern wäre, daß die Erblasserin in jeder Beziehung in der Lage gewesen sei, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen. Auch dieser Pensionistin gegenüber habe sich die Erblasserin schon zwei Jahre vor dem Ableben geäußert, daß sie ihre Wohnung gegen Leibrente abgeben möchte. Nach Auffassung des Wiederaufnahmsklägers wären die Aussagen dieser beiden Zeuginnen, von deren Kenntnissen er nach seinem Vorbringen erst nach Zustellung des höchstrichterlichen Zurückweisungsbeschlusses erfahren habe, die Grundlagen einer Begutachtung durch den Sachverständigen zugunsten des Prozeßstandpunktes des Wiederaufnahmsbeklagten wesentlich ändern.
Die wiederaufnahmsbeklagte Klägerin des Löschungsstreites erachtete eine angeblich bereits zwei Jahre vor dem Hinscheiden der Erblasserin bestandene Absicht einer Veräußerung der Eigentumswohnung gegen Leibrente für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung als unerheblich und die Behauptung über einen schon zwei Jahre vor dem Ableben der Erblasserin bindend zustande gekommenen mündlich abgeschlossenen Vertrag als eine im erstinstanzlichen Verfahren des Löschungsstreites aus prozessualer Nachlässigkeit des Wiederaufnahmsklägers unterbliebene Prozeßbehauptung. Zur Tauglichkeit der Bekundungen der beiden Zeuginnen über ihre Wahrnehmungen von Reaktionen und Verhaltensweisen der Erblasserin während ihres Krankenhausaufenthaltes und unmittelbar danach vertrat die Wiederaufnahmsbeklagte die Ansicht, daß die Aussagen dieser nicht sachverständigen Zeugen die gutächtlichen Schlußfolgerungen des im Löschungsstreit beigezogenen Sachverständigen nicht zu entkräften imstande wären. Im übrigen bezweifelte die Wiederaufnahmsbeklagte die Angaben des Wiederaufnahmsklägers zur Rechtzeitigkeit seiner Wiederaufnahmsklage.
In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 27.August 1990 verkündete der Prozeßrichter einen Zurückweisungsbeschluß im Sinne des § 543 ZPO.
Das Rekursgericht bestätigte diesen erstinstanzlichen Klagszurückweisungsbeschluß; dazu sprach es aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt. Weiters sprach das Rekursgericht aus, daß der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig sei; den letzterwähnten Ausspruch begründete das Rekursgericht mit dem Zitat des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO.
Der Wiederaufnahmskläger ficht die bestätigende Rekursentscheidung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem ausdrücklich als außerordentlichen Revisionsrekurs ausgeführten Rechtsmittel an.
Die Wiederaufnahmsbeklagte erachtet den Revisionsrekurs im Sinne der vom Rekursgericht zitierten Regelung als unzulässig, weil die Ausnahme von dem in einer Bestätigung gelegenen Rechtsmittelausschluß nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO, daß die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden wäre, nicht vorliege: Die Klagszurückweisung gemäß § 543 ZPO sei auf Grund einer sachlichen Prüfung der geltend gemachten Wiederaufnahmsgründe erfolgt. Die Wiederaufnahmsbeklagte bestreitet auch das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 528 Abs 1 ZPO. Im übrigen strebt sie eine Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.
Rechtliche Beurteilung
Ein gemäß § 543 ZPO gefaßter Beschluß auf Klagszurückweisung wegen Verneinung des Vorliegens einer besonderen Rechtsmittelklagsvoraussetzung stellt keine Sachentscheidung über das Rechtsmittelklagebegehren, sondern vielmehr die Verweigerung einer solchen Entscheidung aus formellen Gründen dar, wenn auch die gebotene Prüfung des geltend gemachten Wiederaufnahmsgrundes auf seine abstrakte Eignung, eine dem Wiederaufnahmskläger günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen, eine gewisse Abschätzung der Erfolgsaussichten der Wiederaufnahmsklage im Rahmen einer sogenannten Vorprüfung voraussetzt. Der Verfahrensgesetzgeber hat nach seiner Gleichstellung mit den im § 230 Abs 2 ZPO genannten Prozeßhindernissen (§ 538 Abs 1 ZPO) und der vorgesehenen Beschlußform der Entscheidung nach § 543 ZPO die Entscheidung ganz bewußt als eine solche über eine (besondere) Prozeßvoraussetzung gewertet wissen wollen.
