Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1.Oktober 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofbauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manfred K***** wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit tödlichen Ausgang nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 1, 86 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 24.September 1990, GZ 7 d Vr 3596/90-66, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred K***** des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 (ergänze: Abs. 1), 84 Abs. 2 Z 1, 86 StGB schuldig erkannt, weil er am 29.März 1990 in Wien Helmut E***** durch einen Pistolenschuß in den Bauch, der eine Bauchsteckschußverletzung zur Folge hatte, welche unter anderem zur Eröffnung der unteren Hohlvene und der Körperhauptschlagader führte, vorsätzlich am Körper verletzte und dabei mit einem solchen Mittel und auf solche Weise handelte, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, wobei die Tat den Tod des Genannten zur Folge hatte.
Rechtliche Beurteilung
Seine auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 9 lit b und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde gegen diesen Schuldspruch ist berechtigt. Der Ausspruch des Gerichtes über entscheidende Tatsachen ist nur mangelhaft begründet (Z 5).
Nach den wesentlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils kam es am 29.Mai 1990 in Wien nach einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und Helmut E***** zu Tätlichkeiten zwischen dem Zeugen Andreas N***** und E*****, bei der N***** mit einem sogenannten "Nunchaku" (einem fernöstlichen Kampfgerät, bei dem zwei Eichenholzstäbe mit einer Eisenkette verbunden sind, US 7) und E***** mit einem Fixiermesser aufeinander losgingen. Der Angeklagte stand etwas abseits und hielt in der linken Hand seine Jacke, in deren rechter Außentasche eine Pistole steckte. Als E***** drohte, er werde N***** das Messer "reinschießen", wandte dieser sich mit den Worten "Tu was, Mandi" an den Angeklagten. E***** befürchtete deshalb, dieser werde eine Schußwaffe verwenden, wandte sich von N***** ab, lief zum Angeklagten, umfaßte ihn von hinten und umklammerte mit der linken Hand seine Schulter, während er ihm mit der rechten das Fixiermesser mit einer ca 30 cm langen Klinge vor Hals oder Gesicht hielt. Er hielt den Angeklagten die ganze Zeit so, daß er die anderen Personen in seinem Blickfeld hatte. Der Angeklagte wurde von E***** sohin als "Geisel" genommen worden, wobei E***** nicht beabsichtigte, den Angeklagten zu verletzen oder ihn gar zu töten, er wollte nur eine Patt-Situation erzeugen, weil er befürchtete, daß er dem Angeklagten und seinen Begleitern allein nicht gewachsen sei. Er hielt ihn auf diese Weise ca eine halbe Minute fest. In dieser Situation hätte ein beruhigendes Wort vom Angeklagten sicher genügt, um die Lage zu entspannen, was auch dem Angeklagten bewußt war. Um aber vor seinen Begleitern nicht als Schwächling oder Verlierer dazustehen, oder weil er in der aggressiven Stimmung nicht nachgeben wollte, griff der Angeklagte mit der rechten Hand in die Tasche seiner Jacke, die er die ganze Zeit mit der linken Hand am Kragen gehalten hatte, zog die Pistole heraus, spannte den Hahn, drehte sich leicht nach links, führte die Waffe mit der rechten Hand zwischen seiner linken Körperseite und dem linken Arm nach hinten und schoß sofort dorthin, wo er den Körper von E***** vermutete. Er wollte dadurch aus der Umklammerung kommen (US 8, 9).
Das Schöffengericht kam zu dem Schluß, daß der Angeklagte als Beteiligter an einem Raufhandel zwischen N***** und E***** anzusehen und seine Wehrlosigkeit nicht vorgelegen sei, weil E***** den Angeklagten nur vorübergehend festhalten wollte, um einen Waffengebrauch durch den Angeklagten oder Tätlichkeiten von seiten dessen Begleiter zu unterbinden (US 13). E***** hätte sicher den Angeklagten aus der Umklammerung losgelassen, sobald er gesehen hätte, daß ihm keine weitere Gefahr von seiten des Angeklagten oder seinen Begleitern drohte. Trotz dieser beruhigten Situation habe er zur Waffe gegriffen, weil er unter keinen Umständen nachgeben oder sein Gesicht verlieren wollte (US 12).