Die Bestätigung eines gemäß § 543 ZPO gefaßten Zurückweisungsbeschlusses fällt unter die Ausnahme vom Rechtsmittelausschluß nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO.
Die Rekurszulässigkeit nach § 528 Abs 1 ZPO liegt deshalb vor, weil das Rekursgericht die von ihm zitierte Rechtsprechung zur behaupteten Unrichtigkeit eines Sachverständigengutachtens als Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO zu Unrecht auf die im vorliegenden Rechtsstreit vorzunehmende Wertung der den geltend gemachten Wiederaufnahmsgründen innewohnende Eignung zur Herbeiführung einer dem Wiederaufnahmskläger günstigere Entscheidung im vorangegangenen Verfahren übertragen hat.
Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Nach dem Prozeßstandpunkt des Wiederaufnahmsklägers soll durch die als neue Beweismittel geltend gemachten Aussagen zweier Zeuginnen nicht die Unrichtigkeit der Folgerungen des im früheren Verfahren erstatteten Sachverständigengutachtens über die Geschäftsfähigkeit einer bereits vor der Einleitung des Rechtsstreites verstorbenen Person dargetan, sondern es sollen vielmehr die medizinisch erheblichen Tatsachengrundlagen des Befundes durch Beobachtungen von Zeugen erweitert werden.
Den Aussagen von Zeugen über ihre Wahrnehmung von Verhaltensweisen und Reaktionen, insbesondere Äußerungen der Erblasserin während ihres stationären Krankenhausaufenthaltes und unmittelbar nach ihrer Entlassung, kann nicht von vornherein die Eignung abgesprochen werden, einen entscheidenden Anhaltspunkt für die vom Sachverständigen aus dem Gesamtbild der Erblasserin zu ziehenden Tatsachenschlüsse auf das Vorliegen, das Fehlen oder eine Einschränkung ihrer Urteilskraft und Entscheidungsfähigkeit abzugeben.
Die Vorstellungen und - nicht ausgeführten - inneren Absichten der Erblasserin mehr als ein Jahr vor ihrer Vollmachtserteilung sind für die Annahme ihrer Geschäftsfähigkeit zur Vornahme der erwähten Rechtshandlung nicht von Einfluß. Die Behauptung eines längere Zeit vor der Vollmachtserteilung oder an eben diesem Tag zwischen der Erblasserin und dem Wiederaufnahmskläger mündlich zustande gekommenen Geschäftsabschlusses müßte dem Wiederaufnahmskläger als angeblich persönlich handelndem Vertragspartner im vorangegangenen Löschungsstreit nach erstem Anschein möglich gewesen sein. Gegenteiliges hätte der Wiederaufnahmskläger konkret darzulegen und unter Beweis zu stellen gehabt. Diesbezüglich trifft die Beurteilung der Vorinstanzen zu.
Die Annahme der Untauglichkeit der als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten angeblich neu aufgefundenen Beweismittel der Zeugenaussagen über Verhaltensweisen der Erblasserin kurze Zeit vor und nach ihrer Vollmachtserklärung ist ohne Auswertung des konkreten Inhaltes der Zeugenbeobachtungen durch einen Sachverständigen nicht mit einer für die Beurteilung der besonderen Klagsvoraussetzungen einer Wiederaufnahmsklage erforderlichen Sicherheit zu treffen.
Aus dieser Erwägung war die Klagszurückweisung im Sinn des § 543 ZPO nicht gerechtfertigt.
In Stattgebung des Revisionsrekurses war daher der erstinstanzliche Klagszurückweisungsbeschluß aufzuheben und dem Prozeßgericht erster Instanz die Fortführung des Rechtsstreites aufzutragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E27492European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0060OB00581.91.0926.000Dokumentnummer
JJT_19910926_OGH0002_0060OB00581_9100000_000