Schon bei der Feststellung, daß E***** den Angeklagten, als er diesen von hinten umfaßte und ihm sein Fixiermesser vor Hals oder Gesicht hielt, nur als Geisel genommen habe, ihn weder verletzen oder gar töten wollte und ihm bewußt gewesen wäre, daß er diese Situation durch ein beruhigendes Wort entschärfen könne und trotz der beruhigten Situation zur Pistole gegriffen habe, weil er unter keinen Umständen nachgeben oder sein Gesicht habe verlieren wollen, hätte sich das Schöffengericht zur Widerlegung der Verantwortung des Angeklagten, er sei durch den Angriff E***** überrascht worden und habe aus Angst um sein Leben geschossen, mit allen Verfahrensergebnissen, insbesondere mit den Aussagen der Zeugen N***** und Brigitte E***** (in ihrer Gesamtheit) eingehend und detailliert auseinandersetzen müssen. Die Tatrichter hätten sich demzufolge nicht, wie dies letztlich geschah, mit der gleichsam pauschalen Formulierung begnügen dürfen, die Verantwortung des Angeklagten sei durch die Aussage des Zeugen N*****, die im wesentlichen auch durch die Angaben der Zeugin Brigitte E***** bestätigt werde, eindeutig widerlegt (US 10 f).
Das Schöffengericht wäre bei dieser Sachlage vielmehr verpflichtet gewesen, sich im einzelnen damit auseinanderzusetzen, daß nach den Angaben der Zeugin Brigitte E***** die Situation anfangs ruhig war und sich die Ereignisse dann plötzlich überschlugen (AS 202/I), ihr Mann plötzlich in Richtung des Angeklagten sprang, alles blitzschnell ging (AS 203, 203 a verso/I), alles so schnell gegangen sei und daß das Zulaufen ihres Mannes auf den Angeklagten eine Blitzreaktion gewesen wäre (AS 447/I) und nach der Aussage des Zeugen N***** E***** irrsinnig schnell lief (AS 135/I) und K***** ziemlich "die Panik" hatte (AS 136, 436, 440/I).
Das Schöffengericht hat seine urteilswesentlichen Feststellungen, daß E***** als er hörte, daß N***** sich an den Angeklagten wandte, annahm, dieser werde nunmehr eine Schußwaffe verwenden, er ihn deswegen als Geisel genommen aber nicht beabsichtigt habe, ihn zu verletzen oder gar zu töten, sondern nur eine Patt-Situation habe herbeiführen wollen und dem Angeklagten bewußt gewesen sei, daß ein beruhigendes Wort von seiner Seite sicher genügt hätte, um die Lage zu entspannen, er aber nicht als Schwächling oder Verlierer dastehen wollte, in Wahrheit überhaupt nicht begründet.
Ebenso hätte es in Ansehung der Urteilsannahme, daß der Angeklagte als Beteiligter an einem "Raufhandel" anzusehen sei, einer tragfähigen Begründung bedurft, die den Kriterien eines Raufhandels ebenso Rechnung trägt wie dem Umstand, daß Notwehr in einem solchen Fall nur ausnahmsweise in Betracht kommen kann (vgl Leukauf-Steininger, Kommentar2 RN 84, Nowakowski in WK, Rz 31 je zu § 3 StGB).
Die dem angefochtenen Urteil anhaftenden und vom Beschwerdeführer zutreffend gerügten Begründungs- und Feststellungsmängel lassen eine abschließende Beurteilung des Tatverhaltens des Angeklagten nicht zu.
Da eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz damit unumgänglich ist, war schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich wäre, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
Im fortgesetzten Verfahren wird es ausdrücklicher Konstatierungen samt tragfähiger Begründung zur gesamten Notwehrproblematik einschließlich Notwehrexzeß, Absichtsprovokation und Putativnotwehr (Exzeß) bedürfen, und zwar auch in der Richtung, ob für E***** selbst, als er den Angeklagten packte und ihm das Messer anhielt, eine Notwehrsituation gegeben war.
Mit den dadurch gegenstandslos gewordenen Berufungen waren sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E26759European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0140OS00029.91.1001.000Dokumentnummer
JJT_19911001_OGH0002_0140OS00029_9100000_000